10.05.2009 | St. Matthäus 11, 25-30 (Kantate)

KANTATE – 10. MAI 2009 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 11,25-30

Zu jener Zeit begann Jesus und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn so war es wohlgefällig vor dir. Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand erkennt den Sohn als nur der Vater, noch erkennt jemand den Vater als nur der Sohn, und wem der Sohn ihn offenbaren will. Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben. Nehmt auf euch mein Joch, und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und `ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.

„Mutti, ich kann einfach nicht mit ansehen, wie du dich in der Küche abmühst. Mach doch bitte die Tür zu!“ – Dieser freche Spruch aus dem Munde eines Heranwachsenden, der zum heutigen Muttertag so wenig zu passen scheint, bringt in Wirklichkeit doch sehr treffend zum Ausdruck, in welcher Weise wir oft genug mit anderen Menschen umgehen, die sich in ihrem Leben mit Lasten abmühen: Wir nehmen das durchaus wahr, womit sie sich da abschleppen, bringen vielleicht auch unsere Betroffenheit zum Ausdruck – und lassen sie am Ende doch immer wieder mit ihren Lasten allein, können und wollen uns diese Lasten nicht auch noch aufhalsen. Weggucken, Tür zu - manchmal ist das einfach schön bequem, und manchmal sehen wir auch tatsächlich keine andere Möglichkeit, selber mit den Lasten umzugehen, die wir auf den Schultern anderer Menschen liegen sehen.
Im Heiligen Evangelium dieses Sonntags wird uns geschildert, wie Jesus selber sich das ansieht, wie wir Menschen uns alle miteinander mit Lasten abschleppen und abmühen, ja, oft genug unter diesen Lasten zusammenzubrechen drohen. Doch Jesus begnügt sich nicht damit, teilnahmsvoll zuzuschauen, er begnügt sich nicht damit, seine Betroffenheit zum Ausdruck zu bringen und uns seiner Solidarität zu versichern, und er schaut erst recht nicht weg oder macht die Tür zu, damit er unseren Anblick nicht länger ertragen muss. Sondern Jesus unternimmt etwas, so schildert es uns St. Matthäus hier in diesen Versen, ergreift Maßnahmen, um uns aufatmen zu lassen. Ja, Jesus tut etwas

- für Menschen auf ihrer Suche nach Gott
- für Menschen auf ihrer Suche nach Entlastung

I.

