25.02.2009 | St. Matthäus 6, 16-21 (Aschermittwoch)

ASCHERMITTWOCH – 25. FEBRUAR 2009 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 6,16-21

Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.
Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.

7 Wochen mit“ – so lautet eine Aktion des Amtes für Gemeindedienst unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, die heute am Aschermittwoch gestartet wurde. „7 Wochen mit“ – die Aktion bezieht sich natürlich auf die sieben Wochen der Fastenzeit, die heute beginnt, und natürlich auch auf die Fastenaktion „7 Woche ohne“ der evangelischen Kirche. Nein, es geht dabei nicht um eine billige Distanzierung von einer guten und sinnvollen Aktion der evangelischen Kirche, sondern um eine hilfreiche, ja notwendige Ergänzung dieser Aktion. Fasten, auf etwas verzichten, für eine Weile ohne bestimmte Dinge auskommen ist ja durchaus etwas Positives, so macht es uns Christus im Heiligen Evangelium dieses Tages sehr deutlich, wenn er ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass auch seine Jünger bisweilen fasten. Aber es darf eben nicht bloß darum gehen, dass wir in unserem Leben eine Lücke erfahren, ein „Weniger“ erleben, sondern dass wir diese Lücke im Gegenteil neu und bewusst füllen – ach nein, es geht um viel mehr als bloß um eine Lückenfüllung, es geht genau umgekehrt darum, dass wir gerade jetzt in der Fastenzeit den Reichtum wieder neu erfahren und bewusst wahrnehmen, aus dem wir schöpfen dürfen, und gerade aus der Freude über diesen Reichtum heraus dann auch Fasten und Verzicht praktizieren. Und genau dazu will uns Christus auch im Heiligen Evangelium des heutigen Aschermittwochs anleiten. Er will uns wieder neu wahrnehmen lassen,

- wie sehr wir geliebt
- wie reich wir beschenkt sind.

I.

