05.12.2010 | St. Matthäus 24,1-14 | 2. Sonntag im Advent

„Rettet den Advent! Weihnachten beginnt am 25. Dezember!“ – So lautet eine sehr bedenkenswerte Seite, die man im sozialen Netzwerk „Facebook“ anklicken kann. „Rettet den Advent!“ – Diesen Aufruf kann man in der Tat nur unterstützen, wenn man mitbekommt, wie hier an der Zehlendorfer Welle an der Clayallee schon gleich nach dem Ewigkeitssonntag eine große Leuchtreklame mit den Worten „Frohe Weihnacht“ aufgehängt wurde, wenn man miterlebt, dass im Radio und in den Kaufhäusern bereits jetzt Weihnachtslieder rauf- und runtergespielt werden, wenn man miterlebt, dass es immer üblicher wird, Weihnachtsbäume schon zu Beginn der Adventszeit in den Wohnungen aufzustellen, und man immer mehr den Eindruck erhält, der Heilige Abend sei eher das Ende als der Anfang der Weihnachtszeit.
Nein, es geht mir hier nicht um irgendwelche Beckmesserei. Dass die Adventszeit hier in unserem Lande immer mehr gleichsam übersprungen wird, hat schon erhebliche geistliche Folgen. Die Adventszeit ist eigentlich eine Bußzeit, eine Zeit der Einkehr. Wir haben dies heute in unserer Liturgie daran gemerkt, dass ab jetzt bis zur Heiligen Christnacht das „Ehre sei Gott in der Höhe“ in unseren Gottesdiensten verstummt. Wir warten in der Adventszeit – nein, nicht bloß darauf, dass endlich die Bescherung am Heiligen Abend beginnt, sondern wir warten auf viel mehr: Wir warten auf ihn, den wiederkommenden Christus, den Herrn der Welt, warten auf seine Ankunft. Die Adventszeit weitet unseren Horizont, lässt uns auf die Geschichte der Welt blicken, die auf die Begegnung mit dem kommenden Christus zuläuft, lässt uns zugleich auch auf unser Leben blicken, lässt uns fragen, ob wir persönlich auf die Begegnung mit dem lebendigen Christus vorbereitet sind. Ohne Advent wird Weihnachten zur Kitschveranstaltung, können wir den wirklichen Trost des Weihnachtsfestes nicht erkennen, dass dort in der Krippe eben derselbe Herr liegt, dessen Kommen als Herrscher der Welt wir fröhlich und getröstet erwarten dürfen.
Und genau darum geht es nun auch in der Predigtlesung dieses heutigen Sonntags. Da geht es nicht um Jingle Bells und nicht um leise rieselnden Schnee, sondern da spricht Christus von Kriegen und Erdbeben, von Sektenführern und Christenverfolgungen. Nein, das klingt alles nicht fürchterlich romantisch und steigert auch nicht unbedingt unsere Kauflaune. Im Gegenteil: Die Worte unseres Herrn holen uns aus einer selbstgebastelten zuckersüßen Wintertraumwelt heraus und stellen uns mitten hinein in die harte Realität des wirklichen Lebens, in das er, Christus, als kleines Kind hineingeboren wurde. Und doch ruft Christus uns nun hier nicht dazu auf, diese bestehende Welt zu verbessern, sondern er leitet seine Jünger, leitet auch uns dazu an, seinem Kommen in Herrlichkeit wach entgegenzublicken. Fünf Zeichen seines bevorstehenden Kommens nennt uns Christus hier, die wir nun kurz miteinander betrachten wollen:


I.
Das erste Zeichen seines Kommens, das Jesus hier nennt, ist die Zerstörung des Tempels in Jerusalem. Da führte Jesus damals seine Jünger auf den Ölberg, von dem man auch heute noch einen wunderbaren Blick auf den Tempelberg hat. Damals, als Jesus dort mit seinen Jüngern saß, konnte man von dort aus noch die riesigen Tempelanlagen in all ihrer Schönheit bewundern. Unvorstellbar war es eigentlich, dass diese ganzen Gebäude nur wenige Jahrzehnte später dem Erdboden gleich gemacht sein würden. Doch Jesus blickt weiter: Er sieht schon voraus, was kommen wird, was die Römer bald darauf mit der Stadt und dem Tempel machen werden. Und was er seinen Jüngern hier ankündigt, ist dann tatsächlich eingetroffen, so unwahrscheinlich es den Jüngern damals auch erschienen sein mag, als Jesus dies sagte.
