30.12.2012 | St. Johannes 12,44-50 | 1. Sonntag nach Weihnachten

Zu Weihnachten wird das Fernsehen mitunter richtig fromm. Da wurde in der 20 Uhr-Tagesschau am Heiligen Abend doch tatsächlich eine Reportage aus der Düsseldorfer Johanneskirche gesendet, in der der Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, die Predigt hielt. Während zum Eingang noch das Weihnachtsoratorium erklang, wurden Kirchenbesucher nach den Themen gefragt, die sie an diesem Heiligen Abend besonders bewegten. Man bekam die erwarteten Antworten: Bankenkrise, Klimawandel, Arbeitslosigkeit – das übliche Spektrum. Und dann wurde ein Ausschnitt aus der Predigt von Nikolaus Schneider gezeigt. Darin erklärte er, dass keine Religion oder Kirche sich im Besitz der Erkenntnis Gottes wähnen solle. Menschliche Absolutheitsansprüche führten immer zur Unterdrückung der Freiheit und hinterließen in dieser Welt immer wieder eine Blutspur.

Das klang gut auch für eine Nachrichtensendung am Heiligen Abend: Keine Religion kann behaupten, Gott wirklich zu erkennen; jeder soll und kann sich eben so seine eigenen Vorstellungen von Gott machen, und wenn jemand behauptet, seine persönlichen Vorstellungen von Gott seien auch für andere Menschen von Bedeutung, ja seien gar die Wahrheit, dann rückt er damit schon bedrohlich nah an Selbstmordattentäter heran.

Nun muss man Präses Schneider ein Stück weit in Schutz nehmen. Bezeichnenderweise hatte die Tagesschau den Satz, der den gesendeten Ausführungen voranging, weggelassen. Darin hatte Präses Schneider nämlich erklärt, dass Jesus selber sehr wohl Gott wahrhaftig und vollständig kenne, dass aber eben kein anderer Mensch sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnen solle. Dann bekommen seine Ausführungen schon einen anderen Klang. Aber problematisch bleibt es natürlich trotzdem, wenn er hier Jesus und die Kirche so weit auseinanderreißt, dass er der Kirche da, wo sie das Wort Jesu verkündigt, eben nicht mehr zubilligt, was er Jesus selber offenbar durchaus zuzugestehen vermag, dass ihre Verkündigung wahrhaftige Erkenntnis Gottes ist, ja, die Wahrheit beanspruchen kann. Da merkt man natürlich den reformierten Theologen, der da auf der Kanzel in Düsseldorf spricht. Doch was würde es uns nützen, dass Jesus Gott wahrhaftig und vollständig kennt, wenn diese wahrhaftige und vollständige Erkenntnis Gottes auf dem Weg zu uns letztlich doch irgendwo auf der Strecke bleibt!

Schwestern und Brüder, wir merken auf diesem Hintergrund noch einmal ganz besonders, wie aktuell die Worte unserer heutigen Predigtlesung gerade heute sind, in einer Zeit, in der es zum guten Ton gehört, zu behaupten, dass jeder nach seiner Façon selig wird und jeder Mensch nur seine ganz persönliche Wahrheit hat. Da tritt nämlich Jesus selber auf und erhebt hier Ansprüche, die heutzutage als zutiefst unanständig gelten, behauptet nicht nur, ganz persönlich Gott zu kennen, sondern behauptet allen Ernstes, dass sich in der Stellung zu ihm, zu seiner Person, das ewige Heil eines jeden Menschen entscheidet. Na, wenn das kein Absolutheitsanspruch ist, den Jesus hier erhebt und den ich euch jetzt hier von der Kanzel weiterleite! Vielleicht solltet ihr nachher mal eine Leibesvisitation bei mir vornehmen, ob ich nicht vielleicht auch schon einen Sprengstoffgürtel um den Leib trage, wenn ich solche ungeheuerlichen Behauptungen hier in dieser Predigt laut werden lasse. Doch es ist nun mal meine Aufgabe, euch das Wort Christi zu verkündigen, ganz gleich, ob das den Menschen heute passt oder nicht. Es geht nicht darum, dass ich einen persönlichen Absolutheitsanspruch erhebe, sondern dass ich euch den vor Augen stelle, der es uns in der Tat zumutet, uns zu seinem Absolutheitsanspruch so oder so zu verhalten – indem wir ihn entweder als völlig überzogen und unzeitgemäß ablehnen oder indem wir vor dem, der diese Worte hier äußert, auf die Knie sinken. Dreierlei sagt Jesus hier von sich selber:
- In mir findet ihr Gott.
- In mir findet ihr das Licht.
- In mir findet ihr das Leben.

