9. Ich kann nicht an einen Gott glauben, der Menschen in die Hölle schickt.

Um eines gleich vorwegzuschicken: Ich brauche die Hölle nicht für meine Verkündigung der frohen Botschaft. Ich versuche nicht, Menschen dadurch zum Glauben an Christus zu bewegen und in die Kirche zu bringen, dass ich ihnen mit der Hölle drohe für den Fall, dass sie nicht tun, was ich ihnen sage. Genau das ist ja heute ein weit verbreitetes Klischee über die Hölle, dass sie eine Erfindung der Kirche ist, um Menschen Druck zu machen und Angst einzujagen und sie so in die Kirche zu treiben. Natürlich muss man ehrlicherweise zugeben, dass es solche Vorgehensweisen im Verlaufe der Kirchengeschichte tatsächlich gegeben hat und dass man sie auch heute noch in manchen freikirchlichen Gruppierungen und Sekten findet. Doch ich selber predige nur selten über die Hölle, denn keiner von denen, die am Sonntag in der Kirche sitzen, will da ja hin; also brauchen wir uns mit ihr auch nicht zu intensiv zu beschäftigen. Nicht die Angst vor der Hölle, sondern die Liebe zu dem Gott, der aus Liebe zu uns seinen Sohn für uns in den Tod gegeben hat, soll für uns Christen Antrieb sein, an Gott zu glauben und seine Nähe zu suchen. Wer nur deshalb zur Kirche kommt, weil ihm die Hölle zu heiß ist, hat das Wichtigste am Glauben gewiss noch nicht kapiert.

Können wir dann also nicht einfach die Hölle abschaffen und erklären, dass es sie in Wirklichkeit gar nicht gibt – oder, wie es ein bekannter römisch-katholischer Theologe erklärt hat, das Problem so lösen, dass wir zwar an der Existenz der Hölle festhalten, aber erklären, sie sei leer?

Das könnten wir nur dann, wenn die Kirche die Inhalte ihrer Lehre und Verkündigung selbst bestimmen und nach eigenem Gutdünken verändern könnte. Dann könnte man auf die jeweiligen Bedürfnisse der Zuhörer, was sie gerne hören wollen, eingehen und ihnen mit einer jeweils zeitgemäßen Lehre entsprechen. Doch die Kirche ist an die Heilige Schrift gebunden, ganz besonders an die Verkündigung Jesu Christi selber – sie kann hier nicht streichen, was ihr nicht passt, und sich nur eine Sammlung von Lieblingsgedanken zulegen. Und von daher müssen wir schon darauf achten, was die Heilige Schrift selber zu diesem Thema zu sagen hat:
Zunächst einmal müssen wir dabei abklären, was wir unter „Hölle“ eigentlich verstehen. Im Alten Testament ist an einer Reihe von Stellen von der „sheol“ die Rede, dem Totenreich. Dieses wird aber nicht als Alternative zum „Leben im Himmel“ nach dem Tod angesehen; vielmehr ist im Alten Testament die Hoffnung auf ein jenseitiges Leben noch nicht sehr ausgeprägt. Kennzeichnend für das Verständnis des Alten Testaments vom „Leben“ nach dem Tod ist das Lied Hiskias, „als er krank gewesen und von seiner Krankheit gesund geworden war“ (Jesaja 38,9): „Ich sprach: Nun muss ich zu des Totenreiches Pforten fahren in der Mitte meines Lebens, da ich doch gedachte, noch länger zu leben. Ich sprach: Nun werde ich den HERRN nicht mehr schauen im Lande der Lebendigen. … Denn die Toten loben dich nicht, und der Tod rühmt dich nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue; sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute.“ (Jesaja 38, 10.11.18.19) Was nach dem Tod kommt, kann man nicht als Leben bezeichnen. Diese Zurückhaltung des Alten Testaments, die allerdings an einigen Stellen bereits aufgebrochen wird, sollte uns nicht irritieren, sondern ist nur allzu verständlich: Dass sich uns nach unserem Tod tatsächlich ein neues Leben eröffnet, ist kein natürlicher, selbstverständlicher Prozess, der sich aus der Unsterblichkeit unserer Seele ergeben würde, sondern wird einzig und allein dadurch ermöglicht, dass Christus die Macht des Todes durch seine Auferstehung gebrochen hat. Erst von Ostern her gewinnt die Frage, wie es mit uns nach unserem Tod weitergeht, überhaupt echte Bedeutung.

