Ich glaube an Gott

Ich glaube an Gott

 

1. Jeder Mensch glaubt an seinen Gott.
Wenn wir bekennen: „Ich glaube an Gott“, dann mögen wir meinen, wir würden uns mit diesem Bekenntnis von den meisten Menschen in unserer Umgebung unterscheiden. Doch dies ist nur zum Teil richtig. Denn in Wirklichkeit glaubt jeder Mensch an seinen Gott. Die Frage ist nicht die, ob ich an Gott glaube, sondern an welchen Gott ich glaube. Martin Luther hat dies in seinem Großen Katechismus sehr schön formuliert: „Woran Du Dein Herz hängst und worauf Du Dich verläßt, das ist eigentlich Dein Gott.“

Was ist das Wichtigste in meinem Leben; was hält und trägt mich? Diese Frage wird von Menschen ganz unterschiedlich beantwortet – sei es, daß sie sich darüber tatsächlich Gedanken gemacht haben, oder sei es, daß sie diese Frage einfach durch die Art und Weise beantworten, in der sie leben: Für viele Menschen ist ihr Geld und Besitz das Wichtigste im Leben und damit ihr Gott. Für andere ist es vielleicht das Auto oder die Karriere, das Ansehen bei den anderen. Wieder andere meinen, sie würden sich nur auf ihre eigene innere Kraft verlassen, nur an sich selber glauben, sind sich selber ihr eigener Gott. Doch wenn wir solche „Götter“ auflisten, merken wir schon: All dies verdient den Namen „Gott“ letztlich doch nicht zu Recht. Denn wenn es in meinem Leben wirklich drauf ankommt, allerspätestens wenn es ans Sterben geht, dann nützt mir all mein Geld und Besitz nichts, auch nicht mein Auto, meine Karriere oder all das, was andere von mir halten. Und dann merke ich erst recht, daß ich mich selber nicht halten und tragen kann. Spätestens dann beginnen wir hoffentlich zu ahnen, daß es nur Einen gibt, der wirklich mit Recht Gott genannt werden kann und auf den allein es sich zu verlassen lohnt: ER, der lebendige Gott, den nicht wir uns geschaffen haben, sondern der uns geschaffen hat.


2. Glauben heißt Vertrauen.
Aus dem bisher Gesagten wird schon deutlich, was „Glauben“ eigentlich heißt: „Glauben“ heißt nicht bloß: „Vermuten“. In diesem Sinne wird das Wort „Glauben“ in unserer Sprache heute ja zumeist verwendet: „Ich glaube, daß morgen die Sonne scheinen wird“, oder: „Ich glaube, daß Deutschland dieses Jahr Fußballweltmeister wird“. „Glauben“ ist in diesem Fall ein schöner Wunsch, mehr nicht, jedenfalls etwas, was weniger fest ist als Wissen. Oder „Glauben“ wird im Sinne von „Einbildung“ verstanden: „Man muß nur fest genug daran glauben“, heißt es dann etwa, oder man zitiert das Wort Jesu von dem Glauben, der Berge versetzen kann, in einem ganz anderen Zusammenhang.

Wenn wir in unserem Glaubensbekenntnis sprechen: „Ich glaube an Gott“, dann meinen wir etwas ganz anderes. Dann heißt das nicht: „Ich vermute, daß es irgendwo da oben ein höheres Wesen gibt“. Es heißt auch nicht: „Kann sein, daß es Gott gibt, kann auch nicht sein.“ Und es bedeutet auch nicht, daß wir versuchen, uns selber etwas vorzumachen, uns selber mit dem Gedanken an Gott zu beeinflussen. Sondern „Glauben“ heißt „Vertrauen“, sich auf etwas – nein: auf jemanden! – verlassen, auch wenn man ihn nicht sieht und keine Beweise hat. In diesem Sinne „glauben“ wir auch jeden Tag im Alltag: Wir steigen in einen Bus und vertrauen darauf, daß er uns an die gewünschte Bushaltestelle fährt, ohne vom Busfahrer dafür vorher einen Beweis zu fordern. Und wenn zwei Ehepartner bei der Hochzeit einander versprechen, einander treu zu bleiben und einander zu lieben, dann verläßt sich auch der eine auf den anderen, glaubt an ihn in diesem Sinne. Ja, es wäre geradezu fatal, wenn der eine Partner vom anderen schon im vorhinein einen Beweis für sein Versprechen verlangen würde, denn ein solches Mißtrauen würde die Beziehung ja gerade in Frage stellen und zerstören.