Was uns Christus hier in den Worten unserer Predigtlesung vor Augen stellt, scheint uns und unseren heutigen Erfahrungen erst einmal reichlich fern zu liegen: Menschen, die in aller Öffentlichkeit ihren Glauben praktizieren in der Hoffnung, dass sie dadurch bei ihren Mitmenschen auf besondere Anerkennung stoßen – die begegnen uns heutzutage nicht gerade sehr häufig. Im Gegenteil: Sehr viel verbreiteter ist es, dass Menschen ihren Glauben verstecken, ihn nur heimlich praktizieren, weil sie fürchten, sonst in der Öffentlichkeit komisch angesehen oder gar ausgelacht zu werden. Das geht ja schon los beim Tischgebet, dass es auch vielen Christen peinlich ist, zu beten, wenn andere dabei zugucken, so als ob das etwas Unanständiges sei, wobei wir erwischt werden könnten. Und ich gestehe, dass ich mich beispielsweise bisher auch gescheut habe, in unserer Gemeinde die Praxis der Austeilung des Aschenkreuzes im Gottesdienst am Aschermittwoch vorzuschlagen oder gar einzuführen, wie dies beispielsweise in unserer Nachbargemeinde in Spandau praktiziert wird, weil ich die Sorge habe, dass dann manche Gemeindeglieder vielleicht doch nicht zum Aschermittwochsgottesdienst kommen würden, wenn sie Angst haben müssten, anschließend mit solch einem Kreuz auf der Stirn in ihren Alltag zurückzukehren und von anderen Menschen deswegen angestarrt oder angesprochen zu werden. Nein, ich sehe nicht, dass ich allzu viele von euch davon abhalten müsste, in den kommenden sieben Wochen nur noch in Sackgewändern durch die Gegend zu laufen.
Können wir uns die Worte Jesu im Heiligen Evangelium dieses Tages von daher also einfach schenken? Keineswegs! Denn wenn wir genauer hinschauen, stellen wir fest, dass Jesus in diesen Worten ein hochaktuelles Problem anspricht: Die Leute, vor deren Handeln er hier warnt, haben ja letztlich nur ein Ziel: Sie suchen mit dem, was sie tun, Anerkennung, möchten erfahren, dass das, was sie tun, sich auch lohnt. Und da sind wir nun auch ganz direkt in unserer Zeit, sind wir sogar ganz direkt beim Thema „Fasten“:
Fasten ist in unserer Gesellschaft auch durchaus wieder in – allerdings nicht unbedingt zuerst und vor allem als Zeichen der Buße, als Hilfe zur Glaubensstärkung. Nein, Menschen fasten, weil sich dieses Fasten für sie aus ihrer Sicht in vielfacher Weise lohnt. Fasten ist gesund – so sagen die einen, und das heißt: Fasten verlängert mein Leben, hilft mir, den Tod in meinem Leben zurückzudrängen, jedenfalls solange ich beim Fasten Maß halte und es nicht zur Sucht werden lasse. Und Fasten macht schön – so sagen andere. Ja, wenn ich einige Pfunde abspecke, sehe ich besser, sehe ich attraktiver aus, kann ich mit Anerkennung, ja vielleicht gar mit Zuneigung vonseiten anderer Menschen rechnen. Und selbst wenn es andere vielleicht gar nicht merken – es steigert zumindest mein eigenes Selbstwertgefühl, wenn ich durchgehalten habe, wenn bei mir die Pfunde gepurzelt sind. Ja, Fasten lohnt sich, und von daher ist eine Aktion „7 Wochen ohne“ nicht von vornherein etwas typisch Christliches, auch dann nicht, wenn es um mehr geht als bloß um Essensverzicht. Zeitlich begrenzter Konsumverzicht kann auch insgesamt ganz hip sein, kann durchaus im Trend liegen, nicht nur in Krisenzeiten.
Doch Jesus setzt hier in der Bergpredigt tiefer an. Er interessiert sich nicht für die positiven Folgen, die Fasten für einen selber haben mag, für das eigene Selbstwertgefühl, für die eigene Gesundheit, für die Anerkennung bei anderen. Er blickt tiefer, er schaut auf unser Herz, das sich letztlich immer wieder nur nach einem sehnt: wirklich bedingungslos geliebt zu werden. Er schaut auf unser Herz, staunt darüber, was Menschen alles unternehmen, bewusst oder unbewusst, um diese Sehnsucht zu stillen, wie Menschen auf der Suche nach bedingungsloser Liebe immer wieder in Süchte hineinrutschen, wie sie sich selbst unter Leistungsdruck setzen, ja, er sieht, wie auch wir als Christen uns von dieser Sehnsucht nicht freimachen können, wie wir immer wieder in der Gefahr stehen zu meinen, wir müssten es Gott doch irgendwie demonstrieren, dass wir liebenswert sind, dass wir gut genug sind, um von ihm geliebt zu werden, besser jedenfalls als viele andere um uns herum, die doch längst nicht das vorweisen können, was wir aufzubieten haben.
Und dieser Sehnsucht nach unbedingter Annahme, nach unbedingter Liebe setzt Jesus hier in der Bergpredigt ein einziges Wort entgegen: „Vater“, so heißt dieses Wort: „Dein Vater, der in das Verborgene sieht, wir dir’s vergelten.“ Dein Vater ist Gott – das heißt: Du bist sein Kind, längst von ihm geliebt, bevor du auch nur irgendetwas getan hast, längst bevor du auch nur ein Gramm abgenommen, auf eine Zigarette verzichtet hast, einen Tag ohne Computerspiele ausgekommen bist. Du musst nichts für Gott tun, um von ihm geliebt zu werden, und du brauchst dir deine Anerkennung auch nicht ersatzweise bei anderen zu holen, die dir bestätigen, was für ein guter, schöner, erfolgreicher, netter Mensch du bist. Du bist längst schon geliebt, ohne Einschränkung, ohne Bedingung, nein, du musst nicht erst noch irgendjemand etwas beweisen, nicht dir, nicht anderen und erst recht nicht Gott selber. Die Fastenzeit, sie ist seit alters her Zeit der Taufvorbereitung und für die Getauften Zeit der Rückbesinnung auf ihre Taufe. Und genau darum geht es bei „7 Wochen mit“: Dass wir uns dies in den kommenden Wochen immer wieder neu vor Augen stellen und ins Herz prägen lassen, was das eigentlich heißt, dass wir Gottes Kinder, von Gott geliebt, bedingungslos geliebt sind, so sehr, dass Gott auch für dich und für mich seinen Sohn hat am Kreuz sterben lassen.

II.

