09.02.2014 | 2. Petrus 1,16-21 | Fest der Verklärung Christi
Pfr. Dr. Gottfried Martens

In der vorletzten Woche ist bei uns wieder ein Karton mit 60 Neuen Testamenten auf Farsi eingetroffen. Die Bibelausgaben werden mir immer wieder fast aus den Händen gerissen – so groß ist der Hunger nach dem Wort Gottes bei vielen, so groß das Interesse daran, selber lesen zu können, wozu man so lange zuvor keinen Zugang hatte. Und so verteile ich die Neuen Testamente immer wieder einfach so, hoffe darauf, dass das Wort Gottes die Kraft hat, bei denen, die es lesen, Glauben zu wirken. Aber, so denke ich manchmal, es wäre eigentlich doch ganz schön, wenn diejenigen, die diese Neuen Testamente in die Hand bekommen, auch gleich dazu eine Art von Gebrauchsanweisung erhielten, damit sie in der rechten Weise mit dem umgehen können, was sie da nun in der Hand halten. Und eine solche Gebrauchsanweisung ist ja nicht bloß hilfreich für farsisprachige Neue Testamente; solch eine Gebrauchsanweisung können wir alle miteinander gut gebrauchen, auch wenn wir schon lange Zeit Bibeln in unseren Händen halten. Und genau solch eine Gebrauchsanweisung der Heiligen Schrift wird uns nun in der Epistel des heutigen Festtags geliefert, und so tun wir, um es mit ihren Worten zu formulieren, gut daran, uns diese Gebrauchsanweisung auch genauer anzuschauen und uns durch sie dazu anleiten zu lassen, wahrzunehmen, was wir da eigentlich in unseren Händen halten. Es ist, so macht es uns der 2. Petrusbrief hier deutlich,

-    ein Augenzeugenbericht
-    ein Buch der Kirche
-    ein Licht in der Dunkelheit

I.
Berichte über das Leben von Jesus finden wir nicht nur in der Bibel. Da gibt es beispielsweise fromme Legenden über die Kindheit von Jesus, die mehr als hundert Jahre nach der Kreuzigung und Auferstehung Jesu verfasst wurden, die sich rührend anhören, aber natürlich nichts mit der wirklichen Kindheit Jesu zu tun haben. Da gibt es Werbeschriften gnostischer Sekten, die in den Jahrhunderten nach dem Wirken Jesu in der Gestalt von Evangelien verfasst wurden und die immer wieder einmal für ein großes Medienecho sorgen, wenn ein paar Schnipsel von ihnen im ägyptischen Wüstensand gefunden werden. Da gibt es reißerische Jesus-Darstellungen, wonach Jesus, statt am Kreuz zu sterben, lieber Maria Magdalena geheiratet und ein paar Kinder gezeugt hat. Und da gibt es nicht zuletzt auch den Koran, der davon zu berichten weiß, dass Jesus unter einer Palme in einer Oase auf dem Weg nach Ägypten geboren wurde und schließlich in hohem Alter eines natürlichen Todes starb.

Doch was unterscheidet nun die Lebensberichte Jesu in der Bibel, was unterscheidet die vier Evangelien von all den anderen Berichten über Jesus, die wir ansonsten aus der Antike bis hin in die Gegenwart kennen? Ganz einfach: Die vier Evangelien sind verfasst von Menschen, die entweder selber noch ihn, Jesus, mit eigenen Augen gesehen haben oder die direkt wiedergegeben haben, was sie von Augen- und Ohrenzeugen Jesu selber vernommen haben. Das unterscheidet die Evangelien von allen Legenden, das unterscheidet sie aber nicht zuletzt auch vom Koran. Mohammad kann eben nicht wie Petrus oder Johannes behaupten: „Wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.“ Er muss sich, wie die anderen, späteren Berichte auch, mit „ausgeklügelten Fabeln“ begnügen, mit fantasievollen Beschreibungen, die nett klingen, aber wenig mit dem zu tun haben, was die Augenzeugen Jesu selber damals zu berichten wussten.

Ja, das darfst du umgekehrt positiv wissen: Wenn du die Lebensberichte des Neuen Testaments in deine Hand nimmst, dann hast du da kein Märchenbuch, keine Sammlung zeitloser Wahrheiten. Sondern du hältst in deiner Hand Berichte von Menschen, die ganz dicht dran waren an Jesus, die selber bezeugen können, dass sie es gehört und vernommen haben, aus dem Munde Jesu, ja aus dem Munde Gottes selber, dass Jesus eben nicht bloß ein Prophet ist, nicht bloß ein weiser Mensch, ein Vorbild der Friedensbewegung, sondern dass er es ist: Gottes geliebter Sohn, an dem Gott Wohlgefallen hat. Du hältst in deiner Hand Berichte von dem wichtigsten Ereignis der Menschheitsgeschichte, davon, dass Gott selber Mensch geworden ist, sichtbar, hörbar, anfassbar geworden ist. Der christliche Glaube bezieht sich in der Tat auf Ereignisse, die in unserer Menschheitsgeschichte stattgefunden haben. Wenn die Geburt des Gottessohnes, wenn seine Kreuzigung und seine Auferstehung nur Legenden, nur Fabeln wären, nur Ausdruck einer allgemeinen Wahrheit, dann könnten wir als Christen einpacken, dann bräuchten wir auch diesen Gottesdienst gewiss nicht zu feiern. Der macht nur Sinn, wenn wir gewiss sein dürfen, dass derselbe Jesus, der einst auf dem Berg der Verklärung von Petrus, Johannes und Jakobus gesehen wurde, nun auch heute Morgen als der Auferstandene hier in unserer Mitte gegenwärtig ist – kein Mythos, keine Einbildung, sondern ganz reales Geschehen.

