23.08.2012 | St. Lukas 22,24-30 | Vorabend zum Tag des Apostels St. Bartholomäus

Zurzeit sind sie überall auf der Welt in aller Munde: Die Musikerinnen der russischen Punkband Pussy Riot, die gerade von einem russischen Gericht zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden sind. Um es ganz klar zu sagen: Was die Punkerinnen da im Altarraum der orthodoxen Kirche in Moskau veranstaltet hatten, war abstoßend, blasphemisch und für Christen zutiefst verletzend, das hatte mit Kunst nichts mehr zu tun. Ob man dies nun mit zwei Jahren Lagerhaft ahnden sollte, ist eine ganz andere Frage, nicht zuletzt auch eine Frage der politischen Klugheit.

Doch in einer Hinsicht hatte die Punkband eben doch auch einen wunden Punkt der Kirche getroffen und ja auch ganz offen thematisiert: Wie kann es eigentlich geschehen, dass man die Mächtigen im Staat dadurch angreifen kann, dass man die Kirche angreift? Was ist da eigentlich passiert, dass Kirche und Staat offenbar nicht nur für jene Punkband, sondern für viele andere auch nach außen hin wie zu Zeiten des Zaren eine solche Einheit bilden, dass die Kirche als stabilisierender Teil eines Herrschaftssystems wahrgenommen und eben deshalb dann auch attackiert wird? Wie unglaubwürdig hat sich dann auch schon ohne Pussy Riot im Vorfeld die Kirche gemacht, wenn sie solch eine Angriffsfläche bietet?

Schwestern und Brüder: Das ist eine Frage, die sich nicht nur die russisch-orthodoxe Kirche in Moskau, sondern die sich jede christliche Kirche zu stellen hat, die auch wir uns zu stellen haben: Streben auch wir in unserer Gesellschaft ganz offen oder vielleicht wenigstens verdeckt nach Macht und Anerkennung? Wollen wir auch „wer sein“, vielleicht gar Vorteile und Privilegien als Kirche genießen? Ja, was für ein Bild geben wir damit nach außen hin ab? Und wenn wir einmal innerkirchlich weiterblicken: Was für eine Vorstellung haben wir von denen, die in der Kirche das apostolische Amt der Kirche ausüben? Betrachten wir sie möglicherweise auch als die Chefs der Gemeinde, sehen wir es als einen Schritt auf der Karriereleiter an, wenn jemand Pastor oder dann vielleicht gar Superintendent, Propst oder Bischof wird? Sehen wir es vielleicht gar als selbstverständlich an, dass der Pastor sich von der Gemeinde bedienen lässt?

Genau um diese Fragen geht es auch im Heiligen Evangelium zum Tag des Apostels St. Bartholomäus. Genau die Probleme, mit denen wir heute als Kirche mit unserem Auftreten konfrontiert werden mögen, gab es damals im Apostelkreis auch schon: Da gab es auch schon Rangeleien um Macht und Einfluss, um die Frage, wer denn der Größte unter den Aposteln sein sollte. Ja, wir mögen erschrecken: Ausgerechnet die Leute, mit denen Christus nun gerade seine Kirche bauen will, haben wenige Stunden vor der Kreuzigung ihres Herrn offenbar immer noch nichts davon kapiert, zu was für einem Dienst sie nun bald berufen werden sollen. Kaum haben sie das Mahl des Herrn empfangen, den Leib und das Blut dessen, der sein Leben in den Tod dahingibt, da wollen sie schon wieder groß rauskommen, größer sein als andere. Da geht es dann schon in der ersten Kirche nicht anders zu als in einer politischen Partei.

Doch Jesus wird hier sehr deutlich: Unmissverständlich macht er seinen Jüngern hier klar, dass es in seiner Kirche ganz anders zugehen soll als bei weltlichen Machthabern. Die wollen herrschen, wollen sich anhimmeln lassen, schauen auf Umfragewerte und Zustimmungsquoten. Doch zu seinen Jüngern sagt Jesus ganz kurz und knapp: „Ihr aber nicht so!“ Nicht zum Herrschen seid ihr als Apostel berufen, sondern zum Dienen, nicht als Weltherrscher sollt ihr mich repräsentieren, sondern als diejenigen, die wie er, Christus, Sklavendienste an anderen vollziehen.

