10. - Artikel 9: Von der Taufe

Von der Taufe wird gelehrt, dass sie notwendig ist zum Heil und dass durch die Taufe die Gnade Gottes dargeboten wird und dass man auch die Kinder taufen soll, die durch die Taufe Gott überantwortet und in die Gnade Gottes aufgenommen werden. Deshalb werden die Wiedertäufer verworfen, die lehren, dass die Kindertaufe nicht recht sei, und behaupten, dass die Kinder ohne Taufe gerettet werden.

Der neunte Artikel des Augsburger Bekenntnisses enthält keine vollständige Lehre von der Taufe. Er verfolgt zunächst einmal deutlich erkennbar ein „politisches“ Ziel: Dem Kaiser sollte ganz klar gemacht werden, dass die Bekenner von Augsburg mit der Bewegung der Wiedertäufer nichts zu tun haben und in der Haltung zu ihnen Seite an Seite mit den „Altgläubigen“ stehen. Dies war nicht zuletzt darum wichtig, weil sich die Wiedertäufer mit ihrer Lehre und Praxis außerhalb des staatlichen Rechtes stellten und darum auch mit staatlichen Maßnahmen bekämpft wurden. Dem wollten sich die Bekenner von Augsburg natürlich keinesfalls ausgesetzt sehen. Dass man sich im weiteren Verlauf der Geschichte auch von lutherischer Seite nicht selten an Verfolgungsmaßnahmen gegenüber den „Wiedertäufern“ beteiligt hat und diesen damit oftmals schweres Leid zugefügt hat, hat gerade kürzlich der Internationale Lutherische Rat (ILC), der weltweite Zusammenschluss bekenntnisgebundener lutherischer Kirchen, auf einer Konferenz unter der Leitung des Vorsitzenden des ILC, Bischof Hans-Jörg Voigt, „mit großem Respekt anerkannt und bedauert“.

Dennoch würde man den 9. Artikel des Augsburger Bekenntnisses nicht recht verstehen, wenn man ihn nur als Ausdruck eines kirchenpolitischen Manövers interpretieren würde. In ihm finden sich trotz seiner Kürze wesentliche inhaltliche Aussagen über die Taufe, die für das lutherische Bekenntnis zu diesem Thema von entscheidender Bedeutung sind:
Zunächst einmal wird festgehalten, dass die Taufe „notwendig zum Heil“ ist. Dies ist eine sehr starke Aussage, die aber schlicht und einfach Markus 16,16 wiedergibt: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden.“ Immer wieder gibt es Versuche, die Bedeutung, die der Taufe in diesem Vers zugebilligt wird, dadurch zu relativieren, dass auf den zweiten Halbvers verwiesen wird, wo es allein heißt, wer aber nicht glaube, werde verdammt. Also, so wird dann gleichermaßen messerscharf wie unbiblisch gefolgert, komme es gar nicht auf die Taufe, sondern nur auf den Glauben an; den Verweis auf die Taufe habe Christus sich eigentlich auch schenken können. Doch Christus nennt Glaube und Taufe als Voraussetzungen dafür, selig zu werden, oder besser gesagt: als die Art und Weise, in der einem Menschen das Heil, die Rettung zuteil wird.

Melanchthon schweigt hingegen in diesem Artikel vom Glauben. Dies hat, wie gesagt, nicht bloß taktische Gründe. Sondern damit will er an dieser Stelle das so weit verbreitete Missverständnis vermeiden, wonach der Glaube gleichsam eine menschliche Ergänzung des Handelns Gottes in der Taufe sei oder gar die Taufe nur noch als Ausdruck und Bekenntnis des Glaubens des Täuflings verstanden wird. Genau hier liegt auch der grundlegende Fehler im Taufverständnis auch heutiger Wiedertäufer, den man – bei allem Bedauern über ihre Behandlung in der Vergangenheit – doch auch heute klar benennen muss: Glauben wird bei ihnen immer wieder verkürzt als menschliche Entscheidung oder als Verstehen wahrgenommen, als Bedingung, die der Mensch zu erfüllen hat, um gerettet zu werden. Entsprechend wird Kindern die Fähigkeit zu solch einer Entscheidung oder solchem Verstehen abgesprochen – und damit auch die Möglichkeit, die entscheidende Bedingung zu erfüllen, die für den Empfang der Taufe vorausgesetzt werden muss. Geht man erst einmal von diesem – übrigens sehr neuzeitlichen – Verständnis von Glauben aus, dann ist die Argumentation in sich durchaus stimmig. Doch ihr entscheidender Fehler liegt eben darin, dass sie dem biblischen Verständnis von Glauben nicht gerecht wird, dies aber auch gar nicht weiter bedenkt: Glauben ist gerade nicht menschliche Entscheidung, sondern Ausdruck der Entscheidung Gottes für den Menschen, ist Gabe und Wirkung des Geistes Gottes, ist unendlich mehr als „Entscheidung“ oder „Gefühl“, ist vielmehr seinsmäßige Verbindung mit Christus: „Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn(!) ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.“ (Galater 3,26+27) Glauben heißt: durch die Taufe Christus anziehen und in ihm sein. Glauben ist gerade der Ausdruck dessen, dass nicht ich Gott etwas zu bieten habe, sondern dass er alles für mich tut. Und Gott hat nun einmal entschieden, Menschen durch das Bad der Wiedergeburt selig zu machen (Titus 3,5).

