09.01.2011 | St. Matthäus 4,12-17 | Fest der Taufe Christi

Als koptischer Christ lebt man in diesen Tagen gefährlich – nicht nur in Ägypten, sondern auch hier in Deutschland. Unschuldige Menschen müssen um ihr Leben fürchten, ja haben bereits ihr Leben verloren, nur weil irgendjemand das Märchen in die Welt gesetzt hat, dass angeblich in einem koptischen Kloster zwei Muslimas gegen ihren Willen gefangen gehalten werden sollen, ja letztlich sogar nur weil sie, die Kopten, es wagen, in einem islamischen Land immer noch Christen zu sein und nicht zum Islam zu konvertieren. Der Anschlag in Alexandria war gewiss ein trauriger Höhepunkt der Leidensgeschichte der koptischen Christen in den letzten Jahren in Ägypten; doch wer bei dem Vortrag des koptischen Bischofs Damian in unserer Gemeinde vor einigen Jahren genau hingehört hatte, der weiß, was für Schikanen koptische Christen auch in ihrem Alltag in Ägypten immer wieder ausgesetzt sind, ja, dass sie nicht selten auch unabhängig von irgendwelchen Terrorkommandos wegen ihres Christseins um ihr Leben fürchten müssen.

Wie reagieren koptische Christen auf diese Bedrohung, die letztlich seit der Eroberung Ägyptens durch den Islam zu ihrem Alltag gehört? Viele von ihnen, vor allem auch viele junge Männer, regieren darauf, indem sie sich auf die Innenseite ihres Unterarms ein Kreuz tätowieren lassen. Wenn es wirklich darauf ankommt, sollen sie nicht in Versuchung kommen können, ihren Glauben zu verleugnen. Jeder soll nachgucken und sehen können: Das ist ein Christ, einer, der durch die Taufe mit dem gekreuzigten Christus verbunden ist. Nichts, aber auch gar nichts soll da zweideutig und verschwommen bleiben.

So etwas Ähnliches, Schwestern und Brüder, wird uns auch in der Predigtlesung des heutigen Sonntags geschildert: Da erfährt Jesus davon, wie Johannes der Täufer wegen seiner Predigt verfolgt und gefangen genommen wird. Und was macht er? Er „zieht sich zurück“, so übersetzt Martin Luther hier. Aber genau das ist hier mit dem griechischen Wort gerade nicht gemeint. Christus kneift nicht, sondern er bleibt ganz bewusst im Herrschaftsgebiet des Landesfürsten Herodes, ja, macht sich nun genauso angreifbar wie Johannes selber, indem er dessen Predigt wortwörtlich wiederholt und damit weiterführt. Ja, auch Christus will gar nicht erst den Schein von Zweideutigkeit aufkommen lassen, dass jemand denken könnte, er würde sich jetzt, da Johannes verhaftet ist, vielleicht doch von ihm und seiner Botschaft distanzieren. Er zieht um, nimmt sich nun einen festen Wohnsitz in Kapernaum, unter dem er angetroffen, an dem er, wenn es denn so sein sollte, auch verhaftet werden könnte. Wir wissen es aus dem weiteren Verlauf des Evangeliums: Noch bleibt ihm etwas Zeit, bis schließlich auch er verhaftet wird, bis schließlich auch er sein Blut vergießt, eben weil er sich gerade nicht zurückzieht, als es brenzlig wird.

