08.10.2014 | Hebräer 10,35-39 | Mittwoch nach dem 16. Sonntag nach Trinitatis
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Wir hatten am Sonntag nach dem Gottesdienst noch auf ihn gewartet. Ganz selbstverständlich war er immer sonntags nachmittags hier bei uns, saß im Gemeindesaal am Tisch und half den Menschen aus dem Iran und Afghanistan bei ihren Problemen, die sie mit Behörden hatten, saß hier bei uns oft bis in den Abend hinein. Wie ein Geschenk des Himmels war er eines Tages hierher zu uns gekommen, hatte uns seine Hilfe angeboten – ohne auch nur einen Cent Geld dafür zu nehmen. Und seitdem kam er, Woche für Woche, Sonntag für Sonntag, hat so vielen von uns geholfen und sie begleitet, hat nebenbei auch so manchem den Weg in unsere Gemeinde gewiesen. Wenn ich mich bei ihm für seine Hilfe bedankte, dann betonte er immer wieder, das sei doch ganz selbstverständlich, dass er dies tue. Und das meinte er von sich aus auch tatsächlich so, obwohl es in Wirklichkeit natürlich gar nicht selbstverständlich war, was er da tat.

Vergeblich haben wir am Sonntag auf ihn gewartet, und das bereitete uns schon Sorgen. Und diese Sorgen wurden dann am Montag zur traurigen Gewissheit, als wir erfuhren, dass Mohammad Khani am vergangenen Wochenende aus dem Leben geschieden ist. Ich habe an den vielen, vielen Reaktionen hier in unserer Gemeinde gemerkt, wie viele von uns durch seinen Tod getroffen sind, wie vielen von uns er ein Helfer und Begleiter gewesen ist, wie viele Spuren er im Leben so vieler von uns hinterlassen hat. Ja, sein Tod schmerzt auch mich persönlich sehr.

Was können wir nun als Christen an diesem Abend tun? Wir können und wollen nicht verschweigen, dass Mohammad Khani sich jedenfalls nicht erkennbar in seinem Leben dem christlichen Glauben zugewandt hat. Es wäre nicht ehrlich ihm gegenüber, wenn wir ihn hier nun einfach für diesen Glauben vereinnahmen wollten.  Doch das sollte uns nun nicht daran hindern, zunächst und vor allem Gott zu danken für Mohammad Khani, ja, für den Segen, den Gott auch durch ihn ganz erkennbar in unserer Gemeinde gewirkt hat. Ja, Gott kann auch durch Menschen, die keine Christen sind, an anderen Menschen, ja auch und gerade an Christen seinen Segen wirken, ja sogar Menschen in die Gemeinschaft mit Christus führen. Nein, das war gewiss kein Zufall, dass Gott uns Mohammad Khani in unsere Gemeinde geschickt hat; ganz gewiss hat er ihm darin sein Herz gelenkt. Und wer weiß, ob ihr mit eurem Verhalten als Christen ihm gegenüber vielleicht doch auch sein Herz mehr angerührt habt, als wir es jedenfalls von außen erkennen konnten!

Ein Zweites wollen wir an diesem Abend tun: Wir wollen hören auf das Wort unseres Herrn: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ Keinem von uns steht es zu, ein Urteil über Mohammad Khani zu fällen, erst recht nicht über sein ewiges Geschick. Natürlich ist es ganz klar: Es ist nach Gottes Willen nicht richtig, dass wir selber unser Leben beenden. Das Leben eines jeden Menschen und damit auch unser eigenes Leben ist heilig, das heißt: Es gehört Gott. Und nur Gott hat das Recht dazu, das Leben eines Menschen und damit auch unser eigenes Leben zu beenden. Aber dass unser Leben hier auf Erden endet, ist eben Folge dessen, dass wir Menschen uns von Gott abgewandt haben, dass wir uns von Gott getrennt haben. Alle Krankheiten sind Ausdruck dessen, dass Gottes Schöpfung nicht mehr so gut ist wie am Anfang, dass da in unserem Verhältnis zu Gott etwas kaputt gegangen ist. Aber daraus kann man eben nun nicht schließen, dass bestimmte Krankheiten Folgen einer bestimmten Sünde im Leben eines Menschen sind, dass Gott mit einer Krankheit eine bestimmte Sünde straft oder dass Menschen, die aufgrund einer bestimmten Krankheit sterben, deswegen in die Hölle kommen. Und dies gilt ganz besonders auch für Depressionen, unter denen Mohammad Khani offenkundig mehr gelitten hat, als wir dies zumeist auch nur geahnt haben.