Gewiss, die Zerstörung Jerusalems liegt nun schon mehr als 1900 Jahre zurück. Christus ist seitdem noch nicht wiedergekommen. Er selber machte damals seinen Jüngern schon deutlich, dass das Ende, dass seine Wiederkunft nicht so bald kommen würde, wie sie selber dies möglicherweise erwarten würden. Doch das Gedenken an die Zerstörung Jerusalems soll uns bis heute immer auch daran erinnern: Was Jesus ankündigt, das geschieht. Was jetzt noch so festzustehen scheint, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass es je vergehen könnte, wird einmal verschwinden, wird einmal an sein Ende kommen, genau wie Christus dies in seinem Wort vorhergesagt hat. Klammert euch darum nicht an das, was doch einmal vergehen wird; denkt daran, wer allein eurer Zukunft Bestand zu geben vermag: Er, Christus, der Herr, allein!

II.
Das zweite Zeichen seines Kommens, das Christus hier nennt, sind die Verführer, sind die Irrlehrer, die den Namen Christi für ihre Zwecke missbrauchen, die sich selber als Überbieter Christi, ja gar als der wiedergekommene Christus selber präsentieren werden.
Falsche Christusse, falsche Messiasse gab es schon damals zu der Zeit, als Matthäus sein Evangelium niederschrieb. Bald nach der Abfassung des Matthäusevangeliums stand dann als nächster Bar Kochba auf und erhob den Anspruch, der von Gott angekündigte Messias zu sein. Doch das Phänomen der falschen Messiasse und der falschen Propheten ist seitdem nicht verschwunden. Einige Jahrhunderte später trat der Prophet Mohammed auf, behauptete, mit seiner Botschaft die Botschaft des Christentums überbieten und korrigieren zu können, widersprach dem Anspruch Jesu selber, der Sohn des lebendigen Gottes zu sein, und stutzte ihn zu seinem Vorläufer, zum Propheten des Islam herunter. „Seht zu, dass euch nicht jemand verführe!“ – Wie aktuell ist diese Warnung Jesu bis heute, gerade wenn wir an den Anspruch des Islam denken! Ja, falsche Messiasse, falsche Propheten gibt es auch heute in großer Zahl: In den Glaubensinformationen, die unserem Pfarrbrief beiliegen, habe ich in diesem Jahr über einige solcher falschen Propheten, solcher falschen Christusse berichtet – von der Wachtturmgesellschaft bis hin zu Baha’u’llah.
Große Begeisterung können solche falschen Propheten auslösen – man denke nur an die Auftritte des Dalai Lama auf dem Evangelischen Kirchentag. Doch nicht immer müssen diese falschen Propheten ein so offenkundig religiöses Mäntelchen tragen. Es gibt gerade heute genügend weltliche Heilsbringer und Heilsversprechen, die Menschen von Christus wegzuziehen vermögen: Das kann im ganz kleinen Rahmen der Partner sein, der von Christus und der Kirche nichts wissen will und die Zeit beansprucht, die wir uns doch eigentlich für Christus freihalten wollten. Das kann die Familie, das kann der Freundeskreis sein, die zum Ersatz für Christus und seine Heilsversprechen werden. Wie aktuell die Warnung vor falschen Christussen ist, merken wir jetzt gerade wieder in der Adventszeit: Natürlich begegnen wir in diesen Wochen auf Schritt und Tritt Hinweisen auf das Kind in der Krippe; doch dieses Kind in der Krippe, das uns da in Liedform aus den Kaufhauslautsprechern entgegenschallt, führt uns eben zumeist gerade nicht zur Begegnung mit ihm, dem lebendigen Christus, dort, wo er sich finden lassen will – in den Windeln von Brot und Wein im Heiligen Mahl. Im Gegenteil: Wie oft habe ich schon die geradezu absurde Entschuldigung gehört: Wir feiern mit der Familie Weihnachten, darum kann ich leider nicht zur Kirche kommen! Was für eine Weihnachtsfeier ist das, die uns von Christus fernhält! Was für ein falscher Christus wird bei solch einem Weihnachtsfest dann eigentlich befeiert! Nein, regen wir uns darüber nicht bloß auf; erinnern wir uns an die Worte Christi! Sehen wir auch das als ein Zeichen an, das uns daran erinnern soll, dass genau dies vor seiner Wiederkunft geschehen wird, dass Menschen sich verführen lassen werden, sich abbringen lassen werden von ihm, Christus, dem lebendigen Gottessohn!

