06.04.2008 | Hebräer 13, 20-21 (Misericordias Domini)

MISERICORDIAS DOMINI – 6. APRIL 2008 – PREDIGT ÜBER HEBRÄER 13,20-21

Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

„Na, was glaubst du denn?“ Es mag sein, dass solch eine Frage auch an euch mitunter gerichtet wird, wenn ihr euch aus der Deckung gewagt haben solltet, wenn andere das in eurer Umgebung mitbekommen haben sollten, dass ihr Christen seid, dass ihr euch tatsächlich am Sonntagmorgen auf den Weg zur Kirche macht, ja, dass ihr das mit eurem Glauben offenbar sogar ernst meint. Ja, schön wäre es, wenn euch solche Fragen gestellt würden, wenn sie euch in Zukunft hier in unserer Stadt vielleicht sogar noch öfter gestellt werden, gerade weil immer weniger Menschen in unserer Stadt noch irgendeine Ahnung vom christlichen Glauben haben. Und noch schöner wäre es, wenn ihr dann auf diese Frage auch antworten könntet, wenn auch für euch gelten würde, was der heilige Petrus im Monatsspruch für diesen Monat April formuliert: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.“ Ja, rechenschaftsfähig sollen wir sein, wenn wir als Christen nach unserem Glauben gefragt werden, und genau dazu kann uns nun auch die Predigtlesung des heutigen Sonntags dienen, in der in ganz wunderbarer Weise zusammengefasst ist, worum es in unserem christlichen Glauben eigentlich geht. Dreierlei können wir antworten, wenn wir als Christen nach unserem Glauben gefragt werden, so zeigt es uns der Hebräerbrief hier:

- Ich glaube nicht an irgendeinen Gott.
- Ich bin kein dummes Schaf.
- Ich brauche keine Gesetze.

I.