Depressionen können den Blick eines Menschen so sehr verdunkeln, dass er nicht mehr dazu in der Lage ist, die Welt um sich herum so wahrzunehmen, wie andere sie wahrnehmen. Furchtbar ist die Dunkelheit, in die Depressionen einen Menschen stürzen können, furchtbar ist dieses Gefühl, sich nur noch in einem dunklen Loch zu befinden, aus dem man nicht mehr herauskommt. Wir können es als Außenstehende nicht begreifen, warum Mohammad Khani am Ende nicht mehr wahrnehmen konnte, wie sehr er von so vielen Menschen geliebt und hoch geachtet wurde, wie sehr er von so vielen Menschen doch auch weiter gebraucht worden wäre. Wir können nur mit Schmerzen erkennen, wie entsetzlich Krankheiten der Seele auch und gerade Menschen quälen können, von denen wir glaubten, dass sie doch sogar die Lasten vieler anderer Menschen noch mit tragen konnten. Aber darüber zu richten, wenn Menschen schließlich an den Folgen solch einer Krankheit sterben, das steht uns auch und gerade als Christen nicht zu.

Nein, wir sagen als Christen nicht, dass ein Mensch deswegen in die Hölle kommt, weil er seinem Leben selber ein Ende setzt. Aber wir sagen umgekehrt auch nicht, dass ein Mensch deswegen in den Himmel kommt, weil er so freundlich und hilfsbereit gewesen ist, weil er in seinem Leben so viele gute Taten getan hat. Kein Mensch kann sich mit seinen guten Werken einen Platz im Himmel verdienen. Wenn dies so wäre, dann könnten wir auf Jesus Christus verzichten, dann bräuchten wir auch diesen Gottesdienst nicht zu halten. Ja, natürlich erwartet Gott von uns, dass wir ihn und unseren Nächsten lieben, dass wir unserem Nächsten mit guten Taten dienen. Und wir tun als Christen unserem Nächsten ja auch, Gott geb’s, Gutes aus Freude aus unserem Glauben an Christus heraus. Aber wir sollten als Christen dabei nicht so arrogant sein zu glauben, wir seien als Christen bessere Menschen als andere. Mohammad Khani ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass Menschen, die jedenfalls nicht erkennbar Christen sind, uns Christen mit ihrem Leben und Verhalten oft genug beschämen können.

Doch in den Himmel kommen wir alle miteinander ohne Ausnahme nur durch Jesus Christus, durch das, was er für uns getan hat. Am Kreuz ist Christus für uns gestorben – für einen jeden von uns. Am Kreuz ist Christus gestorben – auch für die Sünden von Mohammad Khani. Und daran können und wollen wir Gott unseren himmlischen Vater auch im Gebet erinnern, können und dürfen Gott im Gebet darum bitten, dass er um Christi willen Mohammad Khani nicht anrechnen möge, was ihn von Gott getrennt hat. Und dann wollen wir es ganz Gott überlassen, wie er unsere Gebete erhört, ihm, unserem Gott, der doch will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

Und hören wollen wir vor allem auf das, was uns der  Verfasser des Hebräerbriefs in unserer heutigen Abendlesung ans Herz legt: Er macht uns deutlich, wie reich wir als Christen beschenkt sind, beschenkt mit der Hoffnung auf das ewige Leben, auf das Kommen unseres Herrn Jesus Christus, beschenkt mit der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, mit der Gewissheit darüber, keine Angst vor Gott, keine Angst vor der Verdammnis haben zu müssen, weil wir um seine Liebe in seinem Sohn Jesus Christus wissen. Werft doch dieses Geschenk ja nicht weg, so ruft es uns der Hebräerbrief zu, vergesst niemals, wie gut ihr es als Christen habt, fallt niemals in ein Leben ohne Christus zurück, weil ihr angeblich keine Zeit mehr für ihn habt, weil ihr so viel anderes zu tun habt! Wer an Christus glaubt, dessen Leben wird niemals in der Dunkelheit enden, selbst wenn er hier in diesem Leben durch viele Dunkelheiten hindurch muss. Wer bei Christus bleibt, der wird leben in Ewigkeit. Ja, wer mit Christus verbunden bleibt, bei dessen Beerdigung werden wir einmal fröhliche Lieder singen, weil wir gewiss sein dürfen: Dieser Mensch darf nun schon Christus schauen, wird nun in alle Ewigkeit teilhaben an der Freude, die alle Finsternis dieses Lebens unendlich aufwiegen wird. Bleibt nur dran an Christus – und nehmt dann auch einander in Liebe wahr, achtet aufeinander, dass keiner von uns allein zurückbleibt, dass keiner von uns allein in der Dunkelheit seines Lebens versinkt! Noch sind wir nicht am Ziel, noch haben wir viel Geduld nötig. Aber wir dürfen den Weg zum Ziel gemeinsam gehen, dürfen und sollen dabei einander stützen und aufeinander Acht haben. Gott stellt uns immer wieder Menschen auf dem Weg zum Ziel an unsere Seite. Und dass er uns auch Mohammad Khani auf einem Stück dieses Weges an unsere Seite gestellt hat, dafür wollen wir ihm danken, ihm, unserem Herrn, unserem einzigen Retter und Erlöser. Amen.