20.10.2010 | Römer 13,1-7 | Mittwoch nach dem 20. Sonntag nach Trinitatis

„Mehr Netto vom Brutto!“ – So oder zumindest so ähnlich schallte es im Jahr 57, kurz vor der Abfassung des Römerbriefs, dem römischen Geschichtsschreiber Tacitus zufolge durch die Straßen Roms. Anlass waren die unverschämten und erpresserischen Praktiken der staatlichen Steuer- und Zolleinnehmer, unter denen die Bevölkerung in Rom, aber auch in anderen Gebieten des römischen Reiches zu leiden hatte. Die Bevölkerung Roms hatte davon so sehr die Nase voll, dass sie ganz offiziell eine Beschwerde beim römischen Kaiser einreichte, die das Vorgehen der Steuereintreiber beklagte. Der römische Kaiser, ein Herr namens Nero, erwog daraufhin kurzfristig, ganz auf die Eintreibung von Zöllen zu verzichten, doch machten ihm seine Ratgeber schnell klar, dass er damit den gesamten römischen Staatshaushalt ruinieren würde. So beschränkte er sich auf eine kleinere, überschaubare Steuerreform.

Auf diesem sehr konkreten und für uns in mancherlei Hinsicht erstaunlich aktuell erscheinenden Hintergrund sind die Worte unserer heutigen Predigtlesung aus dem Römerbrief zu verstehen, die wir eben gehört haben. Da befasst sich der Apostel Paulus sehr direkt mit der Frage der Steuermoral von Christen, zeigt dabei, dass er sich in der Debatte gut auskennt, wenn er beispielsweise die Polizeibeamten, die die Steuerbeamten bei ihren Touren durch die Häuser begleiteten, als „Schwertträger“ bezeichnet – ja, genau das war ihre Bezeichnung. Was der Apostel Paulus zu diesem Thema hier schreibt, mag bei uns beim ersten Hinhören ein gewisses Unwohlsein hervorrufen – nicht bloß, weil Paulus hier recht deutlich das Recht des Staates verteidigt, Steuern von seinen Bürgern zu erheben, sondern weil diese Worte aus dem Römerbrief im Verlauf der Geschichte immer wieder dazu gebraucht beziehungsweise missbraucht worden sind, um alle Entscheidungen eines Staates als von Gott gewollt zu verteidigen und jegliche Kritik an einer Regierung und ihren Entscheidungen als mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar hinzustellen. Was für eine Brisanz solch ein Gebrauch von Römer 13 haben konnte, zeigte sich in besonderer Weise in den Diskussionen innerhalb der evangelischen Kirche, aber auch innerhalb unserer lutherischen Kirche zu diesem Thema im Dritten Reich.
Es lohnt sich von daher, ein wenig genauer hinzuschauen, was Paulus uns hier in diesen Worten eigentlich sagt. Nein, er stellt hier keine allgemeine Staatstheorie auf, er verleiht nicht jedem Beschluss eines staatlichen Organs göttliche Weihen. Sondern er formuliert hier drei wichtige Hinweise, die uns auch heute Orientierung bieten können, wie wir als Christen mit dem Staat und seinen Entscheidungen umgehen können und sollen.

Zunächst einmal stellt uns St. Paulus hier in der Tat ganz klar vor Augen, dass es eine Gabe Gottes ist, dass es so etwas wie staatliche Gewalt, ja, um es in moderner Ausdrucksweise zu formulieren, dass es ein Gewaltmonopol des Staates gibt. Wir mögen uns über Entscheidungen derer, die uns regieren, immer wieder kräftig aufregen und mögen diese Entscheidungen heftig kritisieren. Doch wir können uns wohl kaum vorstellen, was es für uns und für das Zusammenleben der Menschen in unserem Land bedeuten würde, wenn es dieses Gewaltmonopol, wenn es diese staatliche Gewalt nicht geben würde. Ja, dringend nötig ist diese staatliche Gewalt, weil wir eben nicht mehr im Paradies leben, weil es das Böse in dieser Welt gibt, das sich eben nicht einfach wegdiskutieren lässt, das sich auch nicht mit guten Argumenten auflösen lässt, sondern dem tatsächlich nur so begegnet werden kann, dass es in seine Schranken gewiesen wird. Nein, der Apostel Paulus ist kein Träumer; er geht nicht davon aus, dass wir Menschen hier auf Erden einen Staat schaffen können, in dem Zustände herrschen, die dem Paradies vielleicht doch wieder ganz nahekommen. Nein, wir können schon froh und dankbar sein, wenn der Staat seine Aufgabe wahrnimmt, dem Bösen, notfalls auch mit körperlicher Gewalt zu wehren. Denn damit schützt der Staat gerade die Schwachen, die in einer Gesellschaft, in der nur das Faustrecht gelten würde, hoffnungslos unterlegen wären. Ja, es ist gut, dass wir nicht das Recht dazu haben, selber unser vermeintliches oder tatsächlich vorhandenes Recht notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen; es ist gut, dass wir dies dem Staat überlassen, eben weil auch wir selber Sünder sind, weil sich die Welt eben auch nicht dann in ein Paradies verwandeln würde, wenn man uns mal einen Monat lang regieren ließe. Nein, das heißt nicht, dass damit jeglicher Gewalteinsatz des Staates von vornherein von Paulus gerechtfertigt würde. Aber es heißt sehr wohl, dass wir gut daran tun, Gott jeden Tag von Neuem dafür zu danken, dass wir in einem Land leben, in dem der Staat die äußere Ordnung soweit aufrechterhält, dass wir nicht ständig um unser Leben und das Leben unserer Lieben zu fürchten brauchen. Wer einmal in einem Land gelebt hat, in dem solche äußere Ordnung zusammengebrochen ist, der wird uns zu solchen Dankgebeten gewiss nur kräftig ermutigen können. Ja, danken sollen und dürfen wir Gott gerade auch dafür, dass wir das Recht dazu haben, in unserem Staat gegen unsere Regierung demonstrieren und protestieren zu dürfen, ohne deswegen um unsere Freiheit und unser Leben fürchten zu müssen. Ja, es ist gut, dass uns dies St. Paulus hier so deutlich vor Augen stellt.

