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7. Das Sanctus und die Konsekration

Das Präfationsgebet, mit dem wir uns in der letzten Ausgabe der Glaubensinformationen befasst hatten, schließt mit der Bitte, gemeinsam mit allen himmlischen Heerscharen in den Lobgesang vor dem Thron Gottes einstimmen zu dürfen. Darauf folgt nun das „Sanctus“, das „Heilig, heilig“, ein Hymnus, der sich aus einem alttestamentlichen und einem neutestamentlichen Zitat zusammensetzt. In der Geschichte von der Berufung des Propheten Jesaja finden wir in Jes 6,3 den Lobgesang der Seraphim, den sie einander im himmlischen Heiligtum zuriefen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth; alle Lande sind seiner Ehre voll!“ „Zebaoth“ ist nicht etwa der Nachname Gottes, wie etwa „Herr Meier“. „Zebaoth“ ist vielmehr ein hebräisches Wort und bedeutet „Heerscharen“. Im Hebräischen schließt man einfach ein Wort an ein anderes Wort an, um deutlich zu machen, dass das zweite Wort im Genitiv steht. „Herr Zebaoth“ heißt also: Herr der Heerscharen, gemeint ist: Herr der himmlischen Heerscharen, Herr aller himmlischen Mächte.

Das „Heilig, heilig“ wurde bereits zur Zeit des Neuen Testaments – und wird bis heute – im jüdischen Synagogengottesdienst gebetet. Von dort ist es sehr bald dann auch in den christlichen Gottesdienst übergegangen. Ein erster Beleg dafür findet sich bereits im 1. Clemensbrief aus dem Jahr 95/96. Das Sanctus passt inhaltlich an dieser Stelle ganz genau: Jetzt stehen wir wie Jesaja im Allerheiligsten; jetzt gilt auch für uns: „Auf ewig ist verschwunden, was Erd und Himmel trennt, denn Gott hat sie verbunden im heilgen Sakrament.“ (ELKG – Gesangbuch 476,3) Gottes Ehre, seine Herrlichkeit erfüllt die ganze Welt, so bekennen wir mit den Seraphim staunend. Und doch verbleiben wir in der Feier des Altarsakraments nicht bei der Anbetung der Allgegenwart Gottes, sondern wir feiern, dass dieser allgegenwärtige Gott hier im Sakrament nun in einer ganz konkreten Weise fassbar wird, in einer Weise, die über seine „allgemeine“ Allgegenwart noch hinausgeht. Wir bekennen dies, indem wir dem Lobgesang der Seraphim den Jubelruf der Menge folgen lassen, die Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem mit Palmzweigen begrüßte: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“ (St. Matthäus 21,9) Der heilige Gott kommt nun in unsere Mitte, hält Einzug bei uns auf dem Esel von Brot und Wein. „Benedictus“ nennt man diesen Teil des Sanctus nach dem ersten Wort dieses Jubelrufs: „Gelobt, gepriesen sei …“ Aus diesem lateinischen „Benedictus“ ist dann das deutsche Wort „gebenedeit“ geworden, das wir an dieser Stelle in unserem Gesang des Sanctus verwenden. Gepriesen wird der, der da kommt, als „Mariensohn“, als Sohn der Gottesmutter Maria, als der, der wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich ist. „Hosianna“ – auf Deutsch: „Hilf doch!“ – war im Judentum ein Huldigungsruf für den in der Öffentlichkeit erscheinenden König. Als König, als Herrn der Welt, begrüßen wir somit im Sanctus den, der nun zu uns kommt, wo seine eigenen Worte laut werden: „Lobsingend tönen Lieder der Engel ihm voran, es spürt die Erde wieder den Herrn des Lebens nahn.“ (ELKG 476,1) Könnte es von daher an dieser Stelle der Sakramentsfeier einen passenderen Gesang als eben dieses Sanctus mit dem Benedictus geben?

