03.12.2014 | Psalm 24 | Mittwoch nach dem ersten Sonntag im Advent
Pfr. Dr. Gottfried Martens


In letzter Zeit bin ich beim Abendessen im Fernsehen wiederholt in Sendungen geraten, in denen über das Weltall berichtet wurde und über das, was sich in ihm so alles abspielt. Die Dimensionen, die einem dabei vor Augen gestellt werden, sind so ungeheuer riesig, dass sie die Vorstellungskraft eines normalen Menschen bei weitem übersteigen. Wie winzig, wie extrem winzig ist da unsere Erde im Vergleich zu der Größe von irgendwelchen Spiralnebeln und Schwarzen Löchern, die sich da an anderen Stellen unseres Universums tummeln. Und da sollen wir also allen Ernstes glauben, dass Gott sich mit uns, mit den Bewohnern dieses winzig kleinen Planeten in einem Sonnensystem einer der unzähligen Galaxien des Universums befassen soll? Ein Staubkorn sind wir doch höchstens, mehr nicht!

Was uns als eine ungeheuer moderne Fragestellung erscheinen mag, war in Wirklichkeit eine Frage, mit der sich auch schon das Alte Testament in ganz ähnlicher Weise befasste: Da lebte Israel umgeben von Völkern, die alle ihre regionalen Götter hatten, Götter, die für ein ganz bestimmtes Gebiet zuständig waren und deren Zuständigkeit entsprechend auch an den Grenzen dieses Gebietes endete. Doch ausgerechnet dieser winzige Staat Israel behauptete nun, dass sein Gott nicht bloß ein Regionalgott war, nicht nur zuständig war für die paar Quadratkilometer seines Staatsgebiets, sondern dass dieser Gott, der den Tempel in Jerusalem zu seinem Haus erklärt hatte, nicht weniger als der Schöpfer der ganzen Welt und damit auch der Herr der ganzen Welt war, dass es keinen Bereich der gesamten Schöpfung, der gesamten Welt gibt, der nicht in ihm seinen Ursprung hat und seiner Herrschaft untersteht. Was für ein scheinbar wahnwitziger Anspruch – und doch zugleich was für ein konsequentes Ernstnehmen dessen, dass Gott wirklich Gott ist und nicht bloß ein Maskottchen mit Lokalkolorit!

Ja, auch wenn uns bei dem Gedanken erst einmal schwindlig werden mag, wie riesig das Universum ist und wie winzig klein wir darin sind, wird uns doch beim zweiten Nachdenken nur umso deutlicher, wie groß, wie mächtig dieser Gott sein muss, dem dieses Universum seinen Ursprung verdankt. Nein, logisch und naheliegend ist es durchaus nicht, dass dieser Ursprung des Universums allen Ernstes mit uns in Verbindung treten will. Aber ausgeschlossen ist dies durch die Größe des Universums allein natürlich ebenso wenig. Der Gedanke, dass dies geschehen könnte, ist dann allerdings umso atemberaubender.

Das und nicht weniger feiern und bedenken wir jetzt in dieser Adventszeit. Advent bedeutet gerade nicht bloß ein wenig Gemütlichkeit, ein bisschen Besinnlichkeit bei Kerzenschein und Glühwein. Sondern wir bedenken in diesen Wochen, dass kein Geringerer als der Schöpfer des Universums, der Schöpfer aller Galaxien, der Schöpfer auch aller Wunder dieser Erde zu uns kommt, jawohl, zu uns kommt, hierher nach Steglitz, ja, dass er auch zu dir kommen will, in dein Leben hinein, ganz gleich ob du dies in der eigenen Wohnung oder im Mehrbettzimmer im Asylbewerberheim verbringst. Gott kommt – was uns scheinbar so leicht über die Lippen kommt, ist in Wirklichkeit die großartigste Nachricht der Weltgeschichte, eigentlich unfassbar und doch wahr.