Gläubig zu sein ist ja heute durchaus wieder in. Menschen zeigen sich offener als noch vor ein paar Jahren, an Gott zu glauben. Doch das heißt für uns als Christen erst einmal herzlich wenig. Wer an Gott glaubt, ist darum noch längst kein Christ, denn für uns Christen ist es nicht wichtig, ob man an Gott glaubt, sondern an welchen Gott man glaubt. Heutzutage ist ja der Kurzschluss weit verbreitet, dass letztlich alle Menschen an denselben Gott glauben, auch wenn sie das auf verschiedene Weise tun, dass also letztlich alle Menschen denselben Gott meinen, wenn sie von Gott reden. Gewiss, ein Körnchen Wahrheit steckt da natürlich drin: Die Heilige Schrift macht uns schon deutlich, dass wir Menschen alle miteinander eine Ahnung von dem lebendigen Gott haben, dass wir von diesem Gott etwas ahnen, wenn wir die Schönheit der Natur betrachten oder den Anruf unseres Gewissens spüren. Doch die Heilige Schrift macht uns zugleich deutlich, dass wir Menschen uns bei unseren Versuchen, diese Ahnung von dem lebendigen Gott in irgendwelche Religionen umzusetzen, immer wieder verirren, immer wieder gerade nicht bei dem lebendigen Gott landen, sondern bei selbstgebastelten Göttern, die mit dem lebendigen Gott nur den Namen gemein haben.
Und dagegen sagen wir als Christen: Ich glaube nicht an irgendeinen Gott, an den lieben Vater überm Sternenzelt, an den Gott im Grunewald, an den Gott, der mir in meinem Leben immer Glück bringt und mir hilft, mich immer gut zu fühlen, nicht an eine unpersönliche Kraft, an das Schicksal und erst recht nicht an den alten Opa mit Rauschebart. An den glaube ich ebenso wenig wie an Allah, an Baal oder an Buddha. Nein, ich glaube nicht an irgendeinen Gott, der meinen Wünschen, Vorstellungen und Gefühlen oder der auch meiner Vernunft entspricht, sondern ich glaube an den Gott, der nicht darauf gewartet hat, was wir uns für Gedanken über ihn machen mögen, sondern der sich von sich aus uns Menschen zu erkennen gegeben hat.
Und von daher ist es etwas ganz Typisches im Neuen Testament, dass dort, wo von Gott die Rede ist, immer wieder auch ganz konkret beschrieben wird, was das denn für ein Gott ist, von dem da gesprochen wird, damit es da auch ja keine Verwechslungen geben kann. Zweierlei wird hier in unserer Predigtlesung über Gott ausgesagt, damit auch klar und eindeutig ist, um was für einen Gott es sich da handelt:
Zum einen wird Gott hier „Gott des Friedens“ genannt. Frieden klingt immer gut. Doch wenn die Heilige Schrift vom Frieden redet, dann meint sie nicht bloß, dass Menschen oder Völker nicht mit Waffen oder ähnlichem aufeinander losgehen. Dass Gott ein Gott des Friedens ist, heißt nicht, dass er als eine Art von himmlischer Gouvernante über uns schweben und aufpassen würde, dass wir Menschen auch immer nett zueinander sind und uns vertragen. Dann hätte er im Übrigen seinen Job auch nicht gerade besonders gut gemacht. Nein, wenn Gott hier ein Gott des Friedens genannt wird, dann kommt darin zum Ausdruck, dass bei uns Menschen viel mehr in die Brüche gegangen ist als bloß dies, dass wir es einfach nicht schaffen, uns untereinander zu vertragen. Sondern unser eigentliches Problem besteht darin, dass unser Verhältnis zu Gott kaputt gegangen ist, dass wir mit ihm keinen Frieden haben, dass wir nicht mehr in seiner Gemeinschaft leben. Und genau auf dieses Problem hat er, der lebendige Gott, reagiert, und von sich aus Frieden gestiftet, so macht es der Hebräerbrief hier deutlich: Er sucht die Gemeinschaft mit uns Menschen und hat diese Gemeinschaft zwischen sich und uns wieder neu begründet und hergestellt. Das ist mit dem Frieden gemeint, von dem der Hebräerbrief hier spricht. Und da merken wir schon: Der Gott, von dem hier die Rede ist, ist ein ganz anderer Gott als der, der einfach nur irgendwo über dem Sternenzelt zu finden ist, ist ein ganz anderer Gott als bloß irgendeine unpersönliche Kraft, ein Schicksal oder eine überaus große Gottheit, vor der man sich nur in den Staub werfen kann. Er ist ein Gott, der die Nähe zu uns Menschen sucht.
Und damit sind wir schon bei der anderen Kennzeichnung des lebendigen Gottes, die wir hier finden: Der Gott, an den wir glauben, ist der Gott, der Jesus von den Toten heraufgeführt hat. Wenn ich von dem lebendigen Gott spreche, kann ich also gar nicht anders, als zugleich auch von Jesus zu sprechen, von dem, was er getan hat, ja, was Gott durch ihn und an ihm getan hat.
Es gibt ja immer wieder mal so naive Versuche, so etwas wie eine interreligiöse Ökumene der verschiedenen Weltreligionen zustande zu bringen. Und da wird dann als Rezept immer wieder dies eine genannt: Jetzt lassen wir mal einen Augenblick Jesus außen vor und reden nur über Gott allgemein. Schwestern und Brüder: Genau das können wir als Christen nicht. Ich kann niemals über Gott allgemein reden, ohne dabei nicht zugleich auch immer von Christus zu reden. Denn nur durch Christus wird für mich erkennbar, ob der Gott, von dem wir da reden, überhaupt der lebendige Gott ist oder nur irgendeine religiöse Vorstellung. Und darum kann ich eben als Christ auch nicht irgendwie allgemein zu Gott beten, sondern immer nur so, dass ich meine Gebete durch Jesus Christus, unsern Herrn, an Gott den Vater richte. Wenn wir also mit Menschen über Gott reden, ist das ganz wichtig, dass wir dies im Gespräch deutlich machen: Ich glaube nicht an irgendeinen Gott, sondern ich glaube an den Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat. Und wenn der Gott, an den du glaubst, Jesus nicht von den Toten auferweckt hat, dann ist das offenbar ein anderer Gott, an den du glaubst. Und ich bin heilfroh, dass ich an diesen Gott glaube, der durch Christus den Tod überwunden hat und mir darum die fröhliche Gewissheit geschenkt hat, dass auch ich einmal von den Toten heraufgeführt werde, wie Gott dies bei Christus schon getan hat. Schwestern und Brüder, merkt ihr, wie viel Gesprächsstoff in diesem einen, zunächst so trocken klingenden Satz aus dem Hebräerbrief drinsteckt?

II.