Sobald sich der Horizont jedoch jenseits der Todesgrenze weitet, stellt sich natürlich die Frage nach unserem menschlichen Geschick nach unserem Tod. Und da müssen wir zunächst einmal ganz nüchtern feststellen, dass Jesus selber in seiner Verkündigung nicht sehr häufig, aber doch an einigen sehr prägnanten Stellen von der Hölle nicht bloß im Sinne eines allgemeinen „Totenreiches“, sondern im Sinne eines Ortes oder Zustands spricht, der durch eine endgültige Trennung von der Gegenwart Gottes und dass heißt durch eine Erfahrung der endgültigen Verfehlung des eigenen Lebens gekennzeichnet ist. Als Beispiel sei hier die Erzählung vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lukas 16,19-31) genannt, wo ausdrücklich von der „großen Kluft“ die Rede ist, oder auch die Warnung Jesu: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.“ (Matthäus 10,28) An anderen Stellen kann Jesus auch von der „Finsternis“ reden, in die Menschen verstoßen werden, oder von der „Auferstehung des Gerichts“ (Johannes 5,29). An letztgenannter Stelle wird auch schon deutlich, dass die Scheidung nach dem Tod, die Jesus ankündigt, Ergebnis eines richtenden Handelns Gottes bzw. Christi selber ist, dem sich kein Mensch nach seinem Tod entziehen kann. Dieses Thema des letzten Gerichts zieht sich durch das gesamte Neue Testament hindurch.

Natürlich kann man gegen die Verkündigung eines letzten Gerichts mit doppeltem Ausgang einwenden: Wie können wir davon sprechen, dass Gott die Liebe ist, wenn er Menschen für immer aus dem Leben in seiner Gemeinschaft ausschließt? Schließen sich die Verkündigung des liebenden Gottes und die Verkündigung eines letzten Gerichts mit doppeltem Ausgang nicht gegenseitig aus?

Uns mag diese Argumentation logisch erscheinen; doch wir müssen ganz nüchtern feststellen, dass sich für Jesus selber beide Verkündigungen offenbar nicht ausschließen. Und wir müssen uns fragen, ob wir das Recht dazu haben, dem, was Jesus klar und eindeutig erklärt, zu verweigern und uns stattdessen eine eigene „frohe Botschaft“ ohne letztes Gericht zu schaffen. Ja, mehr noch: Wir müssen uns fragen, in was für einer Position wir uns eigentlich befinden: Dadurch, dass wir den Gedanken an ein letztes Gericht Gottes mit doppeltem Ausgang nicht gut finden, fällt dieses Gericht ja nicht aus. Und wenn wir Gott den Glauben aufkündigen, weil wir es nicht akzeptieren, dass er Menschen in die Hölle schicken könnte, schaden wir damit ja nicht ihm, sondern letztlich nur uns selber. Wenn die Kirche also auch von Gericht und Hölle spricht, dann ist das kein mieser „Psycho-Trick“ von ihr, sondern sie erzählt nur weiter, was ihr von Christus anvertraut worden ist und was zu ändern sie kein Recht hat.
Dennoch müssen wir an dieser Stelle einiges noch einmal festhalten:
Zunächst einmal fällt im Neuen Testament auf, dass so gut wie keinerlei Einzelheiten in der Beschreibung der Hölle erwähnt werden. Aussagen wie im Koran: „So oft ihre Haut verbrannt ist, geben wir ihnen eine andere Haut, damit sie die Strafe kosten.“ (Sure 4,56) sucht man im Neuen Testament vergeblich. Erst später hat man im Verlauf der Kirchengeschichte und der christlichen Kunst angefangen, das Innere der Hölle fantasievoll auszugestalten, mit strafenden Riesen, lachenden Teufeln und abgestuften Strafen. Am bekanntesten ist in diesem Zusammenhang wohl Dantes „Göttliche Komödie“. Beschrieben wird in der Heiligen Schrift nur die Trennung als solche, die sich im Gericht vollzieht, und es wird allerdings auch angedeutet, dass diejenigen, die von Gott getrennt bleiben, diese Trennung als leidvoll erfahren. Wenn die Kirche also von der Hölle spricht, gebraucht sie diese gerade nicht als Projektionsfläche menschlicher sadistischer Fantasievorstellungen.

