15.07.2009 | Hesekiel 2, 3-8a (Mittwoch nach dem 5. Sonntag nach Trinitatis)

MITTWOCH NACH DEM 5. SONNTAG NACH TRINITATIS – 15. JULI 2009 – PREDIGT ÜBER HESEKIEL 2,3-8a

Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, ich sende dich zu den Israeliten, zu dem abtrünnigen Volk, das von mir abtrünnig geworden ist. Sie und ihre Väter haben bis auf diesen heutigen Tag wider mich gesündigt. Und die Söhne, zu denen ich dich sende, haben harte Köpfe und verstockte Herzen. Zu denen sollst du sagen: »So spricht Gott der HERR!« Sie gehorchen oder lassen es - denn sie sind ein Haus des Widerspruchs -, dennoch sollen sie wissen, dass ein Prophet unter ihnen ist. Und du, Menschenkind, sollst dich vor ihnen nicht fürchten noch vor ihren Worten fürchten. Es sind wohl widerspenstige und stachlige Dornen um dich, und du wohnst unter Skorpionen; aber du sollst dich nicht fürchten vor ihren Worten und dich vor ihrem Angesicht nicht entsetzen - denn sie sind ein Haus des Widerspruchs -, sondern du sollst ihnen meine Worte sagen, sie gehorchen oder lassen es; denn sie sind ein Haus des Widerspruchs. Aber du, Menschenkind, höre, was ich dir sage, und widersprich nicht wie das Haus des Widerspruchs.

