29.08.2010 | 1. Johannes 4, 7-12 (13. Sonntag nach Trinitatis)

13. SONNTAG NACH TRINITATIS – 29. AUGUST 2010 – PREDIGT ÜBER 1. JOHANNES 4,7-12

Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.

Willkommen bei der Loveparade! Ja, genau das ist es, was wir heute hier in unserer St. Marienkirche machen: Wir veranstalten eine Loveparade, wir feiern miteinander die Liebe. Bevor jetzt einige von euch jedoch anfangen, sich die Kleider vom Leibe zu reißen und rhythmisch zu zucken, möchte ich einschränkend hinzufügen, dass die Loveparade, die wir heute hier in diesem Gottesdienst feiern, nicht ganz identisch ist mit der Loveparade, die bis vor einigen Jahren hier durch Berlin zog, bevor sie nun schließlich im Ruhrgebiet unter traurigen Umständen verendet ist. Ja, auch wir feiern heute die Liebe, gewiss, aber wenn wir von Liebe sprechen, wenn der heilige Johannes hier von der Liebe spricht, dann meint er noch einmal etwas Anderes als Dr. Motte bei seinen Ansprachen unter der Berliner Siegessäule. Denn die Liebe, von der Johannes hier spricht und die wir auch heute hier im Gottesdienst feiern,

- die gibt sich hin für andere
- die bleibt nicht unverbindlich
- die führt zum Leben.

I.

Um Liebe ging es dem Namen nach auch bei den Loveparaden, die wir in den vergangenen Jahren in unserem Land erlebt hatten. Doch was war mit dieser Liebe eigentlich gemeint? Letztlich ging es für diejenigen, die zu einer Loveparade gingen, doch nur darum, einfach Spaß zu haben, gut drauf zu sein und was zu erleben. Ich will das jetzt gar nicht mit einem erhobenen moralischen Zeigefinger kommentieren; es ist uns auch als Christen nicht verboten, im Leben Spaß zu haben und gut drauf zu sein. Doch die Frage ist, was das nun mit Liebe zu tun hat. Es hat insofern eine Menge mit Liebe zu tun, als Liebe heutzutage oftmals als ein Mittel verstanden wird, durch das man zunächst und vor allem etwas für sich bekommt, durch das eigene Wünsche und Bedürfnisse befriedigt werden. Es ist dies eine Liebe, die vor allem etwas für sich selber haben will. Und in diesem Sinne ging es bei den Loveparaden in der Tat um Liebe, um eben solche Liebe, die darauf aus ist, für sich etwas zu bekommen, Spaß, ein großes Gemeinschaftsgefühl und vielleicht zu fortgeschrittener Stunde dann auch noch das eine oder andere weiterreichende Vergnügen im Bett, unter Büschen oder wo auch immer.
Die Liebe, die wir heute hier bei uns im Gottesdienst feiern und von der auch Johannes hier spricht, ist eine ganz andere Liebe: Sie ist eine Liebe, die nicht zuerst und vor allem haben, sondern die zuerst und vor allem geben will und gibt, der es zunächst und vor allem um die anderen und nicht um sich selber geht. Ja, diese Liebe feiern wir heute im Gottesdienst – nein, nicht unsere eigene mickrige menschliche Liebe; die gibt uns zumeist keinen allzu großen Anlass dazu, sie auch noch groß zu befeiern. Sondern wir feiern heute in diesem Gottesdienst, dass wir alle miteinander selber profitieren von solch einer Liebe, die geben will und gibt, der es um die anderen und nicht um sich selbst geht, dass wir alle miteinander profitieren von der Liebe Gottes, die eben solch eine Liebe ist. Gott ist mit seiner Liebe zu uns Menschen nicht darauf aus, sich selber Vorteile zu sichern, möglichst viele Streicheleinheiten von uns Menschen zu kassieren; sondern Gott geht es in seiner Liebe nur um eines: Dass wir zum Zuge kommen, dass wir bekommen, was wir brauchen, dass wir aufatmen und uns wirklich freuen dürfen. Nein, Gott hat sich zu diesem Zwecke nicht bloß darauf beschränkt, ein paar schöne Reden an der Siegessäule zu halten; er hat sich erst recht nicht darauf beschränkt, uns dazu aufzufordern, auch immer nett zueinander zu sein. Sondern Gott hat uns gezeigt, dass Liebe in Wirklichkeit eine ganz nüchterne Angelegenheit ist: Er hat nicht bloß geredet, sondern gehandelt, hat seinen Sohn für uns am Kreuz sterben lassen, um uns zu zeigen, wie sehr er uns liebt, um uns dadurch mit seiner Liebe zu umfangen, um uns damit ein Leben zu ermöglichen, das auf seiner liebenden Zuwendung gegründet ist. „Ihr Lieben“, so redet Johannes hier die Empfänger seines Briefes an, zumindest übersetzt es Martin Luther so. Doch diese Übersetzung ist ein wenig missverständlich. Sie könnte so missverstanden werden, als seien wir so liebe Leute, dass Gott eigentlich gar nicht anders konnte, als umgekehrt auch nett zu uns zu sein. Doch wörtlich nennt Johannes die Empfänger seines Briefes hier „Geliebte“, und das kommt der Sache schon näher. Entscheidend ist nicht, ob wir diese Liebe denn nun verdient oder gar bei Gott hervorgerufen haben. Entscheidend ist allein, dass Gott sich in uns verliebt hat, ja in uns merkwürdige Typen mit all ihren Macken, mit ihrer Schuld und ihrem Versagen, in uns Typen, an denen aus Gottes Sicht doch eigentlich gar nichts Liebenswertes zu erkennen ist. Und doch sind wir alle miteinander seine Geliebten, überschüttet er uns mit seiner Liebe immer wieder neu, wenn wir mit ihm zusammenkommen, vergibt er uns hier immer wieder alle unsere Schuld, dient er uns hier im Gottesdienst, statt dass wir ihm dienen müssten.
Jawohl, diese Liebe feiern wir hier im Gottesdienst, das ist der Grund für unsere Loveparade, dass wir allen Grund haben, vor Freude zu tanzen und zu jubeln, weil Gott uns hier an seinem Altar so fest an sein Herz drückt, dass uns vor lauter Liebe und Freude fast die Luft wegbleiben mag. Und das bleibt dann auch nicht ohne Folgen: Wenn wir hier immer wieder erfahren und feiern, dass Liebe in Wirklichkeit ganz anders funktioniert, als man sich dies heute üblicherweise vorstellt, dass wahre, wirkliche Liebe nicht diejenige ist, die haben will, sondern die geben will, dann wird sich das bei uns auch im Umgang untereinander auswirken und wirkt sich ja auch tatsächlich aus. Nein, es wirkt sich bei uns nicht so aus, dass wir nach dem Gottesdienst nun alle miteinander im Gemeindegarten in den Büschen verschwinden, denn die Liebe, von der Johannes hier spricht, ist auch vom Griechischen her noch einmal eine andere Liebe als die zwischen zwei Ehepartnern. Die sollen wir hier in der Gemeinde natürlich nicht unbedingt nachmachen. Wenn allerdings zwei Christen heiraten, dann wissen sie ebenfalls, dass auch ihre Liebe in der Ehe zunächst und vor allem solch eine Liebe ist, die geben und die nicht zuerst haben will, und insofern entspricht sie dann auch der Liebe, mit der wir miteinander in der Gemeinde umgehen. Doch wenn wir einander in der Gemeinde mit der Liebe begegnen, von der Johannes hier spricht, dann heißt das eben nicht, dass die anderen Gemeindeglieder bei uns auch unbedingt irgendwelche Glücksgefühle hervorrufen. Brauchen sie gar nicht. Hauptsache, ich weiß, dass sie von Gott genauso geliebt sind wie ich. Das wird mir helfen, ihnen dann auch mit der Liebe zu begegnen, die ich selber von Gott erfahren und empfangen habe.

