28.02.2010 | Römer 5, 1-11 (Reminiszere)

REMINISZERE – 28. FEBRUAR 2010 – PREDIGT ÜBER RÖMER 5,1-11

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Denn Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren, für uns Gottlose gestorben. Nun stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen wagt er vielleicht sein Leben. Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Um wie viel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind! Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wie viel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben.

Als ich vor gut 18 Jahren hier in unsere Gemeinde kam, da merkte ich schnell, dass die Gemeindeglieder mir immer wieder von einem Thema besonders etwas vorschwärmten: Das waren die Israel-Reisen mit Bischof Schöne. Da blickte ich dann immer wieder in leicht verklärte Gesichter, wenn dieses Thema zur Sprache kam, und mir wurde schnell klar: Da musst du auch mal mit, das musst du auch mal selber erleben. Habe ich dann auch gleich im nächsten Jahr gemacht – und seitdem habe ich dann auch so manch anderem etwas von dem vorgeschwärmt, wie wunderbar diese Fahrt war; und tatsächlich haben sich dann manche auch wiederum von mir bequatschen lassen, eine der nächsten Israelreisen mit Bischof Schöne mitzumachen.
Ja, wenn uns etwas besonders erfreut, wenn uns etwas besonders wichtig ist, dann können wir darüber nicht einfach nur freundlich und distanziert berichten, dann kommen wir unweigerlich ins Schwärmen, dann müssen wir das unbedingt loswerden, was wir da selber erfahren haben. Und dann mag es sehr wohl sein, dass wir mit unserem Schwärmen andere anstecken, das doch auch mal kennenzulernen, was uns selber so in Begeisterung versetzt. Mir geht es beispielsweise immer wieder so, wenn ich von Außenstehenden auf unsere Gemeinde angesprochen werde. Da versuche ich eigentlich zunächst auch immer, ganz ruhig zu erzählen und zu berichten – aber es dauert meist nicht lange, dann komme ich aus dem Schwärmen nicht mehr raus über das, was ich hier in unserer Gemeinde immer wieder erleben darf. Nein, da kann und will ich mich dann einfach nicht bremsen.
In der Epistel des heutigen Sonntags Reminiszere gerät auch einer ins Schwärmen und kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus: Der Apostel Paulus schwärmt uns hier etwas vor – nein, nicht bloß von seiner letzten Urlaubsreise, auch nicht bloß von einer seiner Gemeinden. Sondern der schwärmt uns hier etwas vor vom christlichen Glauben, davon, wie wunderbar es ist, ein Christ sein zu dürfen. Ja, der Apostel kriegt sich hier gar nicht mehr ein, rühmt und rühmt und rühmt – nein, nicht sich selber, sondern das, was ihm widerfahren ist und worüber er gar nicht genug staunen kann. Ja, anstecken will der Apostel Paulus damit auch uns, nein, nicht bloß, dass wir das mit dem christlichen Glauben auch selber mal ausprobieren, da sind die allermeisten von uns doch schon ein ganzes Stück weiter. Nein, anstecken will der Apostel Paulus damit auch uns, selber ins Schwärmen zu geraten, wenn wir von anderen auf unseren Glauben angesprochen werden, dass wir da nicht bloß nüchtern ein paar Informationen von uns geben, geschweige denn peinlich berührt versuchen, dieses Thema schnell zu umschiffen, sondern dass wir uns auch selber nicht mehr einkriegen vor Begeisterung über das, was doch auch uns widerfahren ist und was wir doch einfach nicht für uns behalten können und wollen. Ja, was kennzeichnet unser Leben als Christen, wovon können wir anderen Menschen etwas vorschwärmen? Ich will ein entscheidendes Stichwort aufgreifen, das Paulus selber hier gleich zu Beginn unserer Epistel nennt: Wir haben als Christen Frieden, Frieden mit Gott.
Frieden – das Wort, das der Apostel Paulus hier gleich am Anfang gebraucht, mag uns erst einmal so normal, so wenig aufregend erscheinen, dass es uns schwerfallen mag, für das zu schwärmen, was der Apostel mit diesem Wort zum Ausdruck bringt.