Weiterhin muss festgehalten werden, dass wir als Christen nur so von der Hölle reden können, dass wir zugleich immer von Jesus Christus reden, und zwar in doppelter Weise: Zum einen hat Jesus Christus selber am Kreuz die Hölle durchlitten, als er rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46) Christus hat eben darum am Kreuz die Hölle erlitten, damit die, die ihm vertrauen, diese Höllenerfahrung nicht machen müssen. Wer an Christus glaubt, braucht vor der Hölle keine Angst zu haben. Hier gilt vielmehr Christi Zusage: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“ (Johannes 5,24) Und zum anderen bekennen wir, dass Jesus Christus niedergefahren ist zur Hölle. Die biblischen Belegstellen hierfür (1. Petrus 3,19-20; 4,6; dazu auch Kolosser 2,15 und möglicherweise Epheser 4,9) machen deutlich, dass Christus sich mit seiner Höllenfahrt als Sieger über alle gottfeindlichen Mächte zu erkennen gegeben hat und zugleich mit seiner Höllenfahrt auch Menschen erreicht hat, die in ihrem Leben nicht an ihn geglaubt hatten. Die Aussagen sind nicht so deutlich, dass wir daraus weitreichende Schlussfolgerungen ziehen könnten. Doch darf es uns ein Trost sein, dass Christi Macht und seine Möglichkeiten selbst und gerade an den Pforten der Hölle nicht enden.

Schließlich ist es ganz wichtig festzuhalten, dass es keinen Menschen gibt, über den wir mit Gewissheit das Urteil fällen könnten, dass er sich tatsächlich in der Hölle befindet – von dem reichen Mann in der Geschichte, die Jesus erzählt, einmal abgesehen. Dieses letzte Urteil fällt Gott allein; uns hingegen gilt immer wieder die Warnung: „Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt.“ (Lukas 6,37) Das bedeutet aber umgekehrt auch, dass es uns nicht zusteht, dem lieben Gott gute Ratschläge zu geben, wie er am Ende einmal mit den Menschen zu verfahren hat – nämlich so, dass es unserem menschlichen Gerechtigkeitsempfinden entspricht. Dieses Gerechtigkeitsempfinden kann sich durchaus sehr unterschiedlich artikulieren. Doch Gott sollen und dürfen wir zutrauen, dass er recht richten wird – eben so, dass wir einmal singen werden: „Alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.“ (Offenbarung 15,4)

Eines macht die Heilige Schrift mit ihrer Verkündigung des letzten Gerichtes allerdings sehr deutlich: Was hier und jetzt in unserem Leben geschieht, hat so oder so Ewigkeitsbedeutung. Hier und jetzt fallen in unserem Leben letzte Entscheidungen – und Gott ist bereit, auch die Entscheidung von Menschen ernst zu nehmen, die sich endgültig seinem Liebeswerben verweigern und endgültig lieber ohne ihn leben wollen. Sollte Gott nicht das Recht dazu haben, denjenigen Menschen ihren Wunsch zu erfüllen, die ganz bewusst in ihrem Leben ohne ihn auskommen wollten? Gott zwingt uns Menschen seine liebende Nähe nicht auf – das gilt jetzt und auch in der Ewigkeit. Nicht wenige Menschen sagen heute: „Wir haben ja nur dies eine Leben; machen wir etwas daraus!“ Das kann man durchaus biblisch interpretieren: „Es ist den Menschen bestimmt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht.“ (Hebräer 9,27) Wer jedoch den Ewigkeitshorizont seines Lebens ausblendet, der macht gerade nichts aus seinem Leben, sondern steht in der Gefahr, die Bestimmung seines Lebens – eben das ewige Leben in der Gemeinschaft mit Gott – zu verfehlen. Es ist uns nicht erlaubt, diesen letzten Ernst unseres Lebens zu verharmlosen. Eines macht die Heilige Schrift allerdings auch ganz klar: Gott will nicht, dass auch nur ein Mensch in der Hölle landet. Er will, „dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ (1. Timotheus 2,4) Wer sich endgültig von Gott lossagt, begibt sich also gegen Gottes ausdrücklichen Willen in die Gottesferne der Hölle und ist keinesfalls Opfer göttlicher Willkür. Als Begründung für die Verweigerung des Glaubens an Gott taugt der Verweis auf die Hölle also in Wirklichkeit gerade nicht!