08.12.2010 | Jesaja 44,6-9 | Mittwoch nach dem 2. Sonntag im Advent

Erinnert ihr euch noch an Richard Dawkins? Das ist der Herr, der vor einigen Jahren das Buch „Der Gotteswahn“ geschrieben hat, in dem er scharf mit allen Religionen ins Gericht ging und sich leidenschaftlich für den Atheismus aussprach. Dabei gebrauchte er unter anderem ein verblüffendes Argument. Er schreibt, ich zitiere: „Nach meiner Erfahrung ist es eine amüsante Strategie, wenn ich auf die Frage, ob ich Atheist sei, darauf hinweise, dass der Fragesteller ebenfalls Atheist ist, nämlich in Bezug auf Zeus, Apollo, Amon Ra, Mithras, Baal, Thor, Wotan, das Goldene Kalb oder das Fliegende Spaghettimonster. Ich bin einfach schon einen Gott weiter.“

„Ich bin einfach schon einen Gott weiter.“ – Ist das Buch von Richard Dawkins vielleicht tatsächlich eine logische Weiterführung dessen, was wir eben in der Predigtlesung des heutigen Abends vernommen haben? Was der Prophet hier verkündigt, das ist in der Tat Religionskritik vom Feinsten, das klang in den Ohren der Babylonier damals wohl tatsächlich wie atheistische Propaganda. Geradezu unerhört war es, was der Prophet da verlauten ließ, ja, das verletzte doch die geradezu selbstverständlichen religiösen Regeln der damaligen Zeit. Diese Regeln besagten, dass eben jedes Volk seinen Gott hat und dass man anderen Völkern nicht unbedingt den eigenen Gott aufzwingen sollte. Jeder Gott hatte eben sein Herrschaftsgebiet. Wenn aber in einem Krieg ein Volk das Territorium eines anderen Volkes eroberte, dann war klar, dass sich die Götter dieses Volkes als stärker erwiesen hatten, dass ihr Machtanspruch nun auch in diesem neueroberten Territorium galt.
Und genau so erlebten es damals auch die Israeliten im babylonischen Exil: Da hatten die Babylonier ihre heilige Stadt Jerusalem erobert und zerstört, hatten den Tempel in Flammen aufgehen lassen und sie, die Israeliten, nach Babylon verschleppt. Die Sache war scheinbar völlig klar: Die Götter der Babylonier, Marduk und Co., hatten sich gegen den Gott Israels durchgesetzt, hatten sich als stärker erwiesen. Den Gott Israels konnte man vergessen, und erst recht hatte der nichts auf dem Gebiet der Babylonier verloren. Völlig logisch war es eigentlich, dass sich die Israeliten nun auch der Verehrung der babylonischen Götter anschlossen, dass sie mit der Zeit gingen, statt immer noch ihrem altmodischen, längst ausgedienten Gott anzuhängen.

Doch der scheinbar besiegte und längst überholte Gott Israels meldet sich nun an einem Ort zu Wort, wo er doch eigentlich gar nichts zu sagen hatte, meldet sich mitten in der Hauptstadt Babylons, redet zu seinem Volk durch seinen Propheten, den er gesandt hat, ja mehr noch: Er fordert die Götter Babylons zu einer Gerichtsverhandlung, ja geradezu zu einem Showdown heraus: Wollen wir doch mal sehen, wer der wahre Gott ist und welche Götter man letztlich doch vergessen kann! Nein, der Gott Israels, der sich hier zu Wort meldet, plädiert nicht für eine friedliche Koexistenz der Religionen, schlägt nicht vor, dass jeder sich eben seinen Gott aussuchen soll, bei dem er sich am wohlsten fühlt. Sondern der Gott Israels plädiert angesichts der Götter Babylons geradezu leidenschaftlich für einen konsequenten Atheismus: Diese ganzen Götter, deren Statuen durch die Straßen Babylons getragen wurden und die Glauben und Gehorsam forderten, kann man vergessen: Die können nichts, die nützen nichts, ja, die existieren in diesem Sinne überhaupt nicht. Quatsch ist es, an Marduk zu glauben, denn, so verkündigt es der Gott Israels: Ich bin der Erste und ich bin der Letzte, und außer mir ist kein Gott.
Das war in der Tat eine ungeheuerliche Provokation, und so werden sich die Babylonier, die dies hörten, vermutlich so ähnlich gefühlt haben wie wir Christen bei der Lektüre des Buches von Richard Dawkins: Der kann uns doch nicht einfach unseren Gott wegnehmen!

Schwestern und Brüder, wir sollten das schon sehr aufmerksam wahrnehmen, wie religionskritisch schon das Alte Testament zu argumentieren vermag. Es ist eben nicht so, dass die Heilige Schrift eine Ansammlung von blindem Aberglauben wäre und sie die Menschen davon abhält, ihren Verstand einzusetzen. Das Gegenteil ist richtig: Da macht sich der Prophet Jesaja in den Worten, die unserer Predigtlesung folgen, darüber lustig, wie man so blöd sein kann, einen Baum zu fällen, aus der einen Hälfte Brennholz zu machen und aus der anderen Hälfte ein Götterbild, vor dem man dann niederfällt. Besser hätte es auch ein Herr Dawkins nicht formulieren können! Ja, religionskritisch ist der christliche Glaube auch heute: Er vermag sich geradezu lustig zu machen darüber, wenn Menschen allen Ernstes irgendwelchen von Menschen erfundenen Sternbildern eine Bedeutung für ihr Leben zuschreiben, sich selber zu einem Stier oder Zwilling oder Steinbock erklären. Er vermag sich lustig zu machen darüber, dass Menschen Angst davor haben, sich über eine Türschwelle hinweg die Hand zu reichen, weil das angeblich Unglück bringt, oder sich fürchten vor schwarzen Katzen oder einem Freitag, dem 13.. Wir halten als Christen nichts von irgendwelchen Glücksbringern oder irgendwelchem esoterischen Hokuspokus. Da sind wir genauso nüchtern wie der Prophet Jesaja hier auch. Warum gehen wir dann nicht auch mit Richard Dawkins den letzten Schritt, wenden die Religionskritik auch auf unseren eigenen Glauben an und sind damit gemeinsam mit ihm in unserer Kritik einfach einen Gott weiter, wie er es behauptet?

