01.04.2009 | St. Johannes 20, 23 (4. Fastenpredigt zum Thema „7 Wochen mit“: Die Heilige Beichte)

MITTWOCH NACH JUDIKA – 1. APRIL 2009 – VIERTE FASTENPREDIGT ZUM THEMA „7 WOCHEN MIT“: DIE HEILIGE BEICHTE (ST. JOHANNES 20,23)

Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.

In diesen Wochen machen in unserem Land viele „Streichlisten“ die Runde. Streichlisten werden immer dann erstellt, wenn gespart werden muss und man sich die Frage stellt, worauf als erstes in einem Unternehmen, in einer Verwaltung oder auch bei staatlichen Ausgaben verzichtet werden kann. Streichlisten sind unbeliebt, und so gibt es regelmäßig großen Protest, wenn sie bekannt werden, wenn bekannt wird, wer oder was auf dieser Streichliste verzeichnet ist.
Streichlisten gibt es in unserer Kirche offiziell jedenfalls nicht. Aber die Frage, was denn in einer Gemeinde, was vielleicht auch im Gottesdienst am ehesten eingespart werden kann, die wird unter der Hand oder ganz offen dann doch immer wieder gestellt. Meist geht es dabei weniger um Einsparung von Geld, als vielmehr um die Einsparung von Zeit und Kraft, und so findet sich eine Einrichtung auf diesen inoffiziellen Streichlisten immer wieder ganz weit oben: die Heilige Beichte. Muss das denn wirklich sein, dass wir nun dauernd die Beichte im Gottesdienst feiern? Reicht das denn nicht, wenn wir sie von Zeit zu Zeit in größeren Abständen mal anbieten? Das kürzt doch den Gottesdienst nicht unerheblich, wenn man gleich mit dem Hauptgottesdienst loslegen kann; so sündig sind wir nun auch wieder nicht, dass wir da nun dauernd hinrennen müssen!
Schwestern und Brüder, auch ich möchte heute Abend Protest einlegen, Protest dagegen, dass die Beichte auch in unserer lutherischen Kirche immer wieder so schnell auf der Streichliste landet und dass diese Streichungspläne dann oft genug auch tatsächlich umgesetzt werden, dass es Gemeinden gibt, in denen Beichtgottesdienste mittlerweile schon zur Rarität verkommen sind. Protest einlegen möchte ich gegen diese Entwicklung nicht bloß persönlich, sondern im Namen der Aktion „7 Wochen mit“, die uns in dieser Fastenzeit wieder neu die Schätze der Kirche vor Augen führen will, aus denen wir jetzt in diesen Wochen der Fastenzeit, aber auch darüber hinaus immer wieder schöpfen dürfen. Nein, die Beichte ist kein beliebiges Angebot, sie ist für das Leben der Kirche unverzichtbar, denn in ihr geht es

- um unser Verhältnis zu Gott
- um unser Verhältnis zur Kirche

I.

