3. Der Schluss des Gottesdienstes

Etwas Größeres und Wunderbareres, als die Gabe des Leibes und Blutes Christi im Sakrament zu empfangen, kann es nicht geben. Darum strebt der Gottesdienst nach der Kommunionausteilung zügig seinem Ende zu.

Nach dem Gesang des Lobgesangs des Simeon wendet sich der Liturg wieder mit der „Salutatio“, dem Wechselgruß, an die Gemeinde. Eigentlich ist dieser Wechselgruß an dieser Stelle ein wenig „nach vorne gerutscht“; er ist eigentlich bezogen auf den Segen, den der Liturg am Schluss des Gottesdienstes spendet: Bevor der Liturg in der Vollmacht Christi die Gemeinde segnet, spricht ihm die Gemeinde den Beistand der Gegenwart des Herrn zu: „Der Herr sei mit euch – und mit deinem Geist“. In unserer früheren Lutherischen Agende war die Möglichkeit wahlweise vorgesehen, diesen Wechselgruß direkt vor die Entlassung und den Segen hinter das Dankgebet nach dem Abendmahl zu stellen; dies würde den Zusammenhang zwischen Salutatio und Segen deutlicher herausstellen. Doch lässt sich die Salutatio an der bei uns üblichen Stelle ähnlich wie die beiden anderen „Salutationen“ zu Beginn des Wortteils und zu Beginn des Sakramentsteils als Einleitung für den ganzen weiteren Teil und das Handeln des Liturgen in ihm verstehen.

Auf die Salutatio folgt der „Versikel“, auf Deutsch: Verschen, kleiner Vers. Dies ist ein Vers aus der Heiligen Schrift, der im Wechsel zwischen Liturg und Gemeinde gesungen wird. In kirchenjahreszeitlich nicht besonders geprägten Gottesdiensten lautet er: „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.“ Zu besonderen Zeiten des Kirchenjahres werden andere Versikel verwendet, die jeweils wie in einem Brennglas noch einmal die Gabe des Sakraments und das Thema der Festzeit zusammenführen und bündeln. So lautet der Versikel etwa zu Weihnachten: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“ Außer in der Zeit zwischen Septuagesimae und Karsamstag schließt sich an die Halbverse jeweils ein „Halleluja“ an. Die Versikel finden sich in unserem Gesangbuch auf der Seite 26. Sie sind nummeriert, und diese Nummern finden sich jeweils auch an unserer Liedertafel mit dem Vermerk „V 6“ oder entsprechend einer anderen Zahl. Die Versikel haben eigentlich ihren Platz in den Stundengebeten; ihre Verwendung im Hauptgottesdienst ist eine lutherische Besonderheit. Vermutlich geht ihr Gebrauch an dieser Stelle darauf zurück, dass am Schluss des Gottesdienstes früher oft das Te Deum gesungen wurde, das auch mit einem solchen Versikel abschließt. Leider wurde bei der Herausgabe unseres gegenwärtigen Gesangbuchs vergessen, diesen Versikel mit abzudrucken, sodass er nun von der Gemeinde nicht mehr gesungen werden kann. Dafür haben wir dann diese anderen Versikel, die sicher nicht unabdingbar in den Gottesdienst gehören, aber doch an dieser Stelle eine sinnvolle Funktion haben.

An den Versikel schließt sich die sogenannte „Postcommunio-Kollekte“ an, ein kurzes, zusammenfassendes Gebet nach der Austeilung der Kommunion. Dieses Gebet besteht aus einem Dank für die empfangene Gabe des Leibes und Blutes Christi und aus einer Bitte, dass der Empfang dieser Gabe sich nun auch in unserem Leben auswirken möge. Je nach Kirchenjahreszeit gibt es dabei jeweils unterschiedliche Postcommunio-Kollekten, in denen die Gabe des Sakraments jeweils mit der entsprechenden Kirchenjahreszeit verbunden wird. So heißt es etwa in der Fastenzeit: „Gütiger Gott, durch das Opfer deines Sohnes am Kreuz hast du uns mit dir versöhnt: Hilf uns, in der Kraft dieser Speise den alten Menschen in uns zu überwinden und ein neues Leben zu führen.“ Und in der Osterzeit beten wir: „Wir danken dir, allmächtiger, barmherziger Gott, dass du uns durch diese heilsame Gabe erquickt hast, und bitte dich: Gieß aus in unsere Herzen den Geist deiner Liebe, und die du gesättigt hast mit deinem Osterlamm, mache einträchtig in deinem Frieden.“ In nicht geprägten Gottesdiensten beten wir: „Wir danken dir, allmächtiger, barmherziger Gott, dass du uns mit dem wahren Leib und Blut deines lieben Sohnes erquickt hast, und bitten dich: Heilige durch das Geheimnis deines Sakramentes unser Leben und erfülle uns mit Früchten der Gerechtigkeit.“