I.
Brüder und Schwestern, wenn uns eben bei der Verlesung der Worte Jesu aus dem Johannesevangelium nicht ein wenig der Atem gestockt hat, dann haben wir diese Worte wohl noch nicht recht begriffen: Da behauptet Jesus doch ganz schlicht und einfach: Wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat. Wenn ihr mich seht, dann seht ihr Gott, wenn ihr Gott sucht – hier ist er, hier steht er vor euch.

Kann doch gar nicht sein – so ruft ein vielstimmiger Chor vom Islam bis hin zum liberalen Protestantismus und den Vertretern zahlloser Antidiskriminierungsstellen. Wer Gott wirklich ist, können wir gar nicht wissen. Dazu ist er viel zu weit weg von uns, wenn er denn überhaupt existiert. Was wir nur kennen, sind die Vorstellungen, die Menschen sich über ihn gemacht haben. Aber ob die wirklich stimmen, kann natürlich kein Mensch wissen, und eben darum kann auch niemand sagen, dass seine Aussagen über Gott die Wahrheit seien.

Doch Jesus bleibt dabei: Wer mich sieht, der sieht Gott. Gott hat sich eben nicht so verhalten, wie wir Menschen ihm dies gerne vorschreiben, er hat sich nicht aus dem Tagesgeschäft dieser Welt herausgehalten und sich damit begnügt, Partituren für frohlockende Engelchöre zu schreiben. Sondern er ist in diese Welt gekommen, ganz anders als erwartet, nicht mit gewaltigem Theaterdonner, sondern als kleines Kind in einer Krippe. Aber nun ist er da, steht vor uns und sagt es ganz unverhohlen: Hier bin ich, wer mich sieht, der sieht Gott. Und da fallen dann alle wohlfeilen Reden über Absolutheitsansprüche im Allgemeinen und Besonderen hin, da geht es für uns nur noch um diese eine Frage, ob wir das, was er sagt, von uns weisen oder zumindest ignorieren – oder ob wir diesen Worten Jesu Vertrauen schenken, ihnen glauben.

Ja, Gott geb’s, dass ihr diesen Worten Jesu glaubt, dass ihr erfahrt, wie wunderbar es ist, dass wir uns nicht länger unsere eigenen Gedanken über Gott machen müssen, dass wir erst recht vor Gott keine Angst zu haben brauchen. Der, dem wir unser Leben verdanken und der uns einmal nach unserem Leben fragen wird, steht vor uns – und jagt uns keinen Schrecken ein, sondern wirbt um uns, voller Liebe, begegnet uns auf Augenhöhe, damit wir erkennen, wer er wirklich ist: Der, für den wir so wichtig sind, dass er sein Leben für uns in den Tod gegeben hat.

Hör darum auf, dir deinen Gott nach deinen Wünschen und Vorstellungen zusammenzubasteln! Einen solchen Gott gibt es in Wirklichkeit doch gar nicht. Solch ein Gott kann dich nicht retten, kann dir kein Leben schenken, das stärker ist als der Tod. Schau dorthin, wohin er, der wahre Gott, deinen Blick lenkt: Schau auf die Krippe, schau auf das Kreuz. Da ist er: nicht eine philosophische Idee, sondern Gott in Person. Übersieh ihn doch bloß nicht; denn es kann auch für dich nichts Wichtigeres geben, als ihm zu begegnen!

II.
Gewiss, von uns aus können wir niemals an ihn, Jesus, glauben, können es niemals glauben, dass wir in ihm Gott selber sehen können. Wir können von uns aus so wenig erkennen, dass Gott uns in Jesus begegnet, wie wir in einem stockdunklen Raum irgendeinen Gegenstand nur mit unseren Augen näher beschreiben können. Ohne Licht läuft da gar nichts.

Doch genau das ist nun die Botschaft von Weihnachten: Jesus sagt: Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe. Jesus sagt nicht nur, dass wir in ihm Gott sehen können, sondern er hilft uns auch, ihn zu erkennen, lässt uns das Licht aufgehen, in dessen Schein wir unser Leben und auch ihn selber noch einmal ganz neu wahrnehmen können.

Auch diese Worte Jesu sind natürlich für die meisten Menschen heute eine ziemliche Provokation. Wir sollen in der Finsternis leben? So ein Quatsch! Wir sind doch aufgeklärt, ja, erleuchtet, wissen besser über die Welt Bescheid als irgendeine Generation vor uns. Ja, wir sind heute doch sogar dazu in der Lage, die Religionen zu durchschauen, dass wir nicht mehr auf sie hereinfallen. Nein, finsteres Mittelalter herrscht doch nur bei denen, die immer noch an ihrem Glauben an Jesus Christus festhalten!

