31.12.2013 | Hebräer 13,8-9b | Altjahrsabend
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Wir sind schon in vielfacher Hinsicht eine sehr ungewöhnliche Gemeinde. Das geht schon los mit der Alterszusammensetzung bei uns: Während nach den gängigen Klischees hier in Deutschland in einer Kirche ja eigentlich nur Menschen, die älter als 65 sind, sitzen dürften, ergänzt durch den Pastor und ein paar zwangsverpflichtete Konfirmanden, ist bei uns in der Gemeinde die Altersklasse zwischen 20 und 30 die stärkste Altersgruppe, ja, in aller Regel auch im Gottesdienst, von solch einem Silvesterabend einmal abgesehen, an dem viele der 20-30jährigen eben genau das auch tun, was andere in ihrem Alter hier in Berlin an diesem Abend auch machen. Dazu kommt dann noch eine ganze Reihe von 30-40jährigen, einige fortgeschrittene Semester in meinem Alter – und dann gibt es sie natürlich in unserer Gemeinde auch: die treuen älteren Gemeindeglieder, die schon viele Jahrzehnte Christen sind und die nun nach all den Jahrzehnten, die sie in der Gemeinde verbracht haben, hier noch einmal etwas ganz Neues in unserer Gemeinde erleben, mit dem wir alle miteinander in dieser Form noch nicht gerechnet hatten, als wir letztes Jahr Silvester gefeiert hatten. Miteinander gehen wir nun in dieser ungewöhnlichen Zusammensetzung in das Jahr 2014, wissen so wenig, was es uns bringen wird, wie wir dies vor einem Jahr wissen konnten, können so wenig von dem planen, was da in dieser kommenden Zeit auf uns zukommen wird.

Ja, so viel verändert hat sich bei uns in diesem vergangenen Jahr, so viel ist bei uns im Fluss, dass nicht wenige in unserer Mitte sich fragen: Wo soll das wohl alles hinführen, wie soll das, was wir im Augenblick hier bei uns erleben, bloß alles weitergehen? Und nicht wenige aus unserer Mitte stellen sich diese Frage auch persönlich sehr konkret: Wo werde ich wohl heute in einem Jahr sein, wenn Christus bis dahin nicht wiedergekommen sein wird? Werde ich noch hier in Deutschland sein, oder werde ich bis dahin schon deportiert sein, in ein anderes EU-Land und von dort dann ganz schnell zurück in das Land, in dem ich als Christ meines Lebens nicht mehr sicher sein könnte? Und so mancher von den Älteren mag sich auch fragen: Könnte es sein, dass dieses Silvester das letzte ist, das ich hier auf Erden verbringe? Nein, keiner von uns kann in die Zukunft blicken, erst recht nicht dadurch, dass wir zu irgendwelchen Hellsehern laufen oder heute Abend Blei gießen. Wir sind nicht die Herren unseres Lebens, die Herren unserer Geschichte.

Wie tröstlich ist es da, dass uns die Predigtlesung des heutigen Abends daran erinnert, dass in unserem Leben, dass auch bei uns in der Gemeinde nicht einfach alles im Fluss ist, nicht alles fraglich, nicht alles offen. Die wichtigste Konstante steht fest: Jesus Christus – gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Was Jesus Christus angeht, ist nichts fraglich, ist nichts offen, ist nichts im Fluss. Auf den können wir uns verlassen. Der wird nicht morgen wieder zurücknehmen, was er für uns getan, was er uns in unserer Taufe versprochen hat. Was er uns einmal zugesagt hat, das steht fest, damit können wir ganz fest planen, auch im Jahr 2014. Es ist derselbe Herr und Heiland, dem du heute Abend hier am Altar begegnest, dem du auch im neuen Jahr hier begegnen wirst. Es ist derselbe Herr und Heiland, dem du heute Abend hier begegnest, dem du auch einmal in der letzten Stunde deines Lebens begegnen wirst, ja, der dich einmal am Ziel deines Lebens in die Arme schließen wird. Ja, seine Hände, mit denen er dich umfangen wird, sie werden immer noch die Nägelmale tragen, werden dieselben Hände sein, die damals auf Golgatha ans Kreuz genagelt wurden, damit dein Leben nicht in der Finsternis des ewigen Todes endet, sondern gemeinsam mit ihm, Christus, deinem auferstandenen Herrn, im hellen Licht der Ewigkeit.

