12.04.2009 | St. Markus 16, 1-8 (Heiliges Osterfest)

HEILIGES OSTERFEST – 12. APRIL 2009 – PREDIGT ÜBER ST. MARKUS 16,1-8

Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.

Stellt euch das nur mal vor: Jesus ist damals auferstanden – und keiner hat es mitbekommen! Er lebt, und die Menschen haben keine Ahnung davon! Er wartet dort auf dem Berg in Galiläa auf seine Jünger, um sie in alle Welt loszuschicken – und keiner kreuzt auf, weil keiner was von seiner Auferstehung gehört hat, weil die, die die Jünger benachrichtigen sollten, ihnen nicht Bescheid gesagt haben.
Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß: Diese Vorstellung ist so verrückt, so absurd, dass wir sie uns eigentlich gar nicht recht ausmalen können. Doch ein ganz ähnliches Szenario wird uns allen Ernstes im Heiligen Evangelium dieses Osterfestes geschildert, ein Szenario, das uns allen Ernstes fragen lässt, warum wir heute Morgen hier eigentlich in der Kirche sitzen, warum wir denn überhaupt daran glauben, dass Jesus auferstanden ist.
Da waren die Herren Jünger nach der Verhaftung ihres Meisters im Garten Gethsemane gleich abgehauen, hatten sich versteckt, hatten, wie im Falle des Petrus, jämmerlich versagt, als es darum ging, sich zu Jesus zu bekennen. Ja, abgehauen waren sie, hatten gar nicht mitbekommen, wie Jesus gekreuzigt worden war, jedenfalls nicht aus der Nähe, hatten erst recht nicht mitbekommen, wo man ihn denn begraben hatte. Nur die Frauen, die Jesus nachgefolgt waren, erwiesen sich als mutiger im Vergleich zu den Herren der Schöpfung; sie erlebten die Kreuzigung mit und waren schließlich auch anwesend, als der Leichnam Jesu von Joseph von Arimathäa begraben wurde.
Und nun kommen eben diese Frauen am Sonntagmorgen zum Grab, sehen, dass das Grab leer ist, hören die Worte des Engels, dass Jesus auferstanden ist, bekommen den Auftrag, diese Botschaft den Jüngern weiterzusagen – und sie sagten niemandem etwas, so betont es St. Markus hier zum Abschluss unserer Predigtlesung und damit zum Abschluss seines Evangeliums überhaupt. Die einzigen, die die Botschaft von der Auferstehung Jesu hätten weitersagen können, halten den Mund, verschweigen die wichtigste Nachricht der Weltgeschichte, blockieren die Weitergabe der Osterbotschaft. Jesus steht von den Toten auf – und keiner bekommt es mit! Was für eine gespenstische Vorstellung, was für ein merkwürdiges, was für ein befremdliches Evangelium, das uns da heute an diesem schönen Ostersonntagmorgen zugemutet wird! Ja, die Frage drängt sich uns auf, soll sich uns nach dem Willen des heiligen Markus auch aufdrängen: Warum sitzen wir heute Morgen hier eigentlich in der Kirche, wenn an diesem Ostersonntagmorgen damals scheinbar alles schiefgelaufen ist, was nur schief laufen konnte? Ja, wie konnte und kann bei uns eigentlich überhaupt der Glaube an den auferstandenen Christus entstehen? Und genau darum geht es St. Markus hier in seinem Evangelium, darauf will er uns gleich drei wichtige Antworten geben:
Unser Glaube an den auferstandenen Christus

- beruht nicht auf dem leeren Grab
- beruht nicht auf dem Glauben der Jünger
- beruht allein auf dem Wort seiner Boten

I.

