16.06.2010 | St. Matthäus 10, 5-15 (Mittwoch nach dem 2. Sonntag nach Trinitatis)

MITTWOCH NACH DEM 2. SONNTAG NACH TRINITATIS – 16. JUNI 2010 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 10,5-15

Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel. Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus. Umsonst habt ihr's empfangen, umsonst gebt es auch. Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken. Denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert. Wenn ihr aber in eine Stadt oder ein Dorf geht, da erkundigt euch, ob jemand darin ist, der es wert ist; und bei dem bleibt, bis ihr weiterzieht. Wenn ihr aber in ein Haus geht, so grüßt es; und wenn es das Haus wert ist, wird euer Friede auf sie kommen. Ist es aber nicht wert, so wird sich euer Friede wieder zu euch wenden. Und wenn euch jemand nicht aufnehmen und eure Rede nicht hören wird, so geht heraus aus diesem Hause oder dieser Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen. Wahrlich, ich sage euch: Dem Land der Sodomer und Gomorrer wird es erträglicher ergehen am Tage des Gerichts als dieser Stadt.

„Deutschlands Pfarrer verlieren immer mehr an Ansehen in der Bevölkerung.“ – So konnte man es vor einigen Tagen in der Internet-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lesen. Innerhalb eines Jahres sank das Vertrauen der Deutschen in Geistliche einer Umfrage der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung zufolge von 72 auf 55%. Die Gründe hierfür kann man sich ohne allzu große Anstrengung vorstellen – sie liegen eben leider im Wesentlichen nicht in einem merkwürdigen, unerklärlichen Misstrauen der Deutschen gegenüber der Geistlichkeit begründet, sondern in dem schockierenden Verhalten nicht weniger Vertreter von Gottes Bodenpersonal.
Nein, auf die Idee war Jesus damals wohl nicht gekommen, dass er seine Apostel bei ihrer ersten Aussendung zunächst einmal davor warnen müsste, sich nicht an Kindern und Jugendlichen zu vergehen, sie nicht zu verprügeln und auch nicht die Öffentlichkeit zu belügen. Die Weisungen, die er den Aposteln hier in unserer Predigtlesung gibt, gehen schon wesentlich über solche scheinbaren Selbstverständlichkeiten hinaus. Doch zugleich entschärft Jesus die Problematik, die heutzutage in unserem Land so heiß diskutiert wird, nicht dadurch, dass er die Vollmacht seiner Boten einschränkt, sie vor einem überhöhten Amtsbewusstsein warnt und ihnen nahelegt, an den Orten, in die er sie schickt, nur noch als nette Kumpel aufzutreten. Nein, Bemerkenswertes hat Jesus seinen Aposteln hier in unserer Predigtlesung mitzuteilen, Bemerkenswertes, das auch heute für den Dienst der Boten Christi noch von Bedeutung ist.
Wenn ich betone, dass die Worte aus dem Matthäusevangelium, die wir eben gehört haben, auch für uns heute noch von Bedeutung sind, dann muss ich allerdings zugleich betonen, dass sich diese Worte nicht unmittelbar auf den Dienst von Pfarrern der Kirche im 21. Jahrhundert in Deutschland übertragen lassen. Das machen schon die einleitenden Worte unserer heutigen Predigtlesung deutlich: „Geht nicht den Weg der Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter“, so befiehlt es Jesus seinen Aposteln hier. Die Situation ist klar: Wir befinden uns noch in der Zeit vor Ostern. Jesu Sendung vor seinem Kreuzestod und seiner Auferstehung gilt zunächst ganz und gar dem Gottesvolk Israel, nicht den anderen Völkern – und genau wie er sich zunächst ganz zum Volk Israel gesandt weiß, so sollen es auch die Boten halten, die er mit seiner Vollmacht losschickt: Sie sollen dieselben Grenzen einhalten, in denen auch er selber, Jesus, wirkt. Nach Ostern ändert sich dann alles: Da schickt Jesus seine Apostel noch einmal neu los – und nun lautet ihr Auftrag genau umgekehrt: Geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker, ja, wörtlich: alle Heiden, da steht genau wieder dasselbe griechische Wort, das Jesus hier in seiner Warnung in unserer Predigtlesung