In unserer lutherischen Agende gibt es im Weiteren zwei verschiedene Anordnungen der liturgischen Stücke bis zur Kommunion: In der sogenannten „Form A“ folgt auf das Sanctus zunächst das Gebet des Vaterunsers, darauf folgen die Einsetzungsworte, und daran schließen sich unmittelbar der Gesang des „Christe, du Lamm Gottes“ und die Kommunion an. Diese Form A greift ein Anliegen Martin Luthers in der Reformationszeit auf: Damals waren die Einsetzungsworte von verschiedenen ihnen vorangehenden und nachfolgenden Gebeten so überwuchert, dass sie in ihrer besonderen Bedeutung kaum noch erkennbar waren. Luthers Anliegen war es, die besondere Stellung der Einsetzungsworte wieder herauszuarbeiten: Sie sind Wort Christi und sollen mit unseren menschlichen Gebetsworten nicht vermischt werden. Außerdem lag Martin Luther daran, die unmittelbare Verbindung von Konsekration, also der Segnung der Gaben durch die Einsetzungsworte, und Austeilung herauszustellen. Zu Luthers Zeiten war es üblich gewesen, nur einmal im Jahr zur Kommunion zu gehen; eine Austeilung des Leibes und Blutes des HERRN an die Gemeinde fand in den meisten Gottesdiensten gar nicht statt: Konsekriert wurde nur zum Zweck der Opferdarbringung und der Anbetung. Aus diesen Gründen entfernte Luther alle die Einsetzungsworte umgebenden Gebete aus seinem Gottesdienstentwurf, stellte das Vaterunser den Einsetzungsworten gleichsam als vorbereitendes Tischgebet voran und ließ auf die Einsetzungsworte und das „Christe, du Lamm Gottes“ sofort die Austeilung folgen.

Neben dieser „Form A“ gibt es auch eine „Form B“, die unterschiedlich ausführlich ausgestaltet werden kann. Die „Form B“ greift stärker auf die Gestaltung der Sakramentsliturgie in der Alten Kirche zurück. Dort ging den Einsetzungsworten ein Gebet voraus, in der der Heilige Geist herabgerufen wurde, die sogenannte „Epiklese“. Dann folgten die Einsetzungsworte, an die sich als nächstes ein „Heilsgedächtnis“ anschloss, ein Gebet, in dem die Gemeinde der Heilstat gedenkt, die Gott durch Christus für uns vollbracht hat. Dieses Gebet wird „Anamnese“ genannt. Nach der Anamnese wird in der „Form B“ das Vaterunser gebetet. Daran schließen sich der Friedensgruß und das Agnus Dei, das „Christe, du Lamm Gottes“ an. Möglich ist es auch, vor dem Agnus Dei noch ein Vorbereitungsgebet zu sprechen.

Beide Formen haben ihre Vorzüge: Form A bringt die Bedeutung der Einsetzungsworte als das Zentrum der Sakramentsliturgie in besonderer Weise zum Ausdruck. Sie tut dies allerdings so, dass sie dabei die Kontinuität zu der Anordnung der Sakramentsliturgie in der Alten Kirche preisgibt. Form B hat – vor allem in ihrer „Vollform“ – den großen Vorzug, dass in ihr zum Ausdruck kommt, dass es in der Sakramentsfeier immer auch um „Danksagung“ geht (1. Kor 11,24) und dass wir da, wo wir von diesem Brot essen und aus diesem Kelch trinken, den Tod des Herrn verkündigen, bis er kommt (1. Kor 11,26). Die vielfältigen inhaltlichen Bezüge der Sakramentsfeier zum Wirken des Heiligen Geistes, zum Tod, zur Auferstehung und zur Wiederkunft des Herrn und zur Sammlung der Gemeinde durch den erhöhten Christus werden in den Gebeten, die die Einsetzungsworte umrahmen, wunderbar entfaltet. Eine Gefahr besteht bei dieser Form jedoch darin, dass die deutliche Unterscheidung zwischen Gebet und Wort Christi, zwischen der Bewegung des Menschen hin auf Gott und der Bewegung Gottes auf den Menschen zu, durch die Einbettung der Einsetzungsworte in einen Gebetsrahmen nicht mehr genügend wahrgenommen werden kann. In vielen Gemeinden wird eine „reduzierte“ Fassung der Form B gebraucht: Die Umrahmung der Einsetzungsworte durch Epiklese und Anamnese wird weggelassen; die Vorordnung der Einsetzungsworte vor dem Vaterunser wird jedoch ebenso beibehalten wie der Friedensgruß und das Vorbereitungsgebet. So ist es in den Gottesdiensten unserer St. Marienkirche üblich, während in unserer Dreieinigkeitskirche die schlichtere „Form A“ praktiziert wird. Zu einigen besonderen Anlässen haben wir in Gottesdiensten in unserer St. Marienkirche allerdings auch schon die volle Form des sogenannten „eucharistischen Hochgebets“ mit Epiklese und Anamnese praktiziert.

