16.02.2014 | Römer 9,14-24 | Septuagesimae
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Wenn ich Asylbewerber auf ihre Gerichtsverhandlungen beim Verwaltungsgericht vorbereite, dann weiß ich, dass es dabei immer wieder um eine ganz wichtige Frage gehen wird: Beschreiben Sie Ihren Weg vom Islam zum christlichen Glauben! Warum sind Sie Christ geworden? Erwartet wird von den Asylbewerbern, dass sie auch für einen Außenstehenden logisch nachvollziehbar begründen, warum sie sich vom Islam abgewandt haben und sich dem christlichen Glauben zugewandt haben. Nun ja, das mit der Abwendung vom Islam, das lässt sich oft noch sehr gut vernünftig begründen – aber wenn es dann um die Hinwendung zum christlichen Glauben geht, wird es schon schwieriger. Gewiss, natürlich lassen sich immer wieder auch vernünftige und logisch nachvollziehbare Argumente dafür anführen, weshalb sich ein Mensch dazu entschließt, Christ zu werden. Und doch spüren wohl alle Beteiligten bei diesem Unterfangen, den Weg zum christlichen Glauben auf diese Weise einsichtig zu machen, ein verständliches Unbehagen: Der christliche Glaube ist eben nicht ein religiöses Supermarktangebot, das ich mir aus dem Regal ziehen und mitnehmen kann, wenn es mir zusagt und gefällt. Sondern je mehr Menschen darüber nachdenken, warum sie eigentlich Christen geworden bin, desto deutlicher wird ihnen letztlich: Das bin ich eigentlich gar nicht selber gewesen, da bin ich geführt worden, da hat mich ein anderer gepackt, hat etwas mit mir gemacht, was sich eben letztlich nicht mehr logisch einsichtig erklären lässt.

Und das gilt eben nicht nur für Asylbewerber aus dem Iran und aus Afghanistan. Das gilt auch für Christen aus Deutschland oder aus den USA, die schon von Kindheit an im christlichen Glauben aufgewachsen sind. Wenn sie beschreiben sollten, warum sie eigentlich Christen sind, könnten auch sie das nur begrenzt logisch nachvollziehbar darstellen, würden auch schnell an den Punkt kommen, wo sie feststellen: Das war letztlich gar nicht ich selber; ich bin letztlich auch geführt worden, dass ich heute da bin, wo ich bin, dass ich heute bekennen kann: Jawohl, ich bin Christ, ich glaube an Jesus Christus. Das war nicht mein Verdienst, das war nicht meine Entscheidung – ja, das war letztlich Gott selber, der dafür gesorgt hat, dass ich nun heute Morgen hier in der Kirche sitze.

Wenn ich dann aber anfange, noch weiter nachzudenken, noch weiter zurückzugehen, dann kann mir sehr leicht schwindlig werden: Wenn es also Gott gewesen ist, der mich dazu gebracht hat, dass ich glaube, dann hätte er es ja auch anders machen können, dann hätte er mir diesen Glauben ja auch vorenthalten können, dann hätte er mich ja auch einfach in der Hölle landen lassen können. Hätte ich irgendeine Chance gehabt, mich dagegen zu wehren, hätte ich irgendeine Möglichkeit gehabt, Gott gleichsam das Geschenk des Glaubens abzuzwingen?

Für viele von denen unter euch, die aus dem Islam stammen, ist das früher eine sehr bedrängende Frage gewesen: Der Koran sagt ja sehr deutlich, dass Allah erst einmal alle Menschen in die Hölle verbannt, dass aber diejenigen, die genügend gute Werke getan haben, darauf hoffen können, dass Allah sie von dort irgendwann wieder herausholen wird. Doch die Hoffnung, die damit verbunden ist, ist begrenzt, erklärt Allah doch zugleich sehr offen im Koran, dass er viele Menschen von vornherein für die Hölle geschaffen habe.

Schwestern und Brüder: Als ihr eben die Verse unserer heutigen Predigtlesung gehört habt, haben die da vielleicht in euren Ohren doch so ähnlich geklungen wie der Koran: Gott, der wie ein Töpfer Gefäße zur Ehre und zur Unehre schafft – und der Mensch, der einfach nur seinen Mund halten sollte, ohne sich darüber aufzuregen und dies zu beklagen. Klingt das nicht auch arg nach Koran?

Doch wenn wir genau hinschauen, dann stellen wir fest, dass der Apostel Paulus hier in Wirklichkeit genau das Gegenteil von dem verkündigt, was wir eben aus dem Koran gehört haben. Da ist nicht von der Hölle die Rede, in die bestimmte Menschen verbannt werden, sondern von der großen Geduld Gottes, mit der er selbst die Menschen erträgt, die seinen Zorn bei ihm hervorrufen. Gott macht mit Menschen nicht kurzen Prozess, gewährt selbst denen noch Zeit, Zeit zur Umkehr, bei denen doch scheinbar nichts mehr zu retten ist. Alles, was Gott tut, dient letztlich nur dem einen Ziel: Dass Menschen seine Gnade erfahren, dass Menschen an seiner Herrlichkeit Anteil bekommen. Nicht die Hölle ist das Ziel, das Gott bei der Erschaffung der Menschen verfolgt hat. Nicht die Hölle ist das Ziel, das Gott auch im Umgang mit den Menschen in der Geschichte verfolgt. Immer wieder geht es ihm um Gnade, um Erbarmen, um Heil.

