02.08.2009 | St. Matthäus 5, 13-16 (8. Sonntag nach Trinitatis)

ACHTER SONNTAG NACH TRINITATIS – 2. AUGUST 2009 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 5,13-16

Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten. Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

„Und du glaubst, ich bin stark und ich kenn den Weg. Du bildest dir ein, ich weiß, wie alles geht. Du denkst, ich hab alles im Griff und kontrollier, was geschieht. Aber ich steh nur hier oben und sing mein Lied.“ – So singt der Sänger Adel Tawil von „Ich und Ich“ in seinem Lied „Stark“. In diesem Lied versucht er seiner Freundin klarzumachen, dass er in Wirklichkeit ein ganz Anderer ist als der, für den sie ihn hält, dass das Traumbild, das sie sich von ihm gemacht hat, gar nicht der Realität entspricht. Genauer hinschauen soll sie, damit sie erkennt, was für ein fragwürdiger Typ er in Wahrheit ist: „Ich bin nicht der, der ich sein will, und will nicht sein, wer ich bin“, so formuliert er selber diese Differenz zwischen den Wunschvorstellungen der anderen und seiner eigenen Wunschvorstellung von sich und der ernüchternden Wirklichkeit, die er an sich selber wahrnimmt.
So ähnlich wie Adel Tawil mag es auch uns ergehen, wenn wir die Worte unseres Herrn Jesus Christus im Heiligen Evangelium dieses Sonntags hören, Worte, die an uns gerichtet sind, die uns beschreiben. „Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt“. Aber hallo, mögen wir da einwenden: Lieber Herr Christus, hast du denn keine Ahnung, wer wir in Wirklichkeit sind, bist du wirklich so blauäugig, dass du dir solch ein Wunschbild von uns machst, dass du allen Ernstes glaubst, wir paar Männeken hätten auch nur irgendeine besondere Bedeutung für diese Welt, ja auch nur für die weitere Umgebung, in der wir leben? Müssen wir dich wirklich erst noch darüber aufklären, wer wir wirklich sind?
Nein, das müssen wir natürlich nicht. Denn in diesem Fall läuft die Geschichte genau umgekehrt als wie in dem Lied von „Ich und Ich“. Nicht wir müssen Christus darüber aufklären, wer wir wirklich sind, sondern Christus klärt uns in den Worten des Heiligen Evangeliums darüber auf, wer wir sind, weil wir selber offenbar keine Ahnung davon haben, wer wir wirklich sind. Und Christus hat diese Ahnung allemal, der weiß besser Bescheid über uns als wir selber, ja, der ist in der Position, beurteilen zu können, was wirklich Sache ist. Und so wollen wir uns jetzt im Weiteren von Christus die Augen öffnen lassen über uns selber, wollen miteinander darüber staunen, für wen uns Christus eigentlich hält, und das heißt in der Tat: wer wir wirklich sind.
„Ihr“ – so redet uns Christus hier zunächst einmal an. Nein, Christus sieht uns nicht als zufällig versammelten Trupp von Leuten an, die heute hierher gekommen sind, um ihre individuellen geistlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Christen sind für ihn keine religiösen Einzelkämpfer, die sich zu bestimmten Anlässen zur Ausübung ihres gemeinsamen Hobbys vereinsmäßig zusammenschließen. Sondern als Christen, so macht es Christus hier deutlich, seid ihr immer schon in eine Gemeinschaft eingebunden, ja, das gehört zu eurem Christsein einfach mit dazu, dass ihr mit Brüdern und Schwestern in der Gemeinde verbunden seid. Gemeinsam seid ihr, was ihr seid, Salz der Erde, Licht der Welt; nur dadurch, dass ihr in der Gemeinschaft der Kirche zusammen seid, kann man euch als Salz und Licht wahrnehmen und erkennen. Würden wir uns aus dieser Gemeinschaft ausklinken, würden wir meinen, wir könnten auch ohne diese Gemeinschaft der Kirche Christen sein, dann würden wir genau das verfehlen, was wir nach der Beschreibung Christi doch in Wirklichkeit sind, würden an unserer Bestimmung vorbei leben. Aber genau das tut ihr ja nicht, sitzt ja heute Morgen hier in der Kirche, lebt genau damit, was ihr seid: Salz der Erde, Licht der Welt.
