08.03.2009 | St. Markus 12, 1-12 (Reminiszere)

REMINISZERE – 8. MÄRZ 2009 – PREDIGT ÜBER ST. MARKUS 12,1-12

Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole. Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie. Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als Letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben. Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«? Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.

In den letzten Monaten ist kaum ein Tag vergangen, an dem uns nicht immer wieder neue Horrormeldungen aus der Finanzwirtschaft erreichten: Bank X muss zehn Milliarden Euro abschreiben, Bank Y fünf Milliarden, und Bank Z ist ganz stolz, weil sie vielleicht nur drei Milliarden versenkt hat. Immer wieder ist der Grund für die Abschreibungen derselbe: Die Banken bleiben auf faulen Krediten sitzen, müssen feststellen, dass sie das Geld, das sie in der Hoffnung auf ein gutes Geschäft ausgeliehen hatten, nicht mehr wiederbekommen werden. Eine Zeitlang konnten die Banken sich und anderen etwas vormachen, dass sie das Geld schon noch wiederbekommen würden; aber irgendwann kam dann die Stunde der Wahrheit, und dann blieb den Banken nichts Anderes übrig, als eben Abschreibungen vorzunehmen, die Kredite für verloren zu erklären.
Um eine ganz ähnliche Thematik, Schwestern und Brüder, geht es auch im Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags: Da gewährt uns Jesus hier in seinem Gleichnis einen kleinen Einblick in die damalige Finanzwirtschaft. Von dem Verpächter eines Weinbergs berichtet er hier, der im Ausland wohnt und sich von dort aus seinen Lebensunterhalt durch die Erträge aus seinem Weinberg und vielleicht auch aus anderen Besitzungen zukommen lässt. Diese Typen waren damals zur Zeit Jesu im Heiligen Land nicht sonderlich beliebt. Oft genug waren sie an ihren Besitz gekommen, weil sie politische Günstlinge eines Herrschers waren, der im Zweifelsfall auch vor Enteignungen nicht zurückschreckte, um Menschen, auf deren Einfluss er hoffen konnte, für sich zu gewinnen. Und dann saßen diese Großgrundbesitzer irgendwo in einem anderen Land und schickten einmal im Jahr ihre Pachteintreiber vorbei, die sich ihren Anteil am Ertrag abholten. Und da kam es tatsächlich immer wieder vor, dass die Pächter eines solchen Weinbergs revoltierten, weil ihnen die Pacht, die sie abführen mussten, kaum genug zum eigenen Überleben ließ. Ja, sie revoltierten auch deshalb, weil sie darauf hoffen konnten, dass es für den Verpächter ihres Weinbergs vielleicht doch zu lästig war, mit aller Gewalt seine Pacht einzutreiben, weil sie darauf hoffen konnten, dass er den Weinberg am Ende vielleicht einfach abschrieb, weil er ja immer noch genügend andere Einnahmeobjekte besaß.
Und da wagt es nun Jesus in seinem Gleichnis tatsächlich, Gott, seinen Vater, mit solch einem zwielichtigen Verpächter zu vergleichen. Ja, Jesus liebte solche riskanten Vergleiche, um auf diese Weise die Menschen zu überraschen und zu verblüffen, sie so zum Nachdenken, ja zur Umkehr zu bewegen. Dies eine wollte er seinen Hörern damals, will er auch uns ganz deutlich vor Augen stellen:  Gott gibt nicht auf:

- Er erwartet seinen Anteil, der ihm zusteht.
- Er macht auch nach dem Tod seines Sohnes weiter.

I.

