12.05.2011 | St. Johannes 16,5-15 | Heiliges Pfingstfest

Es war ein schwerer Tag für die ganze Firma: Der Firmengründer, der die Firma aus kleinsten Anfängen mit großem Einsatz und vielen guten Ideen und Erfindungen zu einem beachtlichen Unternehmen aufgebaut hatte, war plötzlich verstorben. Und so hielt nun der neue Firmenchef eine bewegende Abschiedsrede auf den verstorbenen Chef und gelobte, das Unternehmen auch künftig ganz im Geiste des Firmengründers weiterzuführen. „In unseren Herzen wirst du immer weiterleben“, so schloss er seine Rede.

In einer ganz ähnlichen Lage wie jene Firma scheinen auch wir uns als Kirche heutzutage zu befinden: Auch wir leben ganz offenkundig von dem, was unser Firmengründer Jesus Christus für uns getan hat, leben von seinen Worten, von seinen Ideen, von seinem Einsatz für uns. Aber nun hat uns unser Firmengründer verlassen, und da scheint es erst einmal gar keine große Rolle zu spielen, ob er vor seinem Abschied nun noch auferstanden ist oder nicht: Er ist jedenfalls nicht mehr zu sehen, scheint uns allein unserem Schicksal zu überlassen. Und uns als Kirche scheint nicht mehr übrigzubleiben, als sein Unternehmen in seinem Sinne, in seinem Geiste weiterzuführen; ja, scheinbar haben wir doch gar keine andere Wahl, als selber die Zukunft des Unternehmens, das nun unser Unternehmen geworden ist, mit unseren Anstrengungen, mit unseren Ideen, mit unserem Einsatz zu sichern.

Wie wir das Unternehmen „Kirche“ am besten retten, dafür gibt es dann durchaus eine ganze Reihe von verschiedenen Strategien: „Einigeln“, rufen die einen, möglichst hohe Mauern zur bösen Welt draußen bauen, kleine kuschelige Kreise bilden und pflegen, in denen sich die Leute wohlfühlen und sich dabei hoffentlich nebenbei auch so kräftig vermehren, dass wir auf ganz natürliche, biologische Weise unsere Zukunft sichern! Nein, „anpassen!“, rufen die anderen: Wir werden die Zukunft der Kirche nur so sichern, dass wir uns an dem orientieren, was die Leute heute so denken und wünschen, und uns ihren Erwartungen und Bedürfnissen anpassen. Keinesfalls dürfen wir irgendwie altmodisch oder zurückgeblieben erscheinen; eher tun wir gut daran, uns immer wieder neu an die Spitze der jeweiligen gesellschaftlichen Bewegungen zu setzen. Dann haben wir die Massen, die wir brauchen, um auch in Zukunft als Kirche überleben zu können! Und wieder andere richten ihre Hoffnung für die Zukunft der Kirche auf bestimmte Hoffnungsträger, die die Leute anzuziehen vermögen, sei es im kleinen Rahmen dieser oder jener Pastor oder im größeren Rahmen, etwa auf einem Kirchentag, die eine oder andere Ex-Bischöfin. Und dann sind da natürlich auch noch diejenigen, die fest davon überzeugt sind, man könne das Unternehmen „Kirche“ dadurch effektiv zukunftsfähig machen, dass man sie gründlich umbaut und stromlinienförmig macht: Lehre verändern, Gottesdienst verändern, Lieder und Musik verändern – dann werden die Leute schon kommen.

Eines haben all die Versuche, das Unternehmen „Kirche“ zu retten, allerdings gemeinsam: Sie können alle letztlich ganz gut auf Pfingsten verzichten, auf das, was Christus uns zum Thema „Pfingsten“ in der Predigtlesung des heutigen Festtags zu sagen hat. Denn der macht hier seinen Jüngern und auch uns deutlich, dass er keinesfalls gedenkt, sich aus dem Staub zu machen und die Zukunft der Kirche in unsere Hände zu legen. Er begnügt sich nicht damit, als Firmengründer im Gedächtnis späterer Generationen gegenwärtig zu bleiben und sie in seinem Geist weiterarbeiten zu lassen, sondern er bleibt, im Bilde gesprochen, der Firmenchef, der sein Unternehmen auch weiter lenkt und gerade so dessen Zukunft allemal besser sichert, als wir dies je könnten.