Und damit sind wir schon beim Zweiten, was wir erkennen, wenn wir genau hinschauen auf das, was Christus hier über uns sagt: Christus hält uns hier keine Moralpredigt, geschweige denn, dass er uns hier irgendwelche Vorwürfe machen würde. Er sagt nicht: Ihr sollt Salz der Erde sein, ihr sollt Licht der Welt sein, sollt euch mal ein bisschen anstrengen, damit ihr endlich anfangt zu leuchten! Jesus macht uns hier keine Zielvorgaben, die wir erreichen sollen, und er will uns auch kein schlechtes Gewissen einjagen, dass wir erkennen, wie sehr wir hinter seinen Erwartungen zurückbleiben. Nein, ihr seid’s, ihr seid’s, so stellt es Christus fest. Nein, er stellt das nicht fest als Ergebnis einer Meinungsumfrage in unserer Umgebung; er stellt das nicht fest als Ergebnis einer Analyse der Effektivität unserer Gemeindearbeit, er stellt das nicht fest, weil ihn ein Blick in unsere Herzen so sehr beeindruckt hätte, dass er sich daraufhin in poetische Höhen emporgeschwungen und uns zum Salz der Erde und zum Licht der Welt erklärt hätte. Im Gegenteil: Salz der Erde, Licht der Welt sind wir, obwohl es da so wenig Beeindruckendes an uns zu entdecken gibt, obwohl wir selber so wenig an uns erkennen können, was Christus dazu veranlassen könnte, uns mit diesen Titeln zu bezeichnen. Salz der Erde, Licht der Welt sind wir einzig und allein, weil Christus uns dazu erklärt, weil Christus uns dazu macht, weil er nicht einfach irgendwelchen Schmu daherredet, sondern weil sein Wort Wirklichkeit setzt: Wenn er sagt, dass wir Salz der Erde, Licht der Welt sind, dann sind wir es schlicht und einfach dadurch, dass er es sagt. Ja, auf dieses Wort, auf diese wunderbare Zusage unseres Herrn können wir uns verlassen, auch wenn all unsere Erfahrung dagegen zu sprechen scheint.
Was heißt das also nun ganz konkret, dass wir Salz der Erde, Licht der Welt sind?
Eines haben beide Bezeichnungen gemeinsam: Sie setzen uns als Christen, als Kirche in Beziehung zu unserer Umgebung, ja zur ganzen Welt. Anders ausgedrückt: Wir sind als Christen, als Kirche nicht bloß für uns selbst da. Kirche ist niemals bloß ein Selbstzweck, ein religiöser Selbstbedienungsladen. Kirche ist niemals bloß ein Club von Leuten mit gleichen Interessen, die sich alle nett finden und sich gerne untereinander treffen. Im Gegenteil: Das ist die ganz große Versuchung, von der wir als Kirche und Gemeinde immer wieder von Neuem bedroht sind, dass wir nur noch uns selber sehen, nur noch erwarten, dass wir uns selber hier wohlfühlen, und womöglich auch noch mitentscheiden wollen, wer denn hier in unsere Gemeinde noch hineinpasst und wer nicht. Kurzum: Das ist die große Versuchung der Kirche, dass wir nicht mehr wahrnehmen, dass wir als Kirche immer Kirche für Andere sind, eben Salz der Erde, Licht der Welt. Nein, das ist gerade kein Aufruf zum Aktionismus, dass wir deswegen nun alle möglichen Hilfs- oder Missionsprogramme starten, weil wir doch Salz der Erde, Licht der Welt sein sollen. Nein, noch einmal: Wir sollen nicht Salz der Erde oder Licht der Welt werden. Wir sind es schon längst, längst bevor wir auch nur einen Finger krumm gemacht haben. Ja, auch jetzt schon sind wir als Kirche, als Gemeinde auf die Welt, die uns umgibt, bezogen, üben da eine ganz wichtige Funktion aus, ohne dass wir selber das vielleicht überhaupt so richtig wahrnehmen.
Also noch einmal: Was heißt das, dass wir Salz der Erde sind? Nein, damit ist nicht gemeint, dass wir einfach Bestandteil einer bunten Gewürzmischung sind und dieser Welt noch einmal eine besondere Geschmacksnote geben: Wäre doch schade, wenn es zwischen all den vielen Atheisten und Esoterikern und Moslems nicht auch noch ein paar Christen gäbe, die unserer Gesellschaft eine gewisse exotische Note verleihen! Gerade zu Weihnachten gehört doch das Christliche irgendwie immer noch mit dazu!