Probleme mit der Beichte haben wir nicht nur in unserer lutherischen Kirche; im Gegenteil: Wir haben von ihr oftmals noch mehr gerettet, als dies in vielen anderen Kirchen der Fall ist. In den evangelischen Landeskirchen in Deutschland führt die Beichte zumeist leider nur noch eine Winkelexistenz; Beichtgottesdienste mit Absolution gibt es kaum noch, und nach einem regelmäßigen Angebot der Einzelbeichte sucht man in den meisten Gemeindebriefen vergeblich. In der römisch-katholischen Kirche ist hier in Deutschland in manchen Diözesen die Beichtpraxis weitgehend zusammengebrochen; ich sprach vor einigen Jahren mit einem römisch-katholischen Priester in einer anderen Diözese, der in seiner Pfarrei mit vielen tausend Gemeindegliedern weit weniger Einzelbeichten hatte als ich hier in unserer Gemeinde. Und in manchen lutherischen Schwesterkirchen existiert die Beichte nur noch in der rudimentären Form einer allgemeinen Absolution ohne Handauflegung, die zu Beginn des Gottesdienstes in weniger als 30 Sekunden vollzogen wird und jeden Gottesdienstteilnehmer erwischt, ganz gleich, ob er getauft ist oder nicht. Ja, da haben wir es vergleichsweise in unserer lutherischen Kirche hier in Deutschland noch sehr gut.
„Die Leute gehen heute nicht mehr zur Beichte; sie gehen lieber zum Psychiater“, so wird dann häufig zur Erklärung festgestellt. An dieser Beobachtung ist ja durchaus etwas Wahres dran; aber man würde zugleich in Wirklichkeit noch überhaupt nicht verstanden haben, was die Beichte eigentlich ist, wenn man sie lediglich als ein frommes Pendant zur zumeist gar nicht vorhandenen Couch des Psychiaters verstehen würde, als eine religiöse Form der Seelenhygiene. Sondern in der Beichte geht es zunächst und vor allem um unser Verhältnis zu Gott, und so ist das allmähliche Verschwinden der Beichte aus dem kirchlichen Leben ein deutlicher Ausdruck einer Gerichtsvergessenheit, die nicht nur unsere Gesellschaft allgemein, sondern mittlerweile auch schon längst die Kirche in weiten Teilen erfasst hat: Dass wir Gottes letztem Gericht entgegengehen und dass dieses Gericht nicht bloß eine religiöse Karnevalssitzung ist, sondern dass es darin um das letzte und endgültige Geschick von Menschen geht, darum, ob wir unser Leben endgültig verfehlt haben oder nicht, wird heute weithin verdrängt. Und von daher ist dann auch das Desinteresse an der Beichte erklärlich. Wenn ich nach meinem Tod sowieso in den Himmel komme, sprich: sowieso irgendwie weiterlebe, dann brauche ich mir über mein Verhältnis zu Gott auch nicht allzu viele Gedanken zu machen, geschweige denn, dass ich darauf angewiesen wäre, mir dieses Verhältnis immer wieder neu in Ordnung bringen zu lassen.
Doch dass wir dieses Letzte Gericht immer wieder so gerne aus unserem Bewusstsein verdrängen, ändert ja nichts daran, dass wir ihm entgegengehen, dass wir uns mit unserem Leben einmal vor Gott werden verantworten müssen, dass wir dort einmal, wie Jesus es sehr deutlich formuliert hat, Rechenschaft werden geben müssen über jedes unnütze Wort, das wir geredet haben. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Die Frage, ob und wie wir in diesem Letzten Gericht vor Gott bestehen, ist und bleibt die wichtigste, die entscheidende Frage unseres Lebens. Und sobald uns dies einmal aufgegangen ist, wird die Heilige Beichte automatisch von unserer persönlichen oder kirchlichen Streichliste verschwinden, weil wir in der Beichte genau auf diese Frage danach, ob und wie wir in Gottes Gericht bestehen werden, hier und jetzt eine verbindliche Antwort erhalten, eine Antwort, die eben auch noch am Jüngsten Tag Bestand haben wird. Genau das und nicht weniger steckt in der Zusage, die der auferstandene Christus damals den Aposteln gegeben hat: „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen“: Was sich hier auf Erden, hier vorne am Altar oder in der Sakristei vollzieht, das hat direkte Auswirkungen auf das, was sich einmal am Jüngsten Tag an uns vollziehen wird – ach, was sage ich: Es hat nicht bloß Auswirkungen darauf, sondern ist damit, auch wenn wir uns das mit unserer beschränkten Sicht kaum vorstellen können, identisch: Mit dem Wort der Vergebung, das dir auf den Kopf zugesprochen wird, erklärt Gott all das, was in deinem Leben nicht in seinen Augen bestehen konnte, für endgültig gelöscht, so, dass er es in seinem Gericht endgültig nicht mehr zur Sprache bringen wird.
Schwestern und Brüder: Wir merken schon: Die Heilige Beichte ist gerade keine Pflichtübung, und erst recht ist es nicht Angst, die uns zur Beichte treiben sollte. Es ist im Gegenteil die immer neue Vorfreude darauf, dass Gott uns in seiner Geduld immer und immer wieder von Neuem in seine Arme schließt und uns so ganz ruhig und getröstet nach vorne blicken lässt. Ach, wie sollten wir uns dies jemals aus unserem persönlichen Glaubensleben, jemals aus unseren Gottesdiensten streichen lassen?

II.

