02.02.2008 | St. Lukas 2,29-32 (Tag der Darstellung des Herrn)

TAG DER DARSTELLUNG DES HERRN – 2. FEBRUAR 2008 – PREDIGT ÜBER ST. LUKAS 2,29-32

Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.

Nachher, nach dem Heiligen Abendmahl, werden wir es auch heute wieder singen: Das sogenannte „Nunc dimittis“, den Lobgesang des Simeon. So vertraut ist uns dieser Gesang mittlerweile, dass wir mitunter vielleicht gar nicht mehr recht wahrnehmen mögen, was wir da eigentlich singen. Vielleicht achten wir noch darauf, dass wir uns hier in Steglitz früher zu diesem Lobgesang erheben, als wir es in Zehlendorf tun, und dass die Melodie des Gesanges hier in Steglitz eine etwas andere ist als in Zehlendorf. Aber wann haben wir uns eigentlich das letzte Mal ganz bewusst klargemacht, was wir eigentlich tun, wenn wir dieses Lied hier immer wieder singen? Ja, gut tun wir daran, uns wieder neu auf den Inhalt dieses Liedes zu besinnen, denn er kann uns helfen, noch einmal neu zu entdecken, was an uns eigentlich geschieht, wenn wir das Heilige Mahl feiern. Ja, von diesem Lobgesang des Simeon fällt noch einmal ein neues Licht auf unseren Gang zum Sakrament. Dreierlei geschieht da, wenn wir das Sakrament empfangen, so stellt es uns dieser Lobgesang des Simeon vor Augen:

- Wir üben unser Sterben ein.
- Wir staunen, wie Gottes Wort wirkt.
- Wir lassen unseren Horizont erweitern.

I.