Nein, wenn Jesus uns hier als Salz der Erde bezeichnet, dann geht es ihm um Anderes: Zunächst einmal gilt beim Salz, dass schon eine kleine Menge eine große Wirkung erreichen kann: Eine kleine Prise Salz reicht schon aus, um einem ganzen Gericht den rechten Geschmack zu verleihen. Schaut also nicht darauf, so sagt es uns Jesus hier, was für winzige Salzkörner ihr seid; von euch geht eine Wirkung aus, die viel größer ist, als ihr es überhaupt ahnt! Unscheinbar, ja geradezu unsichtbar wirkt das Salz im Essen; man kann es in aller Regel nicht sehen; man achtet vielleicht noch nicht einmal darauf, ob es überhaupt drin ist; man würde es erst bemerken, wenn es fehlt. Ihr braucht als Christen nicht immer gleich die große Show in der Öffentlichkeit abzuziehen, so sagt es Christus seinen Jüngern hier; man mag euch vielleicht noch nicht einmal wahrnehmen – und doch seid und bleibt ihr für die Menschen, die euch umgeben, seid und bleibt ihr für die ganze Welt von entscheidender Bedeutung.
Denn Salz würzt eben nicht bloß; Salz vermag viel mehr. Salz vermag vor allem auch zu konservieren. Salz wurde damals im Heiligen Land nicht zuletzt dafür eingesetzt, Lebensmittel haltbar zu machen. Salz der Erde seid ihr Christen, so sagt es uns Christus zu. Das heißt tatsächlich: Um euretwillen wird diese Erde, auf der so vieles faul ist, ja mitunter zum Himmel stinkt, immer noch bewahrt; um euretwillen hält Gott sein Strafgericht über diese Welt noch zurück, lässt den Menschen noch Zeit, zu ihm umzukehren. Ja, als Salz der Erde wirken wir schlicht und einfach dadurch, dass wir uns als Christen auch heute wieder hier im Gottesdienst versammeln; als Salz der Erde wirken wir schlicht und einfach dadurch, dass wir hier im Gottesdienst nachher wieder für diese vergehende Welt Fürbitte tun. Als Salz der Erde wirken wir schlicht und einfach dadurch, dass Gott uns auch heute hier im Gottesdienst durch sein Wort der Vergebung zu Gerechten macht, zu Menschen, die in seinen Augen richtig dastehen. Wie Gott damals Sodom und Gomorrha nicht vernichtet hätte, wenn er auch nur zehn Gerechte darin gefunden hätte, so hält Gott sein Gericht zurück, wenn er auf uns blickt – nein, nicht weil wir moralisch so hochanständige Menschen wären, sondern weil wir Menschen sind, die er zu dem gemacht hat, was sie eigentlich sein sollen: zu Leuten, die mit Christus verbunden und eben darum gerecht, eben darum Salz der Erde sind.
Salz konserviert, Salz wirkt gegen Fäulnis – aber dabei brennt es zugleich auch in Wunden. Ich weiß noch, wie ich damals mit einer kleinen Schnittwunde am Finger im Toten Meer baden gegangen bin. Das brennt, das beißt. Und so brennen und beißen wir auch als Christen, als Gemeinde in unserer Gesellschaft – nein, nicht weil wir aggressiv wären, weil wir andere angreifen würden, sondern schlicht und einfach dadurch, dass es uns gibt. Wir erleben das zunehmend in unserer Gesellschaft, dass andere aggressiv reagieren, mitunter beinahe ausflippen, wenn sie mit Christen, wenn sie mit der Kirche konfrontiert werden. Das können sie einfach nicht ertragen, dass es Menschen gibt, die sich nicht einfach an das anpassen, was alle anderen doch auch sagen, denken und machen. Das können sie einfach nicht ertragen, dass es Menschen gibt, die behaupten, dass Gottes Willen für das Leben aller Menschen Bedeutung hat, die behaupten, dass es nur einen Weg zu Gott gibt, nämlich Jesus Christus. Ja, das brennt, das lässt Menschen aufschreien, gewiss. Doch weh uns, wenn wir deswegen den Mund halten würden, verleugnen würden, dass wir Salz sind, und uns stattdessen nur noch als Zuckerguss dieser Welt präsentieren würden, der alles abdeckt und alles für in Ordnung hält, was Menschen so tun und denken. Ja, Salz der Erde sind wir, als solches Salz will Christus uns gebrauchen. Lassen wir uns daher von den Reaktionen anderer nicht irritieren; Christus hat es uns doch längst gesagt, was wir sind: nicht Zucker, nicht Ketchup, sondern Salz der Erde.