gebraucht. Ja, schon im Matthäusevangelium selber wird deutlich gemacht, dass die Worte der Aussendung, die Jesus hier in unserer Predigtlesung spricht, in eine bestimmte Situation hineingehören, die später überholt wird. Ja, zeitlich und örtlich begrenzt ist der Auftrag der Apostel hier noch; später wird er universal in jeder Beziehung. Und noch in einer anderen Hinsicht unterscheidet sich der Auftrag der Apostel damals vor Ostern vom Auftrag der Boten Gottes heute in der christlichen Gemeinde: Die Boten damals zogen noch umher, hatten keine feste Gemeinde, an die sie gebunden waren und der sie jeweils als Hirten dienen sollten. Noch gab es die Kirche nicht, noch galt ihr Dienst den verlorenen Schafen des Hauses Israel, ohne dass die Boten dadurch in bestimmte Strukturen des Gottesvolkes Israel eingebunden würden. Ich ziehe auch in aller Regel ohne Reisetasche und Ersatzhemd zu meinen Gemeindebesuchen los – ganz klar; aber ich tue es eben, weil ich weiß, dass ich zu Hause ein Schlafzimmer und einen Kleiderschrank habe, aus dem ich mich noch am selben Tag wieder neu bedienen kann. Nein, damit werde ich den Worten Christi nicht untreu, dass ich eine Pfarrwohnung habe; denn die Worte Christi, sie gelten eben zunächst einmal nicht mir, sondern galten den Aposteln damals in Israel in der Zeit vor Ostern.
Aber nun können wir diesen Worten eben doch so einiges Grundsätzliche über den Dienst der Boten Gottes zu allen Zeiten entnehmen.
Zunächst einmal fällt auf: Christus beauftragte die Apostel damals damit, genau das zu tun, was er selber auch tat. Die Apostel sollen sich also nicht durch besondere Originalität auszeichnen, sollen sich nicht selber in den Vordergrund stellen, sondern in ihrem Dienst so weit wie möglich transparent werden für den, der sie gesandt hat und dessen Boten sie sind. Als Werkzeuge ihres Herrn sollen sie in Erscheinung treten, nicht sich selber produzieren. Das gilt bis heute, gerade auch in einer Zeit, in der man in der Gesellschaft so leicht geneigt ist, stärker auf die Persönlichkeit zu schauen als auf die Botschaft, die die Person verkündigt. Transparent für Christus sollen die Boten Christi in ihrem Dienst sein – umso verwerflicher ist es von daher zugleich, wenn sie ihr Amt missbrauchen, anderen Menschen, Kindern und Jugendlichen zumal, Schaden an Leib und Seele zufügen. Dass sie das Leben von Menschen damit ruinieren, ist allemal schlimm genug – aber sie repräsentieren eben für die, denen sie schaden, zugleich gerade auch in ihren Untaten Christus, sorgen dafür, dass in den meisten Fällen die Opfer ihres Tuns dann auch von Christus selber anschließend nichts mehr wissen wollen. Nein, die Boten Christi erfüllen eben niemals bloß einen Job, den man von ihrem Auftraggeber abkoppeln könnte.
Eine ungewöhnliche Form der Besoldung legt Christus sodann seinen Boten hier ans Herz: nicht 80% von A 13/ A 14, sondern: Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch. Kein Geld sollen die Boten für ihre Heilungen und ihre sonstigen Dienste nehmen; keinesfalls sollen sie den Eindruck erwecken, als würden sie ihren Botendienst aus finanziellen Gründen versehen, weil er ein einträgliches, lohnendes Geschäft ist. Völlig ungesichert sollen sie ihren Dienst versehen, sollen auch keine stille Reserve mit sich führen, weder an Geld noch an Kleidung, noch nicht einmal einen Stock, mit dem sie sich gegen wilde Tiere verteidigen könnten. Völlig arm und gewaltlos sollen sie auftreten, mit nichts Anderem ausgestattet als mit der Vollmacht ihres Herrn. Und doch weiß Jesus zugleich natürlich darum, dass auch die Apostel nicht einfach bloß von Luft und Liebe leben können, weiß darum, dass die Apostel auf Nahrung, Kleidung und Unterkunft angewiesen sind. Aber er lehrt seine Apostel, darauf zu vertrauen, dass ihre Verkündigung bei denen, die sie hören, nicht ohne Wirkung bleiben wird, sie dazu veranlassen wird, sich dann auch um die Boten selber zu kümmern, dass die bekommen, was sie zum Leben brauchen.