Es ist eben keinesfalls egal, ob Christus nach seiner Kreuzigung tot im Grab geblieben ist oder sein Grab als der Auferstandene wieder verlassen hat. Wäre er tot geblieben, könnten wir das Unternehmen „Kirche“ letztlich eben doch dicht machen, hätten wir auf die Dauer keine Existenzberechtigung und keine Zukunftsperspektive. Doch weil Christus auferstanden ist, behält er das Heft des Handelns in seiner Hand, ganz gleich, ob er für seine Jünger und für uns nun zu sehen ist oder nicht. Er entscheidet, wo er hingeht – und er trifft dabei zugleich die wichtigste Personalentscheidung für die Zukunft des Unternehmens „Kirche“: Er entscheidet, dass für den Kurs und die Zukunft der Kirche nach seiner Auferstehung ein von ihm bevollmächtigter Rechtsanwalt zuständig sein wird. Dieser Rechtsanwalt ist kein Mensch, erst recht kein Winkeladvokat, der mit allen möglichen Tricks versucht, verkrachten Existenzen doch noch ein Überleben zu ermöglichen. Sondern dieser Rechtsanwalt, so nennt ihn Christus selber hier, stammt von Gott selber, ja, ist Gott selber, kann von daher von Christus auch „Geist der Wahrheit“ oder „Heiliger Geist“ genannt werden.

Und dieser Heilige Geist ist nun in der Tat, so macht es uns Christus hier deutlich, etwas völlig anderes als all die „Geister“, von denen wir sonst in unserer Alltagssprache zu sprechen pflegen: Er ist nicht so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl, das Menschen ergreift, die gerade dasselbe erleben. Er ist nicht eine Idee eines längst verstorbenen Menschen, die auch über dessen Tod hinaus in einer Gemeinschaft weiterlebt. Er ist nicht so etwas wie ein Fluidum, eine besondere geistige Atmosphäre, die irgendein bedeutender Mensch hervorzurufen vermag. Der Heilige Geist ist überhaupt nicht bloß ein „Etwas“, ein Gefühl, eine Wirkung, sondern er ist, wenn wir denn unsere menschlichen Worte auf ihn anwenden wollen, in der Tat eine Person. Genau darum geht es Jesus hier zunächst einmal, wenn er von diesem Heiligen Geist als von einem Advokaten, einem Rechtsanwalt spricht. Der ist ein echtes personales Gegenüber, dessen Wirken hängt nicht von mir, von meiner Vorstellungskraft, von meinen Emotionen ab, sondern der kommt, um zu helfen, und zwar gerade dort, wo die Betroffenen selber gar nicht mehr weiterkönnen und weiterwissen.

Der Heilige Geist, dieser Rechtsanwalt, er kommt. Er kommt zu uns, einzig und allein deshalb, weil er losgeschickt worden ist von dem, der der Herr der Kirche ist und bleibt, weil er losgeschickt ist von Christus. Wo immer also der Heilige Geist am Werk ist, da macht er zunächst einmal durch sein Wirken dies eine schlicht und einfach deutlich: Christus ist nicht weg, er hat die Führung seiner Kirche nicht aufgegeben; im Gegenteil: Er lenkt die Geschicke seiner Kirche auch weiter durch diesen Geist, diesen Rechtsanwalt, den er zu uns sendet. Damals kündigte Christus seinen Jüngern das Kommen dieses Geistes der Wahrheit noch an. Fast zweitausend Jahre später dürfen wir staunend erkennen: Er ist gekommen, der Geist der Wahrheit, hat die Kirche nicht nur begründet, sondern bis zum heutigen Tag erhalten, trotz all der fragwürdigen Gestalten, die in der Kirche in den vergangenen zweitausend Jahren am Werk gewesen sind, ja, obwohl die Kirche ihn, den Heiligen Geist, in ihrem Denken und Handeln oft genug übersehen und vergessen hat.