Ist Fasten, ist Verzicht von daher für unseren Glauben, für unsere Glaubenspraxis letztlich überflüssig, wenn wir denn nun erkannt haben, dass wir von Gott wirklich bedingungslos geliebt sind? Ach, Schwestern und Brüder, wenn es doch nur so einfach wäre, wenn doch nur diese Erkenntnis, dieser Glaube unser ganzes Leben bestimmen würde! Doch in Wirklichkeit reicht uns diese Erkenntnis, dieser Glaube in unserem Leben dann doch so oft nicht aus, suchen wir die Erfüllung unseres Strebens nach Anerkennung, die Erfüllung unserer Sehnsüchte immer wieder doch in so viel Anderem. Und dazu zählt, so macht es Christus in seiner Verkündigung immer und immer wieder deutlich, an erster Stelle Geld und Besitz. Daran hängt unser Herz, davon lassen wir uns bestimmen in unserem Handeln, ja dadurch definieren wir uns oft genug selber. Und so machen wir, was eigentlich Gabe und Geschenk unseres Vaters im Himmel, Ausdruck seiner liebevollen Fürsorge ist, so leicht zu unserem Herrn, zu etwas, was uns bestimmt und was wir so schwer loszulassen vermögen, geschweige denn dass es uns gleichgültig wäre, wenn Diebe einbrechen und das, was wir besitzen, was wir uns angesammelt haben, stehlen.
Und genau dagegen nennt uns Christus hier ein sehr hilfreiches Rezept: Abgeben, darauf verzichten, sich hier auf Erden Schätze anzusammeln, die wir sowieso nicht mit ins Grab nehmen können, wenn sie uns denn nicht schon vorher geklaut wurden. Schätze sammeln im Himmel, so formuliert es Jesus hier, nein, das hat nichts mit Tetzel und Ablass zu tun, sondern mit unserem Herzen und unserem Vertrauen: Traue ich das Gott, meinem Vater, der mich so sehr liebt, zu, dass jeder Euro, den ich einem anderen Menschen, den ich der Kirche gebe, für mich kein verlorener Euro ist, sondern dass Gott mir mit jedem Euro, den ich abgebe, hilft, mein Leben klarer auf ihn, auf das Ziel meines Lebens auszurichten? Traue ich das Gott zu, dass er mich nicht hängen lässt, wenn ich von dem, was ich besitze, kräftig abgebe, oder glaube ich, ich müsste da doch etwas vorsichtiger sein, weil Gott für diese praktischen Belange meines Lebens vielleicht doch nicht so ganz zuständig sein könnte?
Ja, genau darum hat Verzicht in der Fastenzeit eben auch seinen guten Sinn: Nicht, um bei Gott oder anderen Menschen etwas zu erreichen, sondern um wieder neu wahrzunehmen, wie gut wir von unserem liebenden Vater im Himmel beschenkt und umsorgt sind. Das geht schon los bei unserer Zeit, dass wir gerade in diesen kommenden Wochen die Erfahrung machen können, dass wir nicht Zeit verlieren, wenn wir uns intensiver als sonst mit Gottes Wort beschäftigen, uns mehr Zeit für die Teilnahme am Gottesdienst nehmen als sonst, sondern dass wir damit eine Menge für uns und unser Leben gewinnen, und das geht dann weiter bis dahin, dass wir uns in dieser Zeit wieder neu fragen, was wir für unser Leben eigentlich wirklich brauchen und worauf wir getrost verzichten können – eine Zeitlang und vielleicht sogar überhaupt. Und dann werden wir wieder neu erkennen, dass Gott uns allemal immer noch mit mehr versorgt, als wir wirklich brauchen, selbst wenn wir von dem, was wir haben, auf so manches verzichten. Ja, das, worauf wir verzichten, kann uns eben nicht mehr gefangen nehmen, kann von uns wieder neu als Geschenk, als Ausdruck der Fürsorge Gottes wahrgenommen werden. „7 Wochen mit“ – Nein, es geht jetzt in der Fastenzeit in der Tat nicht bloß um ein „ohne“, es geht um ein „mit“, um eine Bereicherung unseres Lebens, wenn wir aus den Quellen des Heils schöpfen und uns damit auch im Alltag den Blick schärfen lassen, wie reich wir beschenkt sind, so reich, dass wir fröhlich, mit den Worten Jesu gesprochen: mit gewaschenem Gesicht, Verzicht üben und abgeben können.
„7 Wochen mit“ - Ja, diese Fastenzeit soll uns täglich neu vor Augen stellen, wie sehr wir geliebt und wie reich wir beschenkt sind. Und eben darum soll es nun auch in den folgenden vier Wochengottesdiensten in der Fastenzeit gehen, dass wir uns mit den Kraftquellen unseres Glaubens beschäftigen, die uns eben dies immer wieder neu erfahren lassen: mit dem Wort Gottes, mit dem Gebet, mit dem Heiligen Abendmahl und mit der Heiligen Beichte. Ja, Schwestern und Brüder, wir haben allen Grund, uns auf die Fastenzeit, die nun vor uns liegt, zu freuen, denn vor uns liegen „7 Wochen mit“. Amen.