Um eines gleich klarzustellen, Schwestern und Brüder: Es ist durchaus nicht so, dass wir Menschen alle miteinander dauernd auf der Suche nach Gott sind. Und erst recht ist es nicht so, dass Menschen sich deswegen unbedingt bedrückt fühlen, wenn sie auf ihrer Suche nach Gott bisher noch nicht fündig geworden sind. „Es gibt vermutlich keinen Gott. Also hören Sie auf, sich Sorgen zu machen, und genießen Sie das Leben“ – So lautete ein Werbeslogan, der in den vergangenen Monaten auf vielen Bussen und in vielen U-Bahnen in London zu lesen war. Hier in Deutschland haben die Verkehrsbetriebe zwar einen solchen Plakatierungswunsch abgelehnt; aber der Aussage dieser Werbebotschaft könnten auch bei uns viele Menschen zustimmen: Gott ist für mich kein Thema; ich genieße das Leben auch ohne ihn, auch ohne mich auf die Suche nach ihm zu begeben. Hauptsache, mir geht es gut; Hauptsache, ich habe meinen Spaß!
Und doch kommen wir Menschen so einfach dann doch wieder nicht von Gott los: Selbst die Atheisten, die in London die Werbekampagne an den Bussen durchführten, führen eben zugleich die ganze Zeit den Namen Gottes im Mund, thematisieren ihn, bleiben auch in der Lossagung von ihm zugleich auf ihn fixiert. Da gibt es andere, die sich in ihrem Leben vielleicht über viele Jahre kaum Gedanken über Gott gemacht hatten, bis ein Schicksalsschlag, die Konfrontation mit Leid und Tod sie wieder neu oder ganz neu zum Nachdenken brachte. Da gibt es diejenigen, die ganz offen auf der Suche nach religiösen Erfahrungen und Erlebnissen sind, schon alle möglichen Religionen und Seminare ausprobiert und mitgemacht haben und dabei doch immer noch unterwegs bleiben. Da gibt es diejenigen, die mit Kirche und Glauben in ihrer Kindheit und Jugend schlechte Erfahrungen gemacht haben und denen das Bild von Gott, dem großen Aufpasser und Erziehungshelfer, das Bild eines drohenden, einschüchternden Gottes immer noch in den Knochen steckt, auch wenn sie sich offiziell von allem, was mit Kirche und Glauben zu tun hat, längst losgesagt haben. Und da gibt es auch diejenigen – und wer von uns wollte sich aus dieser Gruppe ausschließen? – die von sich selber durchaus behaupten würden, dass sie nicht unbedingt mehr auf der Suche nach Gott, sondern bei ihm, in seinem Haus angekommen sind, und die doch so vieles von dem, was sie in ihrem Leben, in dieser Welt erfahren, mit ihrem Glauben an Gott so schwer vereinbaren können und Fragen haben, Fragen nach Gott, die sie eben nicht so schnell und leicht beantworten können. Ja, so merken sie, so merken wir selber es, so merken es bewusst oder unbewusst so viele Menschen: Die Frage nach Gott, danach, wer er ist, wie er mit uns in unserem Leben umgeht, die kann eine ganz schöne Last sein, die uns umtreibt, uns zu Boden drückt, uns nicht zur Ruhe kommen lässt.