Schwestern und Brüder: Würdet ihr euch auch solch ein Kreuz auf euren Innenarm tätowieren lassen, um im Zweifelsfall als Christ erkannt werden zu können? Ja, das Taufkreuz um den Hals, das ist schon eine schöne Sache, wenn man es denn erst nimmt und es nicht bloß als Schmuckstück trägt. Aber ein Taufkreuz kann man im Zweifelsfall dann eben doch sehr viel schneller mal abnehmen und verschwinden lassen als einen tätowierten Unterarm! Und würdet ihr hier sonntags auch noch zum Gottesdienst kommen, wenn ihr damit rechnen müsstet, dass hier vor der Kirche irgendwann einmal eine Autobombe hochgeht, oder würde es denen, die euch damit bedrohen, tatsächlich gelingen, euch mit diesen Drohungen von der Teilnahme am Gottesdienst, am Sakrament abzuhalten? Brüder und Schwestern, diese Fragen sind ja nicht an den Haaren herbeigezogen. Es sind Fragen, die sich Christen in nicht wenigen Ländern dieser Erde immer wieder zu stellen haben, ob sie ihr Leben, ob sie ihre Gesundheit wegen eines Gottesdienstbesuchs riskieren. Und wie viele riskieren es tatsächlich, haben es gerade auch in den vergangenen Tagen wieder riskiert, riskieren es auch gerade heute an diesem Sonntag wieder!

Zur Eindeutigkeit werden Christen in vielen Ländern dieser Erde schlicht und einfach durch die äußeren Umstände gezwungen. Für sie ist es völlig klar: Ich kann nicht ein bisschen Christ sein, ich kann nicht nebenbei ein wenig Christ sein, solange es mir passt, solange es mir vielleicht gar den einen oder anderen Vorteil bringt. Das ist bei uns hier in unserem Land anders: Da ist die Gefahr tatsächlich vorhanden, den christlichen Glauben als Hobby zu betreiben, zu taktieren, das Christsein lieber zu verstecken, wenn es einem peinlich wäre, dabei erwischt zu werden, und dann wieder aufzutauchen, wenn es einem etwas zu bringen scheint. Nein, Schwestern und Brüder, es geht überhaupt nicht darum, dass wir uns nun selber irgendwie in eine Märtyrerrolle befördern sollen, in der wir uns, Gott sei Dank, hier zurzeit gar nicht befinden. Es geht um unser Herz, es geht um die Frage, was mir Christus und das, was er für mich getan hat, eigentlich wert ist. Jeder von uns weiß selber, was für Gedanken ihm durch den Kopf gegangen sind bei den Fragen, die ich eben gestellt habe. Christus bringt die Sache hier in unserer Predigtlesung jedenfalls auf den Punkt: „Tut Buße!“ – So ruft er es auch uns zu. „Tut Buße!“ – das klingt jetzt erst einmal sehr altertümlich, ja geradezu missverständlich: Es geht weder darum, dass wir etwas tun, etwas leisten sollen, noch geht es erst recht darum, dass wir eine Art von Wiedergutmachung leisten sollten für etwas, was wir angerichtet haben. Sondern es geht Christus um die Ausrichtung unseres Lebens: Woran orientieren wir uns, was ist uns wirklich wichtig? Und vor allen Dingen: Was ist uns möglicherweise wichtiger als Gott, als er, Christus, selber? Was würden wir um Christi willen lieber nicht aufgeben, wofür würden wir lieber auf Christus verzichten, als daran nicht länger festhalten zu können?

Doch halt – es geht in unserer Predigtlesung nicht darum, uns unter Druck zu setzen, und entsprechend soll es auch in dieser Predigt nicht darum gehen, uns ein schlechtes Gewissen zu machen, damit wir uns künftig mehr anstrengen, bessere Christen zu werden. Nicht auf unseren guten Willen zielt das, was uns St. Matthäus hier beschreibt. Sondern er möchte uns im Gegenteil ganz groß machen, wer Christus ist und was er tut, damit es für uns gar keine Frage mehr ist, ob wir uns denn nun an ihn halten sollen oder nicht.

Christus predigt eben nicht bloß: „Tut Buße!“, sondern er gibt auch den Grund an: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ Brüder und Schwestern, ist euch das klar, was das heißt, was das tatsächlich auch für uns hier und heute heißt? Das Himmelreich ist nicht ein Aufenthaltsort im Jenseits, an den wir Menschen nach unserem Tod automatisch gelangen und von dem aus wir dann leicht amüsiert auf die Erde herabblicken, was die Leute da unten nach unserem Ableben weiter alles so anstellen. Sondern es ist Gottes Herrschaftsbereich, in den er hier und jetzt Menschen ruft, dass sie in seiner Gegenwart leben und ihm ganz angehören. Wenn Christus hier davon spricht, dass das Himmelreich nahe herbeigekommen ist, dann spricht er natürlich in Wirklichkeit von sich selber, wenn auch ganz verhüllt: Da, wo er, Christus, ist, da ist das Reich Gottes, ja, an der Stellung zu ihm, zu seiner Person, zu seinem Wort, entscheidet sich, ob Menschen für immer in der Gegenwart Gottes leben, ob sich die tiefste Bestimmung ihres Lebens erfüllt oder nicht.

