28.01.2009 | St. Markus 1, 14-20 (Mittwoch nach dem 3. Sonntag nach Epiphanias)

MITTWOCH NACH DEM 3. SONNTAG NACH EPIPHANIAS – 28. JANUAR 2009 – PREDIGT ÜBER ST. MARKUS 1,14-20

Nachdem aber Johannes gefangen gesetzt war, kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!
Als er aber am Galiläischen Meer entlangging, sah er Simon und Andreas, Simons Bruder, wie sie ihre Netze ins Meer warfen; denn sie waren Fischer. Und Jesus sprach zu ihnen: Folgt mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen! Sogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach. Und als er ein wenig weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, seinen Bruder, wie sie im Boot die Netze flickten. Und alsbald rief er sie und sie ließen ihren Vater Zebedäus im Boot mit den Tagelöhnern und folgten ihm nach.

Was bedeutet es eigentlich, „evangelisch“ zu sein? Stellt man einem Durchschnittsprotestanten diese Frage, so neigt dieser dazu, die Antwort in Form einer Negation zu geben: „Evangelisch“ zu sein, das bedeutet: Nicht katholisch zu sein. Und das wiederum bedeutet, so wird dann im Weiteren ausgeführt, dass man ein freier Mensch ist, dass man nicht gezwungen ist, zur Kirche zu gehen, dass man nicht gezwungen ist, an irgendetwas zu glauben, dass man nicht irgendwelche Kirchengesetze beachten muss. „Evangelisch“ zu sein bedeutet dann etwa so viel wie: unverbindlich zu glauben, ohne Bindung an eine Gemeinschaft, ohne Bindung an irgendwelche allgemeinverbindlichen Normen. Nein, das ist natürlich nicht das Selbstverständnis der evangelischen Kirchen selber; Unverbindlichkeit und Freiheit sind aus ihrer Sicht nicht dasselbe; aber wer wollte leugnen, dass die Evangelische Kirche in Deutschland mit ihrer Selbstprofilierung als „Kirche der Freiheit“ nicht auch diejenigen erreichen und einbinden wollte, die sich in dieser unverbindlichen Weise als „evangelisch“ verstehen?
Was bedeutet es eigentlich, „evangelisch“ zu sein? Genau darum geht es in der Predigtlesung des heutigen Abends. Denn da ist gleich zweimal direkt vom „Evangelium“ die Rede, von dem das Wort „evangelisch“ abgeleitet ist. Jesus kam nach Galiläa und predigt des Evangelium Gottes, so beschreibt es St. Markus hier, und er bietet auch gleich eine Zusammenfassung dieses Evangeliums: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ Das Evangelium, die gute Botschaft, besteht also darin, dass das Reich Gottes herbeigekommen ist. Wie ist es herbeigekommen? Nicht anders als so, dass der, der das Reich Gottes in Person ist, gekommen ist: Wenn Jesus nach Galiläa kommt, dann ist das Reich Gottes mit ihm dorthin gekommen. Das Evangelium ist also nicht eine allgemeine Wahrheit, eine Nettigkeit, ein schönes Gefühl. Sondern das Evangelium ist nichts Anderes als die Gegenwart Christi in der Ge-stalt Seines Wortes. Durch das Evangelium komme ich also mit Christus selber in Kontakt, werde mit ihm verbunden.
Und genau das schildert St. Markus uns in den Versen unserer heutigen Predigtlesung sehr eindrücklich, zeigt uns dies an zwei Personen beziehungsweise Personengruppen.
Der eine ist Johannes der Täufer. Der taucht hier in der Geschichte gar nicht mehr lebendig auf, ist zu dem Zeitpunkt, als Jesus mit seiner Verkündigung beginnt, schon umgebracht worden. Aber St. Markus erwähnt ihn hier ausdrücklich zu Beginn der Verkündigung Jesu, gebraucht zur Schilderung seines Schicksals genau dasselbe Wort, das er auch für die Passion Jesu selber verwendet: Johannes wird gefangen gesetzt, so übersetzt Martin Luther; wörtlich steht da: Er wird ausgeliefert, überantwortet. Und in diesem Wort steckt sowohl die Gefangennahme als auch die Hinrichtung drin. Johannes erfährt also gleichsam schon im Vorhinein die Kreuzesnachfolge seines Herrn, erlebt es schon im Vorhinein, was es heißt, in die Lebensgemeinschaft mit Christus hineingezogen zu werden: Dies kann Leiden, ja Tod mit sich bringen, beschränkt sich jedenfalls nicht darauf, bloß irgendwelche unverbindlichen Sympathieerklärungen für Christus abzugeben.