Frieden – das scheint für all diejenigen unter uns, die jünger als 70 Jahre sind, das Allernormalste auf der Welt zu sein. Nur diejenigen, die schon 70 oder älter sind, mögen sich aus ihrem eigenen Erleben noch daran erinnern, dass Frieden nicht selbstverständlich ist, ja, was es heißt, nicht im Frieden, sondern im Krieg zu leben, in einem Krieg, der das eigene Leben, die eigene Existenz unmittelbar bedroht, der alles in Frage stellt, was man hat und ist, dem man völlig ohnmächtig ausgeliefert ist, erst recht, wenn man am Ende auf der Seite der Verlierer steht. Ja, wer einmal einen Krieg und seine Folgen miterlebt hat, dem ist in aller Regel ein für allemal die Lust auf irgendwelche Kriegsballerspiele vergangen, der weiß es zumeist sehr zu schätzen, im Frieden leben zu können.
So ähnlich ist das auch mit dem Frieden, von dem der Apostel Paulus hier spricht. Nein, er meint nicht den Frieden, in dem wir hier in Deutschland, Gott sei’s gedankt, mit unseren Nachbarn im Osten und Westen leben. Er meint auch nicht eine besinnliche Stimmung, einen Seelenfrieden. Sondern er meint den Frieden, der unser Verhältnis zu Gott bestimmt. Auch dieser Friede mag uns so selbstverständlich erscheinen, dass wir uns gar nicht vorstellen können, dass es auch anders sein könnte, dass unser Verhältnis zu Gott nicht durch Frieden, sondern durch Feindschaft bestimmt sein könnte. Nein, das können wir kaum erahnen, was das für Konsequenzen für uns, für unser Leben hätte.
Dabei ist es in Wirklichkeit alles andere als selbstverständlich, dass wir tatsächlich Frieden mit Gott haben. Nein, es war ja nicht Gott, der uns Böses gewollt hätte, der uns angegriffen hätte, der uns den Krieg erklärt hätte. Wir Menschen waren und sind es doch, die Gott gegenüber die Grenzen überschritten haben und immer wieder neu überschreiten, die Gott selber gesetzt hatte. Gott wollte Frieden mit uns, seinen Geschöpfen, halten, hatte doch alles getan, um zu zeigen, dass wir ihm vertrauen dürfen, dass er nicht unser Gegner ist, dass er keine Bedrohung unserer Freiheit darstellt. Doch genauso reagieren wir Menschen ihm gegenüber immer wieder: Wir misstrauen ihm, dass er es in seinen Geboten gut mit uns meint, wir glauben allen Ernstes, ohne ihn, ohne sein Wort in größerer Freiheit leben zu können. Wir glauben immer wieder, wir wüssten besser, was gut für uns ist, als Gott, fangen selber an, Gott zu spielen, und verletzen damit die Grenzen, die er doch zu unserem eigenen Schutz gezogen hatte. Ja, ganz tief steckt dieser Aufruhr gegen Gott, diese Ablehnung seines Anspruchs auf unser Leben in uns drin; nein, die wird uns nicht erst irgendwann anerzogen, sondern in dieser Feindschaft gegen Gott sind wir schon geboren worden, und aus dieser Abwendung von Gott kommen wir von uns aus einfach nicht heraus. Ja, natürlich ist das, von außen betrachtet, absolut idiotisch, was wir da machen und wie wir uns Gott gegenüber verhalten: Zum einen haben wir gegen Gott, dem wir unser Leben verdanken und dem die ganze Welt ihre Existenz verdankt, doch nicht die geringste Chance. Das ist so ähnlich, als wenn der Vatikanstaat mit seiner Schweizer Garde heutzutage Italien den Krieg erklären würde. Doch in unserem Größenwahn glauben wir Menschen allen Ernstes, Gott damit abstrafen, ihn damit beeindrucken zu können, dass wir uns von ihm abwenden, wenn er in unserem Leben die Dinge nicht so laufen lässt, wie wir uns dies wünschen. Ja, wir glauben allen Ernstes, ohne ein gutes Verhältnis zu Gott mit unserem Leben bestehen zu können. Doch Gott ist nicht bloß unser Nachbar, den wir angreifen; er ist am Ende auch unser Richter, und wer seinen eigenen Richter attackiert, dem ist eigentlich wirklich nicht mehr zu helfen. Doch noch aus einem anderen Grunde ist es eben, von außen betrachtet, absolut idiotisch, was wir da machen und wie wir uns Gott gegenüber verhalten: Wir wenden uns da von jemand ab, wir greifen jemanden an, der uns liebt, der nichts Anderes will als unser Glück, als unser Leben.
