31.08.2014 | 2. Samuel 12,1-10.13-15a | 11. Sonntag nach Trinitatis
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Wenn das kein gefundenes Fressen für die Presse ist: Der führende Politiker eines Landes vergewaltigt eine junge, verheiratete Frau, die dadurch von ihm schwanger wird. Anschließend sorgt er dafür, dass der Ehemann dieser Frau auf elegante Weise ums Leben kommt, und heiratet schließlich die trauernde Witwe. Und alle jubeln diesem aufstrebenden Politiker zu, ahnen nichts von diesem Skandal, den er perfekt vertuscht hat. Doch dann hat es doch einer rausbekommen, was sich dieser Politiker hat zuschulden kommen lassen – und geht zu diesem Politiker hin, will ihn zur Rede stellen für das, was er getan hat. Wie das wohl ausgehen wird?

Genau eine solche Skandalgeschichte wird uns in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags erzählt: Die Geschichte von dem erfolgreichen, beliebten König David, dem offenbar sein Verstand in den Unterleib gerutscht war, als er in der Nachbarschaft der jungen Bathseba beim Duschen zugeschaut hatte. Er hatte sie zu sich bestellt, sie vergewaltigt und anschließend dafür gesorgt, dass ihr Mann Uria bei einem Feldzug gegen die Ammoniter ums Leben kam. Und danach hatte der König die arme, trauernde Witwe geehelicht. Alles schien er perfekt vertuscht zu haben – bis eines Tages der Prophet Nathan bei ihm auftaucht und ihn auf das anspricht, was gewesen ist. Nein, Nathan macht das nicht direkt – damit hätte er bei David sicher nicht die Reaktionen ausgelöst, um die es ihm doch ging. Stattdessen erzählt er dem König David eine Geschichte, die scheinbar erst mal gar nichts mit ihm, David, zu tun hat, die ihn vielmehr in seiner Funktion als oberster Richter des Landes ansprach: Die Geschichte von einem reichen Mann, der einem armen Mann sein einziges Schaf wegnahm, weil er von seinem eigenen Reichtum nichts abgeben wollte.

Uns mag diese Beispielgeschichte erst einmal nicht gleich einleuchten: Was hat ein Schaf mit David und Bathseba zu tun? Wir können diese Geschichte in der Tat nur verstehen, wenn wir uns klarmachen, dass damals Frauen als Besitz des Mannes galten – und dass die ganze Geschichte von David und Bathseba von daher unter dem damaligen Recht als Eigentumsdelikt galt, das David dem Uria gegenüber begangen hatte. Nach unserem heutigen Urteil kommt die arme vergewaltigte Bathseba in dieser Geschichte eindeutig zu kurz. Doch statt dass wir jetzt auch selber anfangen, hier den Richter über David und Nathan zu spielen, sollten wir hier lieber noch mal genauer hinschauen, was der Nathan hier macht: Der droht nämlich nicht mit der Presse, sondern der leitet den David dazu an, seine Schuld vor einem ganz anderen Gremium als vor der Presse oder der Öffentlichkeit des Landes zu bekennen, vor der einzigen Instanz, auf die es am Ende tatsächlich ankommt: vor Gott selber. Ja, Nathan bringt den David dahin, seine Schuld vor Gott zu bekennen – indem er ausnutzt, was wir alle miteinander nur allzu gerne machen: Statt auf unsere eigene Schuld zu schauen, fällen wir gerne harte Urteile über andere – ohne zu merken, wie wir uns damit selber auch zugleich das Urteil sprechen: „Du bist der Mann!“

Und damit, Schwestern und Brüder, sind wir nun auch schon bei uns selber, beginnen wir zu ahnen, dass diese Geschichte auch mit uns selber, mit unserem eigenen Leben zu tun hat:

Wir lieben es ja, uns an den Verfehlungen der Schönen und Reichen und Mächtigen in diesem Lande zu weiden oder uns wahlweise darüber mächtig aufzuregen: Wenn ein Uli Hoeneß viele Millionen Euro an Steuergeldern hinterzieht, dann tut es so gut, sich entweder über ihn zu empören oder über ihn abzulästern. Wenn ein Bundesminister dabei erwischt wird, wie er in seiner Doktorarbeit abschreibt, dann empfinden wir ein wohliges Gefühl dabei, ihm beim Sturz von ganz oben nach unten zuzuschauen. Und bei all dem schaffen wir es immer wieder allen Ernstes, die Leichen im Keller unseres eigenen Lebens so vollkommen zu verdrängen, dass wir uns allen Ernstes dazu berechtigt sehen, über die Verfehlungen anderer Menschen kaum weniger harte Urteile zu fällen als David damals auch: „Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat!“ Todesstrafe für Lämmerdiebstahl – was für ein scheinbar maßloses Urteil!

