05.04.2012 | 1. Korinther 10,16+17 | Gründonnerstag

Im vergangenen Jahr gab es in der „Berliner Zeitung“ fast jede Woche eine feststehende Artikelserie: „Mit Arno Widmann zum Gottesdienst“ hieß sie. Darin schilderte der Journalist Arno Widmann seine Eindrücke beim Besuch von Gottesdiensten ganz unterschiedlicher Religionen und Konfessionen. Dabei erklärt er ganz offen, dass er selber Atheist ist und zu all dem, was er da in den Gottesdiensten erlebt, eigentlich keinen inneren Bezug hat. Aber interessant ist es nichtsdestoweniger, was Arno Widmann da bei seinen verschiedenen Gottesdienstbesuchen nun aufgefallen ist und was er beschreibt.

Kurz vor Ende seiner Artikelserie hat es Arno Widmann im November vergangenen Jahres auch in einen Gottesdienst unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Annenstraße verschlagen. In seinem Bericht über diesen Gottesdienst ist eine gewisse Fassungslosigkeit zu erkennen über das, was er da zuvor miterlebt hatte: Das geht schon damit los, dass in dieser merkwürdigen Kirche die Gottesdienstteilnehmer im Gottesdienstprogramm darauf hingewiesen werden, dass diejenigen zum Sakrament eingeladen sind, die den Glauben und das Bekenntnis der Kirche teilen. Ich zitiere Arno Widmann: „Das Abendmahl wird also nur denen gereicht, die es so aufnehmen, wie diese Kirche es versteht. Das ist keine Spezialität dieses Hauses. Aber bei unseren Gängen durch die Gemeinden dieser Stadt sind wir auch auf solche gestoßen, die sagten: Wir geben etwas. Was ihr damit macht, ist Eure Sache. Wie Gott die Sache sieht, das wissen wir nicht. Das war zum Beispiel die Haltung der Hindus. Das ist nicht die Haltung hier.“ Und dann beschreibt Arno Widmann bis in Einzelheiten hinein die Verwaltung und Austeilung des Abendmahls am Altar und stellt schließlich zusammenfassend fest: „Bei keinem Abendmahl, in keinem Gottesdienst waren wir so nahe an der Idee der Magie, an der Vorstellung, dass etwas sich ändert, wenn man die richtigen Worte sagt.“

Die Wortwahl mag uns in diesem Zusammenhang ein wenig befremden; doch wir spüren etwas davon, dass dieser Journalist doch eine Ahnung davon bekommen hat, was in unseren Gottesdiensten geschieht. Aber wir spüren vor allem natürlich etwas Anderes: Da prallen zwei Welten aufeinander, zwei Welten, die sich offenbar nur schwer vermitteln lassen.

Die Einstellung von Herrn Widmann ist eine heute weit verbreitete: Religion, Glauben und Kirche auf der einen Seite und Gott auf der anderen Seite sind zwei ganz verschiedene Dinge: Wer Gott wirklich ist, was er wirklich will, das wissen wir überhaupt nicht. Aber wir können uns natürlich so unsere Gedanken über ihn machen und diese Gedanken dann auch in die Tat umsetzen. Aber dabei sollten wir natürlich darauf achten, dass das, was wir da in der Kirche tun, den Leuten auch einleuchtet, ja, sie anspricht, dass sie das auch nett und angenehm finden, was da geschieht. Und weil wir in Wirklichkeit gar nicht wissen, wer Gott ist und was er will, sollten wir auch jedem selber überlassen, was er sich so für Gedanken über Gott macht und was er so glaubt. Und das gilt dann eben auch fürs Abendmahl: Jeder hat vom Abendmahl das, was er persönlich so glaubt und sich darunter so vorstellt. Keinem sollte jedenfalls die Möglichkeit verwehrt sein, es mal unverbindlich zu testen, ob das was für einen ist, ob einem das zusagt. Für viele Menschen ist das ja durchaus etwas Schönes, Gemeinschaft zu erleben, mit anderen Gleichgesinnten eine symbolische Handlung zu vollziehen.

Schwestern und Brüder: Die Gefahr ist groß, dass wir uns als Kirche solchen Erwartungshaltungen anpassen, dass wir es einfach jedem selber überlassen, was er da im Heiligen Mahl empfangen möchte, dass wir die Gabe des Heiligen Mahles wesentlich auf die Gemeinschaft reduzieren, die diejenigen, die an dem Mahl teilnehmen, selber stiften und empfinden. Wenn heute Abend in vielen Gemeinden hier in Berlin sogenannte Tischabendmahle gefeiert werden, bei denen die Gemeindeglieder an hübsch gedeckten Tischen sitzen und, wenn es gut geht, irgendwann im Verlaufe der Feier auch noch etwas von den Einsetzungsworten Christi hören, dann ist diese Gefahr unübersehbar.