„Ich bin kein dummes Schaf.“  Das ist das Zweite, was wir aufgrund der Worte unserer heutigen Predigtlesung über unseren Glauben erzählen können.
Da wird Jesus hier als „der große Hirte der Schafe“ bezeichnet, und das ist vermutlich auch der Grund, weshalb diese Predigtlesung gerade für den heutigen Tag, den Hirtensonntag Misericordias Domini ausgewählt worden ist. Aber nun geht bei dem Wort „Hirte“ ja heutzutage bei vielen gleich die Jalousie runter: Ich brauche doch keinen Hirten, ich bin doch kein dummes Schaf! Ja, das ist doch typisch für den christlichen Glauben, dass die Christen sich alle wie dumme Schafe behandeln lassen, statt ihren Verstand einzuschalten!
Doch wer so redet, zeigt selber nur sehr begrenzten Verstand, denn der hat offenbar wenig Ahnung davon, wie eigentlich der Alltag eines Hirten damals in Israel aussah: Für einen Hirten waren seine Schafe damals gerade keine dummen Viecher, sondern sein ganzer Stolz, sein ganzer kostbarer Besitz. Der Hirte wusste: Meine Schafe sind nicht blöd, auch wenn sie manchmal vielleicht so aussehen. Die kennen nämlich meine Stimme ganz genau, können meine Stimme von allen anderen Stimmen unterscheiden. Ein kurzer Ruf, und sie kommen zu mir, lassen sich durch andere Stimmen nicht durcheinanderbringen und irritieren. Ach, wenn die Menschen doch nur immer so intelligent wären wie die Schafe, wenn sie die Stimme ihres guten Hirten immer so deutlich von anderen Stimmen unterscheiden könnten und nicht auf andere Stimmen hereinfallen würden! Und weil die Schafe für den Hirten so kostbar waren, darum kümmerte sich der Hirte auch entsprechend um sie, sorgte dafür, dass sie bekamen, was sie brauchten, ja, war dazu bereit, alles, sogar sein Leben, einzusetzen, um die Schafe vor wilden Tieren zu verteidigen. Ja, ausgesprochen klug waren die Schafe, dass sie sich an diesen Hirten hielten, dass sie nicht dachten, sie würden alleine besser klarkommen.
Und solche klugen Schafe sind nun auch wir als Christen. Wir sind gerade nicht dämlich, wenn wir uns an diesen guten Hirten Jesus Christus halten, sondern wir wissen: Der hat was für uns gemacht, was sonst niemand auf der Welt je hätte machen können: Der hat für uns sein Leben in den Tod gegeben, damit wir für immer bei Gott, ja, bei dem richtigen, lebendigen Gott leben können. Nein, beschränkt wären wir gerade im Gegenteil, wenn wir glauben würden, wir könnten in unserem Leben alles allein schaffen, wir würden in unserem Leben ganz allein fertig mit unserer Schuld, ja, mit unserem Tod. Da wären wir ganz schön kurzsichtig, würden verdrängen, was sich auf die Dauer doch nicht verdrängen lässt. Ja, wir stehen dazu, dass wir einen Hirten haben und dass wir einen Hirten brauchen, und bekennen uns ganz fröhlich zu dem: Dieser Jesus Christus, der ist mein guter Hirte, dessen Stimme kenne ich genau. Und indem wir das bekennen, sagen wir zugleich: Wir brauchen als Christen die Gemeinschaft der Herde Christi, wir brauchen die Gemeinschaft der Kirche. Dahin ruft uns Christus, da will er uns begegnen, da will er uns schenken, was wir brauchen für unser Leben, da sind wir bei ihm geborgen. Und darum kommen wir zur Kirche, kommen wir zum Gottesdienst, auch am Sonntagmorgen, weil wir gerade keine dummen Schafe, sondern kluge Schafe sind.

III.

