25.03.2010 | Galater 4, 4-7 (Mariae Verkündigung)

MARIAE VERKÜNDIGUNG – 25. MÄRZ 2010 – PREDIGT ÜBER GALATER 4,4-7

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,  damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

In den letzten Jahren hat ein neuer Begriff Einzug gehalten in die gesellschaftspolitische Diskussion in unserem Land: der Begriff der „Bildungsgerechtigkeit“. In Deutschland, so haben es internationale Studien gezeigt, ist es für Kinder aus armen Familien sehr viel schwerer, einen guten Schulabschluss zu machen, als dies in anderen vergleichbaren Ländern der Fall ist: Wer unten ist, bleibt zumeist auch unten, wer oben ist, aus bildungsbürgerlichem Elternhaus stammt, bleibt in aller Regel auch oben, hat jedenfalls ganz andere Chancen als das Kind aus einer armen Familie oder gar als das Kind aus einem Heim, das gewaltig kämpfen muss, um sich nach oben zu arbeiten, wenn es denn überhaupt dazu angeleitet wurde und wird, diesen Kampf zu führen.
Von einer noch viel krasseren Chancenungleichheit weiß der Apostel Paulus in der Epistel des heutigen Festtages zu berichten: Er berichtet von Kindern in einem furchtbaren Kinderheim, die dort wie Sklaven gehalten werden, denen man dort jegliche Zukunftschancen raubt und die keine Möglichkeiten haben, von dort irgendwie zu fliehen, dort irgendwo herauszukommen. Doch dann erhält das Kinderheim eines Tages Zuwachs: ein Junge kommt dazu, lässt sich von den Erziehern noch schlimmer schikanieren als die anderen, macht alles durch, was die anderen Kinder auch durchmachen müssen. Doch dann gibt er sich den anderen Kindern zu erkennen: Er ist in Wirklichkeit der Sohn eines Milliardärs und sagt den Kindern, dass sein Vater beschlossen habe, sie alle miteinander zu adoptieren. Alle dürfen sie das Kinderheim verlassen und in die Freiheit ziehen, brauchen sich nicht mehr schikanieren zu lassen, werden nun eingeführt in die Gesellschaft der oberen Zehntausend. Ja, so gut geht es ihnen, dass die Erfahrungen aus dem Kinderheim bei ihnen verblassen, dass keine Narben aus dieser Zeit mehr bei ihnen zurückbleiben.
Den Christen in Galatien erzählt der Apostel Paulus diese unglaubliche und doch wahre Geschichte: Die hatten mit großer Freude und Begeisterung das Evangelium aufgenommen, das ihnen der Apostel Paulus verkündigt hatte, das Evangelium von Christus, ihrem Retter, der ihnen ein neues Leben geschenkt hatte, der sie mit seiner Liebe umfangen hatte, ihnen gezeigt hatte, dass sie bei Gott nichts zu leisten brauchen, dass er alles für sie getan hat, was nötig ist, damit sie für immer mit Gott leben dürfen. Doch dann waren dort andere Prediger nach Galatien gekommen und hatten den Galatern erzählt, dass sie es sich so einfach bitteschön nicht machen könnten: Wer ein wirklicher Christ sein wolle, bei dem reiche es nicht, dass er einfach an Christus glaubt und sich taufen lasse, der müsse sich, wenn er denn ein männliches Wesen sei, erst mal beschneiden lassen und auch all die Gesetzesbestimmungen des Alten Testaments einhalten. So einfach, wie Paulus ihnen das verkündigt hätte, sei das nicht mit dem Weg zum Himmel.
Und da erzählt Paulus den Christen in Galatien nun diese Geschichte von dem Kinderheim und dem Milliardärssohn, natürlich in der Sprache seiner Zeit, erzählt er ihnen diese Geschichte, um ihnen dies eine deutlich zu machen: Welches Kind, das von einem Milliardär adoptiert worden ist, würde freiwillig wieder in solch ein furchtbares Kinderheim gehen, würde freiwillig auf sein Erbe verzichten und stattdessen versuchen, sich mühsam aus dem Elend herauszuarbeiten, in dem es da im Kinderheim steckt? Doch genau das, so sagt es der Apostel Paulus, macht ihr, wenn ihr glaubt, ihr könntet oder müsstet euch den Weg in den Himmel mit euren guten Werken, mit der Einhaltung von irgendwelchen Vorschriften verdienen und erarbeiten: Ihr verlasst das Vaterhaus eures reichen Vaters, verzichtet auf euer Erbe und begebt euch zurück in die Sklaverei. Mensch, merkt ihr denn nicht, dass ihr freie Menschen seid? Gott hat euch in der Taufe adoptiert, hat euch zu seinen Kindern gemacht, ja, hat euch seinen Geist ins Herz gegeben, damit ihr auch wirklich als seine Kinder, als freie Menschen leben könnt, euch darüber freuen könnt, dass Gott, der lebendige Gott, euer Vater ist!