Als „Tröster“ bezeichnet Martin Luther den Heiligen Geist hier in seiner Übersetzung, und in der Tat: Das mit dem „Trösten“, das steckt nicht nur in dem betreffenden griechischen Wort drin, sondern genau damit wird auch das Tun dieses göttlichen Rechtsanwalts wunderbar umschrieben: Er tröstet Menschen, die glauben, völlig auf sich allein gestellt zu sein, die glauben, selber die Zukunft der Kirche, ja auch ihre eigene Zukunft gewährleisten und retten zu müssen. Er tröstet Menschen schon allein dadurch, dass er kommt, denn mit seinem Wirken macht er dies Eine immer und immer wieder deutlich: Christus hat euch nicht aufgegeben; er ist nicht weg; er baut seine Kirche noch weiter; er schenkt euch auch weiter den Glauben an ihn, den auferstandenen Herrn.

Der Heilige Geist ist also keine Notlösung, die Jesus eingerichtet hat, weil er sich nun in andere Gefilde zurückgezogen hat, sondern etwas Besseres kann uns als Kirche, als Christen gar nicht passieren, als dass Christus diesen Heiligen Geist, diesen Rechtsanwalt für uns tätig werden lässt, so fährt er selber hier in seiner Ankündigung gegenüber seinen Jüngern fort:
Christus, hat damals schon genau vorausgesehen, was auch für uns heutzutage hier in unserer Stadt geradezu eine Alltagserfahrung ist: Wenn wir als Christen unseren Glauben an Christus bekennen, dann können wir in aller Regel nicht damit rechnen, dass wir damit Begeisterungsstürme ernten. Im Gegenteil: Zumeist werden wir dafür eher belächelt, vielleicht sogar angegriffen, wie wir immer noch so verbohrt sein können, uns in unserem Glauben so konkret an diesen Jesus Christus zu binden. Nun ja, irgendwie an ein höheres Wesen zu glauben, das mag man ja noch tolerieren; aber dass Christus der einzige Weg zu Gott sein soll, der einzige Herr und Retter, dass von unserer Beziehung zu ihm unsere Zukunft, unser Geschick abhängt – mit solch einer Einstellung kommt man heutzutage ja noch nicht einmal bei einem Evangelischen Kirchentag durch. Eine bemitleidenswerte, allmählich aussterbende Spezies scheinen wir Christen zu sein, wenn wir allen Ernstes zu dem stehen, was der Evangelist Johannes in seinem Evangelium über Christus schreibt und berichtet. Keine Chance haben wir, mit diesem Glauben vor der Kritik der Menschen, vor ihrem Urteil zu bestehen.

Doch in Wirklichkeit, so macht es Christus hier deutlich, verhält es sich genau umgekehrt: Unsere Verkündigung als Christen ist eben nicht bloß unsere persönliche Meinung, und unser Glaube an Christus nicht bloß unsere persönliche Einbildung. Sondern in dem, was wir glauben und verkündigen, ist er, der Heilige Geist, der Rechtsanwalt, selber am Werk. Er ruft Menschen durch das Wort der Verkündigung immer wieder neu in die Entscheidung: Verschließen sie sich der Einladung, an ihn, Christus, zu glauben, so sprechen sie sich damit selber das Urteil. Ja, denke daran, wenn dich das nächste Mal jemand blöde anmacht wegen deines Bekenntnisses zu Christus: Du stehst nicht allein da, du hast ihn, den Heiligen Geist, den Rechtsanwalt, an deiner Seite. Und der wird dir einmal endgültig zum Recht verhelfen. Ja, der Tag wird kommen, an dem für alle Menschen offenbar werden wird, was für ein Fehler es war, ihn, Christus, und seine Botschaft nicht ernst zu nehmen. Der Tag wird kommen, an dem auch all diejenigen vor ihm, Christus, zu Boden sinken und ihn anbeten werden, die jetzt nur dumme Sprüche für ihn übrig haben. Ja, denke daran: Du stehst auf der Seite des Siegers; es ist nicht deine persönliche Meinung, die du im Gespräch mit anderen verteidigen musst, wenn du von Christus sprichst. Es ist Christus selber, der auch durch dich diese anderen Menschen anspricht. Und Christus hat es doch schon gezeigt, dass er stärker ist als alle Mächte, die ihn für immer von der Bildfläche verschwinden lassen wollten.

