10.08.2014 | Römer 6,19-23 | 8. Sonntag nach Trinitatis
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Ich erinnere mich noch gut an die Fernsehbilder der jubelnden Menschenmassen in Teheran, als der Ayatollah Chomeini mit dem Flugzeug im Februar 1979 aus seinem Exil in den Iran zurückgekehrt war: Endlich war die Zeit der Unterdrückung durch das Regime des Schahs vorbei, endlich begann das neue Zeitalter der Freiheit! Wohin diese scheinbare Freiheit geführt hat, davon können viele von uns, die heute hier im Gottesdienst sitzen, aus eigener Erfahrung eine Menge erzählen. Wenn man ein ungerechtes Regime, eine Herrschaftsform, unter der Unfreiheit herrscht, beseitigt, dann bedeutet das offenkundig nicht, dass man dadurch freier wird. Genau diese Erfahrungen haben auch so viele Menschen in den Monaten nach dem arabischen Frühling in verschiedenen Ländern gemacht.

Was für die Politik gilt, gilt auch für den einzelnen Menschen: Frei werde ich nicht schon dadurch, dass ich einer bestimmten Unfreiheit in meinem Leben entkomme. Das ist auch eine Erfahrung, die schon viele Menschen, die beispielsweise der Unfreiheit des Lebens im Iran oder in Afghanistan entkommen sind, gemacht haben. Nicht wenige dachten, als sie hier in Deutschland ankamen: Jetzt sind wir frei, jetzt können wir einfach alles machen, was wir wollen. Das ist Freiheit. Aber so funktioniert Freiheit eben nicht. Wenn ich denke, Freiheit heißt einfach nur, alles machen zu können, was ich will, dann muss ich mich nicht wundern, wenn ich mich ganz schnell in neuen Unfreiheiten vorfinde, mich in andere Abhängigkeiten begebe. Ja, das wird unweigerlich der Fall sein, solange ich nicht begreife, dass Freiheit in Wirklichkeit eben etwas ganz Anderes ist, als einfach nur alles zu machen, was mir gerade Spaß macht.

Genau darum geht es auch in der Predigtlesung des heutigen Sonntags. Da zeigt uns der Apostel Paulus, warum wir nicht einfach dadurch frei in unserem Leben werden, dass wir bestimmte Unfreiheiten hinter uns lassen, ja warum wir Menschen von uns aus gar nicht dazu in der Lage sind, wirkliche Freiheit zu schaffen: Die tiefste Unfreiheit, in der wir Menschen gefangen sind, besteht eben nicht darin, dass wir in einem ungerechten politischen System leben, auch nicht bloß darin, dass wir uns in unserem Leben immer wieder in alle möglichen Abhängigkeiten verstricken. Sondern die tiefste Unfreiheit unseres Lebens besteht darin, dass wir schon von unserer Geburt an von einer Macht bestimmt waren, die Paulus hier „Sünde“ nennt. Doch mit dieser Sünde meint er nun gerade nicht, dass wir Schweinefleisch essen oder Alkohol trinken, er meint damit auch nicht, dass wir uns das eine oder andere moralische Fehlverhalten leisten. Sondern die Sünde, die uns zu unfreien Menschen macht, ist viel mehr, ist viel stärker, ist eine Macht, die uns von Christus fernzuhalten versucht, die uns dazu veranlasst, immer wieder nur um uns selber, um unseren eigenen Vorteil zu kreisen. Und wir, wir ahnen in unserem Leben zumeist gar nicht, wie uns diese Macht in unserem Leben bestimmt und manipuliert, wie sie auch unsere Sehnsucht nach Freiheit dazu missbraucht, uns nur in immer weitere Unfreiheit zu verstricken. Das gilt für Deutsche haargenau so wie für Iraner und Afghanen: Wir kommen aus dieser Unfreiheit von uns aus nicht heraus, aus dieser Unfreiheit, die uns das tun lässt, was uns von Gott fern hält, und kommen uns dabei zugleich doch so unheimlich frei und cool vor.

Doch Paulus begnügt sich hier in unserer Predigtlesung nun eben gerade nicht damit, darüber zu klagen, wie leicht wir immer wieder unter dem Deckmantel der Freiheit auf alle möglichen Verlockungen der Unfreiheit hereinfallen, verzichtet erst recht darauf, nun alle möglichen Einzelheiten einzugehen, wie Menschen sich in Abhängigkeiten begeben und daraus nicht mehr herauskommen: ob es nun die klassischen Drogen, der Alkohol vornean, sind, ob es unser Sexualtrieb ist, der unser Hirn und unser Gewissen immer wieder in den Unterleib rutschen lässt, ob es Abhängigkeiten von Computern oder Handys sind, die so weit reichen, dass man selbst im Gottesdienst nicht mehr auf sie verzichten kann – letztlich steckt dahinter immer wieder diese eine Macht, die uns die wahre Freiheit nicht gönnt.

