20.06.2010 | 1. Timotheus 1, 12-17 (3. Sonntag nach Trinitatis)

DRITTER SONNTAG NACH TRINITATIS – 20. JUNI 2010 – PREDIGT ÜBER 1. TIMOTHEUS 1,12-17

Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist. Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als Erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben. Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.

In drei Wochen werden wir endlich wissen, wer der Erste sein wird, der Beste im Fußball, welche Mannschaft die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika gewonnen haben wird. Wer wird der Erste, wer wird der Weltmeister sein? Millionen Menschen gibt es in unserem Land, die im Augenblick kaum eine Frage mehr interessiert als diese eine: Wer wird den großen Fußball-Leistungstest am Ende gewinnen?
Um Leistung, darum, besser zu sein als andere, sich durchzusetzen gegen andere, geht es auch sonst in unserem Leben immer wieder. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, und das prägt unser Leben von klein auf. In unserem Kindergarten haben wir Eltern, die kriegen schon die Panik, wenn ihre Kinder drei Jahre alt sind, weil sie befürchten, dass das Frühenglisch, was in unserem Kindergarten angeboten wird, vielleicht doch nicht ganz so intensiv ist wie in einem anderen Kindergarten und ihre Kinder damit zu Beginn der Schule vielleicht benachteiligt sein könnten, wenn sie denn nicht schon ganz so fließend Englisch sprechen wie die Kinder des Privatkindergartens von nebenan. In der Schule geht es um Leistung, ganz klar, und so blicken unsere Jugendlichen mit mehr oder weniger unguten Gefühlen dem Schuljahrsende entgegen, wenn die Zeugnisse verteilt werden und darin erkennbar wird, ob sie denn in diesem Schuljahr genug geleistet haben oder nicht. Um Leistung geht es dann auch später im Berufsleben: Nur wer wirklich gut ist, hat Chancen, auch einen wirklich guten Job zu bekommen, sich durchzusetzen gegen die anderen Bewerber um denselben Arbeitsplatz. Leistung ist scheinbar, ja offenbar auch im Privatleben angesagt: Um sich den Freund oder die Freundin zu angeln, die man gerne haben möchte, muss man schon zeigen, was für ein toller Hecht man ist, muss zeigen, dass man mehr draufhat als die anderen, dass man mithalten kann, was die Designerklamotten, was auch die finanziellen Möglichkeiten betrifft. Ja, wenn es schon nicht zu guten Schulnoten oder einem anständigen Beruf reicht, dann muss ich doch wenigstens mit dem Umfang meines Bizepses, mit meiner Oberweite, mit meinen Verführungskünsten im Bett oder der Brauntönung meiner Haut die anderen ausstechen können. Und da sind natürlich auch die anderen, die in diesem Wettbewerb um die ersten Plätze längst aufgegeben haben, die wissen, dass sie nicht mithalten können, und die entsprechend schon längst resigniert haben: Ich schaffe das mit der Schule ja doch nicht, ich finde ja doch keinen Arbeitsplatz mehr, ich finde ja doch keinen Freund oder keine Freundin. Doch selbst in ihrer Resignation bestätigen sie auf ihre Weise noch die Prinzipien unserer Leistungsgesellschaft: Wertvoll bist du, wenn du zeigen kannst, dass du besser bist als andere, wertvoll bist du, wenn du wirklich gut bist, wenn du etwas leistest, wenn du entsprechend Geld verdienst, wenn du dir bestimmte Statussymbole leisten kannst. Versager, Loser sind eben nichts wert, sind Opfer, mehr nicht.
Schwestern und Brüder, dieses Denken steckt so tief in uns drin, dass es uns selbst in unserem Glauben oftmals nicht loslässt. Ja, natürlich wissen wir grundsätzlich darum, dass wir ja eigentlich allein aus Gnade selig werden; aber wie leicht ertappen wir uns dann eben doch bei diesem Gedanken, dass wir doch eigentlich ganz anständige Menschen sind, besser jedenfalls als viele andere, und der liebe Gott doch eigentlich mit uns ganz zufrieden sein müsste! Wie leicht glauben wir allen Ernstes, wir würden ein gutes Werk für den lieben Gott vollbringen, wenn wir sonntags zur Kirche gehen, könnten damit doch den einen oder anderen Pluspunkt bei ihm sammeln! Wie leicht machen wir selbst als Christen unseren Selbstwert von dem abhängig, was wir können und leisten, und halten uns für überflüssig, wenn unsere Kräfte schwinden, wenn wir scheinbar doch zu nichts mehr nütze sind! Die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika, sie ereignet sich im Kleinen immer und immer wieder in unserem Leben, selbst in unserem Leben als Christen: Die Ersten wollen wir sein – unter den Menschen, und erst recht in Gottes Augen.
