04.03.2009 | Psalm 119, 162 (1. Fastenpredigt zum Thema „7 Wochen mit“: Die Heilige Schrift)

MITTWOCH NACH INVOKAVIT – 4. MÄRZ 2009 – ERSTE FASTENPREDIGT ZUM THEMA „7 WOCHEN MIT“: DIE HEILIGE SCHRIFT (PSALM 119,162)

Ich freue mich über dein Wort wie einer, der große Beute macht.

7 Wochen mit“ – so lautet die Aktion des Amtes für Gemeindedienst unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, an der auch unsere Gemeinde sich in diesem Jahr beteiligt. „Sieben Wochen mit“ – die Aktion soll unseren Blick darauf lenken, dass es in der Fastenzeit nicht einfach bloß darum geht, dass wir auf etwas verzichten, was uns normalerweise in unserem Leben, in unserem Alltag lieb ist, sondern dass wir in dieser Zeit vor allem den Reichtum wieder neu entdecken, aus dem wir als Christen schöpfen dürfen, ja, natürlich das ganze Jahr über, aber eben doch noch einmal in besonderer Weise in diesen sieben Wochen vor Ostern. Die vier Fastenpredigten des heutigen und der kommenden Wochengottesdienste der Fastenzeit sollen uns genau dazu helfen, diesen Reichtum, diese Quellen des Heils wieder neu wahrzunehmen und Freude daran zu gewinnen, von ihnen Gebrauch zu machen. Nein, es geht nicht um irgendwelche spektakulären Neuigkeiten, die ich euch in diesen Fastenpredigten zu verkündigen habe. Sondern es geht darum, dass wir wieder neu bewusst in den Blick bekommen, was uns vielleicht schon allzu selbstverständlich geworden ist oder was uns vielleicht umgekehrt auch unmerklich aus dem Blick geraten ist.
Um das Wort Gottes, um die Heilige Schrift soll es heute in dieser ersten Fastenpredigt gehen.
Ja, stellen wir uns ruhig noch einmal ganz grundsätzlich diese Frage: Warum ist es eigentlich so wichtig für uns, für unseren christlichen Glauben, dass wir uns mit dem Wort der Heiligen Schrift als Christen immer wieder befassen?
Drei Hinweisen können uns an dieser Stelle weiterhelfen:
Hinweis Nr.1: Was einem wirklich wichtig ist, dafür interessiert man sich auch. Wir kennen das ja von Leuten, die ein Hobby pflegen: Da ist es für sie geradezu selbstverständlich, dass sie aufmerken, wenn sie mitbekommen, dass irgendwo etwas zu ihrem Hobby geschrieben steht, dass sie mehr wissen wollen von dem, was ihnen möglicherweise helfen kann, ihr Hobby künftig noch besser, noch intensiver zu pflegen. Viele Fußballfans lesen regelmäßig in Fußballfachzeitschriften, interessieren sich im Zweifelsfall sogar noch für den Zustand des linken Knies irgendeines Mittelfeldspielers. Oder da gibt es viele Heimwerker, die mitunter gleich mehrere Heimwerker- und Bastelzeitschriften abonniert haben, um immer wieder neue Ideen für ihre Basteleien zu bekommen. Und erst recht fangen Menschen an, sich für ein Thema zu interessieren, wenn sie merken, dass dieses Thema für sie von entscheidender Bedeutung ist. Wenn jemand beispielsweise erfährt, dass er unter einer bestimmten, vielleicht gar seltenen Krankheit leidet, dann wird er in vielen Fällen anfangen, sich Bücher genau zu diesem Thema zu besorgen und das Internet nach diesem Thema zu durchforsten in der Hoffnung, dort Hilfe und Rat zu finden. Der christliche Glaube ist unendlich mehr als ein Hobby, er betrifft uns Menschen ganz unmittelbar, erhebt selber den Anspruch, unser Leben in einer noch viel tieferen Weise heilen zu können, als dies irgendein medizinischer Ratgeber je vermag. Mehr als ein Hobby, tiefer und wichtiger als jeder Ratgeber – ja, da wäre es geradezu merkwürdig, letztlich kaum nachvollziehbar, wenn wir uns mit diesem unserem Glauben nicht befassen würden, wenn wir nicht versuchen würden, mehr über ihn zu erfahren, tiefer in ihn einzudringen. In unserer Beschäftigung mit der Heiligen Schrift spiegelt sich also wieder, wie wichtig uns unser Glaube eigentlich ist, wie ernst wir ihn eigentlich nehmen.
