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Das Glaubensbekenntnis: Der Erste Artikel: Von der Schöpfung.

Das Glaubensbekenntnis: Der Erste Artikel: Von der Schöpfung.

 

Von der Schöpfung
Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen,
Schöpfer Himmels und der Erden.

Was ist das?
Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen,
mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder,
Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält;
dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof,
Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter;
mit aller Notdurft und Nahrung des Leibes und Lebens
mich reichlich und täglich versorget,
wider alle Fährlichkeit beschirmet
und vor allem Übel behütet und bewahret;
und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte
und Barmherzigkeit,
ohn all mein Verdienst und Würdigkeit:
des alles ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen
und gehorsam zu sein schuldig bin.
Das ist gewisslich wahr.


Im Zweiten Hauptstück des Kleinen Katechismus legt Martin Luther das Apostolische Glaubensbekenntnis aus, das Taufbekenntnis der Kirche. Katechismusunterricht ist nachgeholter Taufunterricht; zugleich ist das Bekenntnis „Ich glaube“ Gabe und Wirkung der Taufe und bezieht sich auch von daher auf die Taufe zurück.

Die Worte „Ich glaube“ bedeuten dabei nicht bloß „Ich vermute“ oder „ich halte für wahr“. In diesem Sinne wird das Wort „Glauben“ ja weithin im heutigen Sprachgebrauch verstanden. Entsprechend wird dann das – angeblich ungewisse – Glauben dem Wissen gegenübergestellt, oder Glauben wird auf die Anerkennung von bestimmten Sachverhalten oder kirchlichen Glaubenssätzen reduziert: „Glaubst du, dass es Gott gibt?“, „Glaubst du an die Jungfrauengeburt?“ Stattdessen ist festzuhalten: „Glauben“ beschreibt eine persönliche Beziehung zwischen dem Glaubenden und Gott; „Glauben“ meint so viel wie „Vertrauen“ und lässt sich vergleichen mit der Beziehung von Ehepartnern in einer guten Ehe, die sich ohne jeden Beweis aufeinander verlassen. In diesem Sinne glauben wir an Gott, vertrauen ihm und seinem Wort, glauben nicht „an die Jungfrauengeburt“, sondern an den, der von der Jungfrau Maria geboren ist. Martin Luther kann diese persönliche Beziehung noch konkreter fassen: „An Christus glauben heißt: ihn anziehen, mit ihm eins werden.“

Dieser Glaube hat aber zugleich auch einen konkreten Inhalt: Martin Luther beginnt seine Erklärungen der drei „Artikel“, der drei Teile des Glaubensbekenntnisses, mit den Worten: „Ich glaube, dass …“. Dabei macht er in seiner Erklärung aber auch deutlich, dass der Inhalt des Bekenntnisses unmittelbar mit uns und unserem Leben zu tun hat: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat.“ Natürlich hat Gott auch am Anfang die ganze Welt geschaffen „samt allen Kreaturen“. Dass die Welt und das Leben in ihr nicht durch blinden Zufall, sondern durch das Handeln eines intelligenten Schöpfers entstanden ist, ist ein Grundbekenntnis des christlichen Glaubens – und eine vernünftige Annahme dazu. Doch dieser Schöpfer, so bekennen wir es mit Martin Luther, hat sich nach diesem ersten Schöpfungsakt am Anfang nicht aus der Welt zurückgezogen, sondern wirkt bis heute weiter. Jeder Mensch darf von sich bekennen, dass er so, wie er ist, von Gott geschaffen worden ist. Er ist Gottes Ebenbild, und das gibt ihm seinen Wert und seine Würde.

Martin Luther leitet uns im Katechismus dazu an, uns „ganzheitlich“ als Geschöpfe Gottes wahrzunehmen: Nicht nur die Seele, sondern auch der Leib ist Gabe und Geschenk Gottes, ebenso auch die Vernunft. Christlicher Glaube ist also gerade nicht leib- oder vernunftfeindlich, wie so oft behauptet wird. Gott will, dass wir unseren Körper als seine Gabe achten und entsprechend pfleglich mit ihm umgehen, und er will, dass wir unseren Verstand einsetzen, mit dem er uns begabt hat. Dann lenkt Luther unseren Blick weiter auf unsere Umgebung, auf alles, was wir zum Leben brauchen (dies ist mit dem altertümlichen Wort „Notdurft“ gemeint): Kleidung, Essen und Trinken, Familie, Beruf und Besitz – alles ist Gabe und Geschenk Gottes, in dem wir den Schöpfer dankbar erkennen sollen.