Wie alt der Simeon damals gewesen ist, als er diesen Lobgesang anstimmte, wissen wir nicht. Bei der Hanna wird ausdrücklich gesagt, dass sie 84 Jahre alt war; bei Simeon fehlen uns entsprechende Angaben. Aber es gibt jedenfalls starke Indizien dafür, dass er nicht mehr ganz jung war, als er seinem Heiland im Tempel begegnete: Gewartet hatte er schon lange Zeit auf die Erfüllung des Wortes, das Gott ihm zugesagt hatte, eines Wortes, das sich auf sein Lebensende, auf seinen Tod bezog: Er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. Und nun, als es soweit ist, als er Christus endlich auf seinen Armen tragen kann, da bricht es aus Simeon heraus: „Nun entlässt du endlich deinen Sklaven aus seinem Dienst, Herr, mein Besitzer!“ Nun bin ich endlich frei! „Herr“: „despota“ steht da im Griechischen, nein, das heißt nicht Despot, aber das ist doch schon ein anderes Wort als „kyrie“, als das Wort für „Herr“, das üblicherweise in der Heiligen Schrift benutzt wird: „despota“ meint den Sklavenbesitzer. Der da redet, ist ein Sklave, der einen schweren Dienst hinter sich hat und nun endlich entlassen wird. Wie lange hatte Gott ihm zugemutet, immer wieder zum Tempel zu gehen, immer wieder auf den Messias zu warten, immer wieder belächelt zu werden von denen, die dort im Tempel das Sagen hatten und mit der Erwartung eines Messias in aller Regel nicht viel anfangen konnten! Das macht auf die Dauer mürbe, immer weiter warten zu müssen und dabei nicht ernst genommen zu werden, ausgelacht zu werden, wie man immer noch so verrückt sein kann, auf jemanden zu warten, der ja doch nicht mehr kommt. Aber jetzt, jetzt ist diese Zeit des Wartens vorbei, jetzt erfährt Simeon, dass es sich doch gelohnt hat, dem Spott, dem Grinsen der Leute standgehalten zu haben, sich dem Dienst seines Herrn nicht entzogen zu haben. Nun wird Simeon entlassen, und er weiß, was das heißt: Er darf, er wird nun sterben, ja, auch diese Bedeutung hat das griechische Wort, das hier verwendet wird. Sterben darf Simeon in der Gewissheit: Ich habe meinen Heiland gesehen, habe ihn selber auf meinen Armen getragen. Die Rettung ist da, nun kann ich im Frieden heimgehen.
Und dieses Lied des Simeon singen wir nun in jedem Gottesdienst, jawohl, ein fröhliches Sterbelied. Es ist eine Besonderheit der Liturgie unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, dass wir diesen Lobgesang des Simeon jeweils nach dem Sakramentsempfang singen; seinen festen Platz hat dieser Lobgesang ansonsten in der Liturgie der Kirche im Nachtgebet, in der Complet. Und diese Complet ist ihrerseits nichts anderes als eine tägliche Einübung ins Sterben, ins Loslassen: „In deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott“, so heißt es dort kurz vor dem Lobgesang des Simeon. Und wenn wir in unser Gesangbuch schauen, dann stellen wir fest, dass wir auch dort zwei Nachdichtungen des Lobgesangs des Simeon als Sterbelieder unter der Rubrik „Tod und Ewigkeit“ finden. Ja, ein fröhliches Sterbelied singen wir nach jedem Sakramentsempfang, und das ergibt einen guten Sinn:
Nein, das Heilige Abendmahl ist wahrlich nicht erst für Leute über 90 bestimmt, und der Empfang des Sakraments sollte erst recht nicht immer weiter aufgeschoben werden, bis man irgendwann einmal auf dem Sterbebett liegt. Im Gegenteil ist es gut und wichtig, wenn man von Jugend an das einübt, was einen am Ende des Lebens einmal erwarten wird, dann, wenn einmal die letzte Entscheidung über unser Leben fallen wird. Gut und wichtig ist es, hier im Altar das Loslassen einzuüben, selber gar nichts mehr zu machen, nur noch zu empfangen, nur noch sich beschenken zu lassen von ihm, Christus, von seiner Gegenwart, von seinem Leib und Blut. Nein, das Entscheidende in meinem Leben ist nicht, was ich tue und leiste, das Entscheidende ist, was ich empfange, besser gesagt: wen ich empfange, ihn, Christus, meinen Herrn. Und damit bereite ich mich mit jedem Sakramentsempfang auf den letzten Ernstfall vor, kann ich dem Ende meines Lebens ganz getrost entgegenblicken, ganz gleich, ob mich dieses Ende nächste Woche, in einem Jahr oder in zwanzig oder fünfzig Jahre ereilen wird. Ich brauche den Tod aus meinem Leben nicht zu verdrängen; ich darf ihm ins Auge blicken, fröhlich und gelassen, weil ich meinen Heiland habe, weil ich weiß, dass er mir den Frieden schenkt, den diese Welt nicht geben kann. Es mag sein, dass vor mir noch ein langer, harter Weg liegt, ein Weg, auf dem es für mich nicht immer einfach sein wird, an Gottes Zusagen festzuhalten, von Gott, meinem Besitzer, nicht einfach wegzulaufen, ein Weg, bei dem ich mich am Ende vielleicht auch einfach danach sehnen werde, von Gott aus dem Dienst, in den er mich gestellt hat, endlich entlassen zu werden in die Freiheit des ewigen Lebens. Aber ich habe es besser als der Simeon: Ich brauche nicht bis zum Ende meines Lebens zu warten, bis ich Christus begegnen darf. Gott lässt mich diese Erfüllung meines Lebens schon jetzt immer und immer wieder erfahren, lässt dieses Mahl für mich damit immer wieder neu zur Wegzehrung werden auf dem Weg zum Ziel. Ach, wie gut ist es, dass wir hier im Sakrament unser Sterben immer wieder schon einüben können. Das wird sich auswirken, das wird sich auszahlen, dann, wenn es für uns einmal ganz akut aufs Ende zugehen wird, wenn der Lobgesang des Simeon für uns noch einmal einen neuen, intensiven Klang bekommen wird: Herr, nun lässt du deinen Diener im Frieden fahren, wie du gesagt hast.