III.
Ein drittes Zeichen seines Kommens nennt Christus hier: Kriege, Hungersnöte und Erdbeben.
Schwestern und Brüder: Dass wir uns nicht missverstehen: Was uns Christus hier in unserer Predigtlesung vor Augen hält, ist kein apokalyptischer Fahrplan, mit dem wir womöglich sogar den Termin seiner Wiederkunft ausrechnen könnten. Kriege, Hungersnöte und Erdbeben hat es zu allen Zeiten der Kirchengeschichte gegeben und wird es bis zur Wiederkunft des Herrn auch weiter geben. Heute werden uns diese Ereignisse mithilfe der modernen Medien sehr viel eindrücklicher vor Augen gestellt, als dies in vergangenen Jahrhunderten der Fall war. Insofern ist es schwierig, beurteilen zu wollen, ob all dies nun in der letzten Zeit mehr geworden ist oder nicht. Und natürlich bedeuten die Worte Jesu erst recht nicht, dass wir uns bei Nachrichten über solche Schreckensereignisse als Christen womöglich noch die Hände reiben sollten, weil diese Nachrichten ja die Wahrheit der Worte Christi bestätigen und die Hoffnung in uns zu mehren vermögen, dass er, Christus, schon bald wiederkommen wird. Ja, selbstverständlich sollen wir Christen in dieser Welt mit all ihren Schreckensszenarien helfen, wo und wie es uns möglich ist, um das Leid von Menschen, die von Kriegen, Hungersnöten und Erdbeben betroffen sind, zu lindern.
Doch zweierlei macht Christus uns hier in der Tat deutlich: Zum einen spricht er ganz realistisch davon, dass sich diese Welt nicht im Laufe der Zeit in ein Paradies verwandeln wird: Bis zu seiner Wiederkunft wird es auf dieser Welt Kriege und Hungersnöte geben, wird es Terror und irrsinnigen Nationalismus geben, werden Menschen so sehr auf ihren eigenen Vorteil bedacht sein, dass sie nicht dazu bereit sind, ihr Brot mit den Ärmsten dieser Welt gerecht zu teilen. Das soll uns nicht resignieren lassen; aber es soll uns nüchtern machen, uns vor falschen Hoffnungen und Utopien bewahren. Und zum anderen macht Christus uns mit dem, was er sagt, deutlich: Jede Nachricht von Erdbeben, Kriegen und Hungersnöten soll uns in der Tat daran erinnern, dass diese Welt ihrem Ziel entgegengeht, der Begegnung mit ihm, dem wiederkommenden Herrn. Lassen wir uns darum immer wieder von Neuem aufwecken und unsere Häupter erheben, wie es im Heiligen Evangelium dieses Sonntags heißt, weil sich unsere Erlösung naht.

IV.
Als viertes Zeichen seines Kommens nennt Christus hier Kämpfe, die Christen von außen und von innen in der Kirche werden durchstehen müssen.
Was Christus hier seinen Jüngern und damit auch uns Christen heute ankündigt, ist auf den ersten Blick alles andere als eine Werbung für den christlichen Glauben: Er kündigt nicht an, dass seine Jünger sich durch den Glauben an ihn immer glücklich fühlen werden, dass sie immer Erfolg haben werden, dass es ihnen immer gut gehen wird. Im Gegenteil: Er kündigt denen, die sich zu ihm bekennen, an, dass sie um seines Namens willen verfolgt werden, ja getötet werden – und er kündigt zugleich an, dass Christen auch innerhalb der Kirche angefochten sein werden, dass Gottes gute Gesetze in ihr infrage gestellt werden, dass die Liebe im Umgang der Christen untereinander bei vielen erkalten wird.
