26.08.2012 | Apostelgeschichte 3,1-10 | 12. Sonntag nach Trinitatis

Als ich gerade anfing, diese Predigt vorzubereiten, erreichte mich eine E-Mail mit einer besonderen Einladung: Billy Smith kommt wieder nach Berlin, um im Oktober eine Woche lang Heilungsgottesdienste durchzuführen. Das macht Billy Smith regelmäßig, und er hat es offenbar drauf: Wo Billy Smith auftaucht, da werden Menschen wieder gesund, geheilt, da purzeln die Wunder nur so vor sich hin. Billy Smith hat, so betonen es die Veranstalter, eine starke Heilungsgabe.

Ob wir Billy Smith auch mal zu uns nach Zehlendorf holen sollten? Kandidaten für seine Heilungsgottesdienste könnte ich genug benennen: Menschen, die von schweren, unheilbaren Krankheiten gezeichnet sind und deren Geschick mir immer wieder neu an die Nieren geht. Ja, wenn man die einfach gesund machen könnte, wenn man denen damit zugleich zeigen könnte, dass es sich lohnt, an Jesus zu glauben, dass Jesus wirklich alles kann, ja, auch gesund machen kann – ach, das wäre doch was! Aber vielleicht brauchen wir ja auch Billy Smith gar nicht. Vielleicht können wir das hier in Zehlendorf ja auch selber übernehmen, Heilungsgottesdienste anbieten, Menschen im Namen Jesu gesund machen, erst recht, wo wir jetzt hier in der Gemeinde gleich zwei Pastoren haben. Mensch, wenn sich das herumsprechen würde – dann würden uns die Leute hier noch ganz anders die Kirche füllen, als wir dies im Augenblick erleben!

Doch ich zögere. Liegt es an meinem Kleinglauben, daran, dass ich Angst davor habe, es könnte nicht klappen, ich könnte mich mit solchen Heilungsgottesdiensten blamieren – und weit wichtiger noch: ich könnte die Leute enttäuschen, denen ich mit dem Angebot solcher Heilungsgottesdienste falsche Hoffnungen machen würde? Oder liegt es eben doch eher daran, dass ich es für eine Anmaßung halte, den Eindruck zu erwecken, ich könne, wenn auch mit frommen Worten, tun, was doch Christus allein überlassen bleibt? Liegt es doch eher daran, dass ich nicht den Eindruck erwecken will, Christus könne seine Liebe zu einem Menschen nur dadurch zum Ausdruck bringen, dass er ihn heilt und es ihm gut gehen lässt?

Und da hören wir nun als Predigtlesung dieses Sonntags eine Heilungsgeschichte – die Geschichte einer Heilung, die wohlgemerkt nicht Christus, sondern Petrus vollbringt. Ist Petrus also auch ein Billy Smith, auch einer, der eine starke Heilungsgabe hat und es schafft, Menschen gesund zu machen? O nein, wenn wir uns unsere heutige Predigtlesung genauer anschauen, dann stellen wir fest, dass hier nicht von einer Heilungsgabe des Petrus die Rede ist, sondern dass das, was wir eben gehört haben, eben doch ganz und gar eine Christusgeschichte ist, dass er, Christus, der eigentlich Handelnde in der Geschichte ist und bleibt. Dreierlei macht Christus hier in der Geschichte:
- Er enttäuscht.
- Er ist gegenwärtig.
- Er hilft zur neunten Stunde.

I.
Da sitzt ein Mann an der schönen, reich verzierten Tür am Tempeleingang. Gelähmt ist er von Geburt an, weiß gar nicht, was es heißt, laufen zu können. Herbeigetragen wird er von seinen Verwandten, eben dorthin an diesen strategisch günstigen Platz am Tempeleingang, dorthin, wo die Tempelpilger hindurch mussten, wo sie am ehesten bereit waren, ein paar Kupfermünzen für ihn abzudrücken. Irgendwie musste er ja auch etwas zum Unterhalt der Familie beitragen; auch mit Mitleid kann man ja bekanntlich Kasse machen.

