31.10.2014 | Philipper 2,12+13 | Gedenktag der Reformation
Pfr. Dr. Gottfried Martens


Voller Freude kam letzte Woche einer unserer afghanischen Jugendlichen im Freizeitpark Belantis auf mich zu: Schau her, das ist ja ein ganz christlicher Park! So viele Kreuze sind hier im Park aufgestellt! Ich musste ihn enttäuschen und aufklären: Was er für eine missionarische Veranstaltung hielt, war in Wirklichkeit nur die Halloween-Dekoration, die man überall im Park aufgebaut hatte und mit der man bei den Besuchern offenbar ein wohliges Gruseln hervorrufen wollte. Und zu dieser Gruseldekoration zählten eben auch viele Kreuze, die als Grabsteine dienten und den Eindruck erwecken sollten, als liefe der Besucher dort im Freizeitpark zwischen lauter eingebuddelten Leichen herum.

Und heute Abend sind sie nun überall in unserer Stadt, in unserem Land unterwegs: Kinder und Erwachsene, die sich in irgendwelche Gruselkostüme gehüllt haben. Die harmlosere Sorte von ihnen will an diesem Abend einfach nur ein wenig Spaß haben, empfindet es als lustig, als lebendige Leiche durch die Straßen zu laufen oder eine Party zu veranstalten. Die etwas unangenehmere Sorte ist darauf aus, an diesem Abend möglichst viele Süßigkeiten einzusammeln und dabei, wenn es sein muss, auch die eine oder andere Sachbeschädigung zu begehen. Und schließlich gibt es auch nicht wenige, die diesen Halloween-Abend einfach nur als Vorwand nehmen, um unter dem Schein eines angeblich gesellschaftlich anerkannten Festes ganz unverhohlen Gewalt- und Straftaten zu begehen.

Kontrastprogramm wird euch dagegen heute Abend hier in diesem Gottesdienst geboten, wird euch auch in dieser Predigt geboten. Und dieses Kontrastprogramm lässt sich in einem Ausdruck zusammenfassen: Es geht hier im Gottesdienst, es geht im christlichen Glauben darum, „dass ihr selig werdet“, dass ihr gerettet werdet, so formuliert es der Apostel Paulus hier.

Rettung, Seligkeit – sie liegt völlig außerhalb des Blickfeldes all derer, die allmählich einen immer stärkeren Kick in ihrem Leben brauchen, um noch irgendwo Spaß haben zu können – und da kommt dann der morbide Charme des Todes zu Halloween gerade recht. Spaß, Unterhaltung, gutes Vergnügen soll der Tod, sollen Geister und Gespenster mit sich bringen. Aber dieselben Leute, die den Tod heute Abend für angeblich so witzig halten, stehen dann oft genug völlig hilflos und fassungslos da, wenn sie mit demselben angeblich so wohlig-gruseligen Tod in ihrem eigenen Leben, in ihrer eigenen Familie konfrontiert werden. Da ist die Halloween-Party dann sehr schnell vorbei. Und Rettung, Seligkeit, sie liegen erst recht völlig außerhalb des Blickfeldes derer, die in Halloween nur die Erlaubnis sehen, ihren dunklen Trieben einmal so richtig freien Lauf lassen zu können. Rettung und Seligkeit – die würden einem dabei doch nur den ganzen Spaß verderben!

Ja, feiern wollen auch wir als lutherische Christen heute Abend. Aber wir wollen eben nicht bloß nur einen Abend lang Spaß haben, sondern wir feiern, dass uns Gottes Wort unseren Lebenshorizont unendlich geweitet hat, dass wir den Tod nicht dadurch verdrängen müssen, dass wir ihn zur Gruselnummer verharmlosen, dass wir uns auch nicht bloß damit begnügen müssen, in den paar Jahren, bis wir in die Kiste wandern, uns einigermaßen gut zu amüsieren. Wir feiern, dass das Kreuz für uns eben nicht bloß ein Zeichen des Todes und des Grusels ist, sondern das Zeichen des neuen, unzerstörbaren Lebens, das uns durch Jesus Christus geschenkt worden ist. Ja, genau das ist unsere ureigenste Aufgabe als lutherische Kirche, dieses wichtigste Thema unseres Lebens immer wieder laut werden zu lassen: Unsere Rettung, unsere Seligkeit, unser Heil. Das kann man nämlich nicht nur übersehen, wenn man Halloween feiert, das kann man auch übersehen, wenn man in der Kirche das Reformationsfest begeht und dann doch nicht mehr von sich zu geben hat als ein paar wohlige Psycho-Sätze, dass wir uns als Christen immer angenommen fühlen dürfen und niemals unter Leistungsstress zu stehen brauchen.