Schwestern und Brüder: Wie aktuell sind diese Ankündigungen Christi für uns heute in unserer Zeit: In keinem Jahrhundert sind so viele Christen um ihres Glaubens willen ermordet worden wie im 20. Jahrhundert. Unzählige Christen sitzen auch in dieser Stunde in Gefängnissen und Konzentrationslagern oder müssen damit rechnen, dass ihnen ihre Häuser abgefackelt werden, dass ihre Kinder entführt, dass die Frauen vergewaltigt werden. Man denke nur an das Schicksal der Christen im Irak, auf das ich in unserem aktuellen Pfarrbrief wieder einmal hingewiesen habe. Man denke an das Schicksal unzähliger Christen in Nordkorea, an den Druck, dem Christen in Teilen Indiens durch einen militanten Hinduismus zunehmend ausgesetzt sind. Natürlich geht es uns Christen hier in Deutschland unendlich besser im Vergleich zu dem, was andere Christen in so vielen Ländern der Welt erleiden müssen. Doch auch wir erleben es in den letzten Jahren zunehmend, wie Christen, die sich klar zu ihrem Glauben bekennen, in der Öffentlichkeit diffamiert und verleumdet werden, wie sie in Schubladen gepackt werden, aus denen sie dann selber nicht mehr herauskönnen. Und wir erleben es bis in die eigene Kirche hinein, wie Machtspiele und taktische Überlegungen die Liebe erkalten lassen, wie man selbst unter Christen vor Unterstellungen und Verleumdungen nicht zurückschreckt, um eigene Interessen durchsetzen zu können. Erschrecken wir vor all dem nicht; Christus hat es schon so angekündigt – und seien wir dankbar, dass wir in unserer Gemeinde noch Anderes erleben dürfen, dass wir hier auch in unserem Miteinander zum Bekenntnis zu Christus ermutigt und nicht darin angefochten werden. Gott geb’s, dass dies so bleibt, dass auch die Gemeinschaft unserer Gemeinde für uns alle miteinander eine Kraftquelle bleibt, Christus auch dann treu zu bleiben, wenn uns der Wind noch schärfer ins Gesicht blasen sollte, als dies im Augenblick schon der Fall ist!

V.
Ja, angefeindet wird die Kirche, werden die Christen bis zum Tag der Wiederkunft Christi sein, so kündigt es uns der wiederkommende Herr selber an. Und doch wird alle Anfeindung es nicht verhindern können, dass das Evangelium von Jesus Christus, von seinem Reich, immer weiter auf der Welt verkündigt wird, so sagt es Christus voraus.
Ja, wie aktuell ist auch diese Ankündigung: Noch keine Zeit der Kirchengeschichte hat es gegeben, in der so viele Menschen die Gelegenheit gehabt haben, die Botschaft des christlichen Glaubens zu hören. Immer weiter breitet sich der christliche Glaube aus; man denke nur daran, wie viele Christen es beispielsweise schon in China gibt: Sind es 60 Millionen oder 100 Millionen oder mittlerweile sogar noch mehr? Wir wissen es nicht – und auch die Staatsführung weiß es nicht, kommt gegen die Kraft des Evangeliums mit all ihren Möglichkeiten nicht an. Ein Hoffnungszeichen ist dieses letzte Zeichen, das Christus seinen Jüngern und uns hier als Hinweis auf sein Kommen nennt: Was wir auch an Bedrückendem und Erschreckendem in dieser Welt erleben mögen, was uns auch alles Angst einjagen mag: Das Wort Christi, seine frohe Botschaft wird sich am Ende immer als stärker erweisen, wird sich durch nichts und niemand aufhalten lassen. Denn es ist eben nicht bloß Menschenwort, sondern das Wort des lebendigen Christus selber, in dem er jetzt schon gegenwärtig ist, ja auch hier und heute in unserer Mitte.
Jeder Gottesdienst ist somit ein Zeichen, das uns hinweisen soll auf unseren kommenden Herrn. In jedem Gottesdienst werden wir auf den Tag seines Kommens vorbereitet, wann auch immer er schließlich eintreffen mag. Wir kennen ihn doch, den wiederkommenden Herrn, begegnen ihm jetzt gleich wieder hier im Heiligen Mahl. Ja, entscheidend ist für uns als Christen nicht, dass wir genau wissen, was alles noch kommt. Entscheidend ist letztlich für uns allein, dass wir wissen, wer kommt – derselbe Herr, der einst als kleines Kind in einer Krippe gelegen hat. Gott geb’s, dass wir ihn in diesen Wochen der Adventszeit nicht übersehen – und dass wir dann auch am 25. Dezember wissen, was wir eigentlich feiern: Den Geburtstag des Herrn, der auf uns zukommt und den wir freudig erwarten sollen und dürfen – ja, auch noch nach dem 26. Dezember! Amen.