Und dann kommen Petrus und Johannes. Sie sind unterwegs zum Nachmittagsgebet in den Tempel. Auch nach der Auferstehung ihres Herrn nehmen sie weiter an den Gebetsgottesdiensten im Tempel teil, auch wenn sie daneben schon eigene Gottesdienste feierten, das Heilige Mahl feierten, das sie dort im Tempel natürlich nicht bekommen konnten. Auch sie gehen an dem Gelähmten vorbei, auch an sie richtet der Gelähmte die Erwartung, dass sie ihm ein Almosen geben. Doch Petrus und Johannes bereiten ihm erst einmal eine bittere Enttäuschung. Ja, sie bleiben stehen, schauen den Gelähmten an, fordern ihn umgekehrt dazu auf, sie anzuschauen. Kein Wunder, dass der Gelähmte nun eine größere Gabe erwartete; weshalb machten es Petrus und Johannes sonst so feierlich!? Und dann fängt Petrus an zu reden, so, dass dem Gelähmten vor Freude das Herz schneller an zu schlagen fängt: Von Silber und Gold redet Petrus – und fährt dann fort: Das habe ich nicht! Wie gemein, mögen wir denken: Erst macht er dem armen Kerl solche Hoffnungen, und dann enttäuscht er ihn so sehr, gibt ihm gerade nicht, was er haben möchte.

Nicht anders, Schwestern und Brüder, geht auch Christus in unserem Leben immer wieder mit uns um. Da haben auch wir ganz bestimmte Wünsche und Erwartungen, die wir an ihn richten, wissen oft ziemlich genau, was wir von ihm wollen, was für uns gut ist. Und wir sind fest davon überzeugt: Diese Bitte muss uns doch Christus erfüllen. Wenn er denn unser Herr und Heiland ist, wenn wir denn an ihn glauben sollen, dann kann er uns doch diese Bitte nicht abschlagen, dann muss er doch tun, was doch so eindeutig gut für uns ist!

Doch Christus enttäuscht uns immer wieder – genau wie Petrus und Johannes damals erst einmal den Gelähmten enttäuscht haben, ja, enttäuschen mussten. Christus erfüllt nicht unsere Wünsche, auch nicht unbedingt unsere Wünsche nach Heilung. Er enttäuscht uns nicht deshalb, weil er sadistisch veranlagt wäre oder weil er nicht könnte, was wir von ihm erhoffen. Sondern er enttäuscht uns eben deshalb, weil er weiß, dass das, was wir uns von ihm wünschen, für uns eben gerade nicht das Beste wäre, weil er weiß, dass unser Horizont, innerhalb dessen wir denken, viel zu begrenzt ist, er enttäuscht uns, weil er uns letztlich schaden würde, wenn er uns gäbe, was wir gerade wollen. Nicht im Traum wäre der Gelähmte damals von sich aus auf die Idee gekommen, dass Petrus und Johannes ihn heilen könnten; weiter als bis zu seinem Hut mit den Geldmünzen darin reichte sein Denken nicht. Gewiss, dieser Gelähmte hat dann sehr schnell und sehr eindeutig erfahren, warum es für ihn gut war, dass Petrus und Johannes und durch sie Christus selber ihn zuerst enttäuscht haben. So schnell und so eindeutig enden unsere Enttäuschungen, die Christus uns bereiten mag, nicht unbedingt. Das dauert oft lange, bis wir begreifen, warum es für uns gut war, dass Christus unsere Bitte nicht erfüllt hat, und es dauert oft noch länger, bis wir merken, dass das, was er uns stattdessen gegeben hat, für uns tatsächlich sogar noch besser war. Manchmal begreifen wir das auch unser ganzes Leben nicht, werden es erst aus dem ganz großen Rückblick heraus begreifen können. Jedenfalls veranstalten wir gerade auch deshalb keine Heilungsgottesdienste in unserer Gemeinde, weil wir Christus nicht vorschreiben können und wollen, was für uns denn nun das Beste ist, wie er denn bitteschön auf unsere Hoffnungen und Erwartungen zu reagieren hat. Christus ist nicht der Erfüllungsgehilfe unserer Bestellungen an den lieben Gott, ja, Gott sei Dank!