Nein, alles Andere als selbstverständlich ist es, dass der Apostel Paulus hier schreiben kann: Wir haben Frieden mit Gott. Dass das dennoch stimmt, dass das dennoch gilt, das liegt auch nicht an uns. Es liegt nicht daran, dass wir Menschen jetzt irgendwann einsichtig geworden wären und uns allesamt bei Gott dafür entschuldigt hätten, wie idiotisch das doch von uns war, im Unfrieden mit ihm zu leben. Nein, dass wir im Frieden mit Gott leben, liegt einzig und allein an Gott selber. Der hat darauf verzichtet, uns für unsere Kriegserklärung gegen ihn so abzustrafen, wie wir das verdient hätten. Der hat nicht einfach mal kurz die Muskeln spielen lassen, damit wir ganz bedröppelt und peinlich berührt künftig alle Angriffsversuche gegen ihn einstellen. Sondern Gott hat auf die permanenten Angriffe gegen ihn, hat auf die permanenten Grenzverletzungen gegen ihn so reagiert, dass er uns, seine Feinde, kurzerhand in den Arm genommen hat, um einseitig von sich aus den Frieden zwischen sich und uns zu verkündigen.
Nein, dieser Friedensschluss ist Gott nicht leicht gefallen; er hat sich auch nicht einfach bloß auf einem Blatt Papier vollzogen. Sondern um diesen Frieden mit uns zu schließen, hat Gott seinen eigenen Sohn zu uns geschickt, zu uns, seinen Feinden – und wir, seine Feinde, haben darauf genau so reagiert, wie man dies befürchten musste: Wir haben ihn, den Sohn Gottes, umgebracht, ihn ans Kreuz genagelt. Doch Gott macht aus diesem Zeichen der tiefsten Ablehnung und der tiefsten Feindschaft des Menschen gegen Gott ein Zeichen des Friedens – ach, was sage ich: Das Kreuz ist unendlich mehr als bloß ein Zeichen: Durch den Tod seines Sohnes hat Gott den Friedensvertrag zwischen sich und uns besiegelt, hat uns mit sich versöhnt, hat dadurch alles weggenommen, was seinen Zorn im letzten Gericht auf sich ziehen könnte.
Ja, wir haben Frieden mit Gott – was für eine wunderbare Nachricht, was für ein unglaubliches Geschenk, unendlich größer noch als das Geschenk des Friedens, den wir seit fast 70 Jahren in unserem Land genießen dürfen! Nein, das ist nicht bloß eine allgemeine Feststellung, dass wir Frieden mit Gott haben, sondern dieser Friedensschluss zwischen Gott und dir, der hat sich in deinem Leben ganz konkret vollzogen am Tag deiner heiligen Taufe. Ganz gleich, wie alt du an diesem Tag deiner Taufe warst: Du gehörtest von Geburt an schon zu Gottes Feinden. Doch in der Taufe hat Gott dich in seine Arme geschlossen, obwohl er genau wusste, wie viel Ablehnung und Feindschaft auch in dir steckt, hat dir zugesagt, dass du dich vor ihm nie mehr zu fürchten brauchst, dass du von nun an einen freien Zugang zu ihm hast. Jederzeit darfst du dich an ihn, deinen Vater, wenden im Gebet, immer wieder bist du eingeladen, den freien Zugang zu seinem Altar zu nutzen, den Zugang zur Gnade, in der wir stehen, immer wieder bist du eingeladen, es von neuem zu erfahren: Es gibt nichts, was dich von Gottes Liebe trennen könnte.