Hinweis Nr.2: Wir brauchen ein Korrektiv für unseren Glauben. Eine große Gefahr für unseren Glauben besteht ja immer wieder darin, dass er sich ein ganzes Stück weit verselbständigt. Ja, da haben wir früher mal so einiges aus der Bibel vernommen, haben im Konfirmandenunterricht und anderswo auch so einiges gelernt, worum es in der Heiligen Schrift geht und was in ihr steht. Aber die Gefahr ist gegeben, dass wir dann irgendwann auf diesem Niveau stehenbleiben, dass wir meinen, wir wüssten nun genug, wir könnten unseren Glauben gleichsam wie einen festen Besitz in der Tasche mit uns herumtragen. Und dann merken wir kaum, wie sich das, was wir für unseren Glauben halten, allmählich vermischt mit allen möglichen selbstgebastelten Gedanken und Vorstellungen, merken wir kaum, wie unser Glaube im Laufe der Zeit immer stromlinienförmiger wird, sich immer mehr unseren Wünschen und Bedürfnissen anpasst. Schnell machen wir uns dann selber etwas vor, meinen, Gottes Willen sehr schnell und einfach mit unserem eigenen Willen gleichsetzen zu können, kommen gar nicht mehr auf die Idee, diesen unseren Glauben irgendwie noch einmal kritisch zu hinterfragen. Nein, das können wir selber von uns aus auch gar nicht.  Sondern genau dazu brauchen wir immer und immer wieder das Wort Gottes der Heiligen Schrift, das sich eben nicht so schön hinbiegen lässt wie unsere eigenen Vorstellungen von Gott, wie unser eigener selbstgebastelter Glaube. Wenn wir uns mit den Worten der Heiligen Schrift beschäftigen und sie als Gottes Wort für uns ernst nehmen, dann werden wir schnell merken, wie diese Worte uns und unsere eigenen Vorstellungen von Gott und seinem Willen immer wieder auch in Frage stellen, wie sie uns immer wieder neu daran hindern, uns mit einem selbstgebastelten Glauben zu begnügen. Nein, wir müssen uns nicht mit Aussagen zufriedengeben, wie etwa der: „Ich denke, der liebe Gott sieht das auch so“, oder: „Ich denke, der hat dafür Verständnis, dass wir das heute so sehen“. Sondern wenn wir die Worte der Heiligen Schrift vernehmen, dann hören wir darin immer wieder eins ganz klar: „So spricht der HERR“. Und was Gott dann in seinem Wort auch zu uns sagt, das mag unsere Vorstellungen von ihm ganz schön durcheinanderbringen und ist doch so heilsam für uns, weil es uns festhält bei dem, was Gott tatsächlich von uns will, und bei dem, was Gott uns tatsächlich schenkt.
Hinweis Nr.3: Die Worte der Heiligen Schrift sind unendlich mehr als bloß Information. Nein, Schwestern und Brüder, es geht bei unserer Beschäftigung mit der Heiligen Schrift nicht bloß darum, dass wir vielleicht etwas christlich gebildeter werden, und es geht auch nicht bloß darum, dass wir lernen sollen, zwischen unseren eigenen Glaubensvorstellungen und dem zu unterscheiden, was Gott wirklich sagt. Sondern wenn wir uns mit dem Wort Gottes der Heiligen Schrift befassen, dann dürfen wir ganz gewiss sein: Diese Worte, die haben Kraft in sich, die lassen uns nicht unverändert, die prägen uns, die rufen immer wieder neu den Glauben in uns hervor. Denn in diesen Worten, die wir hören und lesen, wirkt Gottes Heiliger Geist und arbeitet an uns, oftmals vielleicht ganz unmerklich und doch ganz real. Das Wort Gottes, das er, der Herr, verkündigen lässt, wird nicht leer zurückkommen, so verheißt er selber es, macht uns damit Mut, aus der Quelle des Wortes Gottes reichlich zu schöpfen, eben weil sich das auf unser Leben, auf unseren Glauben auswirken wird, unseren Glauben stärken und klarsichtiger machen wird. Ja, die Beschäftigung mit dem Wort Gottes hat große Verheißungen in der Heiligen Schrift, Verheißungen, die uns so richtig Lust machen sollen, uns mit diesem Wort Tag für Tag zu befassen.
Und damit sind wir schon bei der ganz praktischen Frage: Wie kann das denn bei uns nun ganz konkret aussehen, dass wir in unserem Leben immer wieder aus der Quelle des Wortes Gottes der Heiligen Schrift schöpfen?
Der erste und wichtigste Ort, an dem wir uns mit der Heiligen Schrift befassen und uns durch ihr Wort prägen lassen, ist und bleibt natürlich der Gottesdienst. Da erfahren wir es am allerklarsten, dass das Wort Gottes nicht bloß eine Information ist, sondern wirksam zugesprochenes Wort, zugespitzt in den Worten der Absolution und des Heiligen Abendmahls. Da erfahren wir es in der Predigt, dass Gottes Wort in unser Leben hineingesprochen wird, so, dass es an unser Leben kritische Rückfragen richtet und uns zugleich doch wirksam das Heil, Gottes Vergebung, sein Leben zueignet. Ja, wenn wir ohne Not meinen, auf den Gottesdienst verzichten zu können und uns ohne die regelmäßige Teilnahme an ihm mit der Heiligen Schrift beschäftigen zu können, dann irren wir uns gewaltig, dann nehmen wir uns selber einen entscheidenden Schlüssel zum Verständnis der Heiligen Schrift. Ja, ein „Gottesdienstfasten“, ein Verzicht auf Gottesdienst, wäre gerade jetzt in der Fastenzeit das Kontraproduktivste, was wir überhaupt tun könnten.