Schwestern und Brüder, wir können uns in den meisten Fällen nicht mehr daran erinnern, wie wir vor unser Taufe gelebt haben, in was für einer Situation wir damals waren. Und selbst diejenigen, die ihre Taufe ganz bewusst miterlebt haben, werden sich zuvor vielleicht gar nicht klargemacht haben, in was für einer Lage sie ohne Gott da eigentlich gesteckt hatten. Es geht auch gar nicht darum, dass wir uns jetzt ausmalen, was wäre, wenn wir nicht getauft, wenn wir nicht Kinder Gottes geworden wären. Sondern es geht Paulus hier in der Epistel darum, dass uns wieder neu bewusst wird, wie gut wir es haben, dass wir Gottes Kinder sind, dass wir es nicht als selbstverständlich ansehen, dass Gott persönlich uns damit auf die Sonnenseite unseres Lebens befördert hat. Nein, es ist nicht selbstverständlich, dass wir das Vaterunser beten dürfen, dass wir Gott unseren Vater nennen dürfen. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir keine Angst zu haben brauchen, wir könnten in unserem Leben versagen, würden vielleicht nicht genug leisten, um am Ende von Gott angenommen zu werden. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir uns nicht beeindrucken zu lassen brauchen von dem, was andere über uns denken, weil wir um unsere Stellung wissen, weil wir wissen, dass wir steinreich sind und niemand uns diesen Reichtum wieder nehmen kann.
Ja, wichtig ist es, dass wir uns immer wieder klar machen, wie privilegiert wir sind, damit wir ja nicht auf die Idee kommen, doch so zu leben, als seien wir gar nicht Kinder unseres Vaters im Himmel, als könnten wir auch ohne ihn auskommen. Wichtig ist es, dass wir uns klarmachen, welche Stellung wir als Kinder Gottes haben, damit wir nicht doch wieder meinen, wir müssten Gott zeigen, was für gute Menschen wir doch sind, bessere jedenfalls als andere. Ja, wichtig ist das, dass wir ja nicht unsere christliche Freiheit aufgeben und uns abhängig machen von den Meinungen anderer, von Suchtmitteln, von dem Gedanken, unser Wert bestünde in dem, was wir leisten.
Und wichtig ist es vor allem auch, dass wir wissen, wem wir unsere privilegierte Stellung als Kinder Gottes zu verdanken haben: Das liegt an dem, der in diese Welt gekommen ist, um uns zu befreien, das liegt an dem, der für uns Mensch, ja ein kleiner Embryo geworden ist, nur damit wir ganz groß rauskommen, das liegt an ihm, Christus, unserem Herrn. Gott wird Mensch, so feiern wir es heute am Fest der Verkündigung der Geburt des Herrn. Was uns so harmlos erscheinen mag, hat ihn, den Sohn Gottes, unendliche Überwindung gekostet: aus dem Vaterhaus in eine Krippe, aus dem Leben in der Gemeinschaft mit Gott ans Kreuz, wo er schließlich rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Um uns, um dich und mich ging es dem Sohn Gottes dabei, dir und mir wollte er diese neue und ewige Zukunft eröffnen. Und er beschränkt sich eben nicht auf dich und mich, er beschränkt sich nicht auf einige wenige Menschen, auf bestimmte Schichten, auf die Bewohner bestimmter Länder. Nein, ein ganz großer Gleichmacher ist Christus; seine Sendung gilt allen Menschen, ohne Unterschied, ganz gleich, was sie für ein Einkommen, ganz gleich, was sie für Bildungschancen haben. Allen Menschen möchte er die Möglichkeit eröffnen, als Kinder Gottes zu leben, frei zu sein, für immer in der Gemeinschaft mit Gott zu bleiben, ganz gleich, in was für Lebensumständen sie sich jetzt auch befinden mögen. Alle Menschen sind von ihm eingeladen, sich taufen zu lassen, dort die Kindschaft, dort den Heiligen Geist zu empfangen. Ja, losgegangen ist die Rettungsaktion damals, als der Erzengel Gabriel zu Maria kam, sie zur Mutter Gottes werden ließ, ihr damit eine einmalige Stellung in Gottes Rettungsplan zuwies. Maria bekommt ein Kind – damit wir alle miteinander Kinder Gottes werden konnten. Ja, so sieht sie aus, Gottes Gerechtigkeit. Amen.