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6. Die Präfation

Die Liturgie der Sakramentsfeier beginnt mit der sogenannten „Präfation“, auf Deutsch: „Vorspruch“,. Die Präfation gehört – wie überhaupt die ganze liturgische Ordnung des Sakraments (einschließlich ihrer musikalischen Gestalt!) – zu den frühesten Stücken der christlichen Liturgie. Wir finden die ältesten uns erhaltenen Präfationen schon in der Kirchenordnung des Bischofs Hippolyt (um 215); doch gehen weite Partien bis auf die Apostelgemeinde in Jerusalem zurück. Seit alters umfasst die Präfation drei Stücke: Die „Salutatio“, den Gruß, das „Sursum corda“ („Die Herzen in die Höhe“) und das „Gratias“ („Lasset uns danksagen …“), auf das dann das große Präfationsgebet folgt.Der Wortlaut des einleitenden Grußes ist uns bereits aus dem Eingangsteil des Gottesdienstes bekannt; in der Erläuterung des Eingangsteils wurden die biblischen Bezüge für diesen Segensgruß bereits benannt. Hier bildet dieser Gruß nun gleichsam das „Eingangsportal“ zur Sakramentsfeier und hat an dieser Stelle noch einmal einen tieferen Sinn. Denn hier beziehen sich die Worte „Der Herr sei mit euch“ nun auch auf das Wundergeschehen im Sakrament, bei dem der Herr selber unter uns gegenwärtig werden und sich mit uns verbinden will, dass wir „ein Kuchen mit Christus“ werden, wie Martin Luther dies so plastisch formuliert hat. Und wenn die Gemeinde auf diesen Zuspruch des Liturgen antwortet: „und mit deinem Geist“, dann erbittet sie für den Diener Gottes am Altar das Gleiche, was er ihr zugesprochen hat: Der Herr möge sich auch mit ihm, der ja in dieser Stunde gemeinsam mit der Gemeinde das Heilige Mahl empfängt, nunmehr verbinden.

An den Gruß schließt sich die Aufforderung an: „Die Herzen in die Höhe“. Damit ist nicht gemeint, dass Christus weit entfernt von uns „im Himmel“ wäre und daher nicht leibhaftig zu uns kommen könnte, sodass wir uns nun in der Feier des Sakraments mit unserer Seele oder unserem Geist weg vom Altar „gen Himmel schwingen“ müssten, um mit Christus Gemeinschaft zu haben, wie Johannes Calvin und der Calvinismus diese Worte missverstanden haben. Genau das Gegenteil ist richtig: Er, der erhöhte Christus, kommt nun im Sakrament leibhaftig zu uns und bringt mit sich den Himmel auf die Erde, ganz konkret auf den Altar. Auf dieses Kommen unseres Herrn sollen wir uns mit unserer Personmitte, mit allem, was unser Denken, Handeln und Wollen bestimmt, nunmehr ausrichten und damit alles hinter uns lassen, was uns „nach unten“, also von Christus wegziehen könnte. Alle Unruhe, Angst und Sorge soll nun von uns weichen, wenn wir die Ankunft des Herrn in unserer Mitte feiern. In diesem Sinne nehmen wir auf, wozu uns der Apostel Paulus in Kolosser 3,1 auffordert: „Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes.“ Entsprechend singt die Gemeinde als Antwort: „Wir erheben sie zum Herren.“ Nun soll und darf uns nichts mehr von der Begegnung mit dem lebendigen Christus ablenken.Mit dem dritten Wechselgruß wird dann der Grundton des folgenden Präfationsgebets angeschlagen: Wir werden aufgerufen, Dank zu sagen dem Herrn, unserm Gott. Die Heilige Schrift berichtet, dass Jesus selbstverständlich vor jeder Mahlzeit das Dankgebet sprach (vgl. z.B. Markus 6,41; Johannes 6,11 und 23). Auch bei der Einsetzung des Heiligen Mahles am Abend des Gründonnerstags sprach er das Dankgebet (vgl. z.B. Matthäus 26,26 und 27; 1. Korinther 11,24). In der griechischen Ursprache des Neuen Testaments wird in diesem Zusammenhang meist das Wort „eucharistein“ gebraucht, d.h. „danksagen“. Darum hat bereits die frühe Kirche die ganze Sakramentsfeier „Eucharistie“, also „Mahl der Danksagung“ genannt. Schon in der ganz frühen Christenheit richtete man also seine Sinne bei der Sakramentsfeier ganz wesentlich auf die Huldigung des im Sakrament gegenwärtigen Herrn: Sie „brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott“ (Apostelgeschichte 2,46 und 47). – So werden die Eucharistiefeiern der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem von St. Lukas beschrieben. Wie sollte man auch nicht jubeln, wenn der Herr der Welt bei uns Einzug hält!„Das ist würdig und recht“, antwortet die Gemeinde auf diese Aufforderung zur Danksagung. Welche andere Haltung sollte auch dem Kommen des Herrn „würdig“ sein als allein der Dank und die Anbetung? Genau diese Worte „würdig und recht“ greift nun auch das folgende große Dankgebet, das große Präfationsgebet auf: „Wahrhaft würdig ist es und recht, dass wir dir … Dank sagen“. Vor der Einführung unserer neuen Agende lautete diese Einleitung noch, in Wiedergabe der lateinischen Vorlage dieses Präfationsgebets: „Wahrhaftig würdig und recht, billig und heilsam ist’s, …“ Leider hat sich der Sinn des Wortes „billig“ in unserer Sprache verändert, auch wenn seine ursprüngliche Bedeutung in Ausdrücken wie „recht und billig“ oder der „Billigkeit“ im Juristendeutsch noch erkennbar ist. Entsprechend ist das „billig“ aus unseren Liedern und liturgischen Texten weitgehend getilgt worden, und nur die Kirchenmusiker pflegen mitunter noch den ursprünglichen Text einer Liedstrophe zu zitieren, um damit die Erwartungshaltung der Kirche an sie zu beschreiben: „Gott solln wir billig loben …“ Leider ist mit dem „billig“ im Präfationsgebet zugleich auch das „heilsam“ gestrichen worden; das ist sehr schade, denn es ist doch ein sehr tiefer und wichtiger Gedanke, dass es für uns Menschen heilsam ist, Gott zu allen Zeiten und an allen Orten zu danken, auch und gerade im Angesicht von so vielem, was uns eigentlich verstummen lassen müsste: im Angesicht von Leid, Sorgen, Nöten, Krankheiten und dem Tod. Ja, heilsam, heilbringend und Wunden heilend ist es, dagegen in den Lobgesang aller Engel mit einzustimmen.