In der Epistel des heutigen Sonntags wird uns auch ein Mensch vor Augen gestellt, der unbedingt der Erste sein wollte – der Erste unter den Menschen und in Gottes Augen. Sein Theologiestudium hatte er am renommiertesten jüdischen Lehrstuhl der damaligen Zeit mit Bestnoten abgeschlossen, hatte schon in jungem Alter Karriere gemacht, ließ sich von niemandem in seiner Rechtgläubigkeit und seiner Frömmigkeit überbieten, lebte so, dass Gott doch eigentlich vor Begeisterung von seinem Thron aufspringen und Beifall klatschen müsste: endlich einer, der so lebt, wie ich mir das in meinen Geboten vorgestellt hatte!
Doch wie bezeichnet sich dieser Spitzentheologe, dieser Leistungsbeste auf den verschiedensten Gebieten der Frömmigkeit hier nun selber? Nicht als Weltmeister, sondern als Lästerer und Verfolger und Frevler. Das kann also passieren, dass ich in meinem Leben Spitzenleistungen bringe, scheinbar besser bin als alle anderen, selbst auf dem Gebiet der Moral – und in Wirklichkeit doch in der entscheidenden Disziplin völlig versage: in meinem Verhältnis zu Gott. Paulus, der hier in unserer Epistel von seinem Leben spricht, glaubte, sich damit bei Gott ganz besonders profilieren zu können, dass er diejenigen bekämpfte, die verkündigten, Gott habe den gekreuzigten Jesus von Nazareth von den Toten auferweckt. Die musste man doch bekämpfen, denn wenn Gott diesen gekreuzigten Jesus tatsächlich auferweckt hätte, dann hätte er ja eine Gotteslästerung gutgeheißen, dann hätte er ja damit bestätigt, dass dieser Jesus, der da als Verbrecher hingerichtet worden war, tatsächlich sein Sohn war, ja, dann hätte er damit doch seinem eigenen Gesetz widersprochen. Undenkbar, völlig ausgeschlossen – und so entfaltete Paulus einen Feuereifer, um möglichst viele dieser Jesusanhänger ihrer gerechten Bestrafung vor den Synagogengerichten zuzuführen. Keiner sammelte so viele Jesusanhänger ein wie er – eindeutig war er die Nummer eins, da kam keiner an ihn heran: Und doch endet dieser Leistungsnachweis in einem Desaster: als Lästerer und Verfolger und Frevler erweist er sich am Ende, als einer, der permanent ein Eigentor nach dem anderen in seinem Leben geschossen hat. Ja, Paulus geht am Ende tatsächlich als Erster vom Platz – aber, so betont er es hier in seinem Brief an Timotheus ausdrücklich, nicht als Erster im Kampf um einen Platz im Himmel, sondern als Erster unter den Sündern. Statt in der Champions League findet sich Paulus in der Kreisklasse auf dem letzten Tabellenplatz wieder, mit einem negativen Torverhältnis, an das kein anderer herankommt.
Als Vorbild bezeichnet sich der Apostel Paulus hier – und zwar zunächst einmal im Sinne des bekannten Sprichworts: „Es ist niemand ganz unnütz – er kann immer noch als abschreckendes Beispiel dienen.“ Denn was für Paulus damals galt, das gilt für uns heute eben noch ganz genau so:
Da mag ein Mensch in seinem Leben eine tolle Karriere machen, Geld verdienen wie Heu, da mag er sich leisten können, was er will – wenn Christus in seinem Leben keine Rolle spielt, dann steht er am Ende vor Gott doch bettelarm da, als Verlierer, der mit all seinem Geld keine Chance hat, in den Himmel aufzusteigen. Da mag ein Schüler am Ende des Schuljahrs ein Superzeugnis nach Hause bringen mit lauter Einsen und Zweien – wenn er in dem Schuljahr von Christus und seiner Kirche nichts wissen wollte, dann ist er in Wirklichkeit in seinem Leben in diesem Schuljahr doch sitzengeblieben, hat ohne Christus keine Chance auf seine Versetzung bei Gott. Da mag ein Mensch ein hochanständiges Leben führen, beliebt bei seinen Freunden und Bekannten sein – wenn er glaubt, damit am Ende Gott auch nur irgendwie beeindrucken zu können, hat er sich ganz gewaltig getäuscht.
