29.06.2011 | Galater 2,1-10 | Tag der heiligen Apostel Petrus und Paulus

Wie rettet man die Einheit der Kirche? Das ist eine Frage, die im Verlauf der Kirchengeschichte bis zum heutigen Tag immer wieder ganz aktuell gewesen und geblieben ist. Sie hat sich nicht bloß auf der Kirchensynode unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in den vergangenen Tagen in Spandau gestellt, sondern sie stellte sich schon damals ganz zu Beginn der Kirchengeschichte.

Was der Apostel Paulus hier in seinem Brief an die Christen in Galatien schildert, ist nicht bloß eine nette Anekdote, nicht bloß eine ganz interessante Lebenserinnerung eines allmählich älter werdenden Mannes, der sich im Rückblick auf seine Begegnung mit dem angeblichen Vorgänger aller Päpste besinnt. Sondern was uns St. Paulus hier in diesen Versen berichtet, ist ein Ereignis von weltgeschichtlichen Ausmaßen, dessen Dimensionen wohl alle Beteiligten damals kaum ganz erfassen konnten. Wäre das Gespräch zwischen den Aposteln Petrus und Paulus, deren Gedenktag wir heute begehen, damals anders verlaufen, dann würden wir heute Abend wohl kaum hier in Berlin-Zehlendorf in einer christlichen Kirche sitzen. Ja, da könnte einem schon ganz schwindlig werden bei dem Gedanken, was vom Ergebnis dieses damaligen Gesprächs alles so abgehangen hat – wenn wir nicht wüssten, dass der Bau und die Zukunft der Kirche ohnehin nicht in der Hand von uns Menschen, auch nicht in der Hand solch ehrwürdiger Apostel wie Petrus und Paulus lag und liegt, sondern allein in der Hand des Herrn der Kirche, der auch solche Gespräche und Verhandlungen, wie sie uns hier von Paulus geschildert werden, nutzen kann, um seinen Plan mit der Kirche zum Ziel zu bringen.

Vierzehn Jahre war es damals schon her, seit Paulus das erste Mal nach seiner Begegnung mit dem auferstandenen Christus nunmehr als Christ in Jerusalem gewesen war. Viel geschehen war in der Zwischenzeit: Paulus war mittlerweile in Antiochia, einer der damals größten Städte im römischen Reich, tätig, hatte dort aktiv die Entwicklungen in der Gemeinde unterstützt, in der nicht nur Juden, sondern auch ehemalige Heiden, Menschen aus anderen Völkern aufgenommen wurden, wobei diejenigen, die nicht aus dem Judentum stammten, nicht erst vorher noch zum Judentum konvertieren und sich beschneiden lassen mussten, bevor sie dann in die christliche Gemeinde aufgenommen wurden, sondern gleich direkt, ohne Beschneidung, ohne Verpflichtung, die ganzen Gesetze des Alten Testaments einzuhalten, Glieder der christlichen Gemeinde wurden durch die Taufe. Für Paulus selber war das völlig klar: Als er den auferstandenen Christus gesehen hatte, war ihm zugleich auch aufgegangen, dass dieser Christus das Ende des Gesetzes ist, dass es vor Gott nicht mehr um die Einhaltung von Gesetzesvorschriften geht, sondern allein um den Glauben, um die Zugehörigkeit zu dem auferstandenen Christus.

Doch was dem Paulus klar war, das war damals in der ersten Kirche durchaus nicht allen klar: Da gab es vor allem in Jerusalem selber Leute in der christlichen Gemeinde, die genau diesen Standpunkt vertraten: Um Christ werden zu können, muss ich erst einmal Jude werden, wenn ich nicht schon von Geburt an einer bin, muss ich mich erst einmal dazu verpflichten, das jüdische Gesetz einzuhalten. Wer sich daran nicht hält, den können wir nicht als Glied der Kirche Jesu Christi akzeptieren. Und diese Leute, die blieben eben nicht bloß in Jerusalem, sondern die nahmen offenbar auch Kontakt nach Antiochia auf, verbreiteten dort offenbar auch einige Unruhe. Jedenfalls sieht sich Paulus veranlasst, in dieser Angelegenheit nun nach Jerusalem zu ziehen, um dort die Frage zu besprechen, ob er mit seiner Mission unter den Heiden im Konsens der Kirche steht oder nicht, ob also all die Menschen, die aus dem Heidentum stammten und nun ohne Einhaltung des jüdischen Gesetzes, auch ohne Beschneidung Christen geworden waren, als Glieder der Kirche Jesu Christi anerkannt wurden oder nicht.