Eine unglaublich frohe Botschaft ist es, die Christus damals den Menschen in Galiläa verkündigte und die er auch uns verkündigt: Gott kommt zu euch, nicht ihr müsst versuchen, irgendwie an ihn heranzukommen. Gott kommt euch zum Greifen nahe, ja, auch heute wieder, hier in diesem Gottesdienst: Da beten wir es gleich wieder in der Feier des Heiligen Mahles: Dein Reich komme! Und er, der Vater im Himmel, erhört unser Gebet gleich auf der Stelle, lässt sein Reich zu uns kommen, wenn wir den Leib und das Blut unseres Herrn empfangen im Heiligen Mahl. Da haben wir schon teil am Festmahl im Reich Gottes, da sind wir schon drin, genau dort, wo wir einmal für immer sein und bleiben sollen und dürfen, im Reich Gottes.

Und was das bedeutet, das beschreibt der Evangelist St. Matthäus hier mit einem Zitat aus dem Buch des Propheten Jesaja: „Denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.“ Das gilt nicht nur für die Bewohner des Nordufers des Sees Genezareth damals zur Zeit Jesu, das gilt genauso auch für dich und für mich: Das muss ich wohl den allermeisten von euch nicht erklären und beschreiben, was das bedeutet, wenn sich der Schatten des Todes über unser Leben legt und unser Leben verdunkelt, was das bedeutet, mit dem Tod geliebter Menschen konfrontiert zu werden, was es bedeutet, mit der eigenen Sterblichkeit und Hinfälligkeit konfrontiert zu werden, ja, was es auch bedeutet, nicht mehr zu wissen, wie es eigentlich mit dem eigenen Leben noch weitergehen soll. Finster, ganz finster kann es da im Leben werden, und wenn wir in dieser Finsternis sitzen, dann merken wir, wie wenig all die verschiedenen selbstgebastelten Funzeln taugen, mit denen wir Menschen versuchen, diese Finsternis doch irgendwie zu erhellen. Ja, wie wenig diese selbstgebastelten Funzeln taugen, merken wir letztlich sogar erst dann, wenn uns das eine Licht aufgegangen ist, das tatsächlich unsere Finsternis zu erleuchten vermag: Er, Christus, unser Herr. Wem aufgegangen ist, was für ein Trost es ist, um ihn, den lebendigen Herrn, wissen zu dürfen, dessen Leuchtkraft auch der Tod nicht auszulöschen vermag, ja, der Menschen durch die Finsternis des Todes in das strahlende Licht des ewigen Lebens hindurchzutragen vermag, wem aufgegangen ist, was für ein Trost es ist, nicht bloß um diesen Herrn wissen zu dürfen, sondern ihn in und bei sich tragen zu dürfen in der Kraft des Heiligen Mahles, der merkt, wie hohl alle anderen Versuche letztlich sind, Licht in das Leben im Schatten des Todes zu bringen. Ja, strahlen dürfen wir selbst im Schatten des Todes, strahlen dürfen wir jedes Mal von Neuem, wenn wir mit dem alten Simeon singen: Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern: ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.

Zu diesem Licht sollen und dürfen wir in unserem Leben immer wieder umkehren: So sieht die Buße aus, von der Christus hier spricht, dass wir dem Licht in unserem Leben nicht den Rücken zukehren, sondern uns von ihm bestrahlen lassen. Um dieses Licht, das auch in der Finsternis des Todes scheint, geht es auch, wenn sich uns die Frage stellt, was Christus eigentlich für uns und unser Leben bedeutet, ob wir im Zweifelsfall nicht auch ohne ihn auskommen. Ja, wer erkannt hat, wie dieses Licht sein Leben hell gemacht hat, für den stellt sich die Frage dann auch gar nicht mehr, unter welchen Umständen er sich von diesem Licht vielleicht doch lieber wieder in die Finsternis zurückbegibt, in die Finsternis eines Lebens ohne Christus, eines Lebens fern vom Reich Gottes.

