04.05.2011 | 1. Petrus 1,22-25 | Mittwoch nach Quasimodogeniti

„Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!“ – Dieser Spruch des früheren Fußball-Bundestrainers Sepp Herberger ist mittlerweile längst zum geflügelten Wort geworden: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – das bedeutet: Es hat keinen Zweck, sich nach einem Fußballspiel entweder im Glanz eines Sieges zu sonnen oder umgekehrt nach einem verlorenen Spiel mit den Gründen für die Niederlage zu hadern. Nicht nach hinten soll man schauen, sondern nach vorne, sich auf das kommende Fußballspiel konzentrieren, um dieses Spiel zu gewinnen. Wer am Vergangenen klebt, steht in der Gefahr, nicht richtig vorbereitet zu sein auf das, was da kommt.

„Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!“ – Könnte man mit diesem Spruch Sepp Herbergers nicht auch unser Leben als Christen gut kennzeichnen? Immer nach vorne blicken, immer bereit sein für die nächste Herausforderung, statt sich immer noch mit längst Vergangenem zu beschäftigen?

Der heilige Petrus macht uns in der Abendlesung des heutigen Tages deutlich, dass es im Leben von uns Christen doch noch einmal etwas anders zugeht als auf dem Fußballplatz. Es geht eben nicht bloß um ein Spiel oder gar um eine Abfolge von Spielen, sondern unser Leben als Christen ist in der Tat von etwas Einmaligem bestimmt, auf das wir in der Tat zurückblicken dürfen und sollen, ist bestimmt von unserer heiligen Taufe. Und da merken wir schon, dass sich darauf der alte Herberger-Spruch eben nicht anwenden lässt: Nach der Taufe ist nicht vor der Taufe. Die Taufe verliert nicht als etwas Vergangenes irgendwann ihre Bedeutung, verblasst nicht irgendwann angesichts neuer anstehender Herausforderungen, ist nicht ein abgeschlossenes Ereignis der Vergangenheit, das für die Gegenwart und Zukunft unwichtig wird. Sondern was auch in unserem Leben als Christen geschieht – alles ist und bleibt gegründet in diesem einmaligen Ereignis der Taufe.

Mit zwei eindrücklichen Bildern beschreibt St. Petrus hier, was da in unserer Taufe geschehen ist: Zum einen hat dort eine Reinigung stattgefunden, so umschreibt der Apostel das Taufgeschehen hier zunächst einmal. Wovon unsere Seelen gereinigt worden sind, sagt er hier nicht ausdrücklich. Wir können es nur aus dem Ergebnis dieser Reinigung erschließen, das der Apostel hier schildert: In der Taufe hat eine Reinigung unserer Seelen im Gehorsam der Wahrheit  zu ungefärbter Bruderliebe stattgefunden, so formuliert es St. Petrus hier. Das heißt auf Deutsch: Unsere Personmitte, das, was uns als Menschen prägt und bestimmt, war und ist von Natur aus völlig falsch gepolt, völlig falsch ausgerichtet: Wir kreisen nur um uns selber, sehen uns und das, was wir wahrnehmen und erkennen, als das Maß aller Dinge an. Doch im Zusammenhang mit unserer Taufe ist uns nun ein klarer Blick geschenkt worden, ein Blick auf die Wahrheit – und damit ist gemeint: Ein Blick auf das, was Gott durch Jesus Christus für uns und an uns getan hat. Weil wir getauft sind, können wir erkennen: Entscheidend in unserem Leben ist nicht das, was wir tun und leisten; entscheidend ist einzig und allein, was Gott an uns und für uns tut. Und genau daran hat uns nun unsere Taufe Anteil gegeben: Wir leben von nun ab aus Gottes Liebe und Zuwendung zu uns. Das erkennen wir staunend und fröhlich an, „gehorchen“ in diesem Sinne der Wahrheit, also dem, was durch die Taufe für uns Realität geworden ist. Und damit werden wir dann auch frei, uns anderen, ganz konkret den Brüdern und Schwestern in der Gemeinde zuzuwenden, weil uns in der Taufe eine neue Ausrichtung in unserem Leben geschenkt worden ist, weil wir in diesem Sinne gereinigt worden sind.

Und wiedergeboren worden sind wir zum anderen in unserer Taufe, so betont es St. Petrus hier. Wiedergeboren sind wir – das heißt: Wir haben ein neues Leben geschenkt bekommen, das nicht der Vergänglichkeit unterworfen ist wie das Leben, in das wir von unserer Mutter hineingeboren wurden. Niemals kann diese Wiedergeburt für uns bloß ein Ereignis der Vergangenheit sein, das wir irgendwann einmal hinter uns lassen. Im Gegenteil: Bis in die letzte Stunde unseres Lebens hinein darf eben dies unser Trost und unsere Hoffnung sein, dass wir durch unsere Taufe bereits in dieses neue Leben hineingeboren sind, das auch unser leiblicher Tod nicht mehr zunichte machen kann. Was damals in unserer Taufe geschehen ist, bleibt von daher Gegenwart an allen Tagen unseres Lebens.