Neben dem Umgang mit dem Wort der Heiligen Schrift im Gottesdienst tritt dann als zweites natürlich der tägliche Umgang mit diesem Wort, beispielsweise in Form der Lektüre des Feste-Burg-Kalenders. Ja, auch diese Form der Beschäftigung mit der Heiligen Schrift hat ihren guten und tiefen Sinn. Die tägliche Beschäftigung mit dem Wort Gottes hat Verheißung, wird unserem Leben immer wieder die Orientierung schenken, die wir brauchen. Und die Auslegung der Worte der Heiligen Schrift in den Kalenderandachten hilft uns, diese Worte im Zusammenhang der Botschaft der ganzen Heiligen Schrift wahrzunehmen und zu verstehen, bewahrt uns davor, dass wir ratlos vor Aussagen der Heiligen Schrift stehen und sie von uns aus gar nicht einzuordnen wissen. Nur kurze Zeit benötigt man zur Lektüre dieser täglichen Andachten – das ist gewiss ein Anreiz, aber natürlich auch eine Versuchung, diese Andachten als eine Art von geistlichem Fastfood wahrzunehmen, was sie in Wirklichkeit doch gar nicht sind. Doch selbst wenn wir uns nur wenige Minuten für die Lektüre nehmen, so hat auch dies allemal Verheißung, wird auch dies bei uns nicht ohne Frucht bleiben.
Gottesdienst und Kalenderandacht – sie sind Formen des Umgangs mit der Heiligen Schrift, die uns zunächst zum Hören und Lesen anleiten. Und es ist in der Tat wichtig, dass wir uns im Umgang mit der Heiligen Schrift immer wieder zunächst und vor allem als Empfangende wahrnehmen, als Leute, die zugleich wahrnehmen, dass nicht sie das Recht dazu haben, das Wort Gottes der Heiligen Schrift zu kritisieren, sondern als Leute, die sich umgekehrt von diesem Wort kritisieren lassen. Aber dann hat es darüber hinaus auch seinen guten Sinn, wenn wir in Gesprächskreisen nun auch selber ins Gespräch mit der Heiligen Schrift und über der Heiligen Schrift kommen, wenn wir die Möglichkeiten haben, von uns aus Fragen zu stellen und Antworten zu erbitten, wenn die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift auch die Form der Diskussion, des Dialogs erhält. Ja, auch dadurch wirkt der Heilige Geist an uns und in uns, und es ist ohnehin allemal besser, wenn wir unsere Fragen in der Gemeinschaft der Gemeinde stellen, als sie uns nur selber zu stellen und uns dann eigene Antworten zusammenzubasteln. Schade ist es, dass in unserer Gemeinde von diesen Angeboten der Bibelgesprächskreise relativ wenig Gemeindeglieder Gebrauch machen, dass die allermeisten Gemeindeglieder meinen, ohne solche Gespräche, ohne solche Fragen auskommen zu können, ja, dass so viele meinen, ohnehin auch ohne genauere Kenntnis der Heiligen Schrift Christen sein und bleiben zu können. Ach, wie leicht fällt dann so mancher auf ganz andere Dinge, auf ganz andere Versprechungen herein, wenn ihm die Verheißungen der Heiligen Schrift nie vertraut geworden sind!
Und dann hat es schließlich auch seinen guten Sinn, wenn wir, aufbauend auf dem, was wir im Gottesdienst hören, was wir in der Kalenderandacht lesen, was wir im Bibelgesprächskreis besprechen, uns dann auch ganz selbständig mit Büchern der Heiligen Schrift befassen. Nein, wir brauchen nicht gleich versuchen, die ganze Heilige Schrift von vorne bis hinten durchzulesen – auch wenn dies sehr heilsam sein kann, wenn wir dies irgendwann im Laufe unseres Lebens auch mal versuchen. Es reicht, dass wir uns beispielsweise jetzt in dieser Fastenzeit einmal eines der vier Evangelien vornehmen und es in diesen Wochen von vorne bis hinten durchlesen. Das überfordert uns nicht, und das erweitert zugleich doch unseren Horizont, lässt uns die Heilige Schrift auf diese Weise auch im Zusammenhang wahrnehmen.
„Ich freue mich über dein Wort wie einer, der große Beute macht.“ – So heißt es im 119. Psalm. Ja, möge uns die Aktion „7 Wochen mit“ zu solcher Freude über Gottes Wort anleiten, dass wir wieder neu erkennen: Dieses Wort birgt einen ungeheuren Reichtum in sich, einen Reichtum, der unser Leben bereichern soll und kann. Und dann geht es eben nicht mehr darum, ob und wie viel wir als Christen in der Heiligen Schrift lesen müssen, sondern dann kommen wir hoffentlich dahin, dass wir uns wie Schatzgräber vorkommen, die auf einen Schatz gestoßen sind und ihn nun ausbuddeln – mit großer Freude, wie einer, der große Beute macht. Amen.