Ja, Schwestern und Brüder, ich merke, wie ich jetzt auch, wie der Apostel Paulus, ins Schwärmen gerate, ins Schwärmen darüber, wie wunderbar es ist, ein Christ sein zu dürfen:
Mein Leben gründet sich darauf, dass ich von dem geliebt bin, der mich geschaffen hat, dass ich von dem geliebt bin, der sich durch all meine Ablehnung und Gleichgültigkeit ihm gegenüber nicht davon abhalten lässt, mir immer wieder neu in Liebe zu begegnen, der mir gegenüber Frieden verkündigt, längst bevor ich von mir aus dazu bereit gewesen wäre und bereit bin. Nein, ich muss niemandem beweisen, weder Gott, noch anderen Menschen noch mir selber, was für ein großartiger, wunderbarer Typ ich doch bin. Von Gott bin ich schon längst angenommen, bevor ich mit solch einem Krampf auch nur begonnen habe. Ich muss nicht ständig versuchen, mich irgendwie selber zu rechtfertigen, dass ich eigentlich doch ein ganz anständiger Mensch bin. Das bin ich nicht und brauche es auch gar nicht zu sein. Wichtig ist doch einzig und allein, dass Christus für mich schon gestorben ist, bevor ich Gott mit irgendetwas hätte beeindrucken können. Und ich brauche auch keine Angst zu haben vor Gottes letztem Gericht, obwohl ich dazu eigentlich jede Menge Grund hätte. Denn wenn Gott mit mir schon durch den Tod seines Sohnes Frieden geschlossen hat, wenn er mir diesen Frieden in der Taufe schon längst zugesprochen hat, wie sollte ich jetzt, wo ich sein Kind geworden bin, mich noch einmal vor ihm fürchten müssen? Ja, Gott liebt mich – das klingt so platt, klingt so primitiv und ist in Wirklichkeit doch der Satz, der das ganze und tiefste Glück meines Lebens beschreibt.
Gott liebt mich – nein, das heißt nicht, dass er mir in meinem Leben Schwierigkeiten, Enttäuschungen, schmerzliche Rückschläge, ja nicht zuletzt auch Anfeindungen ersparen würde, wenn ich mich zu seinem Sohn Jesus Christus bekenne. Die frohe Botschaft, die der Apostel Paulus verkündigt, lautet nicht: Glaube an Jesus, und dir geht es gut, und du fühlst dich nur noch glücklich. Noch leben wir in einer Welt, die es einfach nicht wahrhaben will, dass Gott mit ihr Frieden geschlossen hat. Noch leben wir in einer Welt, die auch nach dem großen Friedensschluss am Kreuz immer noch gegen Gott angeht und nichts von ihm wissen will. Noch sind wir nicht an dem Ziel unseres Lebens angelangt, an dem wir einmal für immer in der Gegenwart Gottes strahlen werden. Ja, der Weg zu diesem Ziel, der kann für uns als Christen mitunter ganz schön beschwerlich werden. Doch auch wenn wir das selber oft gar nicht verstehen können, wozu das gut sein soll, was wir in unserem Leben als Christen durchzumachen haben, dürfen wir doch wissen: Gott will auch all das Schwere in unserem Leben uns zum Besten dienen lassen. Bedrängnisse, Enttäuschungen, Krankheiten, Versagen – all das ist kein Zeichen dafür, dass Gottes Liebe uns nicht mehr gelten würde, soll und darf von daher für uns auch kein Anlass sein, uns von Gott abzuwenden, von ihm, der doch alles für uns getan hat, um mit uns im Frieden zu leben. Ja, auch und gerade die schweren Erfahrungen in unserem Leben können uns Christen helfen, im Glauben, im Vertrauen auf Gott zu wachsen, Geduld zu lernen, ja ganz neu zu erkennen, was für eine wunderbare Hoffnung wir als Christen haben.
Was auch in unserem Leben geschehen mag, was wir in unserem Leben auch durchmachen müssen – das Ziel unseres Lebens, das Gott uns versprochen hat, das kann uns keiner nehmen. Das steht so fest, dass wir uns jetzt schon darauf freuen, ja dass wir jetzt schon mit dem Apostel Paulus ein wenig davon schwärmen dürfen. Ich muss keine Angst haben, hier und jetzt in meinem Leben etwas zu verpassen. Das Beste und Wunderbarste steht mir ohnehin noch bevor. Nein, das ist keine billige Vertröstung auf die Zukunft. Der Friede mit Gott, den Gott selber gestiftet hat, der steht doch schon fest, der bestimmt doch schon mein Leben, weil Gott mir doch schon in der Taufe den heiligen Geist ins Herz gegeben hat. Ach, Schwestern und Brüder, bevor ich jetzt immer noch weiter schwärme, mache ich es ganz kurz: Gott liebt uns, hat für uns seinen Sohn in den Tod gegeben, hat mit uns Frieden geschlossen, Frieden, der gilt in alle Ewigkeit. Mensch, was haben wir Christen es gut! Amen.