Wie unfassbar das war, wussten schon die Beter des 24. Psalms im Alten Testament: Wenn Gott in dieser Welt Einzug hält, dann reichen doch eigentlich keine Tore, dann reichen nicht die Tore des Tempels, dann reichen selbst alle Tore des Himmels nicht, um ihn zu fassen. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“, so singen wir so gerne in diesen Wochen. Wissen wir eigentlich, was wir da singen? Es geht doch hier nicht um eine Karnevalsveranstaltung: „Wollen wir ihn hereinlassen?“ Nein, da kommt einer, der alle Dimensionen sprengt, die wir uns vorstellen können, da reicht kein menschliches Bauwerk, um ihn aufzunehmen.

Und doch ist genau das die Botschaft dieser Wochen: Das Kleine, das Endliche ist dazu in der Lage, das Unendliche, ja, den Unendlichen in sich aufzunehmen, nicht weil es von sich aus dazu in der Lage ist, sondern weil der Unendliche, der Schöpfer der Welt sich so klein macht, dass er hineinpasst in eine Futterkrippe, dass er hineinpasst in ein Stück Brot und in einen Schluck Wein. „Den aller Welt Kreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoß“, so werden wir es in einigen Wochen wieder singen. Und wir werden hoffentlich noch einmal mit neuem Staunen die Verse des Liedes „Macht hoch die Tür“ anstimmen, wenn wir uns klarmachen, wer dieser Herr der Herrlichkeit eigentlich ist, der da Einzug hält.

Eines sollten wir uns dabei allerdings dann auch klarmachen: Wenn der Herr des Universums zu uns kommt, wenn er Einzug hält bei uns, dann ist das kein harmloses Spektakel, dann geht es um nicht weniger als um Leben und Tod. Auch das ahnten die Beter des 24. Psalms damals schon, wenn sie sprachen: „Wer darf auf des HERRN Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?“ Gott kann man nicht einfach mal so begegnen. Vergehen müssten wir vor ihm, vor seiner Heiligkeit – nicht einfach, weil er so groß ist, sondern weil wir Menschen uns von ihm getrennt haben, ihn so wenig ernst nehmen, immer wieder so leben, als seien wir selber der Mittelpunkt des Universums und Gott nicht mehr als eine nette Begleitmusik unseres Lebens.

Doch genau das ist nun die eigentliche, die wahre Adventsfreude, dass der Herr der Herrlichkeit gerade nicht kommt, um uns vor ihm vergehen zu lassen, um uns zu strafen und zu vernichten. Nein, er kommt und macht uns selber zu Menschen, die ihm begegnen können. Denn wer könnte von sich aus erfüllen, was damals von den Menschen erwartet wurde, die Gott begegnen wollten: Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist? Wo sind unsere Hände still geblieben, wo sie sich für andere hätten bewegen müssen, wo haben sie sich bewegt, wo sie hätten still bleiben müssen, wenn es darum ging, etwas zu nehmen oder vielleicht auch etwas anzuklicken im Computer? Und was für Gedanken haben wir in unserem Herzen bewegt in diesen vergangenen Tagen, Gedanken, die gerade nicht rein waren, sondern bestimmt waren von Selbstsucht, von Neid, vielleicht gar vom Wunsch nach Rache und Vergeltung? Doch er, der Herr der Herrlichkeit kommt zu uns, um uns tatsächlich solch unschuldige Hände und solch ein reines Herz zu schenken, kraft seiner Vergebung, macht uns zu Menschen, die tatsächlich das Recht dazu haben, in seiner Gegenwart zu stehen. Genau dieses Wunder erleben wir auch heute Abend wieder in unserer Mitte beim Advent des Herrn aller Herren im Heiligen Mahl: Statt zu vergehen vor der Heiligkeit des Herrn macht er uns zu seinem Tempel, zu seiner Wohnung, nimmt unseren Mund als sein Tor, durch das er einzieht, reinigt uns, heiligt uns, beschenkt uns mit dem Segen seiner Gegenwart. Und eben darum dürfen wir es heute Abend auch wieder voller Freude, aber hoffentlich auch voller Staunen singen: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth. Alle Lande sind seiner Ehre voll. Alle Lande – ja, das ganze Universum. Und dieser Herr Zebaoth, der Herr über alle himmlischen Heerscharen, der Herr über alle Galaxien, wohnt nun gleich wieder in dir. Das und nicht weniger ist Advent. Amen.