Ja, von einer Gefahr spreche ich ganz bewusst. Denn in der Predigtlesung des heutigen Abends macht der Apostel Paulus deutlich, dass es im Heiligen Mahl um etwas völlig Anderes geht, nicht um eine Gemeinschaft, die wir mit unserem Gemeinschaftsgefühl stiften, nicht um ein unverbindliches Zusammensein, bei dem jeder vielleicht so seine eigenen Vorstellungen davon hat, was da jetzt gerade abläuft. Ja, um Gemeinschaft geht es im Heiligen Mahl in der Tat; doch diese Gemeinschaft ist gerade nicht etwas, was von uns, von unserem Glauben, von unseren Erfahrungen abhinge, so zeigt es uns der Apostel hier.

Da hatte der Apostel Paulus mitbekommen, dass einige Glieder der Gemeinde in Korinth hin und wieder einmal an heidnischen Kultmahlzeiten teilnahmen, die damals mit bestimmten Familienfeiern fest verbunden waren. Wenn der Nachbar ein Gemeindeglied einlud, im Gedenken an die jüngst verstorbene Oma an einer Opfermahlzeit am Tempel eines griechischen Gottes teilzunehmen, dann wollte dieses Gemeindeglied eben nicht unhöflich erscheinen, dann machte es eben auch mal bei solch einer Mahlzeit mit. Das brauchten die anderen ja nicht so mitzubekommen, dass es das alles, was bei dieser Opfermahlzeit geschah, in Wirklichkeit für Quatsch hielt.

Doch Paulus schreibt den Korinthern hier: So einfach könnt ihr euch das nicht machen. Gute Nachbarschaft hin oder her: Ihr werdet durch die Teilnahme an solch einer Opfermahlzeit in die Altargemeinschaft dieses Gottes aufgenommen, ganz gleich ob ihr das glaubt und schön findet oder nicht. Und das geht eben nicht: Entweder seid ihr eingebunden in die Tischgemeinschaft mit Christus, oder ihr seid eingebunden in die Tischgemeinschaft mit diesen Göttern, die in Wirklichkeit ja auch gar keine Götter sind, wohl aber dämonische Mächte, Mächte, die euch von Christus wegziehen wollen, so betont es der Apostel.

Und dann erklärt er den Korinthern noch einmal, was er ihnen im Taufunterricht doch schon so deutlich vor Augen gehalten hatte: Die Gemeinschaft, um die es im Heiligen Mahl geht, hängt nicht von eurem Glauben, hängt nicht von eurem Empfinden ab. Sondern schlicht und einfach dadurch, dass ihr aus dem gesegneten Kelch trinkt, dass ihr das in der Feier des Heiligen Mahles gebrochene Brot esst, werdet ihr in eine leibhafte Gemeinschaft mit Christus hineingezogen, die nicht von euch abhängt, sondern allein von den Stiftungsworten Christi selber. Nicht ihr stiftet dadurch Gemeinschaft, dass ihr zusammenkommt, dass ihr ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt, sondern ihr werdet durch die Teilhabe am Heiligen Mahl in eine Gemeinschaft hineingezogen, die viel, viel tiefer reicht als eure Gefühle und Erfahrungen. Es ist die leibhaftige Gemeinschaft mit Christus selber – und es ist dann auch die Gemeinschaft, die ihr miteinander habt: Nein, nicht weil ihr euch alle so nett findet, sondern weil ihr alle miteinander an Christi Leib und Blut im Heiligen Mahl Anteil habt. Das fügt euch enger zusammen, als jede von Menschen gestiftete Gemeinschaft dies je schaffen könnte. Und eben weil ihr so fest in diese Gemeinschaft eingefügt seid, könnt ihr euch aus dieser Gemeinschaft nicht ausklinken und euch einbinden lassen in eine ganz andere Gemeinschaft, die mit Christus nun wirklich nichts zu tun hat, in eine andere Gemeinschaft, in die ihr auch ganz von selbst hineingezogen werdet, wenn ihr bei diesen Opfermahlzeiten mitmacht.