Das Präfationsgebet besteht stets aus drei Teilen:

1. Aus dem unveränderlichen Eingangsteil: „Wahrhaft würdig ist es und recht, dass wir dir, heiliger Herr, allmächtiger Vater, ewiger Gott, zu allen Zeiten und an allen Orten Dank sagen durch Christus, unsern Herrn.“ „Zu allen Zeiten und an allen Orten“ heißt: Wir stellen uns mit unserem Lobpreis und auch mit unserer Sakramentsfeier ganz bewusst in die Gemeinschaft der einen Kirche aller Zeiten und aller Orte, also der allumfassenden, auf Griechisch: der „katholischen“ Kirche. Unsere Sakramentsfeier ist keine Sonderveranstaltung unserer Gemeinde, und darum basteln wir uns gerade bei der Feier des Altarsakraments eben keine eigene Sonderliturgie zusammen, sondern stellen uns in die Tradition der Kirche seit fast 2000 Jahren. Machen wir uns dies einmal klar, was es bedeutet, dass wir die Sakramentsliturgie mit den gleichen Worten feiern, mit denen Christen vor 1800 Jahren bereits das Sakrament gefeiert haben, dass wir die Sakramentsliturgie mit den gleichen Worten feiern, die Christen überall auf der Welt gebrauchen, nicht nur in der lutherischen Kirche, sondern auch in der römisch-katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen!

2. Aus einem auswechselbaren Mittelstück. In ihm wird jeweils die Heilstat Gottes gepriesen, derer die Kirche in dieser Zeit des Kirchenjahres besonders gedenkt. Auf diesen konkreten Heilstaten gründet der Lobpreis der Kirche. Geradezu überschwänglich jubelt die Kirche in diesen Mittelteilen der Präfationsgebete, wenn es dort etwa zu Weihnachten heißt: „Denn Fleisch geworden ist das ewige Wort; was von Ewigkeit her verborgen war, ist heute erschienen, und das neue Licht deiner Herrlichkeit hat unsere Augen erleuchtet. Sichtbar schauen wir Gott, der in uns die Liebe zu den unsichtbaren Gütern entzündet.“ Und am Tag der Himmelfahrt Christi beten wir: „Denn er ist nach seiner Auferstehung den Jüngern leibhaft erschienen und vor ihren Augen zum Himmel erhoben, damit er uns Anteil gebe an seinem göttlichen Wesen.“ Teilhabe am göttlichen Wesen, „Vergöttlichung“, wie es die orthodoxe Kirche nennt – genau das ist ja die Gabe, die uns im Sakrament zuteil wird.

3. Aus dem Abschluss, der unser „armes Lob auf Erden“ in wunderbarster Weise verbindet mit den Lobgesängen der Engel und der ganzen himmlischen Welt: „Durch ihn loben deine Majestät die Engel, beten dich an die Gewalten, fürchten dich die Mächte; die Himmel und aller Himmel Kräfte samt den seligen Serafim preisen dich mit einhelligem Jubel. Mit ihnen lass auch unsre Stimmen uns vereinen und anbetend ohne Ende lobsingen:“ Mit den Gewalten, Mächten und Kräften sind nach Kolosser 1,16 und Epheser 1,21 verschiedene Engelmächte gemeint; Gleiches gilt für die Serafim, die nach Jesaja 6,2 und 3 den Thron Gottes unmittelbar umgeben und dabei unaufhörlich den himmlischen Lobgesang des „Heilig, heilig, heilig“ anstimmen. Dass wir in ihren Chor mit einstimmen dürfen, ist alles andere als selbstverständlich. Wenn in der Philharmonie der Philharmonische Chor singt, dann können und dürfen ja auch nicht die Konzertbesucher einfach mitsingen, wenn sie dies möchten. Noch viel weniger haben wir als sündige Menschen das Recht dazu, einfach in den noch viel erhabeneren Chor der Engel mit einzustimmen. Wir können darum Gott in diesem Präfationsgebet nur darum bitten, dass er unsere Stimmen mit dem Lobgesang aller Engelmächte vereinen möge, und dürfen dann das Wunder erfahren, dass genau dies geschieht, wenn wir nun im Weiteren das „Heilig, heilig“ singen. Hier im anbetenden Lobpreis Gottes ist, wie es Professor Peter Brunner einmal formuliert hat, „die einzige Stelle im Kosmos“, an der sich schon jetzt und hier in unserer vergehenden Welt Himmel und Erde vereinen zu einem gemeinsamen Tun: zur gemeinsamen Liturgie vor dem Thron Gottes, an der auch all diejenigen teilhaben, die uns im Glauben an Christus vorangegangen sind. So erfahren wir in der Liturgie des Heiligen Mahles schon einen Vorgeschmack der himmlischen Vollendung.