II.
Und dann passiert etwas, womit der Gelähmte überhaupt nicht gerechnet hatte: Petrus ruft den Namen Jesu Christi an, packt ihn bei der Hand und richtet ihn auf. Und siehe da: Der Gelähmte kann mit einem Mal laufen und springen. Nein, das lag nicht daran, dass der Gelähmte einen solch starken Glauben gehabt hätte. Von seinem Glauben ist in der ganzen Geschichte erst die Rede, als er geheilt ist. Da fängt er an, Gott zu loben. Und dass er nun laufen kann, liegt auch nicht daran, dass Petrus solch eine starke Heilungsgabe, solch eine starke spirituelle Ausstrahlung gehabt hätte. Sondern es liegt einzig und allein daran, dass Petrus den Namen Jesu Christi anruft, in seinem Namen redet und handelt.

Schwestern und Brüder: Ahnen wir eigentlich, was das bedeutet, was da geschieht, wenn wir den Namen Jesu Christi nennen und anrufen, ja, wenn wir uns auf diesen Namen berufen, hier im Gottesdienst, aber auch bei uns in unserem Alltag? Das ist nicht irgendein Name, sondern wo dieser Name genannt und angerufen wird, da ist Christus selber gegenwärtig, da ist er selber bereit, zu helfen und zu retten. Es ist nicht bloß eine fromme Floskel, was wir eben wieder in der Taufliturgie gehört haben: „Im Namen Jesu Christi gebiete ich dir: Weiche, du unreiner Geist, und gib Raum dem Heiligen Geist!“ Wo der Name Jesu Christi genannt wird, da müssen die Mächte des Bösen weichen, da haben sie keine Chance mehr. Und es war erst recht nicht bloß eine fromme Floskel, als dieser Name des dreieinigen Gottes eben genannt und angerufen wurde, als Sophie getauft wurde. Da passierte etwas, als dieser Name genannt wurde, da wurde sie in der Kraft dieses Namens durch das Wasser der Taufe zum ewigen Leben wiedergeboren. 

Und wenn du dich segnest mit dem Kreuzeszeichen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, dann passiert da auch etwas, dann darfst du gewiss sein: Er, dein Herr, er ist da, gegenwärtig mit seiner Kraft. Doch wenn du in seinem Namen etwas tust, wenn du seinen Namen anrufst, dann bedeutet das zugleich, dass du ihm, deinem Herrn, ganz und gar überlässt, was er macht, dass du selber darauf verzichtest, durchzusetzen, was du möchtest. Was Christus in der Taufe möchte, das ist unzweifelhaft, das hat er klar und eindeutig gesagt, hat sich an sein Wort gebunden. Was er mit dir vorhat, wenn du krank bist, das können wir so klar und eindeutig zumeist nicht erkennen, können und dürfen seinen Namen nicht gleichsam als Zauberformel verwenden, um damit unsere Wünsche durchzusetzen. Aber wir dürfen gewiss sein: Wenn wir den Namen des Herrn anrufen, dann wird er tun, was für uns gut ist, dann wird er uns, welchen Weg wir auch gehen mögen, immer wieder mit seiner Gegenwart begleiten.

Ganz deutlich erfahre ich das immer wieder in meinem Dienst hier in der Gemeinde, wenn ich die Krankensalbung spende: Die Krankensalbung ist kein Trick, mit dem man einen kranken Menschen schneller wieder gesundmachen kann. Ja, die Krankensalbung wirkt, sie wird im Namen des Herrn gespendet, wie Jakobus dies beschreibt; da ist Christus tätig und gegenwärtig, tröstet, stärkt, richtet auf – aber es mag sehr wohl sein, dass er uns dabei anschließend anders führt, als wir dies zunächst denken und vielleicht auch erhoffen. Und doch: Er ist dabei, ganz gewiss.