Schwestern und Brüder, es wäre wirklich vermessen, wenn ich die heutige Situation eines SELK-Pastors nun mit der Situation der Apostel damals gleichsetzen würde. Natürlich sind wir Pastoren heute in einer ganz anderen Weise abgesichert als die Apostel damals. Doch die Worte Jesu lassen uns doch zugleich ein Doppeltes erkennen: Auch heutzutage ist das Gehalt, das ein Pastor bekommt, eigentlich keine Entlohnung für seine Arbeit, sondern es ist letztlich nichts Anderes als eine Zahlung, die ihn von anderer Berufstätigkeit freistellt, um sich ganz dem Dienst in der Kirche widmen zu können. Ein Pastor bleibt auch dann ein Pastor und damit ein Bote Gottes, wenn er dafür keinen Cent erhält und er sich sein Geld auf anderem Wege verdienen muss. Und zum anderen beruht eben auch heutzutage die Gehaltszahlung der Pastoren immer noch Jahr für Jahr auf einem im Grunde genommen unfasslichen Wunder: Dass es da Menschen gibt, die das Evangelium hören und denen das Evangelium so wichtig ist, dass sie reichlich von dem abgeben, was sie besitzen, um die Boten des Evangeliums in ihrem Dienst zu unterstützen. Ja, auch heute bleibt uns letztlich nichts Anderes übrig als den Aposteln damals, einfach darauf zu vertrauen, dass das klappt, dass Menschen einfach so, ganz freiwillig, erkennen, das ein Arbeiter seiner Speise wert ist. Ja, da kann auch ich immer wieder nur von Neuem staunen.
Und ein Drittes können wir den Worten Jesu schließlich entnehmen: Da redet er von dem Frieden, den die Boten Christi in ein Haus mitbringen und der sich entweder auf die Bewohner des Hauses legen wird oder aber mit den Boten wieder weiterziehen wird. Ich muss an diese Worte immer wieder denken, wenn ich meine Gemeindebesuche mache: Wenn ich in eine Wohnung komme, dann komme ich eben nie mit leeren Händen, sondern da bringe auch ich immer diesen Frieden mit – nein, gewiss nicht, weil ich solch eine friedliche, ruhige Ausstrahlung hätte, sondern weil Christus mich mit diesem Frieden losgeschickt hat. Und dann mögen die Gespräche, die ich bei meinen Gemeindebesuchen führe, sehr unterschiedlichen Tiefgang haben, unterschiedliche Länge, unterschiedliche Themen. Aber wenn ich dann am Ende gehe, weiß ich: Da bleibt nun etwas zurück – nein, eben nicht bloß die Erinnerung an meine Person, sondern eben dieser Friede des Herrn, der mehr zu bewirken mag als alle meine mickrigen Überredungskünste und freundlichen Worte. Ja, das andere erlebe ich natürlich auch: Dass der Friede sich gleichsam wieder zu mir wendet, dass Menschen sich von vornherein diesem Frieden verschließen. Aber auch da ist es wichtig zu wissen: Das soll ich jetzt nicht als persönliches Versagen werten, sondern hier vollzieht sich, was Christus schon damals seinen Aposteln angekündigt hat. Ja, Gott geb’s, dass ich dem, was Christus hier seinen Aposteln ankündigt, nicht selber mit meinem Verhalten im Wege stehe, sondern dass viele Menschen in unserer Gemeinde und darüber hinaus etwas von dem Frieden erfahren, den ich mitbringe, ohne dass ich dafür etwas könnte. Ja, Gott geb’s, dass ich selber für euch alle miteinander immer unwichtiger werde, weil euch der immer deutlicher vor Augen tritt, der schon damals die Apostel losgeschickt hat: Christus, unser Herr. Amen.