Im 9. Artikel des Augsburger Bekenntnisses wird Gottes Handeln in der Taufe sehr kurz und knapp skizziert: „dass durch die Taufe die Gnade Gottes dargeboten wird“. Eindeutig wird damit markiert, dass sich in der Taufe – wie überhaupt im Verhältnis des Menschen zu Gott – eine Bewegung von Gott zum Menschen hin und nicht umgekehrt vollzieht. Das Wort „darbieten“ meint dabei in diesem Zusammenhang eben nicht bloß ein unverbindliches oder neutrales Angebot, das den Menschen zur Entscheidung zwingt und insofern sein Mittun erfordert. Sondern das Wort „darbieten“ meint im lateinischen Text so viel wie „schenken“ oder „übereignen“. Übereignet wird die Gnade Gottes, so formuliert Melanchthon hier. Was mit der Gnade Gottes gemeint ist, ergibt sich aus dem Zusammenhang des Galaterbriefs und überhaupt der lutherischen Bekenntnisse sehr deutlich: Sie ist eben nicht bloß eine Befähigung des Menschen, nach Gottes Willen leben zu können, sondern die heilvolle Zuwendung Gottes zum Menschen schlechthin. Entsprechend wird man, werden auch schon Kinder in diese Gnade Gottes „aufgenommen“, wie es gleich darauf heißt: „Gnade“ heißt eben so viel wie „in Christus sein“, mit ihm verbunden sein, wie Paulus es in Galater 3,27 formuliert: In der Taufe ziehen wir Christus an und sind dadurch „in Christus“.  Und genau das nehme ich dann dankbar und voll Freude wahr. Mit den Worten Martin Luthers aus dem Großen Katechismus: Mein Glaube macht nicht die Taufe, sondern er empfängt die Taufe. Und dieses Empfangen kann eben auch so aussehen, dass ich im Rückblick darüber staune, was in der Taufe an mir geschehen ist: Mir ist Gottes Gnade, seine Zuwendung zu mir geschenkt worden.

Wenn das klar ist, dann ergibt sich daraus von selbst, dass auch schon Kinder getauft werden sollen. Denn auch Kindern kann man schon etwas schenken, dessen Bedeutung ihnen vielleicht erst später ganz aufgeht und das für sie doch auch schon zuvor entscheidend wichtig ist. Die Entscheidung darüber, ob es richtig ist, Kinder zu taufen, fällt aus lutherischer Sicht nicht in der Beantwortung der Frage, ob schon die Apostel Kinder getauft haben. Es gibt gute historische Gründe dafür, dass sie dies getan haben. Doch entscheidend ist allein, wie wir die Taufe verstehen: Ist sie ein Tun des Menschen, dann sollten wir keine Kinder taufen. Ist sie ein Tun Gottes, dann ist es konsequent, dass wir auch Kinder taufen, damit auch sie Gott überantwortet und sein Eigentum werden.