Ganz einfach deshalb, weil das in Wirklichkeit kein Schritt vorwärts, sondern ein Schritt zurück wäre. Denn wo das Wirken eines lebendigen Gottes grundsätzlich bestritten wird, muss der Mensch anderes, im Zweifelsfall sich selber als Antwort auf die Frage, wer denn nun der Erste und der Letzte ist, setzen, da macht sich der Mensch selbst zu einem Gott – oder besser gesagt eben doch wieder zu einem Götzen. Die Frage nach dem Ersten und dem Letzten, dem Ursprung und Ziel dieser Welt, lässt sich eben nicht einfach verdrängen und beiseite schaffen mit dem Hinweis, man sei mit seiner Religionskritik einfach einen Gott weiter. Es geht darum, ob man dem Zufall gleichsam göttliche Eigenschaften zubilligt oder ob man davon ausgeht, dass der, der der Erste war und ist, auch danach nicht stumm geblieben ist, sondern sich denen, die er ins Leben gerufen hat, auch zu erkennen gegeben hat und auch weiter zu erkennen gibt.

Nein, logisch widerlegen lässt sich Richard Dawkins natürlich nicht. Doch er, der lebendige Gott, er ist dazu in der Lage, Zeugen dafür zu benennen, dass er in der Tat lebt und in der Geschichte dieser Welt am Werk ist: Damals berief er das Volk Israel im babylonischen Exil zu seinem Zeugen, kündigte an, dass an seinem Geschick deutlich wird, dass er, der Gott Israels, in der Tat der Herr der Geschichte ist, dass er sein rettendes Eingreifen ankündigt und dann auch durchführt. Den Israeliten kündigte Gott damals durch seinen Propheten an, dass von Norden her der Perserkönig Kyros kommen werde und die Gefangenschaft seines Volkes beenden werde, es wieder in die Heimat zurückgehen lassen werde. Völlig unsinnig klang das damals noch für die Israeliten, als sie diese Worte zum ersten Mal hörten. Doch wenige Jahrzehnte später geschah genau dies Unglaubliche tatsächlich, zogen die Israeliten in ihre Heimat zurück mit den Worten im Ohr, die wir eben in unserer Predigtlesung gehört haben: „Habe ich’s dich nicht schon lange hören lassen und es dir verkündigt?“ Gott macht sein Volk Israel zu seinem Zeugen, dass er ankündigt, was er tun wird, und das dann tatsächlich auch tut.

Und genauso dürfen auch wir als Christen heute Zeugen sein, die anderen Menschen bezeugen, dass der lebendige Gott auch heute noch am Werke ist, dass er zu seinem Wort steht und wir uns darauf verlassen können, dass die Worte, die Gott schließlich auch durch seinen Sohn Jesus Christus gesprochen hat, keine leeren Worte sind, sondern tatsächlich bewirken, was sie sagen. In ihm, Jesus Christus, dürfen wir Menschen den endgültig erkennen, der der Erste und der Letzte, das A und das O ist, der, auf den es sich zu vertrauen lohnt, weil alles, was ist, ihm sein Leben verdankt, und weil er als der wiederkommende Herr auch einmal am Ende aller Menschheits- und Weltgeschichte stehen wird.

Nein, Christus verkrümelt sich nicht leicht verschämt in eine Ecke, weil ihm Richard Dawkins nachgewiesen hat, dass es ihn doch eigentlich gar nicht gibt. Sondern er fordert auch ihn zum Duell heraus, fragt auch ihn: „Wer ist mir gleich?“ Hältst du deinen kleinen Verstand tatsächlich für das Letzte und das Größte, was es in dieser Welt gibt? Ist dein Glaube an den blinden Zufall tatsächlich ein Fels, auf den Menschen ihr Leben bauen können?   

Wenn wir in diesen Wochen die Adventszeit begehen, Schwestern und Brüder, dann lassen wir uns immer wieder vor Augen führen, wie Gott Versprechen, die er uns in seinem Wort gegeben hat, auch wahrgemacht hat und wie er das auch weiter tun wird. Er lässt sich von uns Menschen nicht abservieren, meldet sich im Gegenteil gerade dann zu Wort, wenn andere meinen, nun sei er endgültig erledigt. Was für eine gute und tröstliche Nachricht inmitten all der Schreckensmeldungen dieser Wochen und Monate: Fürchtet euch nicht und erschreckt nicht! – So ruft es Gott auch uns zu: Diese Welt endet nicht einfach im Chaos, und dein Leben endet auch nicht in der Dunkelheit des Todes. Ich habe mein größtes Versprechen eingelöst in der Sendung meines Sohnes in diese Welt, ja, in seiner Auferweckung von den Toten. Den Tod zu besiegen – nein, das konnte und kann kein anderer, erst recht kein Richard Dawkins. Das kann nur der, der allein mit Recht den Anspruch erhebt, der Erste und der Letzte zu sein. Wie gut, dass wir an diesen einen Gott glauben dürfen – und an keinen mehr und keinen weniger! Amen.