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4. Abkündigungen und Allgemeines Kirchengebet

Auf das Predigtlied, in dem der Inhalt der voraufgegangenen Predigt noch einmal vertieft wird, folgen im Gottesdienst die Abkündigungen. Mitunter wird der Einwand erhoben, diese oft sehr „irdischen“ Mitteilungen in den Abkündigungen hätten in einem Gottesdienst doch nichts verloren und würden nur die Andacht der Beteiligten stören. Es sei von daher besser, sie ganz aus dem Gottesdienst herauszuhalten oder sie ganz ans Ende des Gottesdienstes zu rücken. Doch die Einfügung der Abkündigungen nach der Predigt, die sich an dieser Stelle des Gottesdienstes übrigens schon vor 1600 Jahren zu Zeiten des heiligen Augustinus befanden, ist nicht nur eine praktische Notlösung, sondern hat einen tiefen geistlichen Grund: Der Gottesdienst ist nicht bloß ein Anlass zu privater Erbauung des Einzelnen, sondern ist Versammlung der Familie Gottes. Die Abkündigungen erinnern daran, dass wir als Einzelne miteinander eingebunden sind in die Gemeinschaft der Gemeinde, ja dass wir als Gemeindeglieder auch in den Dingen des alltäglichen Lebens miteinander verbunden sein sollen, in Mitfreude und Mitleiden (vgl. Römer 12,15), Fürbitte und Trost, in tätiger Mithilfe und gemeinsamem fröhlichem Dank. Hier in den Abkündigungen hat das ganz konkrete Leben der Gemeinde seinen Platz: Mitteilungen über Gottesdienste und besondere Veranstaltungen in der Gemeinde, über Geburten, Trauungen und Beerdigungen, über das Dankopfer, das zum Schluss des Gottesdienstes eingesammelt wird bzw. wurde, Bitten um Mithilfe in der Gemeinde, Ankündigungen über konkrete Fürbittanliegen, die im folgenden Kirchengebet aufgenommen werden, gesamtkirchliche Anliegen, Hinweise auf Besonderheiten in der Liturgie, ja, wenn es sein muss, auch konkrete Erinnerungen und Ermahnungen. Schon in den Briefen des Apostels Paulus finden wir solche Mitteilungen, die sich mit unseren Abkündigungen vergleichen lassen, wie etwa Grüße an namentlich genannte Gemeindeglieder, Fürbitten, Bitten um Opfergaben und ähnliches (vgl. z.B. Kolosser 4,7-18; Epheser 6,18-20; 1. Korinther 16,1-4). Die Abkündigung von Geburten und bevorstehenden Trauungen und Beerdigungen wird dabei jeweils auch mit einem Gebet verbunden, bei Heimgängen von Gemeindegliedern auch mit einem Gedenklied. Nicht immer lässt sich die Grenze ganz klar ziehen, welche Mitteilungen nun noch in die Abkündigungen hineingehören und welche sich besser auf anderem Wege der Gemeinde nahebringen lassen oder auch nahegebracht werden sollten. Abgesehen von der praktischen Erinnerungs- und Informationsfunktion, die die Abkündigungen haben, brauchen diese aber auch grundsätzlich, wenn man ihren geistlichen Sinn verstanden hat, nicht verschämt abgekürzt zu werden, weil sie ja eigentlich nicht in den Gottesdienst gehören. Gerade vor der Sakramentsfeier ist es sinnvoll, wenn wir uns daran erinnern lassen, in wie vielfältiger Weise wir als Gemeindeglieder zusammengehören!

Auf die Abkündigungen folgt das Allgemeine Kirchengebet, das in seinem Inhalt zum Teil schon durch diese Abkündigungen mit vorbereitet worden ist. Das Allgemeine Kirchengebet hat schon seit alters seine Position an der Schwelle zwischen Wort- und Sakramentsteil. Es ist ein umfassendes (darum „allgemeines“) Fürbittengebet, in dem die Kirche der Aufforderung des Apostels Paulus nachkommt, „dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen“ (1. Timotheus 2,1). Schon im 1. Clemensbrief (aus dem Jahr 95/96) finden wir eine völlig ausgearbeitete Vorlage solch eines Allgemeinen Kirchengebets. Im Verlauf des Mittelalters wurden die Fürbitten des Kirchengebets immer mehr in das Eucharistische Hochgebet während der Sakramentsfeier verlagert; dies hatte insofern einen guten geistlichen Sinn, weil wir durch den im Sakrament gegenwärtigen Hohepriester Christus und sein auf dem Altar gegenwärtiges Opfer den Zugang zum Vater mit unseren Gebeten haben. Andererseits lenkte die Integration der Fürbitten in die Sakramentsliturgie aber auch wieder ab von dem „Gabe-Charakter“ des Sakraments, in dem es zentral darum geht, dass wir von Christus beschenkt werden. Auch die römisch-katholische Kirche hat mit der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nun wieder das Allgemeine Kirchengebet als eigenständiges Fürbittengebet eingeführt. Im Zeitalter des Pietismus und der Aufklärung war das Allgemeine Kirchengebet oft nur noch eine an Gott gerichtete Wiederholung der Predigtgedanken, wobei die Fürbitten verkümmerten. Dagegen soll die Struktur des Allgemeinen Kirchengebets gerade dieser Gefahr wehren, dass in diesem Gebet die Gemeinde nur für sich selber und ihre eigene Gläubigkeit betet.