Ja, wir haben es natürlich auch schon in unserer Gemeinde erfahren, dass Christus Menschen auch wieder gesund gemacht hat, bei denen wir möglicherweise schon alle Hoffnung hatten fahren lassen. Jawohl, das gibt es in der Tat; natürlich kann er auch dies bewirken und tut es auch. Und wenn wir das erfahren, dann tun wir gut daran, wie der geheilte Gelähmte dann auch ins Haus Gottes zu kommen, den nicht zu vergessen, der uns diese Heilung, der uns diese Hilfe hat erfahren lassen. Das ist leider nicht selbstverständlich. Wie oft bitten Menschen Gott um Hilfe und Heilung – und wenn sie sie dann erfahren, dann ist Gott schnell wieder vergessen, weil sie ihn nun nicht mehr brauchen. Doch wo Menschen nicht durch das, was ihnen widerfährt, in das Haus Gottes geführt werden und dort auch bleiben, da haben sie in Wahrheit noch gar keine richtige Heilung erfahren, da verpassen sie das Entscheidende, selbst wenn sie sich wieder ganz gesund fühlen mögen.

III.
Um Christus geht es hier in unserer Predigtlesung, so merken wir, je mehr wir uns mit dieser Geschichte befassen. Er hält alle Fäden dessen, was hier geschieht, in seiner Hand. Und um Christus geht es hier in unserer Geschichte auch noch in einer anderen Hinsicht: Lukas betont, dass die Heilung des Gelähmten nachmittags um drei, um die neunte Stunde, stattfand. Ja, das ist sicher zunächst einmal eine ganz nüchterne Zeitangabe – um die Zeit ging man damals nun mal in den Tempel; es war die Zeit des Abendopfers.

Doch hinter der neunten Stunde steckt eben noch mehr: Es ist die Todesstunde Jesu, die Stunde, die daran erinnert, dass Jesus die Schuld und das Leid der ganzen Welt auf sich genommen hat. Wenn Jesus kranken, behinderten, sterbenden Menschen zur neunten Stunde begegnet, dann heißt dies: Er kennt ihr Leid und ihre Not, hat dies alles am eigenen Leib erfahren, ja hat auch die Not und das Leid dieser Menschen auf sich genommen und trägt es mit ihnen mit. Ob ich, wenn ich krank bin, noch einmal Heilung und Genesung erfahre oder ob ich diese Krankheit bis zu meinem Tod nicht mehr loswerde: Christus blickt mich an und hält meine Hand, der, der meine Krankheit getragen, meine Schmerzen auf sich genommen hat. Er lässt das Leid dieser Welt nicht einfach verschwinden, sondern kommt mitten in dieses Leid hinein, begegnet uns zur neunten Stunde, zu seiner Todesstunde, als der Gekreuzigte. Auf ihn, den Gekreuzigten, sollen und dürfen wir als Kirche in unserer Verkündigung immer wieder verweisen, sollen und dürfen nicht den Eindruck erwecken, als ob der Glaube an Christus bewirkt, dass wir alles Leid in unserem Leben hinter uns lassen können und keine Probleme mehr haben. Der Weg, den Christus dich führt, erspart auch dir die neunte Stunde nicht – und er leitet dich doch hinter ihm, Christus, her, bis dorthin, wo du einmal noch viel fröhlicher als der geheilte Gelähmte für immer hüpfen und springen wirst: dort, in Gottes neuer Stadt, in seinem Tempel, im neuen Jerusalem. Ja, das wirst auch du einmal ganz gewiss erfahren,  so gewiss du getauft bist – in Seinem Namen! Amen.