Ahnen wir es wenigstens noch, wie wir mit unseren Urteilen über andere Menschen letztlich uns selber das Urteil sprechen, wie wir uns mit eben dem Maß auch selber messen lassen müssen, mit dem wir andere messen? Und wenn wir es zu ahnen beginnen – wovor fürchten wir uns dabei eigentlich? Fürchten wir uns davor, dass andere Menschen mitbekommen könnten, wovon doch nur wir selber in unserem Leben wissen – oder was wir zumindest so gut versteckt zu haben glauben, dass das doch eigentlich kein anderer jemals herausbekommen kann? Fürchten wir uns davor, wie wir dann vor anderen Menschen dastehen, wie sie über uns urteilen könnten? Ist dieses Urteil der anderen Menschen über uns für uns das entscheidende Urteil über unser Leben?

Der Nathan hat damals nicht bei der BILD-Zeitung angerufen. Er hat die Story von David und Bathseba auch nicht auf Facebook veröffentlicht. Er ist damit überhaupt nicht in die Öffentlichkeit gegangen. Für ihn war und ist nicht entscheidend, wie David in den Augen anderer Menschen dasteht; ihm ging es auch nicht darum, nun irgendwie die Karriere des David zu zerstören. Ihm ging es um etwas völlig anderes, um etwas viel Wichtigeres: Ihm ging es um das Verhältnis zwischen David und Gott. Dass das geklärt, dass das wieder in Ordnung gebracht wurde, das war für David lebenswichtig, und darum musste er im Auftrag Gottes auch zu David hin, konnte ihn nicht einfach so weitermachen lassen wie bisher.

Ist dir das auch ganz klar, was für dich in deinem Leben eigentlich entscheidend ist? Eben nicht, ob du selber ganz gut mit dir und deinem Leben klarkommst, ob du die Lebenslügen selber glaubst, die du dir im Laufe deines Lebens vielleicht aufgebaut hast. Und entscheidend für dich in deinem Leben ist eben auch nicht, was andere Menschen über dich denken, ob du es geschafft hast, dich ihnen gegenüber in einem guten, positiven Licht zu zeigen. Nein, es wäre noch nicht einmal die größte Katastrophe deines Lebens, wenn andere Menschen mitbekommen würden, was es da alles an dunklen Stellen in deinem Leben gibt, die kein anderer kennt und die du selber vielleicht auch schon längst verdrängt hast. Sondern einzig und allein entscheidend für dich und dein Leben ist, was Gott über dich denkt, wie er über dein Leben urteilt.

Und was Gott über dich denkt, darüber brauchst du nicht zu spekulieren: Er hat dir ganz klar in seinem Wort gesagt, was er von dir erwartet: Er hat es dir klar gesagt in den Zehn Geboten, was er von dir will: Dass er ganz die Nummer eins in deinem Leben ist, dass du deinen Nächsten liebst wie dich selbst. Und wenn du seinem Willen mit deinem Leben, mit deinem Denken, deinem Tun, deinem Reden widersprochen hast, dann gilt auch für dich das Urteil, das David damals zunächst nichtsahnend und doch zugleich so treffend formuliert hat: Dieser Mensch ist ein Kind des Todes. Den Tod, ja den ewigen Tod hast du verdient, wenn du Gottes Gebote nicht gehalten hast. Gott fängt nicht erst dann an, sein Urteil über dich zu sprechen, wenn du einen Menschen vergewaltigt oder ermordet hast, wenn dein Leben tauglich ist für eine Skandalüberschrift in der Presse. Keinen unter uns gibt es, mich selber natürlich eingeschlossen, der dieses Urteil des David nicht auch als Urteil über sein eigenes Leben anerkennen müsste.

Dieser Gedanke ist für uns natürlich geradezu unerträglich, und so versuchen wir Menschen immer wieder auf allen möglichen Wegen, uns diesem Urteil zu entziehen. Wir versuchen, so zu tun, als hätten wir doch gar nichts getan, verstecken uns gleichsam wie einst Adam in den Büschen vor Gott und sind allen Ernstes so naiv zu glauben, damit bei Gott durchzukommen. Oder wir zeigen mit unserem Finger auf andere, die an allem schuld sind und uns damit scheinbar entlasten. Oder wir vergleichen unsere Schuld mit der anderer Leute und stellen fest, dass wir im Vergleich zu ihnen doch eigentlich noch ganz gut dastehen.

