02.07.2010 | 1. Timotheus 3, 16 (Mariae Heimsuchung)

MARIAE HEIMSUCHUNG – 2. JULI 2010 – PREDIGT ÜBER 1. TIMOTHEUS 3,16

Groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.

Gleich zweimal hören wir in diesem Gottesdienst den Ausruf: „Geheimnis des Glaubens!“ Zum einen hören wir ihn hier in der Epistel des heutigen Festtags, bezogen auf Maria, die Mutter Gottes, bezogen auf das Wunder, das Elisabeth zu dem Ausruf veranlasst: „Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes!“ Darauf können wir nur antworten: „Geheimnis des Glaubens!“ Und zum anderen hören wir diesen Ausruf gleich wieder bei der Feier des Heiligen Mahls, bezogen auf das Wunder, das sich ereignet hat, wenn Brot und Wein mit den Worten Christi gesegnet worden sind und damit nun wahrhaftig sind, was diese Worte besagen: Leib und Blut des Herrn. Maria und das Heilige Mahl – sie gehören also offenbar zusammen; beide Male geht es um das „Geheimnis des Glaubens“. Doch was ist konkret mit diesem „Geheimnis des Glaubens“ gemeint? Diese Worte kann man, so biblisch sie natürlich sind, eben auch missverstehen. Und darum tun wir gut daran, genau hinzuschauen, was mit ihnen gemeint ist: Es geht hier

- um ein Geheimnis, nicht um ein Rätsel
- um Wirklichkeit, nicht um Einbildung

I.

Vor einigen Tagen hat das amerikanische FBI zehn russische Spione festgenommen. Der Vorwurf, der gegen sie erhoben wird, ist klar: Geheimnisverrat. Sie sollen versucht haben, Geheimnisse auszuspionieren und sie nach Moskau weiterzuleiten. Ja, strafbar ist solch ein Versuch in jedem Land, denn ein Geheimnis soll eben ein Geheimnis bleiben.
Wenn die Heilige Schrift von einem Geheimnis, konkret vom Geheimnis des Glaubens spricht, dann sieht die Sache ein wenig anders aus: Niemand, auch kein noch so genialer Topspion, wäre jemals dazu in der Lage gewesen, herauszufinden, wer Gott wirklich ist und was er mit uns vorhat. Für ewig wäre das ein Geheimnis geblieben – wenn nicht Gott selber ganz bewusst Geheimnisverrat begangen hätte, selber bekanntgemacht hätte, worauf kein Mensch jemals von sich aus gekommen wäre. Ja, um ein Geheimnis geht es in unserem Glauben, nicht in dem Sinne, dass wir jetzt keine Ahnung hätten, was denn nun der Inhalt unseres Glaubens wäre, wie Gott denn zu uns steht, sondern um ein Geheimnis geht es in unserem Glauben in dem Sinne, dass wir staunen über eine Realität, die uns nicht durch unser eigenes Bemühen, sondern nur durch Gott selber zugänglich gemacht worden ist, ganz konkret durch sein Wort. Würden wir nicht auf sein Wort hören, dann bliebe uns diese Realität auch weiter verschlossen, dann würden wir todsicher auch weiter danebentippen bei unseren Spekulationen über Gott. Aber wir brauchen eben nicht weiter zu spekulieren, weil Gott selbst uns sein Geheimnis bekanntgemacht hat.
Und eben damit sind wir nun schon bei Maria. Wenn wir heute dieses Marienfest feiern, dann feiern wir Maria nicht um ihrer selbst willen, sondern wir feiern an diesem Tag, dass Gott durch Maria sein Geheimnis offenbart, ja, sich selber zu erkennen gibt, indem er selber in ihrem Leib Mensch wird. Ja, groß ist das Geheimnis des Glaubens: ER, Christus, ist offenbart im Fleisch. Da im Leib Mariens beginnt diese unfassliche Geschichte der Enthüllung des Geheimnisses aller Geheimnisse, dass Gott leibhaftig in diese Welt kommt, von Menschen unschuldig ans Kreuz geschlagen und dann in seiner Auferweckung doch von Gott gerechtfertigt wird, dass er sich als Sieger über den Tod allen Mächten im Himmel zu erkennen gibt, dass ER als der lebendige Herr seine Jünger losschickt, die Botschaft von seiner Menschwerdung und seinem Sieg über den Tod allen Menschen zu verkündigen – und dass ER es auch ist, der durch diese Botschaft immer wieder neu bei Menschen den Glauben wirkt, dass auch sie mit einstimmen in die Anbetung dieses HERRN, der nun endgültig in die Herrlichkeit aufgenommen worden ist. Ganz am Anfang dieser unfasslichen Enthüllungsstory steht die Erzählung, die wir eben im Heiligen Evangelium gehört haben: Noch ist er, der ewige Gottessohn, für menschliche Augen überhaupt nicht sichtbar, noch trägt Maria den unter ihrem Herzen, vor dem einmal am Ende die Knie aller sich beugen werden, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind. Noch ist der nicht einmal geboren, dessen Weg ihn ans Kreuz und in das Grab und doch auch wieder aus diesem Grab herausführen wird. Aber Maria hat es durch das Wort des Engels bereits erkannt: dieses große Geheimnis des Glaubens, in das sie nun mit ihrem Lebensgeschick unlöslich eingebunden ist. Elisabeth erkennt dasselbe Geheimnis des Glaubens in der Kraft des Heiligen Geistes – und selbst der noch ungeborene Johannes hüpft vor Freude im Leib seiner Mutter und ruft es damit auf seine Weise aus: „Geheimnis des Glaubens!“ Und wir tun es ihnen heute gleich in diesem Gottesdienst, preisen Gott, der uns nicht länger darüber rätseln lässt, wer er ist, sondern der sich so klar und eindeutig in dem Kind festgelegt hat, das Maria unter ihrem Herzen trägt, preisen Gott, dass er uns sein größtes Geheimnis preisgegeben hat, das sich zugleich doch nur denen erschließt, die auf sein Wort hören und seinem Wort vertrauen, wie auch Maria dies getan hat.

