29.11.2014 | Römer 10,9-18 | Vorabend zum Tag des Apostels St. Andreas
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Gestern Abend war ich zu Besuch in einem Asylbewerberheim in Weißensee. Dort hatte sich eine Gruppe von arabischsprachigen Menschen eingefunden, die sich dank der missionarischen Aktivitäten eines unserer Taufbewerber dort im Heim nun für den christlichen Glauben interessieren und mit denen ich über die Möglichkeit eines arabischsprachigen Taufunterrichts bei ihnen sprach. Ja, ich weiß, jetzt werden einige sagen, ich sei endgültig durchgeknallt, ob mir denn 500 Iraner und Afghanen nicht reichen, dass ich jetzt auch noch anfange, etwas mit arabischsprachigen Menschen zu machen.

Durchgeknallt – meinetwegen. Doch worum es in Wirklichkeit geht, das macht die Epistel des heutigen Aposteltages sehr eindrücklich deutlich: Es geht in der Kirche doch um nicht weniger als darum, dass Menschen gerettet werden, selig werden, in den Himmel kommen. So einfach ist das. Aber diese so einfache und klare Einsicht, dass es in der Kirche darum geht, dass Menschen gerettet werden, die rückt dann im kirchlichen Alltag immer wieder so leicht in den Hintergrund. Da kommen dann allen Ernstes Fragen auf wie die: Sind wir nicht irgendwann einfach zu viele, ist das Boot irgendwann doch voll, müssen wir nicht irgendwann doch mal einen Aufnahmestopp verhängen? Ist es nicht sinnvoller, dass diejenigen, die schon dazugehören, sich in einem überschaubaren Kreis auch wohlfühlen, als dass wir sie mit zu vielen neuen Gesichtern vergraulen?

Und schon spüren wir sie: die FRONTEX-Mentalität, die auch in kirchlichen Kreisen immer wieder um sich greift, diese Angst davor, dass wir zu viele werden könnten, dass Menschen zu uns kommen könnten, die scheinbar nicht zu uns passen. Sollen diese Menschen doch zusehen, wo sie bleiben, sollen sie irgendwo anders hingehen, aber nicht zu uns! Sollen sie doch im Mittelmeer untergehen, sollen sie doch in ihren Asylbewerberheimen ohne Christus bleiben! Hauptsache, wir haben unsere Ruhe!

Es geht um Rettung in der Kirche, um Rettung vom ewigen Tod zum ewigen Leben. Und nirgendwo steht in der Heiligen Schrift, dass die Gefahr besteht, dass zu viele Menschen gerettet werden könnten, dass das Boot der Kirche deswegen untergehen könnte, weil zu viele in ihr diese Rettung suchen und finden. Das Boot der Kirche ist und bleibt im Gegensatz zur Titanic tatsächlich unsinkbar.

Es geht um Rettung in der Kirche, um Rettung vom ewigen Tod zum ewigen Leben. Wie werden Menschen gerettet? Nicht dadurch, dass sie alle möglichen Gesetze einhalten, Gebetszeiten und Fastenzeiten beachten, möglichst viele gute Werke tun. Es ist alles so viel einfacher: Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. So einfach ist das: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig. Wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden. So einfach ist der Weg in den Himmel: Glaube an Jesus, Bekenntnis zu ihm als dem Herrn. Nicht wir müssen uns den Weg in den Himmel bahnen: Gott bahnt ihn uns, öffnet unsere Herzen, öffnet unsere Lippen. Jawohl, so einfach ist das Evangelium.

Ganz einfach ist der Weg in den Himmel. Aber, so betont es St. Paulus nun: Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Ja, genau das ist unsere Herausforderung, das ist die Frage, die sich uns als Kirche immer wieder stellt: Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Ohne Hören der Botschaft, ohne Predigt, ohne Verkündigung geht es nicht. Und das heißt eben auch: Ohne Hingehen geht es nicht, ohne Hingehen zu den Menschen, die diese gute Botschaft so dringend brauchen.

Ja, natürlich kann Gott viele Wege gebrauchen, um Menschen mit der guten Botschaft von Jesus Christus zu erreichen. Er kann durch Träume Menschen ansprechen, er kann auch moderne Kommunikationsmittel nutzen. Und doch bleibt es dabei: Der Weg, auf den Gott nicht verzichten will, ist der Weg über Menschen, über Prediger, also über Menschen, die mit ihrem menschlichen Wort andere Menschen ansprechen und dabei doch gewiss sein dürfen, dass dieses Wort nicht einfach bloß ihr persönliches Wort ist, sondern das Wort Christi, das sie weiterreichen.