Leben als Christ – das heißt also in der Tat, dass wir in unserem Leben immer wieder ganz bewusst zurückblicken: Dass wir zurückblicken auf die Wahrheit, die Gott durch die Auferstehung seines Sohnes gesetzt hat, und dass wir zurückblicken auf unsere Taufe, auf die Reinigung, auf die Wiedergeburt, die dort stattgefunden hat. Doch gerade dieser Blick zurück ermöglicht es uns dann auch, nach vorne zu blicken, jawohl, als Christen anders zu leben, als wenn wir dieses einmalige Geschehen unserer Taufe nicht im Rücken hätten:
Als Christ zu leben, das bedeutet zunächst einmal: Immer wieder auf das Wort des Evangeliums zu hören, das uns verkündigt wird. Gewiss, es ist immer wieder dasselbe Wort, das wir vernehmen; es ist das Wort von Christus und dem, was er für uns tut. Doch dieses Wort hat eine ungeheure Kraft, so betont es St. Petrus hier: Es hat nicht nur die Kraft, durch das Wasser der Taufe uns die Wiedergeburt zu einem neuen Leben zu schenken, sondern es hat immer wieder neu die Kraft, unser Leben auf das auszurichten, was wirklich bleibt und trägt: auf Gottes Versprechen, die kein Verfalldatum kennen, die nicht irgendwann überholt und überflüssig werden. Weil wir wissen, was dieses Wort Gottes in der Taufe an uns gewirkt hat, wissen wir zugleich, dass es sich lohnt, demselben Wort Gottes auch in der Predigt immer wieder zuzuhören, weil es eben nicht bloß Menschenwort, nicht bloß leeres Gerede ist, sondern unvergänglicher Same, der auch viele Jahre später, nachdem er bei uns eingepflanzt ist, immer noch Frucht bringen kann. Ja, was du auch jetzt in dieser Predigt hörst, ist nicht bloß menschliche Rede, sondern Aussaat des unvergänglichen Samens des Wortes Gottes, der auch in deinem Herzen, in deiner Seele Frucht bringen will.

Und als Christ zu leben, bedeutet zum anderen, dass wir bewusst in der Gemeinschaft der Gemeinde als der Gemeinschaft der Familie Gottes leben, dass wir uns aus ihr nicht ausklinken, nicht meinen, als Christen ohne die Brüder und Schwestern in der Gemeinde auskommen zu können. Anders ausgedrückt: Die Bruderliebe, oder, wie wir es heute formulieren würden: die Liebe zu den Brüdern und Schwestern in der Gemeinde ist es, die unser Leben als Christen immer wieder von neuem bestimmt. Ich kann als Christ nicht einfach meinen Glauben an meinen Heiland Jesus Christus pflegen und mich dabei zugleich aus der Gemeinschaft der Gemeinde zurückziehen, weil mir meine Brüder und Schwestern dort nicht passen. Gerade dazu hat Christus mir in der Taufe doch das Herz gereinigt, dass ich mich den anderen Geschwistern in der Gemeinde zuwenden kann, nein, nicht bloß mit einer frommen Maske, nicht bloß mit einer äußerlichen Freundlichkeit, die verbirgt, was ich in Wirklichkeit über die Brüder und Schwestern in der Gemeinde denke. Sondern die Liebe, zu der mich meine Taufe befähigt, ist ungeheuchelt, so betont es St. Petrus, geschieht im Einklang mit unserem Herzen. Wenn wir denn aus unserer Taufe leben, wenn die nicht bloß ein längst vergangener Akt der Vergangenheit ist, dann werden wir nicht anders über die Brüder und Schwestern in der Gemeinde denken, als wir mit ihnen reden, dann werden wir mit ihnen solche Geduld haben, dass wir unsere Liebe zu ihnen nicht von ihrem Wohlverhalten abhängig machen.

Das klingt alles utopisch, meinst du, lässt sich in Wirklichkeit doch auch in unserer Gemeinde gar nicht umsetzen? Wenn nach dem Spiel vor dem Spiel wäre, hättest du Recht. Wenn es nur auf dich und deine Einsatzbereitschaft, deinen guten Willen ankäme, dann wäre all das, was ich gerade gesagt habe, nur eine mittelmäßige Moralpredigt, mehr nicht. Doch weil deine Taufe eine Realität ist, die dein Leben bestimmt, darum kannst du, was dir sonst gar nicht möglich wäre, kannst du auch die Herausforderungen bestehen, vor die dich Christus im Zusammenleben unserer Gemeinde immer wieder stellt. Liebe schenkt er dir, und zur Liebe ruft er dich – nein, nicht zu irgendwelchen Gefühlen, die du gegenüber anderen Gemeindegliedern hegen sollst, sondern dazu, dass du Ernst damit machst, dass die anderen, mit denen du gemeinsam in der Kirchenbank sitzt, deine Schwestern und Brüder sind, die du dir nicht ausgesucht hast, so wenig, wie man sich auch in der Familie seine Brüder und Schwestern aussuchen kann, und mit denen du doch durch die gemeinsame Geburt aus dem wirksamen Wort Gottes in der Taufe verbunden bist. Lebe also gerade nicht so, als sei nach dem Spiel einfach nur vor dem Spiel. Lebe im Gegenteil aus der Kraft dessen, was schon hinter dir liegt. Du musst den Kampf, in den du gestellt bist, doch auch nicht selber gewinnen. Du hast ihn doch auf deiner Seite: Christus, den Sieger, der dich in der Gemeinschaft dieser Gemeinde selig machen will. Amen.