II.

Ein Zweites tun wir, wenn wir in jedem Gottesdienst in den Lobgesang des Simeon mit einstimmen: Wir staunen, wie Gottes Wort wirkt.
Wie lange der Simeon auf die Erfüllung des Wortes gewartet hatte, das Gott zu ihm gesprochen hatte, wissen wir nicht. Vermutlich werden es doch viele Jahre gewesen sein. Doch Simeon war sich dessen gewiss: Wenn Gott sein Wort spricht, dann hält er es auch, dann wird dieses Wort auch wirken, was es sagt. Und nun, nun darf er in dieser Stunde im Tempel erfahren, dass es wirklich so geschehen ist, wie er es geglaubt hatte: Er darf ihn auf seinen Händen tragen, ihn, seinen Heiland: Ja, Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast. Ja, wie du gesagt hast, so ist es gekommen. Dein Wort hat gewirkt, was es zugesagt hatte.
Und genau darum geht es auch bei jeder Feier des Heiligen Mahles, dass wir immer wieder neu darüber staunen, wie Gottes Wort wirkt. Das Heilige Mahl ist ja in erster Linie kein Erinnerungsmahl, nicht bloß ein nettes Essen, bei dem wir uns an Jesus erinnern und irgendwie fühlen, dass er bei uns ist. Nein, im Zentrum der Sakramentsfeier stehen die Worte, die er, Christus, selber gesprochen hat und die eben nicht bloß eine nette Information sind, sondern wirken, was sie sagen: Das ist mein Leib, das ist das neue Testament in meinem Blut. Ja, staunen können wir immer wieder nur darüber, wie Christus selber hier durch diese Worte eine neue Wirklichkeit setzt, Brot und Wein zu seinem Leib und seinem Blut werden lässt. Nein, sehen können wir hier nur herzlich wenig: Wir sehen nur das Stück Brot und den Schluck Wein. Aber in diesen unscheinbaren Gestalten erkennen wir ihn, unseren Herrn, erkennen wir das Heil, das er uns dadurch schenkt, dass er eben so und nicht anders zu uns kommt. Nein, der Simeon hat es damals ja nicht besser gehabt. Kein äußeres Zeichen deutete darauf hin, dass dieses Baby, das er da auf seinen Armen hielt, etwas Anderes war als all die anderen Babys, die er sonst schon in seinem Leben gesehen hatte. Da blinkte kein Heiligenschein auf dem Kopf dieses Babys. Völlig unscheinbar war dieses Kind; doch Simeon erkennt im Glauben, wer dieses unscheinbare Kind in Wirklichkeit ist, erkennt in diesem Kind seinen Heiland, seine Rettung.
Auch wir können nur im Glauben die Wirkmacht der Worte Christi erkennen, können niemandem mit irgendwelchen Experimenten beweisen, dass das Brot, das wir dort empfangen, wirklich der Leib Christi und der Wein wirklich das Blut Christi ist, dass wir hier nicht bloß etwas spielen, sondern das Wort Christi hier eine neue Realität gesetzt hat. Und doch singen wir ihn jede Woche, den Lobgesang des Simeon, und bekennen damit: Ja, wir haben erkannt, was hier nun gerade wirklich geschehen ist. Wir haben erkannt: Christi Worte haben gewirkt: Wir durften unseren Heiland mit unserem Mund empfangen; er, Christus, lebt nun in uns, und damit ist wirklich alles gut, wir haben ihn, unseren Retter, und mit ihm unsere Rettung empfangen. Nichts hindert uns mehr daran, nun tatsächlich im Frieden aus dieser Kirche nach Hause zurückzukehren, nachdem wir heute wieder das Größte erfahren und empfangen haben, was uns in unserem Leben passieren kann: Meine Augen haben deinen Heiland gesehen!