II.

Und damit sind wir schon beim Zweiten: Bei den großen Loveparaden im Tiergarten oder im Ruhrgebiet hatten die Teilnehmer sicher auch ein großes Gemeinschaftsgefühl, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Aber letztlich blieb dieses Gefühl, blieb die Liebe, von der in diesem Zusammenhang die Rede war, doch völlig unverbindlich. Jeder tanzte letztlich für sich selber, nahm die anderen um sich herum nur begrenzt wahr, selbst wenn er sich vielleicht auch gar keine Ecstasy-Pillen eingeworfen hatte.
Die Liebe, von der Johannes spricht und die wir heute hier feiern, die kann nicht unverbindlich bleiben und die bleibt es auch nicht. Johannes fordert die Empfänger seines Briefes zunächst und vor allem dazu auf, einander zu lieben. Nein, ihm geht es nicht darum, ein kleines, verschworenes Grüppchen zu formen, das nur für sich zusammenhängt und sich gut versteht. Ihm geht es um etwas ganz Anderes: Es fällt uns in vielen Fällen ja sehr viel leichter, Menschen zu lieben, mit denen wir nicht so viel zu tun haben, als Menschen zu lieben, mit denen wir vielleicht sehr viel zusammen sind. Eine Million Menschen zu lieben, die mit mir gemeinsam um die Siegessäule hopsen, das ist nicht schwer. Aber den merkwürdigen Typen zu lieben, der da neben mir auf der Kirchenbank sitzt, die Frau, deren Macken mir jeden Sonntag wieder von Neuem auf den Geist gehen, den Mann, dessen Benehmen ich nur schwer ertragen kann, das ist schon sehr viel schwerer. Doch genau an diese ganz konkreten Menschen weist uns Johannes hier in unserer Epistel. Für die sollen wir da sein, denen sollen wir uns zuwenden, ihnen geben, was sie brauchen, nein, nicht unverbindlich, sondern ganz verbindlich.
Ja, genau darum geht es auch heute hier bei diesem Gemeindefest. Nun ja, ganz so voll wie bei den Loveparaden im Tiergarten ist es bei uns heute Morgen noch nicht. Aber wir sind schon so viele, dass auch bei uns in der Gemeinde, dass gerade auch bei solch einem Gemeindefest die Gefahr besteht, dass wir nur noch ähnlich unverbindlich miteinander zu tun haben wie die Teilnehmer einer Loveparade. Jeder feiert für sich, und am Ende hat man kaum wahrgenommen, wer da eigentlich noch alles mit einem auf demselben Fest war. Doch Johannes erwartet auch von dir, dass du eben heute auch nicht einfach für dich bleibst, dass du heute auch nicht bloß immer mit denselben Leuten in der Ecke herumhängst, mit denen du sonst auch immer zusammen bist, sondern dass du gerade auch auf Menschen zugehst, die du noch nicht kennst, mit ihnen sprichst, sie kennenlernst, ja, dass du gerade auch damit heute Mittag und heute Nachmittag dazu beiträgst, dass wir als Gemeinde weiter zusammenwachsen. Ja, genau das meint Johannes mit der Liebe, von der er hier spricht, mit der Liebe, die nicht unverbindlich, sondern verbindlich ist.