II.
Doch nun ist die Heilige Schrift eben nicht bloß ein interessanter historischer Bericht oder ein ehrwürdiges literarisches Dokument. Sie ist dazu verfasst, dass sie weitererzählt wird, ausgelegt wird, so, dass die Menschen verstehen können: Das, was da drinsteht, das betrifft mich, das betrifft mein Leben unmittelbar.

Nun ist das mit der Auslegung der Heiligen Schrift aber natürlich immer so eine Sache: Es hat im Verlauf der Geschichte immer wieder Menschen gegeben, die glaubten, sie seien gleichsam die ersten, die die Bibel überhaupt lesen, und die sich aus dem, was sie von der Bibel verstanden hatten, dann ihre eigenen Glaubensvorstellungen zusammengebastelt haben. Viele Sekten sind auf diese Weise entstanden, viele falsche Lehren sind auf diese Weise in der Kirche verbreitet worden, weil Menschen glaubten, sie könnten die Heilige Schrift so auslegen, wie es ihnen gerade persönlich einleuchtet. Doch dagegen betont der 2. Petrusbrief, dass keine Weissagung der Heiligen Schrift, wörtlich: dass keine Predigt, die sich mit Recht auf die Heilige Schrift bezieht, eine Sache eigener Auslegung ist. Als Christen lesen wir die Heilige Schrift immer in der Gemeinschaft der einen, heiligen, allumfassenden und apostolischen Kirche, lesen sie als ein Buch der Kirche, lassen uns helfen und anleiten von denen, die zuvor schon die Heilige Schrift gelesen und gehört haben. Der Heilige Geist, der durch das Wort der Heiligen Schrift redet, hat schon vor uns immer wieder Glauben in den Herzen von Menschen gewirkt, und davon dürfen wir uns helfen lassen, dürfen uns auch helfen lassen von der Gemeinschaft der Schwestern und Brüder, mit denen wir hier in unserer Gemeinde leben. Darum ist es so gut und wichtig, dass wir hier in unserer Gemeinde auch Bibelgesprächskreise haben, in denen wir nachfragen können, in denen wir unseren Blick erweitern lassen können, in denen unser Glaube dadurch immer weiter vertieft wird.

Und zugleich dürfen wir uns durch die Worte des 2. Petrusbriefes daran erinnern lassen, dass es nicht die Normalsituation des christlichen Glaubens im Verlaufe der Geschichte gewesen ist, dass Christen eine Bibelausgabe einfach in ihren Händen halten konnten und können, wie uns dies hier und heute möglich ist. Gottes Heiliger Geist wirkt gewiss auch durch das Lesen der Heiligen Schrift; er wirkt aber eben auch, wo Menschen einfach Gottes Wort hören, wo sie hören, wie die apostolische Botschaft in der Predigt, im Unterricht verkündigt wird. Wichtig bleibt dabei, dass wir uns dies eine klar machen: Wo Christus verkündigt wird, in der Heiligen Schrift oder in der Predigt, da ist dies kein toter Buchstabe, kein leeres Gerede, sondern da passiert etwas, da fängt Gottes Geist immer wieder an, an meinem Herzen zu arbeiten. Wer solch ein Neues Testament in die Hand nimmt, wer bei uns in den Taufunterricht kommt, der sollte dies immer mit bedenken: Er begibt sich in den Wirkungsbereich des Geistes Gottes, der das Leben von Menschen ganz zu verändern vermag.

III.
Und damit sind wir schon beim Dritten, was uns der 2. Petrusbrief hier deutlich macht: Das Wort der Heiligen Schrift ist vor allem auch ein Licht in der Dunkelheit, ein Licht, das an einem dunklen Ort scheint.

Nicht wir müssen die Heilige Schrift mit unseren Geistesblitzen erhellen, sondern die Heilige Schrift selber beleuchtet uns, lässt uns uns selber und unser Leben noch einmal ganz neu wahrnehmen, ja, lässt es in unserem Leben, in unserem Herzen hell werden, weil Christus selber durch dieses Wort in uns zu leuchten beginnt. Gewiss, noch können wir ihn, Christus, nicht sehen, noch ist er nicht wiedergekommen, noch bleibt so vieles in unserem Leben dunkel und unverständlich. Aber wenn wir die Bibel haben und in ihr die frohe Botschaft von Jesus Christus, dann leuchtet uns Christus darin auf unserem Lebensweg voran, dann fällt schon ein Lichtschein der kommenden Ewigkeit in unser Herz.

Achte darum immer wieder neu auf das Wort der Heiligen Schrift, lass dir von ihr helfen, dich und dein Leben besser zu verstehen. Das wird nicht ohne Folgen, nicht ohne Wirkung bleiben. Denn in diesem Wort wirkt der, dessen Herrlichkeit Petrus einst schon auf dem Berg der Verklärung schauen durfte und den auch du einmal mit eigenen Augen sehen wirst, wenn er kommt, um dich in seine Arme zu schließen: Er, Christus, Licht vom Licht, geboren, nicht geschaffen. Dem begegnest du nun gleich wieder hier am Altar – und eben auch in diesem kleinen Buch! Amen.