Doch Jesus bleibt dabei. Er bestreitet nicht, dass wir Menschen nicht vieles in dieser Welt erforscht und erkannt hätten. Aber sobald es um unser Verhältnis zu Gott geht, haben wir von uns aus keine Ahnung, haben wir es nötig, dass er uns das Licht anzündet, das uns eine Wirklichkeit erschließt, von der wir sonst gar keinen blassen Schimmer hätten.

Ja, hell ist diese Welt heutzutage in vielerlei Hinsicht geworden, so erleben wir es gerade jetzt in diesen Wochen der Weihnachtszeit. Da funkelt und glitzert es von allen Seiten. Doch das eigentliche Dunkel unseres Lebens vermag auch die schönste Weihnachtsillumination nicht zu erleuchten; das kann nur Christus allein, der uns auf unserem Lebensweg voranleuchten will. Ach, dass wir unsere Augen vor seinem Lichtschein ja nicht verschließen!

III.
Ja, ich weiß, nun kommt sie wieder, die Keule mit dem Absolutheitsanspruch: Wie kommt ihr bloß darauf, anderen abzusprechen, dass sie genauso das Licht für ihr Leben gefunden haben, wie ihr meint, es nun bei Jesus Christus gefunden zu haben? Wollt ihr nun etwa auch wieder mit den Kreuzzügen anfangen und anderen Menschen das, was ihr erkannt habt, aufzwingen?

Nein, das wollen wir ganz gewiss nicht. Denn Jesus selber lehrt es uns anders. Der ist nicht gekommen, um auch nur einem Menschen den Glauben an ihn aufzuzwingen. Der ist auch ohnehin nicht dazu gekommen, auch nur einen Menschen zu verurteilen. Er hat nur einen Auftrag: Menschen zu retten, Menschen das ewige Leben zu schenken. Dafür hat er in der Krippe im Stall von Bethlehem gelegen, dafür hat er sich ans Kreuz nageln lassen, dafür hat er schließlich seine Boten ausgesandt, um Menschen zu ihm, Christus, einzuladen. Jesus operiert mit nichts anderem als mit seinem Wort, und auch wir, die wir von ihm gesandt sind, haben nichts anderes in der Hand als sein Wort, sein Wort, das nicht verdammen, sondern retten soll.

Doch genau an diesem Wort fällt nun eine Entscheidung im Leben eines jeden Menschen: Wer diesem Wort glaubt, wer Jesus als seinen Gott, als Licht der Welt erkennt, wer ihn erkennt als seinen Retter, der ihm das ewige Leben schenkt, dem wird durch dieses Wort auch das ewige Leben in der Gemeinschaft mit Christus geschenkt. Wer dieses Wort dagegen ablehnt, wer sich ihm verweigert, weil er sich über diesen Anspruch Jesu ärgert, der verweigert sich damit dem ewigen Leben selber. Nein, es ist nicht unsere Aufgabe als Christen, hier auf Erden das Jüngste Gericht zu spielen, Menschen zu verurteilen, ihnen vielleicht gar die Hölle auf den Hals zu wünschen. Unsere Aufgabe ist es einzig und allein, Jesus als den Retter zu verkündigen, der das Leben schenkt.

Doch wenn wir das tun, werden wir immer wieder erfahren, wie sich an diesem Wort die Geister scheiden, innerhalb und außerhalb der Kirche. Lassen wir uns dadurch nicht beirren. Christus hat uns dies in seinem Wort doch schon so klar vor Augen gestellt. Halten wir uns ganz fest an seiner Zusage: Es ist nicht die persönliche Meinung von Jesus, die er in seinem Wort von sich gibt. Dahinter steht Gott, sein Vater, selber. Achte darum Jesu Wort höher als alles, was Menschen sagen mögen, vertraue diesem Wort mehr als allem anderen, erst recht mehr als irgendwelchen Mehrheitsmeinungen! Ja, packe dieses Wort vor allem in deinem Leben niemals zur Seite, weil anderes für dich wichtiger und interessanter erscheint, ja, verachte diese Worte niemals, weil du meinst, auch ohne sie in deinem Leben auszukommen! Der da spricht, ist dein Gott, das Licht der Welt. Ja, es geht um dein Leben, dein ewiges Leben. Ja, wer’s glaubt, wird selig. Amen.