Nach diesem Dankgebet wendet sich der Liturg der Gemeinde zu und singt die Sendungsworte: „Gehet hin im Frieden des Herrn.“ In der römischen Messe sprach früher der Diakon die Worte „Ite, missa est“, frei umschrieben: „Geht, der Schluss des Gottesdienstes ist da!“ Von diesen Sendungsworten her hat dann der ganze Sakramentsgottesdienst den Namen „Messe“ erhalten. Dieses Wort wird von Martin Luther und in unseren Lutherischen Bekenntnisschriften noch ganz unbefangen für den Hauptgottesdienst mit Sakramentsfeier gebraucht; auch in den lutherischen Kirchen in anderen Ländern spricht man oft ganz selbstverständlich vom Sakramentsgottesdienst als der „Messe“. Hier in Deutschland wird dieses Wort heute allerdings merkwürdigerweise mitunter als „römisch-katholisch“ empfunden. Dabei bringen das Wort „Messe“ und die Sendungsworte am Schluss des Gottesdienstes einen ganz wichtigen Aspekt des Gottesdienstes zum Ausdruck: „Messe“ und „Mission“ haben dieselben sprachlichen Wurzeln: Am Schluss des Gottesdienstes wird die Gemeinde von Christus zurück in die Welt gesandt, um nun mit Wort und Tat Zeugnis abzulegen von dem, was sie empfangen hat. „Achtung, Sie betreten jetzt das Missionsfeld!“ – Dieser Spruch soll in manchen Kirchen über der Ausgangstür hängen. Wer so reich beschenkt worden ist, wie dies im Gottesdienst geschieht, der soll und kann diese Gaben nicht für sich behalten, wird sie weiterreichen an andere. „Gehet hin!“ – so heißt es darum in der Heiligen Schrift immer wieder: „Geh hin und versöhne dich mit deinem Bruder!“ (St. Matthäus 5,24) „Gehet hin auf die Straßen und ladet zur Hochzeit, wen ihr findet!“ (St. Matthäus 22,9) „Gehet hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker!“ (St. Matthäus 28,19) Wenn die Gottesdienstteilnehmer hingehen, dann gehen sie nicht allein, sondern sie gehen „im Frieden des Herrn“, das heißt: in der Gemeinschaft mit Christus, der uns mit sich verbunden und uns damit das Heil geschenkt hat.

Die Erinnerung an den „Frieden des Herrn“ lässt die Gemeinde jubelnd antworten: „Gott sei ewiglich Dank!“ Dieser Dank bezieht sich also nicht darauf, dass der Gottesdienst nun endlich vorbei ist, sondern auf die Gabe, die die Gemeinde im Sakrament empfangen hat. Dieser jubelnde Dank kann dann auch noch einmal ausgeweitet werden durch den Gesang des „Te Deum“, das wir in unserem Gesangbuch in zwei Fassungen finden: Unter der Nummer 137 in der Fassung Martin Luthers, zu singen im Wechsel zwischen Chor und Gemeinde, und in Liedform unter der Nummer 508, wobei diese Nachdichtung des Te Deum in unserem Gesangbuch leider nur in Auszügen abgedruckt ist.