Was Melanchthon hier im 9. Artikel des Augsburger Bekenntnisses ganz kurz skizziert, hat erhebliche Auswirkungen in der kirchlichen Praxis:
Weil die Taufe „notwendig zum Heil“ ist, praktiziert die lutherische Kirche die Nottaufe: Wenn kein Pastor mehr herbeigerufen werden kann, hat jeder Christ das Recht, ja die Pflicht, einem anderen Menschen die Heilige Taufe zu spenden, wenn dieser zu sterben droht oder wenn auch auf absehbare Frist nicht zu erkennen ist, dass ein Pastor kommen und die Taufe vollziehen könnte. Genauso haben es in der Zeit der Sowjetunion viele lutherische Großmütter gehalten und praktiziert – Gott sei Dank! Und eben darum lernen auch die Konfirmanden in unserer Gemeinde schon im Vorkonfirmandenunterricht, wie man eine Nottaufe vollzieht: In der größten Not reicht es, den Kopf des Täuflings mit Wasser zu begießen und die Taufformel zu sprechen: „N.N. (Name des Täuflings), ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Selbst wenn wir nicht in die Lage kommen sollten, selber eine Nottaufe zu vollziehen, tun wir doch gut daran, dort, wo wir die Verantwortung haben, dafür zu sorgen, dass ungetaufte Kinder bald getauft werden. Und wir tun gut daran, auch Menschen in unserem Bekannten- und Freundeskreis auf die Taufe anzusprechen, wenn wir etwa davon hören, dass ein Mensch schwer erkrankt ist, der noch nicht getauft ist. Dass zu der Taufe immer auch die Verkündigung des Evangeliums bzw. die Erziehung im Glauben dazugehört, ist dabei klar.

Damit sind wir bei einem weiteren ganz praktischen Punkt: der Taufzulassung. Die Spendung der Taufe setzt voraus, dass der Empfänger nach menschlichem Ermessen etwas von der Taufe erfährt bzw. dazu bereit ist, im Weiteren auch als Getaufter zu leben. Die Spendung der Taufe ist keine kirchliche Nettigkeit, mit der die Kirche einer Familie eine schöne Familienfeier angesichts der Geburt ihres Kindes ermöglicht und diese Feier ein wenig religiös untermalt. Wo diejenigen, die für die Erziehung des Kindes verantwortlich sind, nicht zu erkennen geben, dass sie es dem Täufling ermöglichen werden, auch weiter in der Gemeinschaft der Kirche leben zu können, darf ein Pastor nicht taufen. Darum gibt es auch die entsprechenden Fragen in der Taufliturgie bei der Taufe von Kindern, die an Eltern und Paten gerichtet werden. Und ebenso setzt die Taufe eines Erwachsenen voraus, dass er um die Grundlagen des christlichen Glaubens weiß und deutlich macht, dass er auch weiter aus der Kraft der Taufe leben will. Darum geht der Taufe von Erwachsenen in unserer Gemeinde ein Taufunterricht voraus, in dessen Verlauf der Pastor sich von der Ernsthaftigkeit des Taufbegehrens überzeugen kann. Es ist dann allerdings tatsächlich auch seine Aufgabe und nicht etwa die staatlicher Gerichte, diese Ernsthaftigkeit festzustellen und daraufhin die Taufzulassung zu erteilen.

Erwähnt wurden eben schon die Paten: Ihr Amt ist kein familiärer Ehrendienst, sondern ein kirchliches Amt, das ihnen auch von der Kirche – in den meisten Fällen auf Vorschlag der Eltern oder des Täuflings selber – übertragen wird. Dies sollten auch Eltern immer berücksichtigen, wenn sie Paten für ihre Kinder aussuchen: Kriterium dafür sollte nicht die freundschaftliche oder verwandtschaftliche Verbindung der Paten zu den Eltern des Täuflings sein, sondern einzig und allein, ob dieser Pate oder diese Patin dem Täufling mit dem eigenen Lebensbeispiel Mut macht, als Christ zu leben und bei Christus zu bleiben. Hier klaffen leider Anspruch und Realität in der Praxis oft weit auseinander, und so kann oftmals nur noch im Taufgespräch versucht werden, den Paten etwas von den Aufgaben zu vermitteln, die sie mit der Übernahme des Patenamtes zu erfüllen versprechen.

Melanchthons Anliegen im 9. Artikel des Augsburger Bekenntnisses ist, mit unseren heutigen Worten, ein ausgesprochen „ökumenisches“: Er möchte betonen, dass es Grundlagen gibt, von denen auch Christen verschiedener Konfession gemeinsam ausgehen können. Dieses Anliegen ist hier in Deutschland vor einigen Jahren in der sogenannten „Magdeburger Erklärung“ aufgegriffen worden, in der die „seriösen“ christlichen Kirchen die Gültigkeit der in den jeweils anderen Kirchen gespendeten Taufen wechselseitig anerkennen. Dies schließt allerdings auch die Anerkennung von Taufen ein, die Kindern gespendet werden. Und von daher haben die Nachkommen der Wiedertäufer, die Baptisten und andere Freikirchen, diese Erklärung auch nicht mit unterschreiben können. Auch da schließt sich dann wieder der Kreis zum 9. Artikel.