Eine Beerdigungsgeschichte, eine im Grunde genommen tieftraurige Beerdigungsgeschichte erzählt uns St. Markus hier in dem abschließenden Bericht seines Evangeliums: Frauen kommen zum Grab Jesu, um an ihm letzte Beerdigungsriten zu vollziehen, die sie wegen seines Begräbnisses kurz vor Anbruch des Sabbats am Freitagabend nicht mehr an ihm vornehmen konnten. Salben wollen sie ihn nun wenigstens noch mit wohlriechenden Ölen; ja, die dufteten hoffentlich auch etwas stärker, denn zwei Tage nach der Bestattung konnte solch eine Salbung damals im warmen Heiligen Land schon zu einer etwas unappetitlichen, matschigen Angelegenheit werden. Aber die Liebe der Frauen zu ihrem verstorbenen Meister ist so groß, dass sie sich davon nicht abschrecken lassen, dass sie trotz aller Bedenken diesen letzten Liebesdienst ihm erweisen wollen. Ja, die wohlriechenden Öle hatten sie gleich schon am Samstagabend besorgt; aber alles Weitere hatten sie in ihrem Schock über die Hinrichtung Jesu nicht sonderlich durchdacht: Wie sie eine verwesende Leiche noch salben sollten, war ihnen offenbar ebenso wenig klar wie eine Antwort auf die Frage, wie sie da in dieses Grab überhaupt noch mal reinkommen sollten. Schließlich war das Grab mit einem schweren Rollstein verschlossen, den man nicht per Knopfdruck zur Seite bewegen konnte, sondern mühsam von dem Eingang zum Grab wegwälzen musste. Allzu viel Publikumsverkehr im Grab war ja eigentlich auch nicht vorgesehen, geschweige denn, dass es eine Möglichkeit gegeben hätte, den Rollstein von innen zu entfernen und beiseite zu rollen. Kam ja auch nicht so häufig vor, dass ein Verstorbener anschließend noch mal an die frische Luft wollte.
Und dann kommen die Frauen näher an das Grab heran und stellen fest: Über die Öffnung des Grabes müssen sie sich jedenfalls keine Gedanken mehr machen; der Stein ist schon beiseite gerollt. Doch die Frauen kapieren überhaupt nicht, was da eigentlich passiert ist. Sie sagen gerade nicht: Ach ja, hatten wir ja ganz vergessen, heute ist ja Ostersonntag: Jesus ist auferstanden. Halleluja! Sondern der Anblick des geöffneten Grabes macht die ganze Angelegenheit für sie erst einmal noch schlimmer: Ihnen erging es vermutlich nicht viel anders als den Angehörigen des Milliardärs Friedrich Karl Flick, als die im November letzten Jahres feststellen mussten, dass auch sein Grab geöffnet und leer war. Nein, ein leeres Grab ist erst einmal keine gute Botschaft, sondern vertieft die Traurigkeit der Betroffenen im Gegenteil: Nun ist der geliebte Mensch nicht bloß tot, sondern seine Leiche ist auch noch verschwunden! Und als sie dann im Grab nachgucken, finden die Frauen dort genau vor, was sie befürchten mussten: Von Jesus ist nichts mehr übrig, keine Spur, der Platz, an dem er gelegen hatte, ist leer.
Schwestern und Brüder: Das leere Grab Jesu als solches ist nicht der Grund dafür, dass wir uns heute Morgen hier in der Kirche versammelt haben, um die Auferstehung Jesu zu feiern. Ein leeres Grab an sich ist nichts Erfreuliches und kann durch vieles verursacht sein: Durch Grabraub, durch Umbettung, vielleicht auch durch einen großangelegten Betrug. Nein, die Kirche verkündigt nicht deshalb die Auferstehung Jesu, weil sie sich aus dem leeren Grab Jesu selber ihren Reim gemacht hätte, daraus gefolgert hätte, dass Jesus denn wohl auferstanden sein muss, wenn er da nicht mehr drin ist. Mit demselben Recht könnten wir dann auch schlussfolgern, dass Friedrich Karl Flick möglicherweise vorzeitig auferstanden sein könnte, dass die Staatsanwaltschaft von daher ihre Ermittlungen abschließen könnte, auch wenn es im Fall von Friedrich Karl Flick natürlich etwas schwierig zu erklären wäre, warum der gute Mann bei seiner Auferstehung nun auch unbedingt gleich seinen Sarg mitnehmen musste.
Doch dass wir uns nicht missverstehen, Schwestern und Brüder: Dass das leere Grab Jesu nicht unseren Glauben an den Auferstandenen zu begründen vermag, bedeutet natürlich keinesfalls, dass das Grab Jesu in Wirklichkeit gar nicht leer war. Wäre es nicht leer gewesen, hätte in Wirklichkeit die Leiche Jesu immer noch vor sich dahingewest, während die Jünger durch die Gegend liefen und erzählten, Jesus sei auferstanden, dann könnten wir uns diesen Ostergottesdienst in der Tat schenken: Eine Auferstehung mit gleichzeitig noch vorhandener Leiche war damals für die Leute absolut undenkbar, wäre eben in Wirklichkeit auch keine Auferstehung, sondern irgendeine Wahnvorstellung, irgendein religiöses Gedankenkonstrukt, mehr nicht. Ja, rückblickend macht die Entdeckung der Frauen natürlich Sinn, beschreibt natürlich eine notwendige Voraussetzung für die Verkündigung der Auferstehung Jesu: Ja, ohne leeres Grab gibt es kein Ostern. Aber zu begründen vermag dieses leere Grab unseren Glauben nicht.