Doch wie wird uns das klar, dass wir ohne Christus in unserem Leben nur als Verlierer dastehen können, ganz gleich, was wir ansonsten in unserem Leben alles erreicht haben mögen? Es gibt Menschen, denen ist das erst klar geworden, als sie in ihrem Leben einen ganz großen Absturz erfahren haben, als ihnen alles aus der Hand geschlagen wurde, was sie voller Stolz Gott oder anderen Menschen hätten präsentieren können. Ja, es gibt genug Menschen, die es in ihrem Leben sehr deutlich erfahren haben, wie sehr sie versagt haben, wie sehr sie schuldig geworden sind, und denen von daher klar wurde, dass sie mit ihrem Leben ganz sicher nicht vor Gott bestehen können. Doch der Paulus gehörte nicht zu diesen Menschen. Der hatte keine Lebenskrise, der hatte nicht erfahren, dass er mit seinem Bemühen, Gottes Gebote zu halten, gescheitert war, sondern der glaubte selber, ganz oben zu sein, als der auferstandene Christus ihm vor den Stadttoren von Damaskus erschien, ihm die Augen öffnete und ihm klar machte, wer er in Wirklichkeit war: nicht der Vorzeige-Fromme, sondern der Spitzenreiter unter den Sündern.
Nein, wir müssen in unserem Leben nicht unbedingt erst am Nullpunkt ankommen, um zu erkennen, dass uns nichts Anderes retten kann als Gottes Erbarmen, als seine Gnade. Christus begegnet uns oft genug auch schon vorher in unserem Leben, spricht uns an in seinem Wort, nimmt uns die Tomaten von den Augen, schenkt uns einen Neuanfang in unserem Leben, oft genug bevor wir eigentlich darum auch nur gebeten hatten.
Ja, genau das hat er mit uns, mit einem jeden von euch getan – sonst würdet ihr heute morgen hier nicht sitzen und genau das tun, was der Apostel Paulus hier auch tut: nämlich Christus danken und Gott loben dafür, dass er auch euch in seine Gemeinschaft gerufen hat.
Und warum hat Christus das getan, warum hat er auch uns zu solchen Menschen gemacht, die an ihn glauben? Nein, das liegt nicht daran, dass wir vielleicht doch ein bisschen besser wären als andere, dass wir in uns vielleicht doch irgendwelche besseren Anlagen zum Glauben hätten als andere. Nichts, aber auch gar nichts an uns und in uns gab es, was Christus hätte dazu veranlassen können, in unser Leben einzugreifen, wie er das auch bei dem Paulus getan hat. Das einzige, was ihn dazu veranlasst hat, uns zu retten und in seine Gemeinschaft zu führen, ist seine unbegreifliche Liebe zu uns, sein Erbarmen, seine Geduld, die er völlig unverständlicherweise mit uns hatte und immer noch hat. „Mir ist Barmherzigkeit widerfahren“, so formuliert es der Apostel hier gleich zweimal: Mir ist etwas widerfahren, wozu ich nichts beigetragen habe und worüber ich im Nachhinein nur staunen kann. Ich konnte und kann nichts dafür, dass Gott aus Liebe zu mir seinen Sohn in diese Welt geschickt hat, dass er ihn auch für mich und meine Schuld hat am Kreuz sterben lassen. Und ich konnte und kann nichts dafür, dass ich nun durch die Taufe mit Christus verbunden und Gottes Kind bin, nein, dafür kann ich ebenso wenig, wie ich dafür kann, dass ich an Christus glaube. Mein Glaube ist nicht die Voraussetzung dafür, dass Gott mich angenommen hat, dass Christus sich meiner erbarmt hat – sondern der ist schon die Folge von Gottes Erbarmen. Gott hat mich nicht gerettet, weil ich stark bin, sondern indem er mich gerettet hat, hat er mich auch stark gemacht, so betont es St. Paulus hier.
