Evangelisch-Lutherische Kirche in Berlin

Am 1. November 1539, Allerheiligen, empfängt Kurfürst Joachim II. aus der Hand des Brandenburger Bischofs Matthias von Jagow in der Berlin-Spandauer Nicolaikirche das Heilige Abendmahl unter beiden Elementen Brot und Wein den wahren Leib und das wahre Blut Jesu Christi. Am darauf folgenden Tag empfangen auch die Ratsherren das Heilige Abendmahl und bekennen sich damit zum schriftgemäßen lutherischen Abendmahlsverständnis. Dieses Ereignis gilt als Einführung der lutherischen Reformation in Berlin.

Kurfürst Johann Georg von Brandenburg erließ eine dezediert lutherische Kirchenordnung, die auf der Grundlage des Augsburgischen Bekenntnisses, sowie des Kleinen und Großen Katechismus Dr. Martin Luthers basiert. Folglich unterschreibt er 1580 auch das Konkordienbuch, in welchem sämtliche Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche zusammengestellt sind.

Die lutherische Kirche in Berlin und Brandenburg geriet ab 1613 unter dem Kurfürsten Johann Sigismund, der zum Kalvinismus - der reformierten Lehre - übertrat in Bedrängnis. Gerade die lutherische Abendmahlslehre, wonach die Abendmahlsgäste wirklich Christi wahren Leib und sein wahres Blut zur Vergebung der Sünden empfangen, wird durch den Einfluss der reformiert-kalvinistischen Auffassung immer mehr verdunkelt. Dieses ruft den Widerspruch der lutherischen Berliner Pfarrer hervor. Einer der prominentesten Gegner der reformiert-kalvinistischen Meinung zum Abendmahl, war der Liederdichter und Pfarrer Paul Gerhardt. Er wurde amtsenthoben und musste Berlin wegen seines Glaubens und Bekennens verlassen. Der Druck auf die lutherische Kirche in Berlin und Brandenburg wuchs. Auch die Zeitalter von Rationalismus und Aufklärung taten ihr Übriges die Autorität der Bibel und der Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche zu relativieren bzw. abzulehnen.

 

Einführung der Union zwischen lutherischer Kirche und reformierter Tradition

Am 27. September 1817 erlässt König Friedrich Wilhelm III. von Preußen per Kabinettsorder, dass Lutheraner und Reformierte gemeinsam das Heilige Abendmahl zu feiern haben. Die theologischen Unterschiede sollten hierbei keine Rolle spielen. Aus persönlichen, wie machtpolitischen Gründen, war ihm eine einheitliche protestantische evangelisch-unierte Gemeinschaft wichtig. Mit der Kabinettsorder von 1830 wurde die Evangelische Kirche Preußens neu gegründet und die lutherische Kirche in Preußen sollte dem Untergang geweiht sein.

Gegen die Vereinigung per königlichem Dekret zwischen der Lutherischen Kirche mit der reformierten  Tradition in Preußen, erhob sich zunächst in Breslau friedlicher Widerstand. Der Theologieprofessor und Diakonus an der dortigen Evangelisch-Lutherischen St. Elisabeth Kirche, Johann Gottfried Scheibel, wandte sich gegen die Union der unterschiedlichen Konfessionen. Mit ihm sprachen sich auch zahlreiche lutherische Pfarrer und lutherische Kirchengemeinden gegen die neu entstandene Unionskirche aus. Schon bald wurden diese Bekenner lutherischen Glaubens eher abwertend als Altlutheraner bezeichnet. Ihr Anliegen war es die alte Evangelisch-Lutherische Kirche Preußens zu erhalten, mit selbständiger Verfassung, lutherischen Gottesdiensten und lutherischen Bekenntnissen. Der preußische Staat reagierte auf das Recht der Religions- und Meinungsfreiheit aber mit harten Verfolgungsmaßnahmen: Kirchgebäude wurden enteignet, Amtshandlungen lutherischer Pfarrer wurden untersagt, Privatbesitz von Altlutheranern wurde konfisziert. Auch das preußische Militär setzte mit Billigung des unierten Konsistoriums in Berlin die Einführung der Evangelischen Unionskirche durch. Die Altlutheraner, die nichts weiter als die Aufrechterhaltung der lutherischen Bekenntnisschriften, der lutherischen Gottesdienste und der selbständigen lutherischen Verfassung wollten, hatten viel zu leiden und zu ertragen. Manche entzogen sich diesen harten Verfolgungszeiten durch Auswanderung in die USA oder nach Australien. Aus diesen Auswandererkirchen der Altlutheraner sind heute zum Teil große lutherische Kirchen geworden, wie beispielsweise die Lutherische Kirche-Missouri Synode in den USA mit knapp 2,5 Millionen Gemeindegliedern. Erst unter dem Nachfolgerherrscher, König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, endete die Verfolgung. Zunächst wurden die Altlutheraner 1841 geduldet und dann unter harten Auflagen am 23.7.1845 anerkannt. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Preußen findet ihre Fortsetzung in der Evangelisch-Lutherischen (altlutherischen) Kirche, die heute zur Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche gehört.

 

Lutherische Kirche Berlin-Mitte

Schon um das Jahr 1820 hatten sich zugezogene Lutheraner auf die Suche nach der Lutherischen Kirche in Berlin gemacht. Doch schon bald wurde deutlich, dass die vorfindliche Evangelische Kirche in Berlin, keine evangelisch-lutherische ist. 1831 kam es zu Begegnungen dieser Lutheraner mit dem altlutherischen Pfarrer Johann Georg Scheibel. Im April 1835 empfahl Scheibel ihnen den Hallenser Theologieprofessor Ernst Ferdinand Guerike; ihn  baten sie um pastorale Versorgung. Der Altlutheraner Guerike machte seine Zusage davon abhängig, dass sich die Berliner Lutheraner von der unierten Landeskirche lossagten und öffentlich eine Evangelisch-lutherische Gemeinde in Berlin gründeten.

Am 12. Mai 1835 wurde dieses Dokument unterzeichnet. Es trägt 17 Unterschriften und steht für 150 Altlutheraner. Die lutherische Kirche in Berlin trat hiermit in die Schicksalsgemeinschaft aller altlutherischen Kirchengemeinden ein. Im Jahr 1838 erhielt die Evangelisch-Lutherische Kirche mit Pfarrer Friedrich Lasius einen Pastor, der sie 46 Jahre mit der lutherischen Verkündigung des Wortes Gottes und der einsetzungsgemäßen Spendung der Sakramente versorgte. 1857 konnte diese Gemeinde ihre Kirche in der Annenstraße 52-53 weihen. Aufgrund des starken Zustromes - besonders schlesischer Altlutheraner - wurde es notwendig neue Pfarrbezirke zu  gründen.

So entstand um die Jahrhundertwende die so genannte Nordgemeinde, die heutige Evangelisch-Lutherische Augustanagemeinde in der Usedomer Straße in Berlin-Wedding. Die zweite Tochter der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Berlin-Mitte ist die Westgemeinde - die heutige Evangelisch-Lutherische Gemeinde "Zum Heiligen Kreuz" in Berlin-Wilmersdorf. Weitere Gemeinden entstanden in den folgenden Jahrzehnten, so dass es in Berlin heute 8 Evangelisch-Lutherische Gemeinden gibt, die zur Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche gehören. Zu ihr gehört auch die Evangelisch-Lutherische St. Mariengemeinde mit ihren Gottesdienstorten in Steglitz und Zehlendorf.