15.07.2012 | Apostelgeschichte 8,26-39 | 6. Sonntag nach Trinitatis

Wir haben uns vielleicht schon allzu sehr an sie gewöhnt: an die „frohe Botschaft“, wie wir sie selber nennen. Ja, wir wissen es natürlich, dass die Botschaft des christlichen Glaubens eine frohe Botschaft ist; doch wie oft fehlt uns selber persönlich der Zugang zu dieser Freude, weil uns das, was uns als Evangelium verkündigt wird, allzu selbstverständlich erscheinen mag!

Wenn ich „wir“ sage, dann schließe ich mich selber darin ausdrücklich ein. Wenn man gleichsam professioneller Freudenbote ist, dann ist die Gefahr umso größer, dass man nur noch über die Freude redet, sich von dieser Freude aber selber gar nicht mehr überraschen lassen kann. Umso lieber und wichtiger sind mir in diesen vergangenen Wochen und Monaten die persischen Taufunterrichte in unserer Gemeinde geworden. Da erlebe ich immer wieder ganz direkt die Freude, die das Evangelium bei Menschen hervorzurufen vermag, die Freude über die frohe Botschaft, die so ganz anders ist als die Religion, die sie bisher kannten, die Freude über Gott und das, was er für uns tut und uns schenkt. Ja, da kann man sich selber nur immer wieder mitfreuen, wenn man miterlebt, wie Menschen diese Freude entdecken, und sich von ihr anstecken lassen!

Um einen Menschen, der sich von Herzen darüber freut, dass er das Evangelium entdeckt hat, nein: vielmehr darüber, dass Christus ihn entdeckt und gefunden hat, geht es auch in der Predigtlesung des heutigen Sonntags. Eine bewegende Geschichte erzählt uns der heilige Lukas hier, eine bewegende Geschichte, an deren Ende die wunderbaren Worte stehen: Er zog aber seine Straße fröhlich. Ein Mensch begegnet dem Evangelium, begegnet Christus – und zieht fröhlich weiter. Das passierte damals vor knapp 2000 Jahren im Gazastreifen, und das passiert heute noch genauso, ja, gerade auch in unserer Gemeinde. Überhaupt ist die ganze Geschichte, die uns Lukas hier erzählt, so aktuell für uns, dass es keiner großen Mühe bedarf, um darin uns selber, unsere eigene Gemeindesituation darin wiederzuerkennen:
Da ist der Philippus vollbeschäftigt mit seiner Missionsarbeit in Samaria, so berichtet es St. Lukas in den Versen, die unserer heutigen Predigtlesung vorausgehen. Er predigt den Samaritanern das Evangelium, und als Ergebnis hält St. Lukas fest: „Und es entstand große Freude in dieser Stadt.“ Wo Menschen das Evangelium hören und annehmen, da kommt Freude auf. Allemal genug zu tun hatte der Philippus da oben in Samarien. Doch mit einem Mal erhält er von Gott selber, vermittelt durch seinen Engel, einen neuen Dienstauftrag: Er soll sich unten im Süden des Landes an eine einsame Landstraße stellen; dort wartet eine neue Missionsaufgabe auf ihn. Philippus tut, was Gott ihm befiehlt, und stellt sich da in die Pampa – und siehe da, es dauert nicht lange, da taucht dort ein Wagen auf: Ein Mensch sitzt darin, der so gar nicht zu den Christen passte, mit denen Philippus bisher in seiner Arbeit zu tun hatte: Schwarz ist er, kommt aus einem ganz anderen Kulturkreis, hat offenkundig erst einmal gar keine Ahnung von der Bibel, von jüdischen Bräuchen. Interessiert am jüdischen Glauben war er offenkundig, wie so viele Menschen damals zu dieser Zeit; sonst hätte er sich nicht auf den langen Weg aus Äthiopien bis nach Jerusalem begeben. Doch wie enttäuscht muss er dann gewesen sein, als er dort in Jerusalem erfuhr, dass er den Tempel gar nicht betreten durfte, weil er kein Jude war – und dazu auch noch ein Eunuch, ein Kastrat, dem der Zugang zum Tempel ohnehin verwehrt blieb! Zu solch einem Menschen schickt Gott den Philippus nun.