Da hat wieder einmal eine Boutique zugemacht. Mit großen Hoffnungen hatte die Besitzerin sie vor einem Jahr eröffnet, hatte sich damit einen Lebenstraum erfüllt. Hübsche Kleidung hatte sie dort angeboten, zu durchaus günstigen Preisen. Doch die Leute zeigten kein Interesse daran, ließen sie zumeist ganz allein inmitten ihrer schönen Kleider sitzen, kauften ihr nicht ab, was sie selber doch so chic und so wunderbar fand. Und so musste die Besitzerin irgendwann einsehen: Es hat keinen Zweck; wenn die Kundschaft ausbleibt, muss ich meinen Laden eben schließen.
Nein, das ist kein Einzelfall; wie viele Boutiquen habe ich schon in den vergangenen Jahren öffnen und wieder schließen gesehen! Und jedes Mal, wenn dann doch wieder eine neue Boutique eröff-net, frage ich mich: Hat die jetzige Besitzerin vorher mal ein bisschen Marktforschung betrieben, hat sie sich ernsthaft darüber Gedanken gemacht, wie viele Leute sie eigentlich bräuchte, damit sich ihr Geschäft auch lohnt? Merkt die denn nicht, dass man mit Boutiquen höchstens noch an ganz besonderen Standorten ein wirkliches Geschäft machen kann?
Doch allzu weit sollte ich meinen Mund vielleicht dann doch nicht aufreißen. Denn letztlich, so könnte man einwenden, machen wir in der Kirche scheinbar ja auch nicht sehr viel Anderes als die-se Boutiquenbesitzerinnen: Wir wollen etwas an den Mann und an die Frau bringen, was wir selber für sehr schön und wichtig halten, und das machen wir, auch ohne vorher zu fragen, ob sich das lohnt, ob wir mit diesem Produkt bei den Leuten ankommen oder nicht. Ja, wenn wir erst mal Marktforschung betreiben würden, ob die Leute an dem, was wir zu bieten haben, überhaupt inte-ressiert sind, dann könnten wir unseren Laden hier eigentlich gleich zumachen.
Und damit, Schwestern und Brüder, sind wir nun schon mitten drin in der Predigtlesung dieses A-bends. Da wird der Hesekiel von Gott selbst damit beauftragt, als Prophet unter den Israeliten tätig zu sein, die noch vor der Zerstörung der Stadt Jerusalem in einer ersten Deportationswelle im Jahr 597 von Jerusalem ins Exil nach Babylon verschleppt worden waren und die sehnlich darauf warte-ten, möglichst schnell wieder nach Jerusalem zurückkehren zu können. Und denen soll Hesekiel nun verkündigen, dass es mit der schnellen Rückkehr nichts werden wird, dass im Gegenteil Jeru-salem zerstört werden wird, dass auch die restlichen Bewohner der Stadt nach Babylon verschleppt werden, dass sie sich von daher keine falschen Hoffnungen machen sollten. Und Gott kündigt He-sekiel gleich bei seiner Beauftragung hier an, dass seine Zuhörer das nicht glauben werden, was er ihnen sagt, dass sie ihn ablehnen werden, angreifen werden, dass sie ihre Ohren vor seiner Bot-schaft verschließen werden.
Was für ein scheinbar verrückter Auftrag: Gott beauftragt Hesekiel, eine Botschaft zu verkündigen, von der Hesekiel von vornherein weiß, dass sie bei den Leuten nicht angenommen werden wird, dass die Leute sie ablehnen werden. Das klingt beim ersten Hinhören tatsächlich so ähnlich, als würde Gott ihn auffordern, eine Boutique zu eröffnen, und ihm zugleich ankündigen, dass er dort keinen einzigen Kunden haben wird. Wozu dann das ganze Theater?
Gott nennt Hesekiel hier auch den Grund, weshalb er ihn mit seiner Botschaft losschickt zum Haus des Widerspruchs, wie er die Israeliten im Exil nennt, weshalb er ihn mit seiner Botschaft los-schickt, obwohl er zugleich weiß, dass er mit dieser Botschaft keinen Erfolg haben wird: „dennoch sollen sie wissen, dass ein Prophet unter ihnen ist.“ Die Zeit wird kommen, in der sich bewahrhei-ten wird, was Hesekiel seinem Volk nun ankündigen muss. Und dann wird keiner sagen können: Ich habe es ja nicht gewusst; das hat mir ja keiner gesagt. Nein, dann werden sie alle miteinander anerkennen müssen, dass Gott ihnen dies alles durch seinen Propheten angekündigt hatte und sie es dennoch nicht glauben wollten.
Schwestern und Brüder, was Gott damals dem Hesekiel sagte, das bleibt auch für uns als Kirche heute ganz aktuell. Nein, wir sind in Wirklichkeit eben keine Boutique. Unsere Existenz als Kirche hängt nicht davon ab, ob uns die Leute abkaufen, was wir ihnen sagen, ob sie das schön finden, ob sie davon begeistert sind, ob sie unsere Kirchen in Massen füllen oder nicht. Erfolg ist kein Kenn-zeichen der Kirche, nichts, woran man ablesen kann, ob eine Kirche rechte Kirche ist oder nicht. Nein, woran unsere Existenz als Kirche hängt, ist einzig und allein der Auftrag Gottes, den wir ha-ben, ganz konkret der Auftrag unseres Herrn Jesus Christus, sein Wort, sein Evangelium zu ver-kündigen. Und da haben wir es als Kirche in der Tat besser als der Hesekiel. Der musste seinem Volk im Exil erst einmal nur Gottes Gericht über Jerusalem ankündigen, nichts anderes. Als Kirche haben wir auch den Auftrag, Gottes Gericht anzukündigen, Gottes Gericht, das nicht irgendwel-chen anderen Menschen, sondern uns selber bevorsteht, den Tag, an dem Gott einen jeden Men-schen danach fragen wird, welche Bedeutung er, Gott, in seinem Leben gehabt hat. Aber wir haben als Kirche eben zugleich den Auftrag zu verkündigen, was, nein, wer uns aus diesem Gericht und in diesem Gericht retten kann: Christus allein, unser Herr, der die Strafe für unsere Schuld auf sich genommen hat.
Ja, eine wunderbare Botschaft ist es, die wir als Kirche ausrichten dürfen. Und doch sollen wir nicht damit rechnen, dass die Leute auf diese Botschaft nun eher abfahren als auf die Botschaft des Hesekiel damals. Bei vielen Menschen, so erleben wir es in unserer Stadt, so erleben wir es leider auch in unserer eigenen Gemeinde, löst diese Botschaft erst einmal nur ein großes Gähnen aus. Brauchen wir nicht, haben wir nicht nötig. Es gibt so viel Interessanteres in unserem Leben; da müssen wir nicht unsere Zeit damit verplempern, uns diese Botschaft hier in der Kirche anzuhören. Und dann renne ich hinter den Leuten her, versuche ihnen klarzumachen, dass dies doch die wich-tigste Botschaft der Welt auch für sie ist, dass sie es dringend nötig haben, auf diese Botschaft zu hören, nicht, weil ich das für mein Geschäft brauche, sondern weil sie es brauchen, weil es für sie lebensnotwendig, lebensrettend ist. Doch der Erfolg hält sich in Grenzen; wie viele gibt es, auch in unserer Gemeinde, die vor dieser Botschaft doch ihre Ohren und Herzen verschließen, sie jeden-falls nicht für wichtig genug erachten, als dass sie dafür sonntags morgens extra aus dem Bett auf-stehen würden!
Und wie groß ist dann die Gefahr, in der wir auch als Kirche stehen, dann die Botschaft zu verän-dern, zu glauben, man könne die Menschen vielleicht damit locken, dass man ihnen die Botschaft verschweigt, die man eigentlich ihnen ausrichten sollte. Sagen wir den Leuten einfach etwas Net-tes, sagen wir ihnen nur noch, was sie hören wollen, machen wir aus der Kirche einen Kuschelver-ein. Vielleicht kommen sie dann! Doch genau davor hatte Gott damals auch den Hesekiel schon gewarnt: „Aber du, Menschenkind, höre, was ich dir sage, und widersprich nicht  wie das Haus des Widerspruchs.“ Pass dich nicht an das an, was die anderen sagen und tun; rede nur, was ich dir sa-ge! Nichts Anderes sagt Gott auch zu uns: Ihr seid keine Boutique, die zur Not ihre Kollektion auswechselt, um bei den Leuten besser anzukommen. Was ihr den Leuten weiterzusagen habt, das bestimme ich, Gott. Ihr seid nur dazu da, das auszurichten, was ich euch anvertraut habe. Ihr habt da keine Freiheit, daran irgendwie herumzubasteln, das irgendwie stromlinienförmiger zu gestalten.
Ja, es mag sein, dass sich euer Erfolg in Grenzen hält. Aber ich will, sagt Gott, dass die Menschen es wenigstens gehört haben, dass niemand sagen kann, er habe es nicht gewusst, ihm hätte ja nie-mand gesagt, was in seinem Leben auf dem Spiel steht, ihm hätte ja niemand gesagt, dass an der Zugehörigkeit zu Christus nicht weniger als die Entscheidung über Tod und Leben, über ewigen Tod und ewiges Leben fällt.
Nein, Gott selber ist und bleibt der Herr der Kirche; und er wird sie so lange nicht dicht machen, solange sie sein Wort weitersagt. Gott hat uns keinen strahlenden Erfolg verheißen; aber er hat uns unwiderruflich in die Pflicht genommen, zu bezeugen, was er gesagt hat, ob es die Leute hören wollen oder nicht. Und vergessen wir es nicht: Was wir den Menschen zu bezeugen haben, ist und bleibt doch die schönste, die wunderbarste Botschaft der Welt! Amen.