Ja, Menschen werden gebraucht, die andere Menschen dieses Wort Christi hören lassen. In dem Heim in der Bühringstraße in Weißensee war das zunächst einmal kein Pastor, der dieses Evangelium bezeugt hat. Das war ein Christ aus dem Iran, der schon im Iran in einer Hausgemeinde aktiv war und dort im Heim sofort mit der Mission angefangen hat, kaum dass er seinen Fuß auf Berliner Boden gesetzt hat. Und dann kam er bei mir an und fragte mich noch, ob mir das denn überhaupt recht sei, dass er die Menschen zu Christus, und das heißt konkret eben auch: zu unserer Kirche eingeladen habe! Ja, wie könnte mir das nicht recht sein, wenn ein Christ anderen Menschen Jesus Christus bezeugt, dazu noch in einer Sprache, die ich selber gar nicht spreche! Farsi verstehe ich ja wenigstens noch ein wenig – aber bei Arabisch hören meine Kenntnisse dann doch ganz und gar auf. Ja, wie gut, dass es da andere gibt, die das Wort weitersagen, dieses Wort, das Kraft hat, Glauben zu wirken, Menschen zu Christus zu führen, ja, Menschen zu retten!

Und doch führt Paulus hier seine Kette noch weiter und schreibt zugleich: „Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden?“ Ja, das ist wichtig, so macht er deutlich, dass Menschen auch ganz konkret zu diesem Dienst von Christus ausgesandt werden, anderen das Evangelium zu verkündigen, anderen das Heil weiterzureichen. Zu diesem besonderen Dienst kann man sich selber nicht berufen; da reicht es auch nicht, dass man sich irgendwie berufen fühlt. Da muss Christus einen schon selber mit Beschlag belegen und losschicken. Aber wenn man losgeschickt wird, dann kommt man von diesem Auftrag eben auch nicht mehr los, dann bleibt man ein Leben lang an ihn gebunden, dann führt einen dieser Auftrag immer wieder auch in Situationen, die man selber in seinem Leben gar nicht geplant und sich auch gar nicht vorgestellt hatte. Wenn Menschen das Evangelium brauchen, dann muss ich da hin, ganz gleich, ob mich andere deswegen für verrückt halten oder nicht.

Eines ist allerdings auch richtig: Mit dem Auftrag, den Christus einem schenkt, schenkt er einem nicht zugleich auch die Allmacht, lässt er einen im Gegenteil immer wieder an Grenzen stoßen: „Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.“ Schwestern und Brüder: Als ich am St. Andreastag vor 23 Jahren über dieses Wort unseres Herrn bei meiner Ordination predigte, hatte ich ja keine Ahnung, nein, wirklich keine Ahnung, wie groß die Ernte in Wirklichkeit ist und wie nötig Arbeiter in der Ernte sind, weil die paar, die diesen Dienst versehen, darin sehr schnell an ihre Grenzen stoßen. Ja, bittet den Herrn der Ernte, dass er noch viel mehr Freudenboten losschicke, die das Gute verkündigen!

Das heißt nun allerdings nicht, dass die Boten, die Christus losschickt, immer nur von einem Erfolg zum nächsten eilen. „Nicht alle sind dem Evangelium gehorsam“, so stellte es schon Paulus damals fest. Wir haben es nicht in der Hand, bei wem die frohe Botschaft Glauben wirkt, Menschen zum Bekenntnis zu Christus führt, ja auch Menschen zu diesem Bekenntnis führt, die um dieses Bekenntnisses willen dann auch ihr Leben und ihre Gesundheit riskieren. Wo das geschieht, bleibt es immer ein Wunder, Ausdruck der Wirkmacht des Geistes Gottes, der das Wort Gottes nicht leer wieder zurückkehren lässt. Aber eines wissen wir eben auch: Wenn Menschen das Evangelium nicht hören, können sie auch nicht glauben. Darum ziehen die Boten des Evangeliums los bis an die Enden der Welt – und wie praktisch ist es, wenn man die Enden der Welt gleich versammelt in einem Asylbewerberheim antreffen kann! Denn vergessen wir es doch nie: Es geht doch immer darum, dass Menschen gerettet werden, gerettet zum ewigen Leben! Amen.