An einen ganz normalen Vorgang knüpft Jesus hier, wie gesagt, seine Erzählung an: Ein Bote kommt zu den Pächtern eines Weinbergs, um den vereinbarten Anteil an der Ernte abzuholen. Normalerweise lief bei diesem Vorgang alles glatt ab; aber es konnte, wie gesagt, auch passieren, dass es Ärger gab, dass die Pächter nur einen Teil dessen ablieferten, was sie eigentlich sollten, ja, dass sie vielleicht sogar den Boten, der den Ernteertrag abholen sollte, zurückschickten oder verjagten. Doch was Jesus hier in seinem Gleichnis schildert, ist schon ungewöhnlich: Der Verpächter des Weinbergs, von dem er hier spricht, bleibt ungewöhnlich hartnäckig: Spätestens bei der zweiten oder dritten Zurückweisung seiner Boten hätte er eigentlich so oder so handeln müssen: Entweder hätte er selber kommen müssen und die Pächter rausschmeißen müssen, oder er hätte den Weinberg mit seinen Erträgen abschreiben müssen. Doch stattdessen schickt dieser Weinbergsbesitzer ein ums andere Mal seine Boten zu den Pächtern, muss es erleben, wie er in der Zurückweisung, Misshandlung und Tötung seiner Boten immer wieder aufs Neue selber angegriffen, selber verhöhnt wird. Doch der Besitzer macht immer weiter, gibt einfach nicht auf, greift schließlich zu einer menschlich gesprochen völlig irrsinnigen Maßnahme: Er schickt seinen einzigen Sohn zu diesen revoltierenden Pächtern, riskiert dessen Leben und muss es schließlich in der Tat erfahren, dass sein Sohn von diesen Leuten umgebracht wird. Nein, das hätte kein vernünftiger Verpächter gemacht: Bloß für die Erträge seines Weinbergs hätte der doch nicht das Leben seines einzigen Erben in Gefahr gebracht! Aber bei diesem Weinbergsbesitzer ist vieles anders. Zum einen hängt er offenbar ganz besonders an diesem seinem Weinberg: Ausführlich schildert Jesus zu Beginn des Gleichnisses, wie liebevoll und sorgsam der Besitzer diesen Weinberg selber angelegt hatte, wie viel Zeit, Kraft und Geld er in das Anlegen dieses Weinbergs gesteckt hatte. Nein, dieser Weinberg war für ihn offenbar nicht bloß ein Geldanlageobjekt; er hatte sein Herzblut in diesen Weinberg investiert. Und zum anderen hat dieser Weinbergsbesitzer schlicht und einfach eine unglaubliche Geduld: Nein, er will das Recht, das er selber gesetzt hat, nicht einfach preisgeben; was ihm zusteht, das will er auch bekommen. Aber vor einer großen Strafaktion scheut er zurück; er will den Pächtern, die er für seinen Weinberg gewonnen hat, immer und immer wieder doch noch einmal eine Chance geben.
Den Zuhörern Jesu war damals schnell klar, worum es Jesus in diesem Gleichnis eigentlich ging: Schon beim Stichwort „Weinberg“ konnten sie ahnen, worauf die ganze Geschichte zulaufen würde: „Weinberg“, das war doch schon im Alten Testament ein Bild für Israel, und das Verhältnis zwischen Weinberg und Weinbergsbesitzer stand für das Verhältnis zwischen Gottes Volk und Gott selbst, wie es besonders eindrücklich in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags, dem Weinbergslied bei Jesaja, beschrieben wird. Und auch, was Jesus mit der Sendung der Boten meinte, war den Zuhörern schnell klar: Um die Propheten ging es dabei, die Gott immer und immer wieder zu seinem Volk geschickt hatte und die doch auch immer wieder bei der Erfüllung ihres Auftrags auf Ablehnung gestoßen waren, die Anfeindungen, Angriffe erleiden mussten, ja die in der Tat in einigen Fällen sogar umgebracht worden waren. Und wenn Jesus in diesem Gleichnis die Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel beschrieben hatte, dann war natürlich auch klar, wen er denn nun mit dem Sohn meinte, den der Weinbergsbesitzer zuletzt in seinen Weinberg schickte: Sich selber meinte er damit, brachte damit auf verhüllte und für die, die Ohren hatten zu hören, doch zugleich ganz klare Weise zum Ausdruck, wer er selber denn ist: kein Geringerer als der eingeborene Sohn Gottes des Vaters. Ja, er, Jesus, kommt zum Weinberg seines Vaters, zu seinem Volk, in dem klaren Wissen, dass er dort nicht jubelnd begrüßt, sondern abgelehnt, ja schließlich entehrt und umgebracht wird. Und er kommt trotzdem, macht mit seinem Kommen deutlich, dass Gott nicht aufgibt, dass er seinen Weinberg nicht abschreibt, sondern alles, wirklich alles tut, um doch noch an seine Frucht zu kommen, dass ihm dieser Weinberg so wichtig ist, dass er dafür sogar das Leben seines Sohnes einsetzt.