Schon seit den Zeiten der Alten Kirche umfasst das Allgemeine Kirchengebet im Wesentlichen drei Fürbitt-Gruppen:

  1. Die Fürbitte für die Kirche und ihre Diener. Zu dieser Fürbitte zählt auch die Fürbitte um die Einheit und Einigkeit der Kirche, um ihre Ausbreitung in alle Welt, also die Mission, für die Arbeitsfelder der Kirche, für die Taufbewerber, Konfirmanden und Restanten, ja auch für die Feinde der Kirche (vgl. dazu Matthäus 5,44; Römer 12,14). Einen besonderen Platz in dieser ersten Fürbitt-Gruppe nimmt jeweils die Fürbitte für den amtierenden Bischof ein, mit der die Gemeinde ihre Einheit mit der Gesamtkirche zum Ausdruck bringt.
  2. Die Fürbitte für alle weltlichen Ordnungen Gottes. Diese Fürbitt-Gruppe umfasst das Anliegen der vierten Bitte des Heiligen Vaterunsers, wie Martin Luther sie in seinem Kleinen Katechismus so plastisch ausgelegt hat. Konkret geht es darin um die Fürbitte für die Obrigkeit (auch für die heidnische und widerchristliche!), für die Aufrechterhaltung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung, für die rechte Verwaltung des Rechts, um Gottes Segen für Volk und Land, für die Ehen und Familien und die Erziehung der Jugend, um den Frieden in der Welt, um Gesundheit, gutes Wetter, Abwehr von Schaden aller Art, für Saat und Ernte, für Arbeit und Beruf.
  3. Die Fürbitte für die Notstände und Notleidenden in allen Lebensbereichen: für die Verwitweten und Waisen, für die Verirrten und Verfolgten, für die Heimatlosen und Flüchtlinge, für die Gefangenen (und zwar nicht nur die unschuldig Gefangenen!), für die Opfer von Katastrophen, für die Elenden und Traurigen, Armen, Kranken und Sterbenden. In diesen Bereich können dann immer wieder auch ganz konkrete, aktuelle Fürbitten für Glieder der Gemeinde oder für Menschen, die von ganz aktuellen Unglücksfällen betroffen sind, aufgenommen werden.

In unserer Evangelisch-Lutherischen Kirchenagende finden sich zahlreiche Fassungen des Allgemeinen Kirchengebets, die zum Teil auch auf die jeweilige Zeit des Kirchenjahres Bezug nehmen. So bietet die Agende für das Kirchengebet eine reichliche Auswahl. Es liegt dabei jedoch in der Natur der Sache, dass diese Fassungen einen Rahmen darstellen, in den zusätzliche Bitten eingefügt werden können, je nachdem, an welcher Stelle der drei Fürbitt-Gruppen sich die Einfügung nahelegt. Wenn das Allgemeine Kirchengebet einmal von Gemeindegruppen, etwa im Jugendkreis, eigenständig formuliert wird, was grundsätzlich durchaus möglich ist und sinnvoll sein kann, so sollten die Verfasser vorher jedoch entsprechend über die grundlegende Struktur und die verschiedenen Ausführungsmöglichkeiten des Kirchengebets informiert sein. Für das Allgemeine Kirchengebet bietet unsere Agende drei verschiedene Ausführungsmöglichkeiten an:

a)       die sogenannte „Prosphonese“ (wörtlich: „Anrede“). Bei dieser Gebetsform wird das Kirchengebet vom Liturgen zum Altar gewandt in einem Zug ohne Unterbrechung als direkte Anrede an Gott vorgetragen. Ein Nachteil dieser Form besteht darin, dass die Gemeinde, abgesehen vom „Amen“ zum Schluss nicht aktiv beteiligt wird und so die Gefahr besteht, dass die Vielzahl der Fürbitten an ihr „vorbeirauscht“.

b)      die sogenannte Ektenie (wörtlich „Ausdehnung“, „Ausbreitung“; der Name bezieht sich entweder auf die ausgebreiteten Hände, mit denen die Fürbitten vorgetragen wurden, oder auf die vor Gott ausgebreiteten Bitten). Diese Gebetsform ist aus den Litaneien der alten orientalischen Kirchen hervorgegangen. Der Liturg oder der Lektor nennt im Blick zur Gemeinde vom Lesepult aus die einzelnen Gebetsanliegen, die von der Gemeinde nach der jeweiligen Aufforderung „Lasst uns zum Herrn beten“ oder „Lasst uns den Herrn anrufen“ mit dem Ruf „Herr, erbarme dich“ oder „Kyrie eleison“ aufgenommen werden. Den Abschluss bildet dann ein zum Altar hin gesprochenes Kollektengebet des Liturgen mit dem Amen der Gemeinde.

c)       das sogenannte „Diakonische Gebet“. Es wird so genannt, weil sich der Liturg mit einem Diakon bzw. Lektor das Gebet aufteilt, sodass einer jeweils die Gebetsanliegen nennt und der andere daraufhin ein ausformuliertes Gebet spricht, das in seiner Form einem Kollektengebet entspricht, worauf die Gemeinde jeweils mit „Amen“ antwortet. Auch diese Form geht schon auf die frühchristliche Zeit zurück. Ein Nachteil dieser Form besteht darin, dass das Allgemeine Kirchengebet dadurch doch recht lang werden kann und einige Ausdauer von Seiten der Gemeinde erfordert.

Das Allgemeine Kirchengebet kann, vor allem in der Form b), nicht nur gesprochen, sondern auch gesungen werden. Dafür gibt es unter anderem auch eine schöne Anleitung in unserem Jugendliederbuch „Come and sing“.