Paulus reist nicht allein; er nimmt seinen Mitarbeiter Barnabas mit – und außerdem auch noch Titus, einen Griechen, also einen Heiden, der ohne Beschneidung in die Gemeinde in Antiochia aufgenommen worden war. Wir merken schon: Paulus kommt nach Jerusalem nicht als Bittsteller, erst recht nicht, weil er dorthin nach Jerusalem vorgeladen worden wäre, sondern er kommt nach Jerusalem als Apostel, der auf Augenhöhe mit den dortigen Gemeindeleitern, inklusive des Petrus, verkehrt und der durch die Mitnahme des Titus deutlich macht, dass er nicht dazu bereit ist, auch nur einen Millimeter von dem zu weichen, was er als richtig erkannt hat: Natürlich ist Titus Christ, Glied der Kirche Jesu Christi.

Erfreuliches erlebt Paulus zunächst einmal in Jerusalem: Titus wird dort in der Gemeinde in der Tat als Christ anerkannt; niemand stellt die Forderung, Paulus solle Titus nun nachträglich doch noch beschneiden lassen. Völlig harmonisch ging der Besuch dann allerdings doch nicht vonstatten: Da trifft Paulus in Jerusalem auf einige der Leute, die auch in Antiochia schon herumgeschnüffelt hatten und Paulus wegen seines Umgangs mit den dortigen Heiden angeschwärzt hatten. Da ging es dann schon ziemlich hoch her. Doch am Ende ist das Ergebnis klar: Man einigt sich nicht auf die Einsetzung einer paritätisch besetzten Kommission, die die Anliegen beider Seiten in einem gemeinsamen Dokument zusammenfasst, sondern, so formuliert es Paulus hier: „Denen wichen wir auch nicht eine Stunde und unterwarfen uns ihnen nicht, damit die Wahrheit des Evangeliums bei euch bestehen bliebe.“ Wo Wahrheit als Wahrheit erkannt wird, kann es keine Kompromisse, keine taktischen Rückzüge geben; da gilt es, standzuhalten, zu dem Erkannten zu stehen und es nicht etwa zu verwässern. Gerade so bewahrt Paulus die Einheit der Kirche, dass er nicht weicht, nicht nachgibt, sondern auf dem von Christus vorgegebenen Grund der Wahrheit beharrt.

Mit den Gemeindeleitern in Jerusalem hat Paulus dann offenkundig weniger Probleme; wo das Evangelium, das Paulus verkündigt, als Evangelium Jesu Christi anerkannt wird und man damit zugleich auch anerkennt, dass Christus selber durch diese Evangeliumsverkündigung auch in Antiochia, auch unter den Christen, die aus dem Heidentum stammen, am Werk ist, kann man sich auf die Lösung bestimmter praktischer Fragen konzentrieren: Paulus erkennt an, dass Petrus in besonderer Weise verantwortlich ist für die Evangeliumspredigt unter den Juden, und Petrus erkennt mit den anderen Gemeindeleitern in Jerusalem an, dass der auferstandene Christus Paulus mit der Evangeliumsverkündigung unter den Nichtjuden beauftragt hat, ja, dass es Christus selber ist, der es bewirkt hat, dass dort in Antiochia schon so viele Nichtjuden den Weg zum Glauben an Christus gefunden haben. Gemeinsam bekräftigen Jakobus, Petrus und Johannes auf der einen Seite und Paulus und Barnabas auf der anderen Seite diese Übereinstimmung per Handschlag und sprechen sich ab, dass sie einander in ihrer Arbeit nicht ins Gehege kommen wollen: Paulus und seine Mitstreiter aus Antiochia sollen auch weiter besonders unter den Heiden, Petrus und seine Mitstreiter unter den Juden das Evangelium verkündigen. Und doch soll diese Arbeit nicht völlig unabhängig erfolgen: Durch eine Kollekte, die die heidenchristlichen Gemeinden zugunsten der Jerusalemer Gemeinde einsammelten, sollte die Verbundenheit auch dieser neuen heidenchristlichen Gemeinden mit der Muttergemeinde in Jerusalem zum Ausdruck gebracht werden – und genau so hat es Paulus dann auch im Weiteren gehalten.