III.

Und dann weitet sich unser Horizont noch einmal gewaltig, wenn wir den zweiten Teil des Nunc dimittis miteinander singen: Es geht im Heiligen Abendmahl nicht bloß um meine ganz persönliche Begegnung mit Christus, meinem Heiland. Nein, mit dieser Begegnung werde ich hineingezogen in eine weltweite Bewegung, werde hineingestellt in eine unübersehbar große Schar von Menschen aus allen Völkern, die mit mir ihn, Christus, in seinem Heiligen Mahl empfangen und sich so von seinem Licht bescheinen lassen.
„den du bereitet hast vor allen Völkern“ – so singen wir. Was heute an diesem Abend hier in unserer Dreieinigkeitskirche geschieht, das hat eine Vorgeschichte von vielen tausend Jahren: Simeon staunt hier darüber, wie Gott in der Sendung des Messias Jesus wahrgemacht hat, was er seinem Volk schon über viele Jahrhunderte zuvor angekündigt hatte. Nein, das war keine Spontanentscheidung von Gott, ihn, den Retter, zu schicken, das hatte er lange, lange zuvor bereits vorbereitet. Und wir, wir staunen darüber, wie Gott auch nach der Begegnung des heiligen Simeon mit Christus weiter diesen Heiland vor allen Völkern bereitet hat, wie das Evangelium sich seinen Weg gebahnt hat in aller Welt, wie es uns hier in Deutschland erreicht hat und wie es Menschen überall auf der Welt erreicht, sich durch nichts und niemanden hemmen lässt. Ja, Christus, er ist ein Licht zu erleuchten die Heiden, so singen wir es, er hat die Kraft, Menschen aus allen Völkern in seine Gemeinschaft zu führen. Und doch bleibt er, Jesus, immer zuerst und vor allem der Messias seines Volkes Israel. Wenn wir uns zu Jesus als unserem Christus bekennen, dann preisen wir damit zugleich auch immer das Volk, aus dem er stammt, das Volk, das Gottes Volk bleibt, so bekennen wir es in jedem Gesang des Nunc dimittis: Er, Christus, ist ein Licht zum Preis deines Volkes Israel – jawohl, deines Volkes Israel, o Herr. Ist uns das eigentlich immer klar, wenn wir diese Worte singen?
Eine unfassliche Horizonterweiterung erfahren wir bei jeder Feier des Heiligen Mahles, so zeigt es uns der Lobgesang des Simeon: Wenn wir das Mahl feiern, dann feiern sie alle mit: Der heilige Simeon selber, all die unzähligen Christen aus allen Völkern, die nun schon endgültig im Frieden heimgehen durften, und all diejenigen, die auch an diesem Sonntag wieder sich um den Altar versammeln, um ihren Heiland zu sehen und zu empfangen, sei es in Botswana, in den USA oder in der Mongolei. Mit ihnen gemeinsam empfangen wir ihn, unseren Retter, mit seinem Leib und Blut. Und wenn er, Christus, in uns lebt, dann werden wir damit selber zu Lichtträgern, tragen wir dieses Licht, wenn wir diese Kirche verlassen, hinaus in die Dunkelheit der Welt. Nein, wir selber können keinen Menschen erleuchten, können keinen Menschen zum Glauben bringen. Aber bezeugen können wir etwas von der Freude, die uns hier immer wieder geschenkt wird, bezeugen können wir die Erfüllung unseres Lebens, die wir hier immer wieder in der Begegnung mit Christus finden und die uns jetzt und schließlich auch am Ende unseres Lebens getrost und fröhlich sprechen lässt: „Herr, nun lässt du deinen Diener im Frieden fahren, wie du gesagt hast. Denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.“ Amen.