Doch an diesem Heil bekommen wir Menschen eben gerade nicht dadurch Anteil, dass wir so viele gute Werke tun, dass wir zeigen, dass wir besser sind als andere, dass wir mehr leisten als andere. Gott macht sein Erbarmen über uns nicht abhängig von unserer Leistungsbilanz, nicht davon, ob wir im Leben Erfolg haben, nicht davon, dass wir genug gebetet, genug gefastet, genug gespendet haben. Gott macht sein Erbarmen über uns nicht abhängig von unserer Entscheidung für ihn. Sondern er entscheidet sich für uns – ganz unabhängig davon, was wir ihm vorzuzeigen haben. Seine Entscheidung ist nicht Ausdruck einer Belohnung für unser anständiges Leben. Seine Entscheidung ist einzig und allein Ausdruck seiner Liebe zu uns, die in nichts und niemand anders begründet liegt als in ihm allein, in seinem liebenden Herzen, in ihm selber, der doch die Liebe in Person ist. „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“

Wir mögen uns darüber aufregen, dass unser ewiges Geschick so ganz und gar an Gott hängt und gar nicht an dem, was wir tun und entscheiden. Wir mögen uns darüber aufregen, dass unser anständiges Leben, dass unser Einsatz für die Kirche von Gott so wenig gewürdigt wird, dass er dies bei seiner Entscheidung über unser Leben so gar nicht berücksichtigt. Sollten wir uns wirklich bei Gott keinen Pluspunkt damit verdienen können, dass wir jeden Sonntag in die Kirche gehen, dass wir so viel Zeit und Kraft und Geld für die Kirche opfern? Doch wenn wir auch nur ein wenig weiterdenken, dann ahnen wir selber, wie sehr wir uns selber ins Knie schießen würden, wenn wir allen Ernstes verlangen würden, Gott solle seine Entscheidung über unser Leben auch von uns abhängig machen. Dann könnten wir letztlich eben niemals wissen, ob wir genug getan haben, ob unser Beitrag ausreicht, in den Himmel zu kommen, oder ob wir letztlich doch an Gottes Qualifikationsnormen scheitern.

Und dann beginnen wir zugleich zu ahnen, was für eine wunderbare Botschaft uns Paulus hier in diesen Versen verkündigt: Du musst nichts mehr tun für Gott, du brauchst ihn nicht mehr zu beeindrucken. Er hat doch schon längst sein Ja zu dir gesprochen, jawohl, ganz persönlich, hat dich zum ewigen Leben berufen in deiner Taufe. Von diesem Versprechen, von dieser Berufung kommt Gott nicht mehr los; darauf kannst du ihn festnageln. Du brauchst dir keine Gedanken mehr darüber zu machen, ob Gott dich vielleicht nicht doch in die Hölle hätte stecken können, wenn er gewollt hätte. Er hat es eben nicht gewollt, hat stattdessen seinen Sohn für dich die Hölle erleiden lassen, damit du aufatmen kannst, damit du dein Leben unter der hellen Sonne seiner Gnade führen kannst.

Deine Lebenswege mögen dir vielleicht sehr merkwürdig und völlig unverständlich vorkommen. Doch du darfst gewiss sein: Gott weiß, warum er dich so und nicht anders geführt hat und führt. Er kennt das Ziel deiner Wege, und dieses Ziel heißt „ewige Herrlichkeit“. Ja, du selber magst dir mitunter vielleicht wenig liebenswert vorkommen, magst selber denken, dass du doch eher die Hölle als den Himmel verdient hast mit dem, was du in deinem Leben gedacht und gesagt hast, was du in deinem Leben versäumt hast. Doch du darfst gewiss sein: Gott hat dich geschaffen und geformt zu einem wunderbaren Gefäß seiner Barmherzigkeit und Herrlichkeit, will dich mit dieser Barmherzigkeit und Herrlichkeit auch heute wieder füllen, wenn er dir begegnet hier im Heiligen Mahl.

Du brauchst keine Angst davor zu haben, nicht genügend Gutes im Leben zu tun. Du brauchst keine Angst davor zu haben, dass deine Kräfte in deinem Leben einmal nicht mehr reichen. Du brauchst keine Angst davor zu haben, dass dein Heil in Gefahr sein könnte, wenn irgendwann einmal deine geistigen Kräfte nachlassen und du nach fünf Sekunden schon wieder vergessen hast, was du gerade zuvor noch gehört und gesagt hattest. Gott hat sich vorgenommen, dich in den Himmel zu bringen, er hat es dir versprochen, und er wird es auch durchsetzen. Darum sitzt du heute Morgen nun auch hier in der Kirche; darum bist du Christ. Alles hängt an Gott allein. Und der bleibt niemals zweideutig, niemals offen, niemals unentschieden. Bei dem steht fest: Er wird sich auch deiner erbarmen, wird dir vergeben, wird dich retten, so wahr er Gott ist. Glaub es ihm! Amen.