Und von dieser wahren Freiheit spricht der Apostel Paulus hier nun besonders eindringlich und macht uns dabei dies eine ganz deutlich: Wahre Freiheit wirst du nur da finden, wo du dich ganz bewusst von einem anderen Herrn in deinem Leben beherrschen lässt. Du kannst als Mensch niemals einfach ganz frei, niemals ohne Herrn sein. Es geht immer nur darum, welchem Herrn du dienst, wer dein Denken, Reden und Handeln bestimmt. Und da zeigt uns Paulus hier: Es gibt nur einen Herrn, der uns nicht in immer neue Unfreiheiten hineintreibt, sondern der uns wirklich frei macht: Und das ist Christus selber, dem es genau darum geht, dir in der festen Bindung an ihn die wahre Freiheit zu schenken.

Nein, diesen Herrn konnten wir uns nicht einfach aussuchen. Dass er uns im Unterschied zu allen anderen Herren und Mächten wirklich frei macht, das kann man als Außenstehender nicht gleich von vornherein erkennen und verstehen. Sondern dieser Herr ist selber tätig geworden, hat uns selber all den Mächten, die uns für immer in der Unfreiheit halten wollten, entrissen und unter seine Herrschaft gestellt in der Heiligen Taufe. Das sieht so unscheinbar aus, was auch heute Morgen hier bei der Taufe von Benjamin geschehen ist. Und doch hat da in Wirklichkeit im Leben von Benjamin wie im Leben von uns allen, die wir getauft sind, in unserer Taufe eine wahre Revolution stattgefunden, eine Revolution, in der ein Herrscher durch einen anderen ersetzt worden ist, eben durch den einzigen, der uns wirklich frei zu machen vermag.

Und nun schärft Paulus den Christen in Rom und uns dies eine ein: Nur wenn du in dieser Gemeinschaft mit Christus bleibst, die dir in deiner Taufe geschenkt worden ist, bleibst du ein freier Mensch. Und dabei geht es eben nicht bloß darum, ob du dich bei Christus vielleicht einigermaßen gut oder befreit fühlst. Es geht um nicht weniger als um Leben und Tod. Nur in der Gemeinschaft mit Christus wird dir ein Leben geschenkt, das stärker ist als der Tod, ein Leben, das kein Ende mehr hat, das erfüllt ist von Freude über diese unendliche Lebensperspektive, die dir Christus, dein Herr, eröffnet. Nur in der Gemeinschaft mit Christus brauchst du keine Angst mehr zu haben, das Wichtigste in deinem Leben zu verpassen, landest du auf der Suche nach vermeintlicher Freiheit nicht immer wieder am Ende doch in der Unfreiheit, weil du erfährst: Freier als bei Christus kann ich gar nicht sein. Denn nur Christus befreit mich von der Macht der Sünde, vergibt mir mein Versagen, bewahrt mich davor, selber schaffen zu wollen, was doch nur er zu schaffen vermag.

Klinke dich darum bloß nicht aus der Gemeinschaft mit Christus aus, lass dir niemals einreden, diese Gemeinschaft mit Christus würde dich unfrei machen! Wenn du Christus verlierst, dann verlierst du nicht bloß irgendetwas. Dann verlierst du das ewige Leben, das du eben nur in Christus, Jesus, unserm Herrn, hast. Dann begibst du dich wieder in den Herrschaftsbereich von Mächten, die dein Leben eben doch nur im Tod enden lassen wollen und werden.

Erinnere dich darum immer wieder an das Geschenk deiner Taufe, wenn dir irgendjemand einreden will, ein Leben ohne Christus, ein Leben gegen sein Wort, gegen sein Gebot, sei ein viel freieres Leben. Glaube diese Lüge nicht! Und glaube erst recht nicht, es sei für einen Menschen möglich, so ganz einfach herrschaftsfrei zu leben. Es kommt in deinem Leben nicht darauf an, ob du dich beherrschen lässt, sondern allein, von wem du dich beherrschen lässt. Und wie könntest du es da besser haben als bei dem Herrn, der sein Leben für dich in den Tod gegeben hat, damit der Tod keine Macht mehr über dich hat, damit du frei bist von der Sorge, du würdest in deinem Leben zu kurz kommen!

Und denke daran: Bei Christus gibt es keine doppelte Staatsbürgerschaft. Du kannst nicht zugleich Christ und Muslim sein, kannst nicht zugleich Christ sein und dich doch in deinem Leben von ganz anderen Mächten beherrschen lassen und ihnen dienen. Du bist nicht nur ein bisschen, sondern ganz und gar getaufter Christ, ganz und gar Eigentum deines Herrn. Ja, lebe das ganz fröhlich, lass es auch andere erkennen, wie gut du es hast: frei zu sein von der Furcht vor dem Tod, frei zu sein davon, sich ständig selber rechtfertigen zu müssen, eigene Schuld und eigenes Versagen vertuschen zu müssen. Wer zu Christus gehört, darf eigenes Versagen offen eingestehen, darf eigene Schuld bekennen, weil er doch weiß: Das braucht mich nicht mehr zu beherrschen, das braucht mein Leben nicht mehr zu bestimmen. Dafür sorgt Christus, mein Herr! Wer bei ihm bleibt, für den gibt es nicht später mal ein böses Erwachen, der wird sein Leben lang feiern dürfen – in jedem Gottesdienst und dann einmal für immer im ewigen Leben. Amen.