„Ich glaube an Gott“ – das heißt also: „Ich vertraue auf Gott“, „Ich vertraue darauf, daß Gott mein Leben in Seiner Hand hält“. Das heißt: Ich vertraue darauf, daß Gott zuverlässiger ist als jeder menschliche Partner, daß Er Sein Versprechen niemals bricht, daß Er mein Leben in Seiner Hand hält und Er mich niemals fallen läßt. Und das ist eben nicht nur eine theoretische Aussage, sondern das ist etwas, was wir in unserem ganzen Leben dann immer wieder durchbuchstabieren müssen und dürfen, in guten und in schweren Zeiten, wenn wir merken, daß uns sonst nichts mehr hält und trägt. Da merken wir dann, wie praktisch und lebensnah diese Aussage ist und wird: „Ich glaube an Gott.“


3. Der Glaube an Gott wird provoziert.
Wie kommen wir nun dazu, daß wir dieses Bekenntnis selber mitsprechen können: „Ich glaube an Gott“? Gibt es so etwas wie einen Trick, der einem hilft zu glauben? Gibt es vielleicht irgendwelche Techniken, Meditationstechniken zum Beispiel, die uns zum Glauben führen können? Oder ist der Glaube an Gott einfach nur eine Frage des guten Willens? Oder ist Glauben einfach nur eine Frage der Veranlagung oder der Erziehung? Muß man eben einfach ein wenig leichtgläubig oder naiv veranlagt sein oder in seiner Kindheit entsprechend religiös geprägt worden sein, um glauben zu können, während „Verstandesmenschen“ oder Menschen, die nun einmal anders erzogen worden sind, eben nicht glauben können, „religiös unmusikalisch“ sind?

All dies ist nicht der Fall. Ein Grundsatz unseres Glaubens in Martin Luthers Kleinem Katechismus lautet: „Ich glaube, daß ich nicht glauben kann.“ Wenn jemand behauptet: „Ich kann nicht an Gott glauben“, dann können wir ihm nur beipflichten: „Das kann ich auch nicht.“ Wir können weder bei uns selbst noch bei anderen den Glauben hervorrufen. Sondern wenn wir bekennen können: „Ich glaube an Gott“, dann hat Gott selbst zuvor in unser Leben eingegriffen und diesen Glauben und dieses Bekenntnis hervorgerufen, auf gut Latein: Er hat selber diesen Glauben „provoziert“. Wir können uns also nicht den Glauben „aus den Rippen leiern“, sondern wir können immer nur staunend feststellen: Gott hat mich mit Seinem Wort gleichsam „getroffen“ – und nun glaube ich an ihn. Wie Gott uns erreicht und den Glauben in uns provoziert, das kann in der Biographie von Menschen ganz unterschiedlich aussehen. Gewiß gibt es Menschen, die so etwas wie ein plötzliches „Bekehrungserlebnis“ hatten. Die meisten Menschen führt Gott dagegen sehr viel unauffälliger, mitunter auch auf ganz langen, verschlungenen Wegen dahin, daß sie schließlich doch dieses Bekenntnis mitsprechen können: „Ich glaube an Gott, ich vertraue Ihm.“ Und doch bleibt immer Er es, der diesen Glauben wirkt.


4. Der Glaube an Gott ist vernünftig.
Wenn wir auch bei keinem Menschen selber den Glauben hervorrufen können, nicht mit Tricks oder Überredung und auch nicht mit noch so guten Argumenten, so können wir doch gleichsam rückblickend durchaus über den Glauben an Gott mit unserem Verstand nachdenken und feststellen: Der Glaube an Gott ist durchaus vernünftig.

Dies ist das berechtigte Anliegen derer, die sich im Verlauf der Geschichte immer wieder an sogenannten „Gottesbeweisen“ versucht haben. Gewiß kann ich keinen Menschen mit einem „Gottesbeweis“ zur Anerkennung der Existenz Gottes führen. Aber ich kann sehr wohl fragen: Ist es vernünftiger, nicht an Gott zu glauben? Ist es vernünftiger, diese Welt und das Leben ohne Gott verstehen und erklären zu wollen? Und was tritt dann an Erklärungsversuchen an die Stelle Gottes? Und da brauchen wir uns als Christen nicht zu verstecken. Nein, wir brauchen als Christen nicht unseren Verstand an der Garderobe abzugeben. Und wir brauchen erst recht nicht rot anzulaufen, wenn wir auf unseren Glauben an Gott angesprochen werden, als würde man uns da bei etwas Unanständigem oder Peinlichem erwischen. Glauben bedeutet keine Verengung unserer Wahrnehmung, sondern im Gegenteil eine Erweiterung unserer Perspektive. Und darüber können wir durchaus auch ganz vernünftig mit Menschen sprechen, die mit dem Gott, an den wir glauben, nichts zu tun haben wollen.

Aber daß wir es dabei nicht vergessen: Glauben ist viel mehr als bloß die Anerkennung eines Sachverhalts. Glauben in seinem eigentlichen Sinn meint ein persönliches Vertrauensverhältnis zu dem Gott, der sich uns zu erkennen gegeben hat und sich uns zuwendet. Darum kann die Heilige Schrift den Glauben auch immer wieder als „Gemeinschaft mit Gott“ oder ganz konkret als „Gemeinschaft mit Christus“ beschreiben. Wenn wir sagen: „Ich glaube an Gott“, dann haben wir damit unsere Zuschauerrolle aufgegeben und reden bewußt als Betroffene. Und als Betroffene erkennen wir: „Ich glaube an Gott“ – dieser Satz beschreibt die beglückendste Entdeckung, die wir überhaupt machen können