Ach, wie gut kann ich nachempfinden, wie es dem Philippus damals ergangen sein muss: Da war er allemal genug mit seiner Arbeit in Samarien beschäftigt – und dann schickt ihn Gott mit einem Mal noch in ein ganz anderes Missionsgebiet, eines, das erst einmal völlig abseits vom Schuss erscheint, eines, bei dem man doch eigentlich gar nicht damit rechnen kann, dass sich diese Arbeit lohnt, da unten in der Wüste bei Gaza. Genug zu tun hatten wir hier in unserer Gemeinde auch in den vergangenen Jahren schon. Doch dann hat der Engel des Herrn auch hier in unserer Gemeinde kräftig mitgemischt, hat uns vor eine ganz neue Missionsaufgabe gestellt, auf die wir von uns aus nie und nimmer gekommen wären: Menschen aus dem Süden, Menschen, die scheinbar einem anderen Kulturkreis entstammen, Menschen, die nicht schon in einem christlichen Umfeld aufgewachsen sind, die zur Botschaft des christlichen Glaubens von sich aus erst einmal gar keinen Zugang hatten, für die in unseren Vorstellungen von Kirche und Gemeinde vermutlich erst einmal gar kein Platz war, ja, zu solchen Menschen hat Gott uns gleichsam an den Straßenrand gestellt, hat ihre Wege und unsere Wege sich auf überraschende Weise kreuzen lassen.

Nun rede ich schon in der Mehrzahl – und in der Tat: Vielen Menschen sind wir so in den vergangenen Monaten begegnet. Und doch war es zugleich immer wieder wie bei dem Finanzminister aus Äthiopien damals auch: Es ging auch uns nicht um große Zahlen, um Massen. Es ging und geht uns immer wieder um je einzelne Menschen, zu denen Gott uns schickt, weil sie die frohe Botschaft brauchen, auch wenn sie selber das zunächst einmal noch gar nicht ahnen mögen. Jeder Einzelne bringt wieder seine besondere Lebensgeschichte mit, seine Erfahrungen mit Glauben und Religion, seine Enttäuschungen und Verletzungen durch das, was er erlebt hat. Jeder und jede Einzelne ist wichtig – so wichtig, dass es sich lohnt, für ihn und sie auch längere Wege zu gehen, wie bei Philippus und dem Finanzminister damals auch.

Der Finanzminister, dem Philippus damals begegnete, hatte ein Problem: Er hatte zwar eine Bibel in der Hand – aber er verstand einfach nicht, was darin stand; er hatte dazu überhaupt keinen Zugang. Und so droht seine Pilgerfahrt nach Jerusalem für ihn endgültig zum Desaster zu werden: nicht in den Tempel gekommen – und mit einer Heiligen Schrift in der Hand, mit der er letztlich überhaupt nichts anfangen konnte. Glücklicherweise fuhr der Finanzminister damals keinen Porsche, sondern begnügte sich mit einem PS; so war seine Kutsche so langsam, dass Philippus neben ihr herjoggen konnte und zuhören konnte, was der Finanzminister da las, denn damals las man Texte, die man vor sich hatte, grundsätzlich nicht leise, sondern laut. Und so kann der Philippus dem Finanzminister hier seine Dienste anbieten: „Verstehst du auch, was du liest?“ Der Finanzminister ist gebildet genug, seine Verstehensschwierigkeiten nicht zu vertuschen; er bittet den Philippus um die notwendige Anleitung, damit er verstehen kann, was sich ihm erst einmal überhaupt nicht erschließt. Und so veranstaltet der Philippus mit ihm schließlich ein Bibelstudium der besonderen Art, weist den Finanzminister auf Jesus Christus als den Schlüssel zur Heiligen Schrift.