III.

Und noch etwas kennzeichnet die Liebe, die wir heute hier in diesem Gottesdienst miteinander feiern: Diese Liebe führt zum Leben.
Bei der letzten Loveparade in Duisburg kam es bekanntlich zu einer furchtbaren Katastrophe: Mehr als zwanzig junge Menschen wurden im Gedrängel zu Tode getrampelt oder erdrückt. Es gab anschließend eine ziemliche Aufregung, als einige wenige Kommentatoren es wagten, diese Todesfälle gleichsam als logische Konsequenz einer solchen Veranstaltung oder gar als göttliches Strafgericht über das gottlose Treiben auf der Loveparade zu interpretieren. Wir sollten in der Tat sehr vorsichtig damit sein, irgendwelche Unglücksfälle gleich als Strafen Gottes für irgendeine Sünde zu interpretieren. Jesus selber warnt uns eindringlich davor, solche Zusammenhänge zu konstruieren. Doch ganz unabhängig von dieser schrecklichen Katastrophe dürfen wir schon mal darüber nachdenken, was für eine Lebenshaltung letztlich auf solchen Loveparaden propagiert wird. Es ist eine Lebenshaltung, nach der es im Leben nur darauf ankommt, Spaß zu haben und die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, und die oft genug alle weitergehenden Fragen nach einem Sinn des Lebens im Gewummer der Bässe untergehen lässt. Das heißt nicht, dass alle Teilnehmer einer Loveparade diese Lebenshaltung auch teilen. Aber umgekehrt gilt sehr wohl: Wer sein Leben von dieser Lebenshaltung bestimmen lässt, wessen Lebenshorizont nicht weiter reicht, dessen Leben führt in der Tat in eine Sackgasse, ja letztlich in die Sackgasse des ewigen Todes, auch wenn er die Loveparadekatastrophe in Duisburg unbeschadet überstanden hat.
Hier in der Kirche geht es in der Tat um eine Loveparade der ganz anderen Art; hier geht es um Liebe, die zum Leben führt und die Leben schenkt, um Gottes Liebe, die wir gleich wieder ganz konkret und leibhaftig empfangen, wenn uns hier im Sakrament der Leib und das Blut Christi ausgeteilt wird, um Gottes Liebe, die uns immer wieder in die Gemeinschaft der Gemeinde führt und dort leben lässt. Nein, der Sinn meines Lebens besteht nicht darin, einfach Spaß zu haben. Natürlich kann ich auch Spaß im Leben haben; aber der Sinn meines Lebens besteht vielmehr in der Liebe, in der Liebe, die ich von Gott empfange und die ich an die Menschen weitergebe, mit denen mich Gott zusammenführt. Ja, Liebe ist das Ziel deines Lebens. Du wirst im Himmel einmal nicht alleine vor einem Computer oder einer Playstation sitzen und dich mit dir selber vergnügen. Was dich im Himmel erwartet, ist eine vollkommene, verbindliche Gemeinschaft mit unzähligen anderen Menschen und gerade darin das tiefste Glück und die tiefste Erfüllung deines Lebens. Einen Vorgeschmack davon darfst du schon hier und jetzt in der Gemeinde erfahren, darfst schon etwas davon erleben, wie schön es ist, in einer Gemeinschaft von Menschen zu leben, die darum wissen, dass sie von Gott geliebt sind, und die gerade so Anteil haben am wahren Leben. Ja, die Vorfreude auf den Himmel soll und kann uns von daher auch unser Gemeindefest wecken, die Vorfreude auf den Himmel, in dem wir einmal eine Loveparade ohne Ende feiern werden, eine Loveparade, mit der kein Event hier auf Erden jemals mitkommen wird, weil wir dort endgültig erfahren werden, was Liebe wirklich ist: Liebe, die sich für andere hingibt, die ganz verbindlich ist und die in sich das wahre Leben trägt. Denn Gott ist die Liebe. Amen.