25.07.2010 | Epheser 5, 8b-14 (8. Sonntag nach Trinitatis)

8. SONNTAG NACH TRINITATIS – 25. JULI 2010 – PREDIGT ÜBER EPHESER 5,8b-14

Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden ist schändlich. Das alles aber wird offenbar, wenn's vom Licht aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.

Jede Berufsgruppe kennt vermutlich ihre berufsspezifischen Alpträume. Ein mir wohlbekannter Pastorenalptraum läuft so ab, dass ich im Bett liege und von heftigem Klopfen und Klingeln an meiner Wohnungstür wach werde. Ich eile zur Wohnungstür, vor der der gesamte Kirchenvorstand steht und mich darauf aufmerksam macht, dass es Sonntagmorgen kurz nach zehn Uhr ist und die Gemeinde bereits versammelt in der Kirche sitzt. Panisch versuche ich, mich so schnell wie möglich anzuziehen – doch dabei fällt mir ein, dass ich ja ganz vergessen habe, eine Predigt für den Sonntag zu schreiben, und dass ich darum gar nicht weiß, was ich denn eigentlich nun gleich, wenn ich angezogen bin, der Gemeinde predigen soll.
Ein Alptraum ist das, glücklicherweise bis jetzt zumindest mehr noch nicht. Bisher habe ich es immer noch rechtzeitig am Sonntagmorgen aus dem Bett geschafft, und bisher habe ich es auch noch nicht verpennt, eine Predigt rechtzeitig fertigzustellen. Schmunzeln kann ich von daher über solche Alpträume im Rückblick, kann erleichtert feststellen, dass ich auch heute Morgen wieder wach und vorbereitet auf der Kanzel stehe. Und selbst wenn ein solcher Alptraum dann doch einmal Wirklichkeit werden sollte, wäre das für mich zwar extrem peinlich und unangenehm, aber mehr auch nicht, könnten wir wohl alle miteinander im Nachhinein selbst über ein solches reales Vorkommnis herzhaft lachen.
Doch nicht immer ist es nur ein wenig peinlich und unangenehm, wenn Menschen etwas Wichtiges verpennen. Sondern etwas Entscheidendes zu verpennen, kann auch sehr viel weiterreichende Konsequenzen haben. Und genau damit, Schwestern und Brüder, sind wir nun schon mitten drin in der Epistel dieses 8. Sonntags nach Trinitatis. Da macht uns nämlich der Apostel Paulus darauf aufmerksam, dass es möglich ist, dass Menschen ihr ganzes Leben verpennen, ohne es überhaupt zu merken, dass Menschen ihr ganzes Leben verpennen und das erst mitbekommen, wenn es zu spät ist, wenn sich für sie nun nichts mehr ändern lässt.
Ja, hochaktuell ist das, was der Apostel Paulus hier schreibt: Dass Menschen ihr Leben total verpennen, das ist heutzutage ja keine kuriose Ausnahme, das ist auch in unserer Umgebung beinahe geradezu die Regel geworden. Nein, diese Menschen sehen in aller Regel überhaupt nicht wie Schlafmützen aus, sie stehen oft genug mitten im Leben, haben vielleicht Familie und Kinder, haben vielleicht einen guten Beruf, haben Hobbys, haben Freunde, haben Spaß am Leben, sind gesund, haben scheinbar alles, was man für ein befriedigendes Leben so braucht. Nichts deutet von außen betrachtet darauf hin, dass sie ihr Leben verschlafen. Und doch pennen sie in Wirklichkeit tief und fest – warum? Weil sie den nicht kennen, weil sie mit dem nichts zu tun haben wollen, der allein ihr Leben hell und sie damit hellwach zu machen vermag: ihn, Christus, das Licht der Welt. Wenn ich mein Leben ohne Christus führe, dann mag ich noch so viel Erfolg und noch so viel Spaß haben – ich bleibe dennoch, wie Paulus es hier formuliert, in der Finsternis, weil die Jalousien in meinem Leben immer noch fest verschlossen sind, durch die das Licht des Tages, das Licht der Gegenwart des auferstandenen Jesus Christus in mein Leben hineinleuchten könnte, dieses Licht, in dem ich mein eigenes Leben noch einmal ganz anders wahrnehmen und entsprechend dann auch anders führen könnte.
Und wie sieht es mit euch heute Morgen hier in den Kirchenbänken aus? Seid ihr wach, seid ihr hellwach, aufgeweckt vom Licht der Welt, Jesus Christus? Zumindest habt ihr es heute Morgen, in welchem Zustand auch immer, bis hierher in den Kirchraum geschafft, und die meisten von euch erwecken immerhin an dieser Stelle der Predigt noch den Eindruck, dass sie doch noch nicht ganz eingeschlafen sind. Doch ob ihr wach seid oder nicht, das brauche ich selber gar nicht zu beurteilen, das sagt euch der Apostel Paulus selber auf den Kopf zu: Jawohl, ihr seid wach, ihr verpennt euer Leben nicht mehr, ihr seid getaucht in das helle Licht der Gegenwart eures Herrn Jesus Christus. Denn ihr seid getauft, und dort in der Taufe, da hat er stattgefunden, dieser Übergang von der Finsternis zum Licht in eurem Leben, da seid ihr auferweckt worden in ein neues Leben hinein, das kein Dunkel mehr kennt.
Ja, ihr seid wach, aufgeweckt vom Licht, lebt als wache Menschen inmitten von so vielen anderen, die sich immer noch im Tiefschlaf befinden, der sich auch mit noch so viel Kaffee oder Ecstasy-Pillen nicht bekämpfen lässt. Vielleicht mag euch diese Beschreibung selber etwas unangenehm sein. So sehr, mögt ihr einwenden, unterscheide ich mich mit meinem Leben doch gar nicht von meinen Freunden und Bekannten, die von Christus keine Ahnung haben, ja mehr noch, so mögen diejenigen einwenden, die sich selber noch gut an ihre Taufe erinnern können: So sehr unterscheidet sich mein Leben, das ich jetzt führe, doch gar nicht von dem Leben, das ich vor meiner Taufe geführt habe! Ja, wie sieht denn das Leben eines Christen eigentlich aus, was kennzeichnet denn dieses „Leben im Licht“, von dem der Apostel hier spricht? Dreierlei nennt St. Paulus hier:

- Erinnern
- Prüfen
- Aufdecken

I.

Was macht einen Christen zum Christen, was macht ganz konkret dich zu einem Christen? Nein, nicht dass du ein besserer Mensch bist als andere, dass du dir mehr Mühe gibst, anständig zu leben, als andere. Nicht du hast dich zu einem Christen gemacht, und du machst dich auch jetzt nicht dadurch zu einem Christen, dass du etwas tust und leistest. Sondern Christus selber ist es gewesen, der dich in deiner Taufe zu einem Christen gemacht hat, der dich in das helle Licht seiner Gegenwart gestellt hat. Du magst davor die Augen verschließen, du magst dich von diesem Licht, das dich anstrahlt, abwenden. Doch das ändert nichts daran, dass dieses Licht dich und dein Leben beleuchtet, dass du von diesem Licht umfangen und umgeben bist. Du brauchst dieses Licht nicht gleich zu sehen und zu fühlen. Es leuchtet dennoch, lässt dich dadurch strahlen, auch wenn du das selber gar nicht mitbekommst. Aber natürlich möchte Christus, dass dir das in deinem Leben klar wird und dass sich das dann auch in deinem Leben auswirkt.
Und eben darum ist dies das erste und wichtigste, was das Leben eines Christen ausmacht, dass er sich immer wieder an das erinnert, was längst mit ihm geschehen ist, dass er sich immer wieder an seine Taufe erinnert. Nein, die Taufe ist eben nicht bloß eine nette Zeremonie zur Aufnahme in die christliche Gemeinde, nicht bloß so eine Art von frommem Talisman, der einen vor Unglück schützt und den zu haben jedenfalls nicht schaden kann. Sondern da hat er auch bei dir ganz persönlich stattgefunden – der einmalige Übergang von einem Leben, das in der Finsternis des ewigen Todes geendet hätte, zu einem Leben, das auch dann nicht zu Ende geht, wenn du eines Tages in einen Sarg gelegt werden wirst. Da hat er auch bei dir ganz persönlich stattgefunden – der einmalige Übergang von einem Leben fern von Gott zu einem Leben in der Gemeinschaft mit dem lebendigen Christus. Nein, du bist eben nicht bloß ein bisschen Christ. Ein bisschen Christ sein kann man so wenig, wie man ein bisschen schwanger sein kann. Nein, du bist ein Christ, so gewiss du getauft bist, vergiss es nicht, erinnere dich immer wieder an diese entscheidende Realität deines Lebens!
Bei uns im Konfirmandenunterricht lernen die Konfirmanden heute sicher nicht mehr so viele Lieder auswendig, wie dies in früheren Zeiten einmal der Fall war. Die Gründe dafür will ich jetzt an dieser Stelle nicht alle aufzählen. Aber ein Lied, das kennen unsere Konfirmanden am Ende des Unterrichts wohl alle miteinander auswendig, weil wir es immer wieder im Unterricht singen: „Lasset mich voll Freuden sprechen: Ich bin ein getaufter Christ!“ Ja, genau das macht das Leben im Licht, von dem der Apostel hier spricht, aus, dass ich mich daran immer wieder erinnere: Da hat in meinem Leben eine entscheidende Wende stattgefunden; und was da geschehen ist, das bleibt bestehen, das gilt selbst dann noch, wenn ich mir Augen und Ohren zuhalte und von all dem nichts mehr hören und wissen will. Genau das macht das Leben im Licht aus, dass mir klar ist: Ich muss mir mein Leben in der Gemeinschaft mit Gott nicht erst noch verdienen; ich habe es schon längst, ich bin schon längst ein neuer Mensch, umfangen von Gottes liebender Gegenwart. Nutzt darum die Möglichkeiten, die ihr habt, euch immer und immer wieder an eure Taufe zu erinnern, betet täglich das Taufgelübde, dankt Gott täglich für das Geschenk eurer Taufe, feiert euren Tauftag, tragt euer Taufkreuz nicht bloß als netten Schmuck, ja, vergesst es nicht, dass auch das Kreuzeszeichen, das ihr macht, immer wieder eine Erinnerung an eure Taufe ist! All das kann euch helfen, wach zu bleiben, im Licht zu leben, wie es der Apostel hier formuliert.