Bibeln verteilen allein reicht nicht. Das galt damals vor knapp 2000 Jahren, und das gilt auch heute noch. Wer glaubt, er könne dadurch missionarisch tätig werden, dass er einfach Menschen Bibeln hinlegt oder in die Hand drückt, der muss in aller Regel genau dieselbe Erfahrung machen, die Philippus und der Finanzminister damals auch gemacht haben: Ohne Anleitung finden die allermeisten keinen Zugang zu dem, was darin geschrieben steht, trotz so mancher rührenden Geschichte, wonach es tatsächlich einzelne gibt, die auch auf diesem Wege zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben mögen. Das galt damals für den Finanzminister, und das gilt heute für uns erst recht in einer Zeit, in der viele Menschen überhaupt keine Zugänge mehr zum geschriebenen Wort, geschweige denn zu religiöser Sprache haben. Ja, das gilt heute erst recht für so viele, die aus einem anderen Kulturkreis kommen und von daher die Heilige Schrift ohnehin noch einmal mit ganz anderen Augen lesen, als wir dies tun, ja, die von daher auch noch einmal ganz andere, oft auch für mich überraschende Fragen zu dem stellen, was sie da lesen.

Ja, es ist natürlich wichtig, dass wir Menschen an die Heilige Schrift heranführen, an das, was darin geschrieben steht. Aber noch viel wichtiger ist es, dass wir selber da sind, dass wir als Zeugen für die Wahrheit der Heiligen Schrift einstehen – ja, noch wichtiger ist es, dass wir den Menschen den Schlüssel zur Heiligen Schrift zeigen, dass wir sie auf Jesus Christus weisen, von dem her allein die Heilige Schrift recht verstanden werden kann. Verstehen sollen wir dabei befördern – und das ist heute keine geringere Herausforderung als damals, wenn Menschen erst einmal jeder Zugang zu religiöser Sprache fehlt, wenn ihnen fremd bleibt, was uns so selbstverständlich erscheint, dass wir das überhaupt nicht mehr erwähnen müssen. Ja, spannend ist auch von daher der persische Taufunterricht für mich, weil ich merke, wie es mir dabei immer wieder wie dem Philippus geht, wie es meine Aufgabe ist, ausgehend von der Heiligen Schrift Menschen Christus so zu predigen, dass sie schließlich verstehen können, was in der Heiligen Schrift geschrieben steht.

Und doch zielt die Verkündigung des Evangeliums von Jesus nicht bloß darauf, irgendwelche antiken Texte besser verstehen zu können. Sondern worauf die Verkündigung des Philippus zielt, wird offensichtlich, als der Finanzminister kurz darauf seinen Wagen anhalten lässt und um die Taufe bittet. Denn da in der Taufe kommt der Christus, den Philippus dem Finanzminister verkündigt hat, nun auch direkt in seinem Leben an, da wird dem Finanzminister persönlich geschenkt, was er, Christus, auch für ihn getan hat, als er sich wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wurde, als er auch für seine Schuld am Kreuz starb.

„Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“ – So fragt der Finanzminister, kurz nachdem er die erste christliche Predigt seines Lebens gehört hatte. Wir könnten heutzutage eine ganze Menge aufzählen, was damals den Philippus hätte daran hindern können und sollen, den Finanzminister zu taufen: Das ging doch alles viel zu schnell; der Finanzminister konnte doch noch nicht einmal das Glaubensbekenntnis auswendig, geschweige denn Martin Luthers Kleinen Katechismus! Und deutsche Verwaltungsrichter würden gleich noch hinzufügen: Ist doch völlig klar, dass der Finanzminister das gar nicht ernst und ehrlich meinen konnte mit seiner Taufe; der hat sich davon gewiss nur irgendwelche Vorteile versprochen; der plante vielleicht schon, sich aus Äthiopien abzusetzen und in Israel Asyl zu beantragen. Dass jemand sich so schnell taufen lässt – das ist doch höchst verdächtig, ja, solch eine Taufe können wir nun wirklich nicht anerkennen!

Doch Philippus reagiert anders, antwortet auf die Frage des Finanzministers mit der Tat: Er tauft ihn gleich auf der Stelle, bringt damit zum Ausdruck, dass nichts daran hindern kann und soll, einen Menschen zu taufen, der nach der Predigt des Evangeliums um die Taufe bittet.