Gott gibt nicht auf – Diese Botschaft Jesu gilt nun auch uns. Gewiss, Gott hat dann schließlich doch sein Strafgericht vollzogen an den Pächtern des Weinbergs, an den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, an der Führungsschicht des Volkes Israel, hat den Weinberg schließlich noch einmal neu verpachtet, hat damit auch uns als Nichtjuden die Möglichkeit gegeben, in seinem Weinberg mitzuarbeiten, mit zu seinem Volk zu gehören. Doch das bedeutet nicht, dass Gott seine Ansprüche an uns nun zurückgeschraubt hätte, dass er von uns keinen Ertrag, keine Pacht mehr verlangen würde. Nein, Gott gibt nicht auf, fragt uns immer wieder nach unseren Früchten, jeden Einzelnen von uns und uns als Gemeinde zusammen. Alles, was wir haben und sind, ist und bleibt doch eine Leihgabe Gottes, uns zum rechten Gebrauch von ihm, Gott, selbst anvertraut. Und so fragt er auch dich: Ich habe dir deine Lebenszeit anvertraut. Was hast du aus dieser Lebenszeit gemacht? Wie viel hast du davon an mich abgegeben – am Sonntag und an den anderen Tagen der Woche? Oder hast du allen Ernstes geglaubt, du könntest deine Lebenszeit ganz für dich haben, könntest sie meinen Ansprüchen ganz entreißen? Ich habe dir alles, was du hast und besitzt, anvertraut. Wie bist du mit deinem Geld und Besitz umgegangen? Wofür hast du sie eingesetzt? Und wie viel hast du davon an mich, wie viel hast du davon an andere Menschen abgegeben? Oder hast du allen Ernstes geglaubt, du könntest dies alles nur für dich behalten, könntest dies alles meinen Ansprüchen entziehen? Ich habe dir ganz besondere Begabungen anvertraut. Was hast du aus diesen Gaben gemacht? Wofür hast du sie eingesetzt? Hast du sie auch in meinen Dienst gestellt, oder glaubst du etwa, diese Gaben könntest du nur für dich selber, für deinen eigenen Vorteil nutzen?
Nein, Gott gibt nicht auf. Immer und immer wieder wird er diese Fragen in deinem Leben an dich richten. Du magst versuchen, wegzuhören, du magst versuchen, zu bestreiten, dass Gott das Recht dazu hat, dir diese Fragen zu stellen. Gott fragt trotzdem, er fragt, weil er weiß, dass er ein Recht darauf hat, auf diese Fragen von dir eine Antwort zu bekommen, weil er weiß, dass er ein Recht darauf hat, dass du ihm gibst, was ihm zusteht. Geduld hat Gott immer wieder mit dir, genau wie er damals im Alten Testament immer und immer wieder Geduld mit seinem Volk gezeigt hat. Aber irgendwann kommt dann auch bei Gott ein Punkt, an dem er einen Schlussstrich zieht, an dem er sein Gericht an denen vollzieht, die sich endgültig von ihm losgesagt haben, nichts von ihm und seinem Sohn wissen wollten. Und doch will Gott das nicht, dass Menschen seinem Gericht verfallen. Darum schickt er seinen Sohn, darum lässt er ihn diese Geschichte hier erzählen, damit die, die diesem Strafgericht Gottes zu verfallen drohen, doch noch umkehren, ihn, Jesus, als den erkennen, der er in Wirklichkeit ist: der geliebte Sohn des Vaters, Gottes letztes, entscheidendes Wort an sein Volk und an alle Menschen. Gott kündigt sein Gericht an, damit niemand diesem Gericht verfällt – und vollzieht es dann schließlich doch an denen, die vor dieser Ankündigung ihre Ohren verschließen. Gott gibt nicht auf. Er hat auch in dich sein Herzblut investiert, und darum ruft er auch dich zur Umkehr, möchte nichts lieber, als dass auch du erkennst, dass Gott ein Recht auf dein Leben hat, ein Recht darauf, dass du ihn nicht aus deinem Leben ausschließt, ein Recht darauf, dass er bestimmt, was er von dir haben möchte. Ja, noch ruft er, noch hat er Geduld, noch gibt er nicht auf, auch bei dir.