Jesus Christus – gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit: Es gibt nicht wenige unter euch, die haben eben dies in ihrem Leben über viele Jahrzehnte hinweg erfahren: So viel hat sich in eurem Leben verändert, doch dies eine blieb immer die Konstante: die Begegnung mit ihm, Jesus Christus, die Erfahrung, von ihm getragen und gehalten zu sein, was sich auch in eurem Leben sonst alles verändert haben mag. Jesus Christus – er war der feste Bezugspunkt in eurem Leben, schon als ihr Kinder und Jugendliche wart. Er half euch hindurch auch durch alle schweren Zeiten, und er ist es, der eurem Leben auch jetzt, viele Jahre und Jahrzehnte später immer noch eine Perspektive gibt, die euch nach vorne blicken lässt, weil ihr den schon kennt, mit dem ihr durch euer Leben gegangen seid. Solche Erfahrungen mit Jesus Christus, die bleiben nicht ohne Wirkung, die lassen das Herz fest werden, so formuliert es der Hebräerbrief so schön hier. Wer sein ganzes Leben lang seinen Weg gemeinsam mit Jesus Christus gegangen ist, der lässt sich nicht mehr so leicht ins Bockshorn jagen, der hat in aller Regel kein besonderes Interesse daran, noch einmal eine andere Religion auszuprobieren, andere spirituelle Erfahrungen zu machen, der lässt sich in aller Regel nicht mehr faszinieren durch irgendwelche bunten und schillernden Versprechungen im Supermarkt der Religionen und Heilsbringer. Ja, wer sein ganzes Leben lang seinen Weg gemeinsam mit Jesus Christus gegangen ist, der hat eine feste Grundlage für sein Leben, die auch dann noch trägt, wenn Zeiten der Krankheit kommen, ja, wenn es schließlich auch dem Sterben entgegengeht. Was für ein Geschenk, was für ein köstliches Ding, wie es der Hebräerbrief hier so wunderbar benennt, solch ein festes Herz zu haben! Wieviel besser haben wir es da als Christen im Vergleich zu all denen, die solch ein festes Herz nicht haben, die am Ende ihres Lebens feststellen müssen, dass sie eigentlich nichts haben, woran sie sich wirklich halten können, was ihnen einen Halt gibt, selbst wenn sonst alles auf dieser Erde für sie vergeht!

Ja, es ist gut für euch selber, dass ihr solch ein festes Herz habt. Aber es ist auch gut für all die vielen neuen jungen Christen, die wir hier bei uns in der Gemeinde haben. Ja, sie sind auch ein Geschenk für euch, können euch noch einmal anstecken mit ihrer Glaubensfreude, mit ihrer Freude darüber, die frohe Botschaft von Jesus Christus neu für das eigene Leben entdeckt zu haben.

Aber umgekehrt brauchen diese neuen jungen Christen auch euch, die Älteren, euch mit eurem festen Herzen. Wer noch ganz frisch im Glauben ist, der kann solch ein festes Herz noch nicht haben, der steht natürlich in der Gefahr, dass nach der ersten großen Begeisterung der Einbruch kommt, der steht auch noch viel leichter in der Gefahr, sich doch wieder von anderen Heilsversprechen und Heilsbringern anlocken zu lassen: Warum es nicht doch auch mal mit Buddha oder Zarathustra versuchen – oder warum nicht doch denen folgen, die einem einzureden versuchen, dass man ja doch nur dies eine Leben hier auf Erden hat und darum versuchen muss, so viel wie möglich in den paar Jahren, die einem noch bleiben, zu erleben? Ja, die Gefahr ist groß, dass sich selbst Menschen, die für ihren Glauben doch schon so viel aufgegeben und riskiert haben, letztlich doch wieder von allem Möglichen umhertreiben lassen, noch nicht die Zeit hatten, um ihr Herz festmachen zu lassen in ihm, Christus, zu erfahren, wie dieser Jesus Christus sie auch über längere Zeiträume hinweg trägt und ihren Glauben stärkt und festigt.

Und darum freue ich mich so sehr über euch, die Älteren, über euch, die mit dem festen Herzen, mit der Glaubenserfahrung vieler Jahre. Ihr könnt für unsere neuen Gemeindeglieder eine ganz wichtige Ermutigung, eine ganz wichtige Stütze für ihren Glauben sein. An euch können sie ablesen, dass es sich lohnt, dabeizubleiben, dranzubleiben an Christus. Ja, es ist gut und wunderbar, dass wir diese so ungewöhnliche Zusammensetzung in der Gemeinde haben; die ist auch ein besonderes Geschenk des Herrn der Kirche!

Nun mögt ihr, die ihr schon viele Jahre Christen seid, jedoch einwenden: Lieber Pastor, du überschätzt mich gewaltig: So fest ist mein Herz auch nach vielen Jahren und Jahrzehnten nicht; da flattert immer wieder so viel, da gibt es immer wieder so viele Zweifel und Anfechtungen. Ja, ganz gewiss gehört auch das mit dazu zu unserem Glaubensleben. Doch umso wichtiger ist es, dass wir wissen, wie unser Herz immer wieder fest wird: nicht dadurch, dass wir etwas tun, dass wir uns zusammenreißen und uns Mühe geben. Dass unser Herz fest wird, ist auch kein automatischer Prozess. Sondern es geschieht immer wieder aus Gnade, so betont es der Hebräerbrief, ist und bleibt immer wieder ein Geschenk, das uns Christus macht. Fangt darum bloß nicht an, bei euch selber zu testen, wie fest euer Herz wohl schon ist! Schaut ruhig ganz weg von euch selber, allein auf ihn hin, der derselbe ist und bleibt, gestern, heute und in Ewigkeit. Der steht fest, und wenn ihr mit ihm verbunden werdet, wenn ihr sein Wort hört, sein Heiliges Mahl empfangt, dann bekommt ihr auch Anteil an seiner Festigkeit, wird euer Herz eben darum fest, weil Christus in ihm lebt. Ja, darauf dürfen wir uns alle miteinander verlassen, ganz gleich, wie alt wir auch sein mögen. Das gilt, das bleibt – auch im Jahr 2014! Amen.