Mach dir also keine Sorgen: Deine Zukunft und die Zukunft der Kirche, sie hängen nicht an dir. Der Heilige Geist selber wird dafür sorgen, dass du Zukunft hast und dass die Kirche Zukunft hat. Wie macht er das? Christus formuliert es hier so: Er, der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit, wird euch in alle Wahrheit leiten. Er wird euch immer wieder die Augen dafür öffnen, was es heißt, hier und jetzt an Christus zu glauben, wird euch die Augen dafür öffnen, welchen Weg ihr als Christen und als Kirche gehen sollt.

Ein wunderbares, tröstliches Versprechen ist das, das Christus uns hier gibt. Und doch ist dieses Versprechen in der Geschichte der Kirche oft genug missverstanden und missbraucht worden. Denn wir neigen als Menschen, ja auch als Christen immer wieder dazu, den Heiligen Geist mit unserem eigenen beschränkten menschlichen Geist zu verwechseln. Und dann kommen wir als einzelne Christen und als Kirchen nur allzu leicht dazu, unsere eigenen persönlichen Vorstellungen als Meinung des Heiligen Geistes zu verkaufen, die entsprechend dann auch nicht mehr in Frage gestellt werden kann.

Doch Christus gibt uns hier einen ganz wichtigen Maßstab dafür in die Hand, woran wir erkennen können, dass es wirklich der Heilige Geist ist, mit dem wir es zu tun haben, dass er es ist, der uns leitet: „Er wird mich verherrlichen“, sagt Christus hier, ja, „von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen.“ Das heißt: Der Heilige Geist leitet uns so in alle Wahrheit, dass er uns Christus immer besser zu erkennen hilft, dass uns immer deutlicher wird, was Christus selber zu uns gesagt und was er für uns getan hat. Martin Luther hat das einmal sehr anschaulich formuliert, der Heilige Geist sei ein armer Heiliger Geist, weil ihm immer wieder nichts anderes einfalle, als von ihm, Christus, zu reden, er kenne kein anderes Thema. Daran können wir also als Christen und als Kirche erkennen, ob wir vom Heiligen Geist in alle Wahrheit geleitet werden, wenn uns Christus immer klarer vor Augen gestellt wird, wenn er uns immer größer und wichtiger wird. Der Heilige Geist leitet uns also nicht so in alle Wahrheit, dass er uns erkennen lässt, wie wir am besten die Energieversorgung in unserem Land sichern und welche außenpolitischen Strategien wir am besten verfolgen sollen. Wenn eine Kirche nur noch über solche Themen zu reden vermag, dann zeigt das, dass sie in Wirklichkeit geistlos geworden, von Gottes gutem Geist verlassen ist. Wenn eine Kirche glaubt, ihre Zukunft dadurch sichern zu können, dass sie Strategien und Programme erarbeitet, dann zeigt auch das, dass sie in Wirklichkeit geistlos geworden, von Gottes gutem Geist verlassen ist. Wenn eine Kirche dagegen nichts Anderes tut als immer und immer wieder von Christus zu reden, auf ihn zu weisen, auf seine Gegenwart in unserer Mitte in seinem Wort, in seinem Heiligen Mahl, dann mag man sie als weltfremd oder gar reaktionär belächeln und ihr den baldigen Untergang voraussagen. Doch in Wirklichkeit hat sie einen Rechtsanwalt auf ihrer Seite, der tausendmal besser ist als die Rechtsanwälte von Herrn Kachelmann und Herrn Strauß-Kahn zusammen, einen Rechtsanwalt, dessen Strategie tausendprozentig aufgehen wird, weil er mit dem Herrn und Richter der Welt, mit Christus gemeinsame Sache macht.

Nein, wir stehen heute zu Pfingsten nicht da als trauernde Hinterbliebene eines heimgegangenen Firmengründers. Wir feiern heute an Pfingsten, dass wir eine große Zukunft vor uns haben, weil unser Herr lebt und seine Kirche durch seinen Geist so leitet, dass sich am Ende einmal für alle sichtbar herausstellen wird, wie gut und richtig es war, in seinem Unternehmen zu bleiben. Nein, wir brauchen die Kirche wahrlich nicht zu retten. Aber wir haben es nötig, gerettet zu werden, indem wir bei Christus bleiben und an ihn glauben. Ja, genau dazu helfe uns unser Tröster, unser Rechtsanwalt, Gott der Heilige Geist! Amen.