Und dann können wir unsere Gesprächspartner vielleicht noch mit einer dritten Behauptung überraschen: „Ich brauche keine Gesetze“, dürfen wir ihnen erklären.
Normalerweise verwechseln viele Menschen heutzutage ja den christlichen Glauben mit einer Morallehre: Christ zu sein heißt dann, dass ich mich an die Zehn Gebote halte, und wenn man das dann etwas negativer formuliert, heißt das, dass ich mir als Christ letztlich mein Leben versauen lasse, weil mir im christlichen Glauben ja alles verboten wird, was einem im Leben so Spaß macht. Man kann es aber auch positiv formulieren und feststellen: Es ist doch gut, dass uns die Religion sagt, was wir tun sollen, dass es da klare Gesetze gibt, nach denen wir uns richten können. Genau das macht ja beispielsweise einen nicht geringen Teil der Faszination des Islam aus, dass er eine solche Gesetzesreligion ist, die einem genau erklärt, was man alles tun darf und was nicht.
Und da dürfen wir als Christen nun unserem Gegenüber ganz fröhlich erklären: Ich brauche als Christ keine Gesetze. Der christliche Glaube ist gerade keine Gesetzesreligion mit Vorschriften für jede Lebenslage, sondern er eröffnet uns im Gegenteil eine ganz große Freiheit.
Hört noch einmal genau zu, was der Hebräerbrief hier schreibt: Gott mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt. Das heißt auf Deutsch:
Wenn wir Gottes Wort hören, wenn wir hören, was Christus für uns getan hat und uns schenkt, dann arbeitet Gott durch diese Worte in uns, prägt uns, verändert uns, schafft in uns, was ihm gefällt. Nicht wir müssen in irgendeinem Verzeichnis nachgucken, was wir in welcher Lebenslage wie zu machen haben, sondern Gott selber sorgt dafür, dass wir so leben, dass er sich darüber freut. Und wenn du dann noch einmal nachfragst, was das denn ist, worüber er sich freut, dann antwortet der Hebräerbrief hier ganz kurz und bündig: Es ist „das Gute“. Wieder keine tausend Einzelanweisungen, sondern das Vertrauen darauf, dass Gott uns nach seinem Willen prägt und wir dann in konkreten Situationen schon erkennen, was wir nach diesem seinem Willen zu tun haben.
Schwestern und Brüder, es mag sein, dass sich bei diesen Worten des Hebräerbriefes innerlich alles in uns sträubt: So einfach kann das doch nicht sein! Wir möchten doch gerade auch als Christen klare Handlungsanweisungen haben und wissen, was wir tun sollen! Und wenn Gott alles in uns tut – können wir denn dann selber gar nichts tun, um Gott zu gefallen? Doch der Hebräerbrief bleibt stur: Ja, es bleibt dabei: Ihr seid getauft, und als getaufte Christen dürft ihr darauf vertrauen, dass Christus in euch lebt, dass Gott durch seinen Geist in euch wirkt, dass er euch nach seinem Willen handeln lässt. Und weil ihr getauft seid, hängt euer Heil, eure Rettung auch wirklich überhaupt nicht mehr an euch, an dem, was ihr tut. Gott hat schon alles getan, und in dieser Gewissheit dürft ihr nun als Christen ganz fröhlich leben, auch ohne Gesetzeskatalog unter dem Arm.
Ja, das stimmt. Aber wir wissen zugleich doch auch darum, dass wir an dieser Freiheit, die Christus uns in unserer Taufe geschenkt hat, immer wieder scheitern, dass wir sie gerade nicht so nutzen, wie wir könnten, dass wir uns dem immer wieder verschließen, was Christus von uns und in uns will, und lieber unsere eigenen Wege gehen. Ja, wir haben ihn noch in uns, den alten Menschen, wie ihn der Apostel Paulus nennt, diesen Typen, der es in der Tat immer wieder nötig hat, dass man ihm auch mit den ganz konkreten Geboten Gottes immer wieder eins auf den Deckel gibt. Dieser alte Mensch braucht sie noch, die Weisungen Gottes für unser Leben, und darum wird der klare Wille Gottes für unser Leben auch in der Kirche immer wieder verkündigt. Aber viel wichtiger ist noch, dass wir dann auch immer wieder hören dürfen, wie Christus unser Versagen, unser Scheitern auch jetzt stets aufs Neue in Ordnung bringt: Er steht da vor dem Thron Gottes und tritt für uns ein als unser Fürsprecher, verweist auf sein Opfer am Kreuz, auf das Blut des ewigen Bundes, das er vergossen hat. Ach nein, darauf verweist er nicht bloß, sondern er lässt uns dieses Blut des ewigen Bundes ganz konkret empfangen hier im Heiligen Mahl, auch heute wieder, und lässt uns so wieder von vorne anfangen – als Menschen, in denen er lebt und die in seiner Kraft dann auch immer wieder nach seinem Willen leben und handeln können. Ja, es bleibt dabei: Ich brauche als Christ keine Gesetze, weil Christus alles für mich getan hat und weil er in mir lebt.
Gott geb’s, dass durch unser Zeugnis von Christus auch andere Menschen neugierig werden auf den christlichen Glauben, dass sie etwas davon zu ahnen beginnen: Das ist ja was ganz anderes als einfach bloß eine Religion, das ist erst recht etwas ganz anderes, als was ich mir bisher darunter vorgestellt habe. Da geht es nicht um irgendeinen Gott, nicht um dumme Schafe und nicht um Moral. Da geht es um den lebendigen Christus, der auch mir ein neues Leben schenken will. Mensch, was haben es die Christen – Mensch, was haben wir es gut! Amen.