Ein Zweites macht uns St. Paulus hier zugleich deutlich: Diejenigen, die die Regierungsgewalt ausüben, stehen unter Gott; sie sind Diener Gottes, ob ihnen dies selber bewusst ist oder nicht. Und damit ist ihr Anspruch auf die Menschen zugleich begrenzt: Sie dürfen niemals den Gehorsam beanspruchen, der Gott allein gebührt. Im Gegenteil: Sie haben, ob sie dies wahrhaben wollen oder nicht, einen klaren Auftrag von Gott selber: Gutes zu belohnen und Böses zu bestrafen. Das setzt aber wiederum voraus, dass diejenigen, die regieren, darum wissen, was nach Gottes Willen gut und was nach seinem Willen böse ist. Wir merken, wie aktuell diese Aussagen des Apostels sind, wie Regierungen gerade auch heute sich fragen lassen müssen, was eigentlich die Maßstäbe für sie sind, nach denen sie Gut und Böse beurteilen. Ich nenne nur als ein ganz aktuelles Beispiel die Präimplantationsdiagnostik, um die in diesen Tagen in unserer Regierung heiß gestritten wird: Ist es gut oder böse, bei einer künstlichen Befruchtung schon im Vorhinein Embryonen auszusortieren, weil sie unseren Ansprüchen an ein lebenswertes Leben nicht gerecht werden könnten? Dass auch das Leben eines Menschen, der vor den Ansprüchen einer Leistungsgesellschaft nicht bestehen kann, lebenswertes Leben ist, dass auch ein solcher Mensch das Recht hat zu leben und nicht aussortiert zu werden, das lässt sich in der Tat nicht mit Mehrheitsmeinungen in der Bevölkerung begründen, sondern allein vom Glauben an Gott her, der jeden Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen hat. Und von daher ist es immer wieder neu die Aufgabe von uns Christen, nicht nur für diejenigen zu beten, die Regierungsverantwortung tragen, sondern sie gerade auch immer wieder daran zu erinnern, wessen Diener sie eigentlich sind: Gottes Diener, deren Auftrag es ist, dem Bösen, das Leben vernichten oder aussortieren will, zu wehren.

Und damit kommen wir schon zum Dritten und ganz Profanen: Es ist in der Tat erstaunlich, wie uneingeschränkt Paulus die Christen in Rom hier dazu auffordert, dem Staat Steuern zu zahlen, ganz gleich, ob diese Steuern nun überhöht sind oder nicht. Denn auch die Steuern sollen ja der Förderung des Guten und der Abwehr des Bösen dienen. Nein, es ist für Paulus eben nicht ein wünschenswerter Idealzustand, dass letztlich niemand Steuern zahlt und jeder eben zusieht, wie er mit dem, was er sich selber verdient und erarbeitet hat, durchs Leben kommt. Christen haben, wie alle Menschen, die Aufgabe, dem Wohl auch anderer Menschen dadurch zu dienen, dass sie von dem, was sie haben, abgeben. Paulus befürwortet hier jedenfalls nicht die Alternative, dass jeder freiwillig entscheidet, ob er etwas von seinem Geld abgibt und wenn ja, an wen. Nein, dazu braucht es schon staatliche Ordnung, um der Willkür zu wehren und gerade die Schwächsten in der Gesellschaft nicht am Ende leer ausgehen zu lassen. Gewiss dürfen wir darüber diskutieren, was die besten Wege sind, um das Ziel, gerade den Schwachen in der Gesellschaft zu helfen und das Gemeinwohl zu fördern, zu erreichen. Aber wir sollten als Christen zugleich auch das Zahlen von Steuern als einen Dienst an Gott ansehen, der uns eben diese staatliche Ordnung geschenkt hat, in der wir leben dürfen und die mit ihren begrenzten Möglichkeiten versucht, Gerechtigkeit in unserem Land herzustellen. Keiner hat nach Gottes Willen einfach das Recht dazu, alles, was er hat, und sei es scheinbar noch so selbstverdient, nur für sich zu behalten. Und weil wir nun mal Sünder sind und unser Herz immer wieder so sehr an Geld und Besitz hängt, ist es gut, dass es eine Staatsgewalt gibt, die uns beim Abgeben von unserem Geld und Besitz ein wenig unterstützt.

Schwestern und Brüder, es lohnt sich, sich das 13. Kapitel des Römerbriefes ein wenig genauer anzuschauen. Dann merken wir, dass Paulus hier keine Lobhudelei für den Kaiser Nero betreibt, sondern dass er im Gegenteil Einsichten formuliert, die auch in einer Demokratie im 21. Jahrhundert immer noch ganz aktuell bleiben. Denn wir Menschen haben uns seit dem ersten Jahrhundert, ja seit dem Sündenfall eben nicht verändert. Und darum dürfen wir dankbar sein für Gottes Güte, die wir in seinen Ordnungen, ja nicht zuletzt auch in der staatlichen Gewalt wahrnehmen dürfen, für seine Güte, mit der er unser irdisches Leben durch diese Ordnungen schützt und die gerade auf den Schutz der Schwächsten in der Gesellschaft aus ist. Vergessen wir das nicht, wenn wir uns als Christen auch in politischen Diskussionen engagieren! Gottes Wort bietet uns allemal mehr als bloß Stammtischsprüche! Amen.