II.

Und wie wirkt sich das nun weiter in unserem Verhalten aus, dass wir getauft sind, dass wir im Licht der Gegenwart unseres Herrn Jesus Christus leben?
Brüder und Schwestern, es ist ganz spannend zu beobachten, dass der Apostel Paulus hier gerade nicht dem Klischee Vorschub leistet, das viele Menschen mit dem christlichen Glauben verbinden. Für viele Menschen bedeutet Christsein ja so viel wie: alle möglichen frommen Vorschriften einhalten, auf alles Mögliche verzichten, was einem im Leben Freude macht, sich genau an dem orientieren, was andere einem von oben her vorgeben
 Doch der Apostel Paulus beschreibt das Leben eines Christen hier völlig anders: Er schickt den Christen in Ephesus hier nicht eine lange Liste von Vorschriften, die sie als Christen bitteschön einzuhalten haben, gibt keine Anweisung für jede Lebenslage, was ein anständiger Christ in dieser oder jener Situation zu tun hat. Er kommt nicht mit einer Serie von Verboten, nein, er hält hier überhaupt keine Moralpredigt. Sondern er geht davon aus, dass das Licht unseres Herrn Jesus Christus, in dem wir seit unserer Taufe stehen, uns Christen nicht unverändert lässt, sondern Früchte bringt, wie er es hier formuliert. Einen Apfelbaum muss ich auch nicht mithilfe einer langen Liste von Vorschriften und Paragraphen dazu bewegen, dass er Äpfel hervorbringt. Und der Apfelbaum wird auch nicht dadurch mehr oder bessere Früchte hervorbringen, dass ich ihn dauernd dazu auffordere, Äpfel wachsen zu lassen. Sinnvoller ist es im Zweifelsfall eher, den Apfelbaum zu düngen und zu begießen. So ist das auch bei uns Christen: Auch wir bringen deshalb Früchte, weil Christus uns zu solchen Menschen gemacht hat, die diese Früchte hervorbringen können und sie in seiner Kraft tatsächlich auch hervorbringen. Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit – so umschreibt der Apostel hier diese Früchte. Das sind alles grundlegende Eigenschaften Gottes selbst, die sich in unserem Verhalten widerspiegeln, wenn wir mit Christus verbunden sind. Wahrscheinlich merken wir selber gar nicht viel von diesen Früchten, die Christus auch bei uns wachsen lässt. Aber ein wenig merken wir vielleicht dann doch davon auch im Zusammenleben in unserer Gemeinde, merken etwas davon, wenn wir mit anderen Brüder und Schwestern zusammen sind, dass und wie sich die Verbindung mit Christus auch ganz praktisch in ihrem Leben auswirkt.
Und was heißt das nun ganz konkret für die Entscheidungen, die wir auch als Christen tagtäglich in unserem Leben zu treffen haben? Nein, Paulus nimmt uns Christen diese Entscheidungen nicht ab, sondern er traut es uns Christen zu, dass wir als getaufte Menschen tatsächlich selber dazu in der Lage sind, zu prüfen, was dem Herrn wohlgefällig ist, wie er es hier formuliert. Es mag sein, dass Christen bei solchen Prüfungen in der Praxis immer wieder auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen werden. Wichtig ist nur, dass wir als Christen immer wieder unser Urteilsvermögen schärfen lassen durch das Wort der Heiligen Schrift, dass wir Gottes Willen, wie wir ihn in der Bibel aufgezeichnet finden, immer besser kennenlernen und uns von seinem Wort immer mehr prägen lassen. Und wichtig ist, dass wir diesen Willen Gottes dann auch tatsächlich zum Maßstab für unsere Entscheidungen machen, dass wir nicht das zum Maßstab machen, was für uns bequem ist, was uns Vorteile bringt, was alle anderen auch machen. Nein, prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, so sieht das Leben eines getauften Christen aus. Frage dich bei all dem, was du tust, immer wieder: Findet Christus das gut, was ich jetzt mache, kann ich die Entscheidung, die ich jetzt treffe, vor ihm verantworten, könnte ich mit dem, was ich jetzt gerade unternehme, vor seinen Augen bestehen, wenn Christus jetzt in diesem Augenblick sichtbar wiederkommen würde? Ja, so sieht es aus, das Leben im Licht, in das wir durch unsere Taufe gestellt sind.