Nein, es geht im christlichen Glauben eben nicht bloß darum, dass wir erkennen, dass wir alle miteinander Sünder sind, dass wir es alle miteinander nicht verdient haben, dass Gott uns annimmt und uns am Ende an seiner Siegesfeier teilhaben lässt. Ja, wichtig ist es in der Tat, dass wir das erkennen, damit wir ja nicht auf die Idee kommen, auf irgendeinem anderen Weg in den Himmel zu kommen als durch Christus allein. Aber dass wir keine Chance haben, von uns aus in den Himmel zu kommen, das lässt uns Gott eben oft genug erst dadurch erkennen, dass er uns so reich beschenkt, dass er uns unsere Schuld vergibt, dass er unter all das, was bisher in unserem Leben war, einen Schlussstrich zieht. Aber er macht darüber hinaus eben noch mehr: Er vergibt nicht nur unsere Schuld, sondern er begabt uns reichlich: mit dem Glauben, mit der Liebe, mit Diensten, die wir in seiner Gemeinde wahrnehmen können. Es mag sein, dass du in der Schule nicht besonders gut bist: In Gottes Augen stehst du trotzdem glänzend da, darfst doch auf dich stolz sein wie Oskar, weil Gott dich zu einem Menschen gemacht hat, der so ist, wie er ihn haben möchte. Es mag sein, dass du in deinem Leben nicht mehr von Hartz IV herunterkommst – in Gottes Augen bist du doch ein reicher Mensch, begabt mit lauter Gaben, die sich auch kein Milliardär mit all dem Geld, das er hat, jemals kaufen könnte. Es mag sein, dass deine Kräfte in deinem Leben immer mehr nachlassen: In Gottes Augen bist du dennoch stark, weil Christus auch zu dir spricht: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Es mag sein, dass du bei einem Blick auf dein Leben so viel Versagen und so viele Versäumnisse entdeckst und so wenig, worauf du stolz sein könntest – weil Christus in dir lebt, gilt auch für dich, was Lukas Podolski vor dieser Fußball-WM einmal ganz offen so ausgesprochen hat: „Gott glaubt stets an dich; also verliere du auch nie den Glauben an dich.“
Ja, aufatmen darfst du als Christ, weil dein Wert eben nicht in dem besteht, was du zu leisten vermagst, weil du weder dir noch Gott noch jemand anders beweisen musst, was du wert bist. Gott schenkt dir deinen Wert, und er rückt damit auch die Maßstäbe in deinem Leben zurecht. Um es mit den Worten eines anderen Nationalspielers, mit den Worten von Piotr Trochowski, zu formulieren: „Mit Gott im Herzen geht man auch nach einer Niederlage als Sieger vom Platz.“ Gott setzt dich auf den ersten Platz heute hier an seinem Altar, lässt dich ganz groß rauskommen, wenn Christus selber mit seinem Leib und Blut in dir Wohnung nimmt. Und wem das klar ist, für den ist dann auch die Frage, wer denn nun Fußball-Weltmeister wird, eben nicht mehr die entscheidende Frage im Leben. Und genau das wissen, gottlob, auch viele unserer deutschen Fußballnationalspieler, Cacau, der keine Gelegenheit auslässt, für seinen Herrn Jesus Christus Werbung zu machen, genauso wie Arne Friedrich, in dessen Reisegepäck niemals seine Bibel fehlt, oder wie Bastian Schweinsteiger, der es so auf den Punkt gebracht hat: „Ich glaube einfach, dass Gott mit im Spiel meines Lebens ist. Karriere zu machen ist zwar schön, aber kein Ziel.“
Ja, sie alle wissen: Nicht darin liegt die Erfüllung unseres Lebens, dass wir selber die Nummer eins werden, sondern dass Gott die Nummer eins in unserem Leben wird, dass wir ihn mit unserem ganzen Leben loben und preisen, wie Paulus das hier in unserer Epistel auch zum Abschluss tut. Ja, darin liegt die Erfüllung unseres Lebens, dass wir ihn, Gott, loben und preisen, weil er nicht einfach zugesehen hat, wie wir Menschen mit unserem Leben ahnungslos in die falsche Richtung laufen, sondern seinen Sohn Jesus Christus zu uns geschickt hat, weil er in unser Leben eingegriffen und uns begnadigt und beschenkt hat. Fußball mag ja die schönste Nebensache der Welt sein. Aber mehr eben auch nicht. Denn weder Fußball noch Geld, Arbeit und Karriere, weder Familie noch Freunde noch wir selber stehen an erster Stelle in unserem Leben. Da steht allein der, der uns ohne unser Zutun zum ewigen Leben gerettet hat: Ja, Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.