Nein, das passt nicht, wenn eine Kirche zu eng mit den Mächtigen dieser Welt anbandelt, wenn eine Kirche weltliche Mittel gebraucht, um sich Macht und Einfluss zu sichern. Das ist fatal, wenn Bischöfe in den Geruch geraten, politische Spiele zu betreiben, wenn sie vielleicht gar in ihrem Lebensstil und Lebensstandard die Mächtigen der Gesellschaft nachzuahmen versuchen. Erkennbar werden soll die Kirche vielmehr einzig und allein daran, dass sie Kirche für andere ist, dass sie den anderen, denen, die zu ihr gehören, ebenso wie denen, die noch draußen stehen, dient, dass sie ihnen dient nicht um des eigenen Vorteils willen, sondern weil sie geprägt ist von dem, der sein Leben für alle Menschen in den Tod gegeben hat, ohne sich vorher abzusichern, dass die, für die er da stirbt, dies auch zu schätzen wissen.

Die Apostel haben schon vor Ostern etwas von den Anfeindungen zu spüren bekommen, denen Jesus in seinem Dienst immer wieder ausgesetzt war, so deutet Jesus selber es hier im Heiligen Evangelium an. Und nach Ostern haben sie es noch viel deutlicher erfahren, dass man als Apostel keine Karriere macht, nicht mit Macht und Anerkennung rechnen kann. Von dem heiligen Bartholomäus, dessen Gedenktag wir an diesem Abend begehen, berichtet die Überlieferung, dass man ihm bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen und ihn dann gekreuzigt habe, weil er den lebendigen Christus verkündigt hatte.

Wir müssen mit solchen Konsequenzen nicht unbedingt rechnen, wenn wir Christus verkündigen; doch das Vorbild der Apostel kann uns helfen, wieder neu wahrzunehmen, was auch in unserer Mitte geschieht: Der, der euch das Evangelium verkündigt, der euch den Leib und das Blut des Herrn reicht, der ist nicht euer Herr, der steht nicht über euch, der ist euer Diener. Und das einzige Machtmittel, das die Kirche insgesamt hat, ist das Wort Christi, das sie verkündigt. Dieses Wort Christi hat die Kraft, Menschen zu retten und selig zu machen. Wo immer dieses Wort verkündigt wird, wo immer in der Kraft dieses Wortes die Sakramente ausgeteilt werden, da ist das Reich Gottes, das Christus damals den Aposteln zugeeignet hat und dessen Ausbreitung bis heute denen in besonderer Weise anvertraut ist, die das apostolische Amt weiterführen. Ja, da geht es in der Tat um Macht, um die Macht Christi, die sich in seinem Wort erweist, um die Macht Christi, die Menschenherzen zu verändern vermag. Nicht an sich, an ihre Person sollen die Verkündiger des Evangeliums die Menschen binden, die Macht des Wortes nicht nutzen, um sich selber in den Mittelpunkt zu stellen. Alles, was sie tun, soll der Rettung derer dienen, die ihnen anvertraut sind. Der Apostel Bartholomäus ist damals zu den Persern gezogen, um ihnen das Evangelium zu verkündigen. So weit brauchen wir heute gar nicht zu marschieren. Sie sind schon da bei uns, die Perser, denen damals die Verkündigung des Bartholomäus galt. Gott geb’s, dass wir gerade auch unseren neugetauften Brüdern und Schwestern ganz klar machen, dass es in der Kirche Christi anders zugeht als in der Welt, dass es hier nicht um Herrschaft geht, sondern um Sklavendienst. Denn auch jetzt in diesem Gottesdienst gilt doch, was Christus damals schon seinen Jüngern gesagt hat: „Ich bin unter euch wie ein Diener.“ Jawohl, so geht Kirche! Amen.