Sehr eindrücklich macht es der Philippus hier klar: Um getauft zu werden, muss man nicht erst irgendwelche Bedingungen erfüllen, muss man nicht erst irgendwelche Leistungen vorweisen, keine intellektuellen und keine spirituellen Leistungen. Die Taufe ist und bleibt ganz und gar Geschenk Gottes, das keinem verwehrt werden soll, der dieses Geschenk begehrt. Dazu ist dieses Geschenk auch viel zu wichtig, als dass man es allzu lange herauszögern sollte: Vergebung der Sünden, ewiges, unzerstörbares Leben bei Gott, ja die ewige Seligkeit wird uns in der Taufe geschenkt. Darum ist es gut, auch schon Kindern dieses Geschenk zukommen zu lassen wie heute Morgen der kleinen Angelina. Und darum warte ich nach Möglichkeit auch bei Erwachsenen nicht allzu lange, bis ich ihrer Bitte um die Heilige Taufe entspreche. Gewiss, auch der Philippus hat erst einmal einen Taufunterricht mit dem Finanzminister gehalten, hat ihn auch zum Verstehen angeleitet. Aber letztlich ist die frohe Botschaft von Jesus Christus auch so einfach, dass man sie, wenn es drauf ankommt, auch ganz kurz darstellen kann – so, dass Menschen etwas davon erfahren, was für eine Freude es ist, ein getaufter Christ sein zu dürfen.

Kaum ist der Finanzminister getauft, da lässt Gott den Philippus verschwinden. Allein steht der Finanzminister da – und doch ist er nicht traurig über den plötzlichen Abschied, sondern zieht fröhlich seine Straße, kehrt fröhlich als getaufter Christ nach Äthiopien zurück. Gott weiß, warum er den Philippus schnell verschwinden ließ: Keinesfalls sollte der Finanzminister seinen Glauben an ihn, Philippus, hängen, sondern einzig und allein an Gottes Geschenk der Taufe.

Schwestern und Brüder: Ich werde in aller Regel am Ende von Taufgottesdiensten nicht entrückt; das ist auch ganz praktisch, sonst müsste danach in so manchen Fällen die Feier des Heiligen Abendmahls ausfallen. Aber was für den Philippus damals galt, gilt auch für mich: Hängt euren Glauben ja nicht an den, der euch getauft, der euch unterrichtet hat. Schaut einzig und allein auf Christus und seine Gaben. Der, durch den ihr sie erhaltet, ist völlig uninteressant, der kann, wenn es sein muss, auch verschwinden oder auch ersetzt werden. Hauptsache, ihr seid getauft, Hauptsache, ihr haltet euch an Christus und freut euch über das Geschenk der Taufe, das er euch gemacht hat!

In Einzelfällen ist es auch in unserer Gemeinde schon geschehen, was St. Lukas hier berichtet, dass auch ich schon Menschen getauft habe, die dann fröhlich ihre Straße gezogen sind in ein fernes Land, in dem ich nicht mehr an sie herankomme. Ich habe schon Menschen getauft, die nun in Kasachstan, in China, in der Mongolei wohnen und von denen ich doch zugleich weiß, wie wichtig ihnen ihre Taufe ist, wie sehr sie sich über dieses Geschenk ihrer Taufe freuen bis auf den heutigen Tag. Das Normale ist und bleibt natürlich, dass der Weg vom Taufstein an den Altar führt, in die christliche Gemeinde, die gemeinsam immer wieder den Leib und das Blut Christi empfängt. Das gilt gerade auch für all unsere neuen Gemeindeglieder, die eben darum hier in Deutschland bleiben wollen, weil sie wissen, dass sie die Gemeinde, das Heilige Mahl als Christen brauchen und schon darum nicht allein in ihre Heimat zurückkehren können und wollen. Ja, wie gut, dass ihr alle nach eurer Taufe nicht wieder verschwunden seid!

Und doch gilt für einen jeden von uns: Ganz gleich, wo wir herkommen, und ganz gleich, wohin uns unsere Wege auch führen mögen: Hauptsache, wir wissen dies eine: „Lasset mich voll Freuden sprechen: Ich bin ein getaufter Christ!“ Ja, Gott geb’s, dass euch diese Freude niemand in eurem Leben nehmen kann! Amen.