Nun muss ich heute Abend vermutlich nur die wenigsten von euch davon abhalten, statt zum Gottesdienst in unsere Kirche hin und wieder mal zu einer hinduistischen Opferfeier zu gehen und dort an einer Opfermahlzeit teilzunehmen. Doch was Paulus hier in unserer Predigtlesung schreibt, ist auch für uns heute immer noch ganz aktuell:
Wenn du das Heilige Mahl empfängst, dann musst du nicht auf deine eigene Glaubensstärke schauen, dann musst du in dir nicht bestimmte Gefühle oder Vorstellungen hervorrufen. Nichts hängt von dir ab, wenn du zum Tisch des Herrn gehst. Alles hängt von Christus ab, von seinen Worten, durch die er bis heute wirkt, was er damals in der Nacht, da er verraten ward, gestiftet hat: Jawohl, durch den gesegneten Kelch, den wir segnen, bekommen wir Anteil am Blut Christi, ob wir es glauben oder nicht. Durch das Brot, das im Heiligen Mahl gebrochen und ausgeteilt wird, bekommen wir Anteil am Leib Christi, ob wir es uns vorstellen können oder nicht. Du wirst hier hineingezogen in eine Realität, die unendlich größer ist als du. Gott ist eben nicht so unendlich fern, dass wir gar nichts von ihm wissen können; sondern Gott hat sich zu erkennen gegeben, klar und eindeutig in seinem Sohn Jesus Christus. Und Christus hat klar und eindeutig gesagt, wie wir mit ihm in Verbindung kommen können, jawohl, leibhaftig mit ihm in Verbindung kommen können: eben durch die Gabe seines Heiligen Mahles. Dichter kommst du nirgendwo auf dieser Welt an Christus heran als hier in den Gaben von Brot und Wein, hier, wo du Christus mit deinem Mund berührst, wo du Anteil bekommst an seinem Opferleib und an seinem Opferblut, gewiss geheimnisvoll und eben doch ganz real. Das sollen allerdings auch alle vorher wissen, wen und was sie hier im Brot und Wein empfangen, sollen vorher erfahren, dass sie hier dem Allerheiligsten begegnen, sollen von daher die Frage bejahen können, die Paulus hier stellt: Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Ja, natürlich ist er das! Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Ja, natürlich ist es das! Denn wenn Christus spricht, dann geschieht es, ob wir es fühlen und glauben oder nicht.
In eine wunderbare, noch viel mehr als bloß hautnahe Gemeinschaft mit Christus werden wir im Heiligen Mahl hineingezogen – aber eben damit zugleich auch in die Gemeinschaft all derer, die mit uns gemeinsam das Sakrament empfangen. Wir empfangen alle gemeinsam den Leib des Herrn – und werden damit zugleich immer wieder neu sein Leib, werden als Glieder an seinem Leib immer wieder neu festgemacht, werden auch in diese Gemeinschaft miteinander hineingezogen, eben weil diese Gemeinschaft auch nicht auf unseren Gefühlen und Sympathien beruht.

Und eben darum kann ich nicht mal ganz unverbindlich am Heiligen Mahl teilnehmen, kann es nicht mal unverbindlich testen. Da geschieht unendlich mehr, als wir zunächst ahnen. Ja, wie tröstlich ist es, das zu wissen: Ich stehe mit meinem Glauben als Christ nicht allein da, auch wenn ich es in meinem Alltag mitunter so empfinden und erleben mag. Ich bin eingebunden in eine ganz große Gemeinschaft, die mich hält und trägt, die eben dadurch ihre Festigkeit gewinnt, dass wir alle miteinander mit Christus durch seinen Leib und sein Blut verbunden sind. Diese Gemeinschaft hält und trägt mich, auch wenn mit meinem Glauben mal nicht so viel los sein sollte, wenn ich mich mit Zweifeln und Fragen herumplage. Die Vielen, mit denen ich im Heiligen Mahl verbunden werde, sind und bleiben doch der eine Leib des Herrn.

Ja, um dein Heil, um dein ewiges Leben geht es hier im Heiligen Mahl und um nicht weniger: Denn in nichts Anderem besteht ja das ewige Leben als darin, für immer mit Christus untrennbar verbunden zu sein, mit ihm, der selber das Brot des Lebens, ja die Auferstehung und das Leben ist. Und eben darum sollten wir nun in der Tat alles unterlassen, was diese Gemeinschaft mit Christus gefährden oder in Frage stellen könnte. Wir können nicht bloß ein bisschen Christ sein, wenn Christus uns doch ganz und gar mit sich verbindet. Fragen wir uns darum ruhig ganz konkret: Gibt es Mahlzeiten in unserem Leben, die uns wichtiger sind als die Teilnahme am Mahl des Herrn, die zeitlich oder auch sachlich mit dem Heiligen Mahl konkurrieren? So viel anders als den Christen in Korinth mag es uns da ja manchmal auch nicht gehen, dass wir in der Versuchung sind, aus Rücksichtnahme gegenüber der Familie, gegenüber Freunden und Nachbarn zu verleugnen, was uns das Heilige Mahl eigentlich bedeutet, nicht klar zu sagen: Auf Christus und sein Heiliges Mahl kann ich nicht verzichten, auch nicht zugunsten von einem netten Kaffeetrinken oder einem schönen Brunch am Sonntagmorgen. Lass dich darum immer neu und immer wieder festmachen in der Gemeinschaft mit Christus an seinem Altar; er selber will und wird dir die Augen dafür öffnen, was er dir hier mit seinem Leib und Blut schenkt: Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit. Amen.