Auf die Entlassung mit der Antwort der Gemeinde folgt dann schließlich der Segen. Der Segen ist, es kann nicht oft genug betont werden, nicht bloß ein netter frommer Wunsch. Sondern er ist wirkmächtige Mitteilung des himmlischen Gutes, das in diesem Segen genannt wird: Wenn Gott spricht, dann geschieht es. In unseren lutherischen Hauptgottesdiensten wird der Segen am Schluss mit den Worten des aaronitischen Priestersegens gespendet: „Der HERR segne dich und behüte dich. Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der HERR erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.“ (4. Mose 6,24-26) Und im nächsten Vers in 4. Mose 6 wird auch erklärt, was durch das Aussprechen dieser Worte geschieht: „Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“ Der Name ist die wirksame Gegenwart Gottes: Sie wird auf das Volk Gottes gelegt. Darum erhebt der Liturg beim Segen auch die Arme, um dieses Legen der Gegenwart Gottes auf die Gemeinde ganz sinnenfällig zum Ausdruck zu bringen, wie auch Christus dies getan hat, als er die Jünger bei seiner Himmelfahrt segnete (St. Lukas 24,50). Und darum ist es umgekehrt auch angemessen, zum Empfang des Segens niederzuknien, wie dies früher in unserer lutherischen Kirche verbreitet war und wie es in unserer Gemeinde nun auch zunehmend wieder praktiziert wird. Bei anderen Anlässen, etwa bei der Elternsegnung nach der Taufe, beim Konfirmationssegen oder beim Trausegen ist es für uns ganz selbstverständlich, dass die, die gesegnet werden, niederknien. Gewiss haben wir auch hier, wie in vielem anderem, eine „evangelische Freiheit“ – erst recht, wenn uns das Knien aus körperlichen Gründen schwerfällt. Hier gilt dasselbe wie beim Kreuzeszeichen, mit dem viele Gemeindeglieder es an sich selber auch leiblich nachvollziehen, wenn sie vom Pastor mit diesem Zeichen gesegnet werden: Auch hier haben wir die Freiheit zu entscheiden, ob uns dieses „kürzeste Gebet“ eine Hilfe im Mitvollzug unseres Glaubens ist oder nicht. Wenn wir uns bekreuzigen, hat diese Bekreuzigung jedenfalls gerade auch beim abschließenden Segen ihren guten Sinn: Der Segen, den wir empfangen, steht immer im Zeichen des Kreuzes: Er zeigt sich nicht unbedingt darin, dass es uns immer gut geht und wir uns immer nur glücklich fühlen. Er wirkt sich darin aus, dass uns die Kraft geschenkt wird, auch den Kreuzweg hinter unserem Herrn herzugehen. Das Wort „Segnen“ kommt ja vom lateinischen „signare“ – mit dem Kreuzeszeichen versehen. Entsprechend formuliert Martin Luther es ja auch für den „Privatgebrauch“ in seinem Kleinen Katechismus: „Des Morgens, wenn du aus dem Bette fährst, sollst du dich segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes!“   

Der aaronitische Segen hat drei Teile; dreimal klingt das Wort „der HERR“ auf – wie mit drei Glockenschlägen werden wir durch diesen Segen auf den dreieinigen Gott verwiesen, der in diesen Segensworten selber zu uns spricht und an uns wirkt. ER ist es, der uns durch den Segen Seiner behütenden Herrschaft unterstellt und uns nun auch in der kommenden Woche in seinem Licht und in dem Kraftfeld seines Friedens leben lässt. Der Segen wird im Singular gesprochen: „Der HERR segne dich …“. Gewiss wird damit der Segen auch jedem Einzelnen persönlich zugesprochen. Gemeint ist aber mit dem „Du“ zunächst einmal das Volk Gottes in seiner Gesamtheit: Miteinander sind wir in diesem Volk „Gesegnete des HERRN“. Der Segen ist ein wichtiger Teil des Gottesdienstes und ein wunderbares Geschenk unseres Gottes. Darauf verzichten und den Gottesdienst vorzeitig verlassen sollten wir wirklich nur, wenn schwerwiegende Gründe dies nötig machen. Auf den Empfang des Segens antwortet die Gemeinde mit ihrem „Amen“ – entweder mit einem einfachen gesungenen „Amen“ oder einem dreifachen gesungenen „Amen“, einer Variante, die aus dem 19. Jahrhundert stammt und wohl über die Agende der preußischen Union auch in die lutherische Liturgie Einzug gehalten hat, wobei die Frage des einfachen oder dreifachen „Amen“ nun wahrlich keine Bekenntnisfrage darstellt!

Beschlossen wird der Gottesdienst mit dem Auszug des Liturgen und der anderen Helfer im Gottesdienst. Dieser Auszug kann von einem Liedvers oder mehreren Liedversen der Gemeinde begleitet sein, die entsprechend als Auszugslied stehend gesungen werden. Dieses Auszugslied hat sich mitunter „verselbständigt“ und wird als „Schlusslied“ auch dann gesungen, wenn dabei gar kein Auszug stattfindet. Grundsätzlich ist es sicher richtig, den Abschluss nach dem Segen nicht zu „barock“ zu gestalten; der Segen soll als letztes Wort Gotes sein besonderes Gewicht behalten. Auf jeden Fall sollte man bei der Auswahl des Schlussliedes darauf achten, dass es nicht gerade eine Segensbitte enthält – denn der Segen wurde der Gemeinde ja gerade mitgeteilt.    

Das Orgelnachspiel hat nicht die Funktion, den Lärm der Gespräche der herausgehenden Gottesdienstteilnehmer zu übertönen. Es soll vielmehr dazu helfen, den Gemeindegliedern die Möglichkeit zu geben, noch einmal in Ruhe in sich nachklingen zu lassen, was sie gerade erfahren und empfangen haben, und dies im Dankgebet noch einmal vor Gott zu bringen.