Und da sind zum Anderen die zwei Brüderpaare in ihren Fischerbooten. Mitten bei der Arbeit sind sie, als sie von Jesus angesprochen werden: Folgt mir nach! Und die vier Fischer lassen auf dieses Wort hin auf der Stelle alles stehen und liegen, nicht nur ihren Besitz, sondern im Falle von Johannes und Jakobus sogar ihren Vater, mit dem sie da gerade zusammen im Boot sitzen und ihre Netze flicken. Wenn Jesus in seine Lebensgemeinschaft ruft, dann wird alles Andere unwichtig, dann treten selbst Besitz und Familie dahinter zurück.
Was für eine Kraft muss dieses Wort Christi gehabt haben, dass es diese vier Fischer so unvermittelt aus ihrer Arbeit herausreißen konnte, ihr ganzes Leben von einer Minute auf die andere so verändern konnte! Ja, wir können hier etwas von dem ahnen, was Paulus in der Epistel dieses Dritten Sonntags nach Epiphanias so formuliert: Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, selig zu machen alle, die daran glauben.
Und diese Kraft entfaltete das Wort Christi eben nicht bloß bei den vier Fischern am See Genezareth. Nein, Jesus beruft sie ja mit dem ausdrücklichen Auftrag, selber Menschenfischer zu werden. Menschenfischer – nein, das heißt gerade nicht „Verführer“, „Trickser“, „Demagogen“. Sondern Christus vertraut diesen Leuten, die er hier beruft, nun dieses Evangelium an, in dem er genauso gegenwärtig ist wie da, wo er selber dieses Evangelium verkündigt. Ja, Jesus beruft diese Leute, damit sie selber schließlich auch losziehen, um Menschen im besten Sinne des Wortes „evangelisch“ zu machen, nein, nicht, um sie in eine bestimmte Konfessionskirche zu holen, sondern um sie mit sich zu verbinden, um sie in seiner Gemeinschaft leben zu lassen.
Nein, das vollzieht sich heutzutage nicht unbedingt in spektakulärer Weise, dass Menschen von einer Minute auf die andere ihren Job aufgeben und ihre Familie verlassen, wenn sie von diesem Evangelium gepackt werden. Die Nachfolge Jesu hat nun nach Ostern eine andere Gestalt gewonnen, beschränkt sich nicht mehr bloß auf einige Menschen, die damals vor knapp zweitausend Jahren im Heiligen Land lebten. Sondern durch die Verkündiger und die Verkündigung des Evangeliums erreicht Christus nunmehr überall auf der Welt Menschen und ruft in ihnen den Glauben an ihn hervor, der in diesem Evangelium selber gegenwärtig ist. Aber unverbindlich wird das Leben in der Gemeinschaft mit ihm, Christus, dadurch nicht. Für unzählige Menschen hat dieses Leben mit Christus, hat der Glaube an das Evangelium dieselben Konsequenzen gehabt wie für Johannes den Täufer, dass auch sie wie er, wie Christus selber, überantwortet worden sind, gefangengenommen, getötet um ihres Bekenntnisses zu Christus willen. Für unzählige Menschen hat dieses Leben mit Christus bedeutet, dass sie ihrer eigenen Familie entfremdet wurden, dass die Gemeinschaft der Kirche, der Gemeinde, für sie wichtiger wurde als die Gemeinschaft ihrer leiblichen Familie.
Nein, solche Konsequenzen können und müssen wir nicht irgendwie künstlich herbeiführen; „evangelisch“ zu sein heißt nicht, sich selber zum Märtyrer zu machen. Wohl aber heißt „evangelisch“ zu sein: in einer festen Bindung zu leben, in einer Bindung zu Christus, die konkret Gestalt annimmt im Hören auf seine gute Botschaft und in der leiblichen Gemeinschaft mit ihm im Heiligen Mahl. Ja, es ist schon richtig: Hier geht es nicht um die Einhaltung von Vorschriften, von Gesetzesbestimmungen, nicht darum, dass wir gezwungen werden, etwas zu tun. Die Gemeinschaft mit Christus ist etwas viel Verbindlicheres, weil sie uns ganz packt und uns nicht mehr loslässt, wie ein Fisch, der in einem Netz hängt und daraus nicht mehr loskommt. Doch was für den Fisch das Ende bedeutet, das bedeutet für uns im Gegenteil das Leben: Umkehr zum Leben verkündigt Christus, und Umkehr zum Leben schenkt er. Und gerade so macht er auch uns „evangelisch“, ja auch hier und jetzt heute Abend. Amen.