II.

Doch nun blicken wir heute in diesem Gottesdienst wie in jedem Gottesdienst nicht einfach bloß zurück darauf, wie Gott damals sein Geheimnis des Glaubens uns Menschen offenbar gemacht hat in der Sendung seines Sohnes, sondern wir rufen es heute wieder von Neuem aus: „Geheimnis des Glaubens!“ Damals, als Maria Elisabeth besuchte, hatte die Offenbarung dieses Geheimnisses erst gerade begonnen: Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten standen noch aus. Wir blicken auf all dies zurück; ja, dass wir uns heute Abend hier versammeln, beruht eben darauf, dass derselbe Christus, den damals noch Maria in ihrem Leib trug, nun gekreuzigt und auferstanden ist, dass er in seiner Kirche nun schon seit fast 2000 Jahren gepredigt wird und dass dadurch diese Botschaft auch uns erreicht hat. Ja, dass wir uns heute Abend hier versammeln, beruht darauf, dass derselbe Christus, der uns im Heiligen Evangelium des heutigen Abends noch als Embryo begegnet, als der Herr seiner Kirche auch bei uns den Glauben gewirkt hat, den Glauben daran, dass in ihm Gott sein großes Geheimnis tatsächlich offenbart hat. Und eben diesen Glauben will er nun heute Abend wieder neu in uns wirken – nein, nicht per Fernbedienung, sondern so, dass er selber leibhaftig in unsere Mitte kommt. Dass er, der ewige Gottessohn im Fleisch offenbart ist, blieb eben nicht bloß ein kurzzeitiges Intermezzo; im Gegenteil: Er ist und bleibt der Fleisch gewordene Gott in aller Ewigkeit. Und genau als dieser Fleisch gewordene Gott kommt er nun wieder neu in unsere Mitte, lässt das, was vor 2000 Jahren geschehen ist, nun wieder von Neuem Gegenwart werden, kommt wieder ganz klein und unscheinbar zu uns, wie er damals klein und unscheinbar im Leib der Gottesmutter zu Elisabeth kam. Und wie Johannes damals vor Freuden hüpfte, als ihm Christus im Leib Mariens begegnete, so rufen auch wir gleich wieder vor Freude aus: „Geheimnis des Glaubens!“ Nein, das bedeutet eben gerade nicht, dass wir uns hier im Heiligen Mahl gleichsam etwas einbilden würden, was außerhalb unserer Einbildung, unserer subjektiven Vorstellung keinerlei Realität besäße. Dass wir von einem Geheimnis reden, meint gerade nicht, dass wir nicht klar und deutlich aussprechen könnten, was hier geschieht: Brot und Wein werden Leib und Blut des Fleisch gewordenen Gottessohnes, ja, ganz unabhängig von unserem Glauben und doch so, dass unser Glaube sich auf dieses Geheimnis, auf dieses Wunder bezieht und es anbetet, so, dass unser Glaube durch den Empfang dieses Heiligen Mahles auch heute wieder von Neuem gestärkt und gefestigt wird. Christus war im Leib Mariens gegenwärtig, auch wenn all die Menschen, die ihr auf ihrem Weg zu Elisabeth begegnet sein mögen, nichts davon geahnt haben. Christus ist im Brot und Wein des Heiligen Mahles gegenwärtig, auch wenn jemand hier nach vorne kommen und dabei meinen sollte, er empfange tatsächlich nicht mehr als etwas Brot und Wein zur Erinnerung an ihn, den längst vergangenen Herrn. Aber natürlich möchte Christus, dass du ihn erkennst, dass auch du ihn anbetest hier im Sakrament, dass auch du mit einstimmst in den Ruf „Geheimnis des Glaubens!“ Unfassliches ereignet sich heute Abend wieder hier in unserer Mitte: Der Herr des Kosmos gibt sich uns zu erkennen, wird für uns fassbar, ja essbar und trinkbar. Nein, erklären kann man das nicht. Aber davor auf die Knie sinken, das können wir, und das wollen wir, heute und immer wieder: Geheimnis des Glaubens – deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir – bis du kommst in Herrlichkeit. Amen.