II.

Und dann gehen die Frauen in das Grab hinein. Ja, genau dazu ist der Stein vom Eingang des Grabes beiseite gerollt, damit sie gucken, damit sie hineingehen können. Er ist, darin sind sich alle vier Evangelien einig, nicht deshalb beiseite gerollt worden, damit Jesus auch wieder aus dem Grab heraus konnte. Der war schon weg, als der Stein vom Eingang entfernt wurde, der ließ und lässt sich als der Auferstandene auch durch noch so dicke Steine nicht davon abhalten, dort zu sein, wo er gerne sein möchte. Ja, gruselig war das gewiss für die Frauen, in dieses geöffnete Grab hineinzugehen; ich bewundere ihren Mut. Und in der Tat: Als sie dort im Grab sind, fährt ihnen ein Riesenschreck in die Glieder: Da sitzt einer im Grab, den sie dort überhaupt nicht erwartet hatten: ein Bote Gottes. Der spricht sie an, erklärt ihnen, was geschehen ist, und gibt ihnen einen Auftrag. Richtig schön fröhlich österlich klingt das, was der Engel den Frauen dort im Grab sagt. Doch den Frauen ist nach Ostern überhaupt nicht zumute. Die rennen nur noch völlig entsetzt aus dem Grab raus, mit schlotternden Knien, fürchten sich und sagen keinen Ton von der furchtbaren Erfahrung, die sie da gerade im leeren Grab gemacht haben.
Doch was uns beim ersten Hinhören zunächst unsere ganze Osterfreude zu versauen scheint, ist in Wirklichkeit ein ganz wichtiger Hinweis darauf, worauf denn unser Glaube an den auferstandenen Christus gegründet werden kann und worauf nicht. Da hört und liest man heutzutage immer wieder die Behauptung, der Glaube an den auferstandenen Christus gründe sich auf den Osterglauben der ersten Christen: die seien auf die Idee gekommen, dass Jesus auferstanden sei, weil sie festgestellt hätten, dass die Worte, die er verkündigt habe, ja auch nach seinem Tod immer noch von Bedeutung seien, weil sie festgestellt hätten, dass ein solch großer Mensch wie Jesus doch nicht einfach tot sein könne. Und so seien sie zu dem Glauben gekommen, dass Jesus weiterlebe, auch wenn er eigentlich gestorben sei. Und auf diesen Glauben, der bei den Jüngern damals entstanden sei, gründe sich nun auch heute unser Glaube.
Doch St. Markus macht uns hier sehr eindrücklich deutlich: Einen solchen Osterglauben der Jünger hat es in Wirklichkeit überhaupt nicht gegeben. Da gibt es aber auch nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass die Jünger nach dem Tod ihres Meisters jemals noch von sich aus auf die Idee gekommen wären, weiterzumachen oder gar eine neue Religion zu gründen. Im Gegenteil: Die Männer waren abgehauen und hatten sich versteckt, und die Frauen laufen kreischend aus dem leeren Grab weg und kapieren bis zum Schluss gar nichts. Alle miteinander sind sie felsenfest davon überzeugt: einmal tot, immer tot. Dass Jesus tatsächlich auferstanden sein könnte, das können sie alle miteinander nicht glauben und wollen es auch gar nicht, geschweige denn dass sie von sich aus auf die Idee gekommen wären, solch eine verrückte Idee auch noch weiterzuerzählen. Die Frauen tun das ja noch nicht mal, als sie ausdrücklich dazu aufgefordert werden. Nein, irgendein selbstgebastelter Osterglaube der Jünger ist es ganz gewiss nicht, der uns heute Morgen hier in der Kirche sitzen lässt, so führt es uns St. Markus hier sehr eindrücklich vor Augen.