Natürlich wusste auch Luther, dass Essen und Trinken nicht einfach vom Himmel fallen und Kinder nicht vom Klapperstorch gebracht werden. Er kann davon sprechen, dass Gott als Schöpfer in dieser Welt immer wieder „Werkzeuge“ verwendet. So hat Gott unsere Eltern als seine „Werkzeuge“ gebraucht, als er uns das Leben geschenkt hat. Gottes Handeln als Schöpfer in dieser Welt schaltet also unser menschliches Handeln nicht aus. Und doch sollen und dürfen wir in allem, was wir in unserem Leben erfahren, Gott selber erkennen und begegnen. Gott der Schöpfer ist kein ferner Gott, den wir bloß in der Vergangenheit und vielleicht noch in der Zukunft suchen und finden können, sondern er ist jetzt und hier in meinem Leben unablässig am Werk – so dürfen wir mit Martin Luther staunend feststellen.

Das kleine Baby, das wir sehen – ein Zeichen, dass Gott diese Welt nicht aufgegeben hat; das Essen, das wir heute Mittag zu uns nehmen – ein Ausdruck dessen, dass Gott uns „reichlich und täglich versorget“; meine Familie und meine Freunde – sie sind mir von Gott „aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit“ gegeben. Und dass ich überhaupt noch lebe, ist auch nicht selbstverständlich, sondern liegt allein an dem, der mich „wider alle Fährlichkeit (= alle Gefahren) beschirmet und vor allem Übel behütet und bewahret“: „In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet.“ (ELKG 234)

Gott beschenkt uns als unser Schöpfer, bevor wir auch nur irgendetwas für ihn getan haben. Diese Einsicht benutzt Martin Luther in seiner Katechismuserklärung, um deutlich zu machen, wie es mit unserem Verhältnis zu Gott ganz grundlegend bestellt ist: Nicht wir müssen etwas tun, um dieses Verhältnis in Ordnung zu bringen; nicht wir können bei Gott mit unseren Leistungen, mit unseren guten Werken etwas verdienen; nicht wir müssen uns mit unserem Leben der Gaben Gottes würdig erweisen, sondern Gott beschenkt uns schon längst zuvor „ohn all mein Verdienst und Würdigkeit“. Wir können uns als Menschen immer nur als solche erfahren, die schon längst von Gott beschenkt worden sind, die immer schon mehr erhalten haben, als sie überhaupt verdient haben. Der Liederdichter Paul Gerhardt hat dies in seinem Testament für seinen einzigen überlebenden Sohn wunderbar formuliert: „Tue Leuten Gutes, ob sie dir es gleich nicht zu vergelten haben, denn was Menschen nicht vergelten können, das hat der Schöpfer Himmels und der Erden längst vergolten, da er dich erschaffen hat, da er dir seinen lieben Sohn geschenket hat, und da er dich in der heiligen Taufe zu seinem Kinde und Erben auf- und angenommen hat.“ Wir tun als Christen nichts, damit es uns vergolten wird, sondern wir tun alles, weil uns von Gott schon im Vorhinein längst vergolten worden ist. Darum geht es in unserem Bekenntnis zu Gott, dem Vater, dem Schöpfer.

Umgekehrt sind wir Gott von daher von Anfang an in unserem Leben etwas schuldig, so formuliert Martin Luther abschließend: Dank, Lob, Dienst und Gehorsam. Es geht in unserem Leben nicht darum, ob uns der Glaube an Gott etwas bringt, so als ob Gott unser Dienstleister wäre, dessen Service wir beurteilen könnten. Sondern Gott, der uns so „reichlich und täglich versorget“, kann umgekehrt von uns Dank und Lob erwarten, und das heißt konkret: Zeit für den Gottesdienst, die Bereitschaft, von dem, was ich besitze, abzugeben und so zu einem Werkzeug Gottes für andere zu werden, die Bereitschaft, das ernst zu nehmen, was Gott mir in seinem Wort sagt.

Es geht im Glauben an Gott also nie bloß um eine unverbindliche Spekulation über ein höheres Wesen oder ein allgemeines erhabenes Gefühl: „Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.“ Sondern im Glauben an Gott den Schöpfer erkennen wir: Alles, was ich tue und empfange, mein ganzer Alltag – und erst recht der Sonntag –, ja, jede Minute meines Lebens hat mit Gott zu tun. Immer erfahre ich, wie mich Gott beschenkt, immer bin ich in seinen Dienst gerufen, immer darf ich darüber staunen, dass ich leben darf – leben „aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit“. Gott ist keine nebulöse Vorstellung, sondern das – nein: der – Allerkonkreteste, den es in meinem Leben überhaupt gibt.

„Das ist gewisslich wahr“ – So übersetzt Martin Luther am Ende das „Amen“ ins Deutsche. Ein Glaubensbekenntnis ist nie bloß eine unverbindliche Meinungsäußerung; sondern in diesem Bekenntnis bringen wir zum Ausdruck, worauf unser ganzes Leben beruht, worauf wir uns verlassen – im Leben und im Sterben. Wir tun gut daran, die auch sprachlich so wunderbar gestaltete Erklärung des 1. Glaubensartikels in Luthers Kleinem Katechismus immer wieder Wort für Wort durchzumeditieren und so wieder neu die Wirklichkeit Gottes in unserem Leben zu entdecken, für die wir nicht dankbar genug sein können.