Nein, es geht nicht bloß um unser menschliches Wohlbefinden. Es geht um unsere Rettung in Gottes letztem Gericht. Es geht um nicht weniger als um die Frage, ob wir unser Leben hier auf Erden endgültig verfehlen oder nicht. Und all dies ist eben nicht bloß ein Gedankenexperiment, sondern diese Frage stellt sich für uns ganz konkret in der Begegnung mit ihm, dem lebendigen Gott. „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern“, so schreibt der Apostel Paulus hier. Und damit meint er gerade nicht, dass wir vor Gott Angst haben sollen und aus lauter Angst möglichst viele gute Werke tun sollen, um unser Punktekonto bei Gott einigermaßen ausgeglichen zu gestalten. Nicht von Angst vor Gott ist hier die Rede, sondern von „Furcht und Zittern“. Und Furcht und Zittern ergreift Menschen in der Heiligen Schrift immer dann, wenn sie dem lebendigen Gott begegnen und merken, dass er etwas tut, was sie selber niemals tun könnten. Wer ihm, dem lebendigen Gott, begegnet, der kann eben selber gar nichts mehr tun – dem bleibt nur noch, alles eigene Tun einzustellen: eben mit Furcht und Zittern.

Ja, schütteln will uns der Apostel Paulus gleichsam, dass auch wir niemals in unserem Leben diese wichtigste Frage unseres Lebens aus den Augen verlieren: „Wie kann ich selig werden, wie kann ich gerettet werden?“ Schütteln will uns der Apostel Paulus gleichsam, dass wir den christlichen Glauben niemals zu einer religiösen Begleitmusik unseres Lebens verkommen lassen, in dem Gott sonst eigentlich gar keine Rolle spielt. Schütteln will uns der Apostel gleichsam, dass wir ja niemals auf die Idee kommen, den christlichen Glauben zu einem Mittel zum Zweck zu machen – zu einer Psychomassage oder zu einem Trick, um leichter an einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland zu gelangen. Ja, wer so denkt, der hat eben keine, aber auch gar keine Ahnung von dem lebendigen Gott, der hat auch keine Ahnung von dem Sinn und Ziel seines Lebens.

Ja, selig sollst du werden, so will es Gott. Aber selig wirst du eben nicht dadurch, dass du ein guter, anständiger Mensch bist, selig wirst du nicht dadurch, dass du bestimmte Gebete fünfmal am Tag sprichst, fastest und ausreichend an Arme spendest. Selig wirst du nicht dadurch, dass andere dich für einen netten, guten Menschen halten oder dass du nachweisen kannst, wieviel Gutes du für andere Menschen in deinem Leben getan hast. Ja, wer bist du denn, dass du allen Ernstes meinst, du könntest mit irgendetwas Gott, deinen Schöpfer, beeindrucken? Glaubst du allen Ernstes, es läge an dir, wenn du in deinem Leben Gutes tust, wenn andere dich für einen guten Menschen halten? Ahnst du wenigstens, wie Gott in deinem Leben am Werk ist, wie er alles Gute in dir anfängt und es schließlich auch vollendet?

Ja, dahin will Gottes Wort dich führen, dass du darauf nun nicht beleidigt reagierst, weil jemand dir deine ganzen schönen Anstrengungen, ein guter Mensch zu sein, madig zu machen versucht, sondern dass du stattdessen aufatmest, ja, dich vor Freude gar nicht mehr einkriegst: Ich soll, ich werde selig werden – und das hängt nicht von mir ab, nicht von meinen Gefühlen, nicht von der Tagesform meines Glaubens, nicht von meinem guten Willen, erst recht nicht von den Erfolgen, die ich in meinem Leben vorzuweisen habe. Gott allein ist es, der mich an das Ziel meines Lebens führt, der mich selig werden lässt, der mich nicht in der Hölle braten sehen will, sondern der sich vorgenommen hat, dass dein Leben einmal in einer großen Feier endet, nicht in der Feier des Todes, sondern in der Feier des Lebens, das kein Ende mehr keinen wird.

Und eben daran erinnert uns Christen das Kreuz: Es erinnert uns in der Tat daran, dass es in unserem Leben, in unserem Glauben um nicht weniger als um Leben und Tod geht. Niemals kann unser Glaube von daher für uns nur ein unverbindliches Hobby sein. Es geht schon um die Begegnung mit dem lebendigen Gott. Aber das Kreuz erinnert uns vor allem daran, dass nicht wir etwas tun müssen, um selig zu werden, sondern dass Christus für uns alles, wirklich alles getan hat, ja, auch jetzt noch tut, dass er in uns lebt und uns prägt und durchdringt, auch heute Abend wieder, wenn wir seinen Leib und sein Blut im Heiligen Mahl empfangen. Nein, nach Grusel braucht uns da wirklich nicht zumute zu sein, eher schon nach fröhlichem Springen. Danken wir Gott von Herzen an diesem Abend dafür, dass wir diese gute Botschaft in unserer lutherischen Kirche so klar und unverfälscht hören dürfen – und feiern wir dann miteinander nicht den Tod, sondern das Leben, an dem Christus uns Anteil gibt! Das brauche ich euch eigentlich gar nicht mehr extra zu sagen, das macht ihr ohnehin? Recht habt ihr, denn Gott ist es, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen – nach seinem Wohlgefallen! Amen.