Und Licht der Welt sind wir zum Anderen, so zeigt es uns Christus hier. Licht der Welt sind wir, sollen wir nicht bloß sein, nein, wir sind es. Würden wir das von uns selber behaupten, dass wir Licht der Welt sind, so wäre dies in der Tat mehr als anmaßend; denn eigentlich hören wir es doch hier bei jeder Taufe, wer denn das Licht der Welt ist: ER, Christus, selber: Ich bin das Licht der Welt, so hat er es gesagt, und daran erinnern wir uns, wenn bei einer Taufe die Taufkerze an der Osterkerze angezündet wird. Doch genau das geschieht ja nun zugleich in der Heiligen Taufe, dass er, Christus, das Licht der Welt, uns durch dieses Sakrament nun auch selber zum Licht der Welt macht: Er verbindet sich mit uns, lebt in uns, leuchtet in uns, leuchtet durch uns hindurch und macht uns, ja, ausgerechnet uns eben auch zum Licht der Welt, strahlt selber durch uns in diese Welt hinein.
Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß: Das klingt für unsere Ohren vielleicht völlig abgehoben, fast schon ein wenig durchgeknallt: Wir sollen angeblich Licht der Welt sein? Und dann gucken wir uns die Typen an, die mit uns zusammen hier in der Kirche sitzen, dann gucken wir noch mal auf uns selbst – und dann klingen diese Worte für uns vielleicht noch abgefahrener: Wir – Licht der Welt? Aber erinnern wir uns noch einmal: Jesus sagt das von uns allen miteinander als Gemeinschaft, als Gemeinde, nicht von uns als einzelnen: Gemeinsam sind wir die Stadt auf dem Berg, die nicht verborgen bleiben kann. Ich erinnere mich noch daran, wie ich vor vielen Jahren am See Genezareth war. Nördlich des Sees Genezareth liegt auf einem Berg, 800 Meter über dem Meeresspiegel, die Stadt Safed. Tagsüber nahm man die gar nicht so wahr. Aber abends, als es dunkel wurde, da sah man die Lichter der Stadt oben auf dem Berg. Nein, die Einwohner von Safed, die hatten sich gar keine besondere Mühe gegeben, dort oben auf sich aufmerksam zu machen. Die lebten einfach ganz normal dort oben ihr Leben, zündeten abends, wie man das eben so macht, das Licht in ihren Wohnungen an. Aber dieses ganz normale Leben der Einwohner von Safed, das leuchtete ins Land hinein, ließ die Stadt schon von weitem erkennbar werden.
So ist das auch bei uns: Wir sollen, wie gesagt, nicht Licht der Welt werden. Wir sind es als Christen. Wir leben miteinander unser Leben hier in der Gemeinde, tun als Christen ganz selbstverständlich, worüber wir vielleicht gar nicht groß nachdenken, gute Werke, wie Christus es hier formuliert, haben eine Hoffnung, im Vergleich zu der das Leben der meisten anderen Menschen unglaublich oberflächlich erscheint. Und das bekommen Menschen mit, vor allem, wenn es in ihrem Leben dunkel wird, wenn sie merken, dass es mit ihrem Leben nicht so weitergehen kann wie bisher. Dann kommen sie in unsere Stadt, ohne dass wir dafür sehr viel tun müssten, dann kommen sie und finden durch uns den Weg zu dem eigentlichen Licht der Welt, zu ihm, Christus, selber.
Nein, wir sind als Kirche, wie gesagt, kein Selbstzweck. Unser Auftrag besteht nicht darin, die Zahl der Mitglieder oder die Höhe der Kirchenbeiträge zu steigern. Sondern Gott will uns als Kirche, als Gemeinde, gleichsam als Leuchtreklame benutzen, er möchte, dass wir, schlicht und einfach dadurch, dass es uns gibt, Werbung für ihn machen, dass Menschen den Weg zu ihm finden, in ihm die Erfüllung ihres Lebens finden. Nein, Gott benutzt nicht David Beckham oder Tokio Hotel, obwohl er die sicher auch noch gebrauchen könnte, nein, Gott benutzt nicht David Beckham oder Tokio Hotel, um für sich Werbung zu machen, er benutzt uns stinknormale Leute als Werbeträger, möchte nur eins, dass wir unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, möchte nur eins, dass wir nicht leugnen und verheimlichen, wer wir sind: Christen, die einen wunderbaren Herrn und eine wunderbare Hoffnung haben.
Nein, du musst das nicht an dir selber nachvollziehen können, auch nicht am Leben anderer Christen, dass das stimmt, dass wir miteinander Licht der Welt sind. Hauptsache, Christus weiß es, Hauptsache, er sieht uns so, wie wir wirklich sind, ja, Hauptsache, er sagt es uns auch, worauf wir sonst im Traum nicht kämen: Ja, ihr seid es: Salz der Erde, Licht der Welt. Amen.