Doch Nathan schneidet dem David alle Fluchtmöglichkeiten ab, spricht ihn so direkt auf seine eigene Schuld an, dass David am Ende nur bekennen kann: „Ich habe gesündigt gegen den Herrn.“ Ja, genau dahin will Gott uns durch seine Boten auch bringen, dass wir genau diese Worte aussprechen, nicht bloß mit unseren Lippen, sondern mit unserem Herzen: „Ich habe gesündigt gegen den Herrn.“ Es ist nicht entscheidend, was andere über mich denken, auch nicht, was ich selber über mich denke. Ich weiß: Gott hat das Recht dazu, sein Urteil über mich zu fällen, ja, sein Todesurteil über mich zu fällen.

Wir sprechen diese Worte des David in jedem Gottesdienst aus: „Allmächtiger Gott, barmherziger Vater, ich armer, elender, sündiger Mensch bekenne dir alle meine Sünde und Missetat, die ich begangen habe mit Gedanken, Worten und Werken, womit ich dich erzürnt und deine Strafe zeitlich und ewiglich verdient habe.“ Keine Ausrede, kein Schönreden, kein Verweis auf andere: Ich habe sie verdient, deine Strafe, zeitlich und ewiglich.

Und dann passiert hier in der Geschichte etwas Unglaubliches: Der Nathan erteilt dem David im Auftrag Gottes die Absolution, die Vergebung, spricht ihm die Rettung vom Tod zu, die Wegnahme aller seiner Sünde. Das ist das Entscheidende, worum es in dieser Begegnung zwischen David und Nathan geht: Dass die Sünde des David weggenommen wird, dass er neu anfangen darf. Nathan trägt nichts in die Öffentlichkeit. Was hier berichtet wird, ist und bleibt die Begegnung zweier Menschen und in dieser Begegnung die Begegnung Davids mit dem lebendigen Gott. Und genau das ist auch das Entscheidende, worum es in jedem Gottesdienst, in jeder Beichte bei uns geht: Dass da einer die Vollmacht hat, Menschen, die ihre Schuld bekennen, im Auftrag Gottes die Vergebung so zuzusprechen, dass damit die Sünde weggenommen ist und aus dem Todesurteil der Freispruch zum ewigen Leben wird.

Ja, beides ist wichtig: Dass wir unsere Schuld vor Gott eingestehen – und dass wir daraufhin Gottes Vergebung empfangen. Darum ist es wichtig, dass wir tatsächlich auch pünktlich zur Beichtandacht kommen und nicht meinen, uns Gottes Vergebung ohne Bekenntnis unserer Schuld schnell mal abholen zu können. Es geht hier nicht um ein „schnell mal“. Es geht um Leben und Tod, oder besser gesagt: um Tod und Leben. Ach, wenn wir doch nur ahnen würden, was dieser Freispruch in Wirklichkeit bedeutet! Dann würden wir schon morgens um 8 Uhr hier vor der Tür stehen, weil wir es nicht abwarten könnten, diesen Freispruch endlich wieder zu empfangen!

Nein, Gott erspart uns in unserem Leben oft genug nicht, dass wir die Folgen unserer Verfehlungen in unserem Alltag zu tragen und auszuhalten haben, er erspart uns nicht, dass die Narben schmerzen, die unsere Verfehlungen in unserem Leben hinterlassen. Das hat damals auch der David schmerzlich erfahren müssen. Aber das Wichtigste blieb ihm: Gottes Zusage: Du wirst nicht sterben.

Als Christen wissen wir, dass diese Worte einen noch viel tieferen Klang haben. „Du wirst nicht sterben“ – das heißt in der Tat: Du wirst ewig leben dürfen, nicht, weil Gott es mit deiner Sünde nicht so ernst nähme, sondern weil Jesus Christus für deine Sünde am Kreuz gestorben ist. Darum brauchst du deine Schuld nicht länger zu verstecken und zu verleugnen. Darum bist du frei, deine Schuld auszusprechen – vor Gott und immer wieder auch ganz konkret vor einem Boten Gottes, eben weil dich darauf nicht das Verdammungsurteil, sondern der Freispruch Gottes erwartet. Gott stellt dich nicht vor anderen bloß, sondern umkleidet dich mit der Gerechtigkeit seines Sohnes. Gott macht aus deinem Leben keine Skandalstory, sondern eine Geschichte mit einem unglaublichen happy end: Geh hin, du wirst leben – in Ewigkeit! Halleluja! Amen.