Jesus weiß das, er sieht es, und er bringt genau dies in den Worten des Heiligen Evangeliums auch ganz klar zum Ausdruck: Wir Menschen mögen uns noch so intensiv auf die Suche nach Gott begeben, wir mögen noch so kluge Antworten auf unsere Fragen nach Gott, seinem Handeln, seinem Willen für uns selber gefunden haben, mögen uns ein noch so beeindruckendes eigenes Bild von Gott gemacht haben: Wir kommen an ihn, den wahren, den wirklichen Gott, nicht heran. Was wir auch versuchen mögen – wir werden bei unserer Suche nach Gott scheitern, nicht fündig werden, letztlich doch immer wieder ganz daneben liegen. Denn niemand, wirklich niemand kennt den Vater als nur der Sohn, so betont es Christus selber hier. Nein, da nützt auch ein noch so hoher Intelligenzquotient nichts, auch keine humanistische Schulbildung, kein gutbürgerliches Elternhaus – niemand kennt den Vater als nur der Sohn, und wem es der Sohn offenbaren will.
So allein kommen wir also an Gott heran, dass wir uns an Christus halten, dass wir durch ihn erkennen, wer Gott in Wirklichkeit ist, was er von uns will, wie er zu uns steht. Wenn wir angesichts all des Leides in dieser Welt, angesichts all dessen, was wir an Unverständlichem in unserem Leben erfahren, nach Gott fragen, dann bekommen wir eine Antwort allein, wenn wir auf ihn, den Gekreuzigten schauen, wenn wir im Angesicht des Gekreuzigten das Angesicht Gottes selber erkennen. Dann erkennen wir, dass Gott eben doch nicht die Fratze ist, die wir zunächst nur von ihm zu sehen meinen, sondern dass er, Gott, selber ein leidender Gott ist, einer, der nicht auf Distanz bleibt, sondern sich mit unserem Elend, mit unserer Not, mit unserer Schuld abschleppt, ja selber am Ende daran zugrunde geht. Dass Gott so sehr die Liebe in Person ist, dass er dazu bereit ist, nein, darauf würden wir von uns aus niemals kommen; das erkennen wir allein durch Christus und in ihm.
Wenn Menschen Gott immer noch als den großen Erziehungshelfer, als furchteinflößende Gestalt ansehen, dann ruft Christus auch ihnen zu: Lasst diese selbstgebastelten Gottesbilder hinter euch, packt sie weg, schaut auf mich, wenn ihr wissen wollt, wer und wie Gott wirklich ist: er, der liebende Vater, der seinen Sohn aus Liebe zu uns leiden und sterben lässt. Wenn Menschen immer noch von einem religiösen Angebot zum nächsten hoppen, dann ruft Christus es auch ihnen zu: Hört auf, euch eine Religion, einen Glauben, einen Gott nach euren Bedürfnissen zu suchen und zu basteln. Kommt her zu mir; ich zeige euch, wer Gott wirklich ist, wie viel großartiger und wunderbarer er ist als all die Vorstellungen, die ihr euch von ihm machen mögt. Und kommt her zu mir – so ruft es Christus auch all denen zu, die allen Ernstes glauben, sie könnten ihr Leben durch eine Absage an Gott glücklicher machen. Ja, kommt her zu mir, ihr wisst ja sonst gar nicht, was ihr verpasst, ja, wen ihr verpasst, wenn ihr nicht meinen Vater kennt, ihn, von dem ihr selber natürlich keine Ahnung haben könnt, der euch doch keine Sorgen zu bereiten braucht, sondern euch im Gegenteil eure Sorgen nehmen will, weil er auch für euch sorgt, er, mein Vater, der doch auch euer Vater werden will. Ja, so ruft es Christus ihnen und uns in seinem Wort zu. Er guckt nicht einfach zu, wie wir selber unseren Bezug zu Gott zu regeln versuchen, sondern schenkt ihn uns, den Zugang zu Gott, den wir allein niemals finden könnten.