Inhaltlich ergibt es jedenfalls auch einen guten Sinn, wenn sich gleich an den Begrüßungsjubel für den im Sakrament einziehenden Herrn nun auch die Worte anschließen, die die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Brot und Wein des Sakraments bewirken. Diese Worte verkündigen nicht bloß der Gemeinde etwas, sondern sie setzen als göttliche Stiftungsworte eine neue Wirklichkeit: Sie konsekrieren (= weihen). Darum wendet sich der Liturg bei den Einsetzungsworten den Elementen Brot und Wein auf dem Altar zu und singt bzw. spricht über ihnen die Worte Christi. Die Einsetzungsworte des Heiligen Abendmahls sind im Neuen Testament gleich viermal überliefert, jeweils in leicht unterschiedlicher Gestalt – auch wenn der Inhalt als solcher in allen Fällen der gleiche ist. Die lutherische Reformation verwendet als Einsetzungsworte eine Zusammenstellung der verschiedenen Einsetzungsberichte auf der Grundlage von 1. Korinther 11,23-25. Mit dem Erklingen der Einsetzungsworte befinden wir uns im Allerheiligsten: Wo diese Worte Christi laut werden, sinken die Gemeindeglieder auf die Knie, wenn es ihnen körperlich irgend möglich ist. Die Glocke läutet, um aller Welt zu verkündigen, dass jetzt der Herr der Welt hier auf dem Altar seinen Einzug hält. Bei den Worten „Das ist mein Leib“ und „Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut“ bezeichnet der Liturg die Elemente jeweils mit dem Segenszeichen des Kreuzes und bringt damit auch sichtbar zum Ausdruck, was mit dem „Das“ und dem „Dieser Kelch“ gemeint ist: nicht einfach alles Brot, was sich zufällig im Kirchraum befindet, auch nicht die Elemente, die sich am Rande des Altars in den Vorratsbehältern befinden, sondern diejenigen Elemente, die jetzt auf dem „Corporale“, auf dem „Leibtuch“ auf dem Altar zu finden sind, von dem aus sie dann ausgeteilt werden. In Ausnahmefällen kann es angemessen erscheinen, auch den Inhalt der Vorratsgefäße mit zu konsekrieren. In diesem Fall werden auch sie mit auf das Corporale gestellt; der Deckel wird geöffnet, und auch über ihnen wird das Kreuzeszeichen bei der Konsekration geschlagen. Das hat dann allerdings zur Konsequenz, dass in diesem Fall natürlich auch der gesamte Inhalt der Vorratsgefäße am Ende der Sakramentsfeier verzehrt werden muss. Darum sollte von der Konsekration der Vorratsgefäße in aller Regel abgesehen werden. Angemessener ist es, während der Austeilung Brot und Wein mit den Worten Christi nachzukonsekrieren, wenn die konsekrierten Elemente nicht ausreichen sollten.