Aber nun geht es in der Beichte auch noch um Anderes – ich will nicht sagen: Es geht um mehr, denn etwas, das „mehr“ wäre als Gottes Freispruch in seinem letzten Gericht, kann es ja gar nicht geben. Doch es geht in der Beichte eben auch um unser Verhältnis zur Kirche. Dies gilt in einem doppelten Sinne:
Zum einen bringe ich damit, dass ich zur Beichte gehe und dort die Absolution empfange, zum Ausdruck: Ich kann mein Verhältnis zu Gott nicht einfach für mich selber, ganz allein, regeln, am besten sogar vom Kopfkissen meines Bettes aus. Denn Gott selber hat sein Handeln an die Kirche gebunden, an das Handeln derer, denen er den Auftrag und die Vollmacht zur Sündenvergebung gegeben hat. Wenn ich meine, ich würde auch ohne Kirche, ohne Absolution irgendwie mit dem lieben Gott klarkommen, dann habe ich Entscheidendes noch nicht kapiert, dann erweist sich darin in Wirklichkeit gleichermaßen mein Verhältnis zu Gott und zur Kirche als gestört. Und umgekehrt wird mir dadurch, dass ich in ihr immer wieder neu Gottes Vergebung empfange, die Kirche immer wieder aufs Neue lieb und wichtig, trotz all der Macken und Fehler, die sie zweifelsohne hat. Aber dass mir in ihr solche Schätze geschenkt werden, dass mir in ihr immer wieder neu eine Zukunft mit Gott eröffnet wird, das macht mir die Kirche lieb, und genau dazu leistet die Beichte, wenn mir dann klar wird, was in ihr geschieht, einen entscheidenden Beitrag.
Aber noch in einem anderen Sinne geht es in der Beichte um unser Verhältnis zur Kirche: Schuld belastet eben nicht bloß unser Verhältnis zu Gott, es belastet auch unser Verhältnis untereinander: Wenn ich schuldig geworden bin, ist natürlich vor allem mein Verhältnis zu dem gestört, an dem ich schuldig geworden bin. Aber auch darüber hinaus ist auch mein Verhältnis zu anderen gestört, an denen ich nicht direkt schuldig geworden bin, weil ich nicht weiß, wie sie mit meiner Schuld umgehen, ob ich mich ihnen gegenüber rechtfertigen muss oder kann. Unausgesprochene, unvergebene Schuld kann eine Gemeinschaft zersetzen, kann das Miteinander in einer Gemeinschaft so sehr belasten, dass es lähmt und ein unbefangenes gemeinsames Leben unmöglich macht. Wie befreiend ist es auf diesem Hintergrund, wenn wir alle miteinander hierher zur Beichte gehen, wenn ich erfahre: Der Bruder, die Schwester neben mir hat vor Gott auch seine bzw. ihre Schuld bekannt, hat auch bekannt, dass er oder sie nicht besser ist als ich. Und indem ich hierher nach vorne gehe, mache ich es auch öffentlich: Jawohl, ich bin in meinem Leben schuldig geworden an Gott und den Menschen; ich kann ohne Gottes Vergebung nicht leben. Und dann empfangen wir alle miteinander, Seite an Seite, diese Vergebung Gottes, schenkt Gott uns damit einen neuen Anfang im Verhältnis zu sich, aber eben auch in unserem Verhältnis untereinander. Ich kann den anderen neben mir nicht mehr verachten, wenn Gott ihm doch vergeben hat, und ich weiß umgekehrt: Ich muss mich nicht vor den anderen rechtfertigen, wenn ich schuldig geworden bin, weil ich in der Gemeinschaft der Gemeinde darauf vertrauen darf, dass auch die Anderen ernst nehmen, was da gerade eben vor Gottes Altar geschehen ist. „Durchbruch zur Gemeinschaft“ – so hat Dietrich Bonhoeffer darum die Heilige Beichte mit Recht genannt. Ja, wir tun gut daran, gerade auch diesen Aspekt der Heiligen Beichte in unserer Gemeinde immer wieder neu zu bedenken und daraus die Konsequenzen zu ziehen – im Umgang mit den anderen und vor allem darin, dass uns die Beichte selber dadurch immer lieber und wichtiger wird. Ja, gewaltig schaden würden wir uns selber, würden wir auch unserer Gemeinde und ihrem Zusammenleben, wenn wir die Beichte auf die kirchliche Streichliste setzen würden. Sie ist und bleibt doch im Gegenteil einer der wichtigsten Schätze der Kirche – nicht nur in den sieben Wochen der Fastenzeit. Amen.