Ja, eindeutig ist die ganze Geschichte von daher doch eigentlich, ganz eindeutig, dass wir doch alle miteinander nicht ohne dieses Licht Jesus Christus leben wollen. Aber in unserem Alltag sieht es dann oft genug doch wieder anders aus, da bleibt von dieser Eindeutigkeit oftmals nicht mehr so viel übrig. Wie tröstlich ist es da, dass wir zum Abschluss noch einmal darauf blicken dürfen, was für einen Wohnsitz sich Christus hier in unserer Predigtlesung sucht.
Christus hätte von Nazareth aus ja auch gleich nach Jerusalem ziehen können. Da saßen die Leute, für die alles eindeutig und klar war, die den Willen Gottes, wie er in der Heiligen Schrift stand, ganz genau kannten und sich darum mühten, diesem Willen auch ganz und gar gerecht zu werden. Ja, mit solchen Leuten ließ sich doch gut eine Kirche bauen!

Doch stattdessen zieht Christus ins heidnische Galiläa, dorthin, wo die Leute das Gesetz, den Willen Gottes, oftmals nicht so genau kannten wie in Jerusalem, dorthin, wo die Leute entsprechend auch nicht so gesetzestreu lebten wie unten im Süden. Dorthin zieht Christus, wo die jüdische Bevölkerung nicht weitgehend unter sich war wie unten in Judäa, sondern wo Juden und Heiden bunt gemischt durcheinander lebten, wo Juden oftmals gar nichts Anderes übrig blieb, als in diesem Zusammenleben auch so manchen Kompromiss einzugehen. Dorthin zieht Christus, wo Menschen ihren Glauben nicht so eindeutig lebten und leben konnten, wie dies in der religiösen Hauptstadt möglich war. Diesen Menschen mit ihrem oft so zweideutigen Glaubensleben verkündigt Christus die Gegenwart des Reiches Gottes, ihnen wendet er sich als erstes zu, lässt ihnen sein Licht leuchten.

Ach, wie tröstlich ist dieser Wohnungswechsel unseres Herrn auch für uns: Christus wartet nicht erst darauf, dass in unserem Leben, in unserem Glaubensleben alles ganz klar und eindeutig ist, bevor er uns besucht, bevor er in unser Leben kommt. Im Gegenteil: Gerade da, wo bei uns so vieles noch unklar ist, besucht er uns, nimmt in uns Wohnung, will es gerade so in unserem Leben allmählich immer klarer und heller werden lassen. Christus zieht gerade dahin, wo Menschen ihren Glauben noch nicht unbedingt ganz eindeutig leben. Ja, das will ich mir auch selber als Trost gesagt sein lassen, wenn ich es auch in unserer Gemeinde erlebe, wie viel Zweideutigkeit und Unentschiedenheit, ja auch wie viel Nichtwissen und Ahnungslosigkeit bei nicht wenigen in der Gemeinde noch vorhanden ist. Ja, das will ich mir auch selber als Trost gesagt sein lassen, wenn ich mir mitunter vorstelle, wie schön es wäre, wenn die ganze Gemeinde auf Linie wäre, wenn es da nicht so viele gäbe, die man immer wieder neu zur Jagd tragen muss, weil sie von allein eben nicht den Weg zu Christus finden. Ja, gerade hier, in unserem Galiläa, nicht im scheinbar vollkommenen Jerusalem, nimmt Christus Wohnung – und glücklicherweise eben auch bei mir, in meinem oft so wenig eindeutigen Leben. Ja, genau dafür hat er selber sich dann schließlich auch verhaften und umbringen lassen – nicht bloß als Vorbild, sondern uns zur Rettung. Amen.