Wie rettet man die Einheit der Kirche? Zunächst einmal dadurch, dass man sich darauf besinnt, dass wir es gar nicht sind, die die Kirche und ihre Einheit retten können und sollen. Es ist Christus, der damals in Petrus und Paulus je an ihrem Ort wirksam gewesen ist; es ist sein Evangelium, nicht das Evangelium der Apostel, das Menschen zum rettenden Glauben an ihn, den auferstandenen Christus, geführt hat. Es ist nicht unsere Aufgabe, Kirchengemeinschaft aufzurichten, als ob wir sie begründen könnten; sondern wir können die Einheit der Kirche immer wieder nur erkennen und anerkennen und darüber staunen, wie es damals Petrus und Paulus auch getan haben.

Doch eines macht Paulus hier sodann auch ganz deutlich: Wo es um die Wahrheit der Botschaft geht, die uns von Christus anvertraut ist, da kann es nicht um Kompromisse gehen, nicht darum, Gegensätze aufzuheben durch den Verweis auf gemeinsame Anliegen, da kann nicht taktiert und nicht nachgegeben werden. Da muss dann auch falsche Lehre als falsche Lehre bezeichnet werden und darf nicht versucht werden, diese falsche Lehre vielleicht doch noch irgendwie in eine äußere Einheit der Kirche zu integrieren. Ja, gerade so wird der wahren Einheit der Kirche gedient, dass die Wahrheit des Evangeliums, die Wahrheit der Botschaft Christi ohne Abstriche bezeugt und dann auch im Gottesdienst der Kirche verkündigt und praktiziert wird.

Und dort, wo man sich, wie damals Paulus und Petrus, auf diese gemeinsame Verkündigung geeinigt hat, da kann man dann sehr wohl darüber sprechen, dass diese Verkündigung von unterschiedlichen Menschen an unterschiedlichen Orten wahrgenommen wird und dass dabei auf die Herkunft derer, denen das Evangelium verkündigt wird, Rücksicht genommen wird. Und doch gehören diese so unterschiedlichen Menschen, die durch das eine Evangelium erreicht werden, zu der einen Kirche, auch wenn sie ihren Glauben in mancherlei Hinsicht unterschiedlich leben mögen. Hauptsache, sie sind alle miteinander an den einen Christus, an sein Evangelium, an sein Wort, an seinen Auftrag rückgebunden. Etwas von dieser Vielfalt unter dem einen Christus erleben wir ja auch immer wieder hier in unserer Gemeinde.

Doch an einen Aspekt der Einheit der Kirche erinnert uns diese Geschichte von Petrus und Paulus zugleich auch schmerzlich: Zur Einheit der Kirche gehört nach ihrer Übereinkunft auch die Einheit von Christen, die aus dem Judentum stammen, und von Christen, die nicht aus dem Judentum stammen. Gerade auch diese Einheit der Kirche ist damals während des Dritten Reiches hier in Deutschland in furchtbarer Weise in Frage gestellt und schließlich dadurch aufgelöst worden, dass am Ende fast nur noch eine Kirche von Nichtjuden übrig blieb. Und wenn heute nun wieder Christen, die aus dem Judentum stammen, die Berechtigung abgesprochen wird, im Konsens der einen, christlichen Kirche zu stehen, wie man dies jüngst wieder auf dem Evangelischen Kirchentag in Dresden erleben konnte, an dem Christen, die aus dem Judentum stammten, nicht teilnehmen durften, dann ist auch dies ein Schlag ins Gesicht von Petrus und Paulus und ihrer Vereinbarung über die Einheit der Kirche, die uns hier geschildert wird. Niemand, wirklich niemand soll aus der Einheit der Kirche Jesu Christi aufgrund seiner Herkunft ausgeschlossen werden – und die, denen zuerst Petrus das Evangelium verkündigt hat, erst recht nicht! Amen.