II.

Das Leben seines einzigen Sohnes setzt der Weinbergbesitzer, setzt Gott selber ein; so wichtig ist ihm der Weinberg, so wichtig ist ihm sein Volk, so wichtig bist du ihm. Ja, Gott muss es selber durchleiden, dass Menschen auch und gerade diesen Einsatz nicht zu schätzen wissen, dass sie sogar seinen Sohn und in ihm den Vater endgültig loszuwerden versuchen. Doch selbst angesichts des Todes seines Sohnes kapituliert der Weinbergbesitzer nicht: Das Strafgericht über die, die seinen Sohn getötet und ihn entehrt haben, ist nur die eine Seite dessen, was er tut. Zugleich lässt er selbst aus der Ermordung seines Sohnes, aus seiner endgültigen Ablehnung noch Gutes, ja Heil und Leben entstehen: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.“ Die Geschichte Gottes mit seinem Volk, sie endet nicht mit der Kreuzigung Jesu, sie geht weiter, findet ihren Fortgang in der Auferweckung seines Sohnes am dritten Tage, mit der Weiterführung des Weinbergs durch andere Pächter, durch die Kirche Jesu Christi aus Juden und Nichtjuden.
Gott kapituliert nicht vor der Ablehnung, die ihm von den Menschen entgegenschlägt. Im Gegenteil: Dort am Kreuz lässt er seinen einzigen Sohn die Strafe für diese Ablehnung tragen, um auch uns einen neuen Anfang zu schenken. Wenn Christus nicht am Kreuz gehangen hätte, dann würdest du nicht heute hier in der Kirche sitzen, dann würdest nicht auch du zu Gottes Volk, in seinen Weinberg gehören. Gott hat die böse Tat der Menschen auch für dich zum Guten gewendet, lässt auch für dich aus dem Tod seines Sohnes Heil und Leben erwachsen. Nein, es ist nicht selbstverständlich, dass du heute hier in der Kirche sein darfst; es ist nicht selbstverständlich, dass dir heute Morgen hier die Hände aufgelegt wurden und du die Vergebung aller deiner Schuld empfangen hast. Es ist nicht selbstverständlich, dass du auch heute wieder hierher zum Altar kommen darfst, um ihm, dem Gekreuzigten, leibhaftig zu begegnen, um hier seinen Leib und sein Blut und darin das ewige Leben zu empfangen. Nein, „das ist ein Wunder vor unseren Augen“, ein Wunder, über das wir immer wieder nur staunen können. Gott gibt nicht auf – auch nicht bei dir, lässt auch dich vom Tod seines Sohnes profitieren. Und wie er aus dem Tod seines Sohnes neues Leben hat entstehen lassen, so wird er auch dafür sorgen, dass auch dein Tod nicht das Letzte sein wird. Gott kapituliert auch vor deinem Sarg, vor deinem Grabstein nicht, will auch dir Anteil an seinem unvergänglichen Leben schenken.
Gott gibt nicht auf; er schreibt dich nicht ab, schafft so schließlich selber in dir die Frucht, die er von dir erwartet. Halte dich darum nur an seinen Sohn, gehöre nicht zu denen, die ihn aus ihrem Leben verdrängen und ohne ihn auskommen wollen, lass es dir vielmehr immer wieder vor Augen stellen, was es bedeutet, dass er auch für dich gestorben und auferstanden ist. Nein, du bist für Gott kein fauler Kredit; er rechnet mit dir auch weiter ganz bewusst. Ist das nicht wunderbar, dass wir Gott so viel bedeuten? Amen.