II.

Nein, Christus kann es nicht mit ansehen, wie wir Menschen uns abschleppen mit unseren Fragen nach Gott, ja, mit all dem, was uns in unserem Leben zu Boden drückt und uns den Atem nimmt. Christus kann das nicht mit ansehen – doch er verschließt deswegen vor uns nicht die Augen, sondern ruft uns zu sich: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Nein, dieser Ruf gilt nicht bloß einigen wenigen unter uns, die sich vielleicht im Augenblick besonders mies und bedrückt fühlen; er gilt uns allen, spricht uns an auch auf Lasten, die wir in unserem Leben vielleicht oft genug verdrängen, auch auf Lasten, an die wir uns schon so sehr gewöhnt haben, dass wir gar nicht mehr merken, wie sie an unserer Lebenskraft zehren, spricht uns darauf an und deckt sie uns mit seinem Wort auch erst so richtig auf.
Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid: Dieser Ruf unseres Herrn gilt an diesem Muttertag gerade auch all den Müttern, die in ihrem Dienst als Mütter auf so vielfältige Weise belastet sind und oft genug auch noch erleben müssen, dass dieser so wichtige Dienst so wenig geachtet und gewürdigt wird. Der Ruf unseres Herrn gilt all den Müttern, denen die Sorge um ihre Kinder schwer auf dem Herzen und auf den Schultern liegt. Er gilt in gleicher Weise auch den Vätern, den Großeltern, all denen, die für andere Menschen Verantwortung tragen und sich mit dieser Last abschleppen. Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid: Dieser Ruf unseres Herrn gilt den Schülern, den Jugendlichen, die erfahren, dass von ihnen immer mehr Leistung verlangt wird, der sie gar nicht gerecht werden können, ja denen bei all dem Druck, den sie abbekommen, immer weniger Luft zum Aufatmen bleibt. Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid: Dieser Ruf unseres Herrn gilt allen psychisch kranken Menschen, die so viele Lasten und Mühen mit sich herumschleppen und nicht wissen, wo sie sie abladen sollen. Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid: Dieser Ruf unseres Herrn gilt all denen, die sich in ihrem Beruf bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit abquälen, und all denen, die keine Arbeit haben und darunter leiden, nicht gebraucht zu werden, überflüssig zu sein, nicht wahrgenommen zu werden mit den Gaben und Fähigkeiten, die sie besitzen. Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid: Dieser Ruf unseres Herrn gilt all denen, die in ihrem Leben Schuld auf sich geladen haben, die sie nicht mehr wiedergutmachen können, die gescheitert sind und nun vor dem Scherbenhaufen ihrer Lebensplanungen stehen. Und „kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid“ – So ruft es Christus ganz besonders auch all denen zu, die in ihrem Leben so deutlich spüren, dass die Lasten eines langen Lebens, die Lasten des Alters sie immer mehr zu Boden drücken, die in ihrem Leben so deutlich spüren, wie es allmählich seinem Ende entgegengeht.
Kommt her zu mir, so ruft es Christus uns allen zu. Nein, er verspricht nicht, dass er uns einfach alle Lasten unseres Lebens abnimmt; er verspricht uns nicht: Kommt zu mir, glaubt an mich, und es geht euch wieder richtig gut, ja, ihr fühlt euch dann nur noch glücklich. Sondern er verspricht uns, uns zu erquicken, uns aufatmen zu lassen. Und dies geschieht paradoxerweise gerade dadurch, dass er auf unsere Schultern ein Joch legt, eine neue Last. Doch dieses Joch, diese neue Last soll uns gerade nicht noch weiter fertigmachen, sondern soll uns im Gegenteil aufrichten, uns weiterhelfen. Denn das Joch, das uns auferlegt wird, ist nicht unser eigenes Joch, sondern es ist mein Joch, sagt Christus. Das heißt: Wenn wir zu ihm kommen, dann verbindet er sich mit uns, nimmt uns auf in seine Gemeinschaft, unter sein Joch, und dann trägt er unter diesem Joch mit, was wir zu tragen haben, lässt uns mit dieser Last nicht länger allein. Schritt für Schritt geht er mit uns mit in unserem Leben, lässt sich unsere Lasten und Sorgen, lässt sich erst recht all unsere Schuld aufbürden und schleppt sie für uns.
Aufatmen dürfen wir darum, wenn Christus uns auch heute wieder erquickt hier an seinem Altar, wenn er sich mit uns verbindet und wir hier am Altar alles Versagen unseres Lebens, alles Hadern mit Gottes Führung in unserem Leben zurücklassen dürfen. Aufatmen dürfen wir, wenn Christus uns heute hier an seinem Altar wieder von Neuem erfahren lässt, dass es für ihn keine Rolle spielt, wie leistungsfähig wir sind, was für Erfolge wir in unserem Leben vorzuweisen haben, was für Noten auf unserem Schulzeugnis stehen, wie viel Euro auf unserem Konto liegen. Was in unserem Alltagsleben so entscheidend wichtig ist, das schiebt Christus hier beiseite, wenn er uns als unser Heiland heute wieder hier in seine Arme schließt. Ja, aufatmen dürfen wir hier am Altar, wenn Christus, unser Heiland, uns auch heute wieder mit dem Heilmittel des ewigen Lebens speist, unseren Blick weit hinauslenkt über all das, was uns im Augenblick so bewegt und bedrückt, weit hinaus auch über unsere Krankheiten, Behinderungen und Gebrechen. Die Gemeinschaft mit ihm, unter seinem Joch, die bleibt bestehen, auch über den Tod hinaus.
Schwestern und Brüder, wie oft höre ich das Argument: Ich bin in meinem Leben so belastet, ich habe so viel zu tun, da habe ich einfach keine Zeit, auch noch in die Kirche zu kommen. Ach, wie wenig haben diejenigen, die so reden, von dem verstanden, was hier im Gottesdienst immer wieder von Neuem geschieht! Hier geht es doch nicht darum, dass uns nun noch eine weitere Last aufgehalst wird, dass wir nun noch einer weiteren Verpflichtung nachkommen müssen! Im Gegenteil: Gerade wenn wir durch so vieles belastet sind, brauchen wir sie umso mehr: die Entlastung, die uns Christus hier in jedem Gottesdienst schenken will. Ja, es ist ein Joch, das uns auferlegt wird, und von außen betrachtet, scheint es schwer, fast unmöglich zu tragen sein. Doch wer sich darauf einlässt, der erfährt, was Christus ihm hier verspricht: Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.
Vertraut darum dem Ruf, der Einladung eures Heilands, vertraut darauf, dass ihm an euch wirklich liegt, dass er darum allein euch zu sich ruft, weil er weiß, wie sehr ihr dies braucht und wie gut dies für euch ist. Nein, Christus kann einfach nicht zusehen, wie ihr euch abschleppt – und eben darum ruft er es euch auch heute wieder zu: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ja, kommt, denn es ist alles bereit! Amen.