III.

Warum sitzen wir also heute Morgen nun doch hier? Eigentlich ist es unfassbar, so zeigt es uns St. Markus. Denn er berichtet hier ja in seinem Evangelium von einem Ereignis, das er nach menschlichem Ermessen gar nicht hätte wissen können, weil die einzigen Zeugen ihren Mund nicht aufbekommen haben. Er schildert, dass die Frauen nicht weitergesagt haben, was er dennoch weiß. Offenbar hat sich die Botschaft von der Auferstehung Jesu eben doch weiterverbreitet, allem Versagen der Botinnen und Boten zum Trotz. Und diese Botschaft, so betont es St. Markus mit dieser Erzählung zugleich, ist auch die einzige Grundlage, auf der unser Glaube an den auferstandenen Jesus beruht.
Keine einzige Erscheinung des Auferstandenen berichtet St. Markus in seinem Evangelium, das ursprünglich mal mit den Worten endete, die wir eben zum Schluss der heutigen Predigtlesung gehört haben. Nein, St. Markus verzichtet nicht deswegen auf Berichte von der Erscheinung des Auferstandenen, weil er von ihnen nichts gewusst hätte – wir haben eben in der Epistel gehört, dass der Apostel Paulus solche Berichte längst kannte, dass ihm davon schon gleich nach seiner Bekehrung in Jerusalem erzählt worden war. Sondern St. Markus verzichtet deshalb auf die Berichte von der Erscheinung des Auferstandenen, weil es für ihn reicht, dass der Engel eben diese Erscheinung ankündigt: Wenn Gott durch den Mund seiner Boten spricht, dann reicht das, dann erweist sich das natürlich als wahrhaftig, was er in diesem Wort ankündigt und bezeugt. „Dort werdet ihr ihn sehen“ – Dieses Wort sollen die Frauen den Jüngern überbringen. Und natürlich haben die Jünger ihn dann gesehen, dort in Galiläa und auch an anderen Orten, haben selber erfahren, warum das Grab am Ostermorgen leer war, haben selber erfahren, dass es keine Einbildung ist, sondern Realität, ja sogar körperlich fassbare Realität, dass er, der Gekreuzigte, von Gott zu einem neuen Leben auferweckt worden ist.
Aber nie haben die Jünger zugleich vergessen, dass diese Botschaft keine Selbstverständlichkeit ist, keine religiöse Banalität. Niemals haben sie vergessen, dass sie erst ganz unten, ganz am Ende ihrer Möglichkeiten ankommen mussten, alle Hoffnung fahren lassen mussten, bevor sie erfahren durften, dass Gott aus dem Nichts das Unglaubliche geschaffen hat: den endgültigen Sieg über den Tod in der Auferstehung seines Sohnes.
Ja, das Wort, das Evangelium von dem gekreuzigten und auferstandenen Christus allein ist es, das uns heute Morgen hier sitzen, hier diesen Gottesdienst feiern lässt, die Botschaft von der Auferstehung, die zuerst verkündigt worden ist von Leuten, die selber erst von Gott überwunden werden mussten, bevor sie weitererzählten, was ihnen zunächst überhaupt nicht über die Lippen kam. Diesem Wort darfst auch du vertrauen; es ist nicht leeres religiöses Gerede, kein Märchen, kein schöner Traum. Dass Jesus wahrhaftig auferstanden ist und lebt, das ist genauso real wie das leere Grab und das Entsetzen der Frauen, die aus diesem Grab fliehen. Halte dich an dieses Wort; denn was es sagt, geschieht. Halte dich an dieses Wort; dann wird sich auch dein Grab schließlich einmal öffnen, und auch du wirst ihn einmal zu sehen bekommen, deinen Herrn, noch schöner, noch herrlicher, noch strahlender, als ihn die Jünger damals in Galiläa zu sehen bekommen haben. Ja, dann wird sich auch dein Grab schließlich einmal öffnen, und man wird es auch von dir einmal mit Recht sagen: Er ist nicht hier; er ist auferstanden. Halleluja. Amen.