III.

Schwestern und Brüder, wenn wir unser Leben nach diesen Fragen ausrichten, dann wird sich allerdings in der Tat unser Leben ganz von selbst in nicht Wenigem von dem unterscheiden, was andere Menschen in unserer Umgebung machen. Dann wird es sich ganz von selbst ergeben, dass wir nicht bei allem mitmachen, was alle anderen doch auch machen, weil wir das vor Christus eben nicht verantworten können. Und dann kann es durchaus passieren, dass es dann auch zu Konflikten mit anderen in unserer Umgebung kommt, die beispielsweise nicht verstehen können, warum wir am Sonntagvormittag keine Zeit für sie haben, die nicht verstehen können, warum wir als Christen auch und gerade dann ehrlich sind, wenn uns dies selber Nachteile einbringt, warum für uns als Christen das Leben eines Menschen unantastbar ist von seiner Empfängnis bis zu seinem letzten Atemzug.
Wenn der Apostel Paulus uns Christen hier dazu auffordert, die unfruchtbaren Werke der Finsternis aufzudecken, dann fordert er uns eben nicht dazu auf, alle miteinander Boulevardzeitungsreporter und Paparazzi zu spielen, Verfehlungen anderer Menschen ans Tageslicht zu zerren und uns daran mit scheinheiliger Empörung aufzugeilen, wie dies heute so oft in unserer Gesellschaft geschieht. Nein, wir decken als Christen schlicht und einfach dadurch das Tun anderer auf, dass wir so leben, wie wir als Christen leben, dass Menschen sich darüber dann auch vielleicht aufregen oder auch einfach nachzufragen beginnen, warum wir so leben, wie wir leben. Nein, nicht als Moralapostel sollen wir als Christen durch die Gegend laufen, nicht als Leute, die anderen den Eindruck vermitteln, sie seien etwas Besseres. Sondern Lichtträger sollen und dürfen wir sein, Menschen, die mit ihrem Leben andere neugierig machen, die mit ihrem Leben anderen Lust machen, auch in der Gemeinschaft mit Christus, dem Licht der Welt, zu leben, anders als zuvor.
Lichtträger, Kinder des Lichts sind wir schon seit unserer Taufe, und als Lichtträger leben können wir eben dadurch, dass wir uns von Christus immer wieder neu aufwecken lassen durch sein Wort, dass wir uns immer wieder stärken lassen von dem einzig wahren Wachmacher unseres Lebens, dem Leib und Blut unseres Herrn im Heiligen Mahl. Ja, Gott geb’s, dass ihr nicht nur während dieser Predigt wach geblieben seid, sondern dass ihr auch weiter wach bleibt in eurem Leben, damit ihr vorbereitet seid, wenn einmal Christus selber bei euch vor der Tür stehen wird, um euch abzuholen. Ja, Gott geb’s, dass auch in eurer Umgebung Menschen aufwachen, aufgeweckt durch das Licht Jesu Christi, das auch durch euch hindurchstrahlt! Ja, Gott geb’s, dass euch das immer klar bleibt, wer ihr seid: getaufte Christen, eben Kinder des Lichts! Amen.