25.12.2011 | 1. Johannes 3,1-6 | Heiliges Christfest

Nun ist Weihnachten also endlich vorbei: Die Geschenke sind ausgepackt, die Gans allmählich verdaut, die Kerzen am Weihnachtsbaum heruntergebrannt. Glaubt man dem Media Markt, dann ist die Entscheidung über Weihnachten gestern Abend unterm Baum gefallen, und vielleicht sehen wir heute auf dem Rückweg vom Gottesdienst auch schon die ersten Weihnachtsbäume am Straßenrand liegen. Weihnachten ist gelaufen; nun geht es ans Aufräumen!

Schwestern und Brüder: Wer das allen Ernstes glaubt, dass Weihnachten heute Morgen schon gelaufen ist, dass Weihnachten heute Morgen schon vorbei ist, der hat in Wirklichkeit Weihnachten noch überhaupt nicht kapiert. Heute feiern wir Weihnachten, nicht gestern. Gestern war eigentlich nur die Vorbereitung auf das Fest, mehr nicht, und in Wirklichkeit können wir heute ohnehin auch viel besser wahrnehmen, worum es zu Weihnachten eigentlich geht, heute, nachdem sich der ganze vorweihnachtliche Trubel gelegt hat, nachdem alle Pflichtrituale absolviert sind, nachdem die Spannung, ob uns die Feier denn in diesem Jahr nun wohl gelingen wird oder nicht, allmählich von uns abgefallen ist. Heute feiern wir Weihnachten, jawohl, jetzt in diesem Gottesdienst, wollen uns hier und jetzt nun dem eigentlichen Kern von Weihnachten, dem eigentlichen Geheimnis des Christfestes, der eigentlichen frohen Botschaft dieses Tages nähern. Dazu müssen wir zunächst einmal in die Krippe schauen, auf das Kind, das da liegt. Und um verstehen zu können, was dieses Kind in der Krippe für uns bedeutet, müssen wir zugleich genau hinhören – hinhören auf die Worte des heiligen Johannes, die wir eben in unserer Predigtlesung gehört haben. Dann kommen wir bei der Betrachtung des Kindes aus dem Staunen nämlich gar nicht mehr heraus. Dreierlei stellt uns St. Johannes hier vor Augen:
- Gott wird ein Kind, damit wir Kinder Gottes werden.
- Gott wird wie wir, damit wir werden wie er.
- Gott macht sich dreckig, damit wir rein dastehen vor ihm.

I.
Kleine Babys, kleine Kinder sind süß und niedlich anzuschauen, gar keine Frage. Doch darum geht es zu Weihnachten nun eigentlich nicht. Weihnachten geht es nicht bloß um ein bisschen Babygucken in romantischer Umgebung mit etwas Engelsgesang drum herum. Sondern Weihnachten geht es darum, dass wir erkennen, dass der, der da in der Krippe liegt, unser Gott ist, der, dem die ganze Welt ihre Existenz verdankt, dem auch wir unser Leben verdanken. Der liegt da in diesem stinkenden Futtertrog – nicht weil er das so gemütlich gefunden hätte, nicht, um uns ein romantisches Fotomotiv zu liefern, sondern nur aus einem einzigen Grund: Er liegt da, damit auch du ein Kind Gottes wirst, er liegt da, damit du sein Bruder, seine Schwester wirst.

Nein, das ist nicht logisch, das ist nicht selbstverständlich, dass wir Gottes Kinder sind. Es sind nicht einfach automatisch alle Menschen von ihrer Geburt an Gottes Kinder. Gottes Geschöpfe sind sie allemal, Gottes Ebenbilder, wenn auch durch die Sünde verzerrt. Aber Gottes Kind zu sein, das ist noch einmal etwas ganz Anderes, das ist ein geradezu unglaubliches Privileg, über das man eigentlich gar nicht genug staunen kann. Gottes Kind zu sein bedeutet: Gott ganz persönlich zum Vater zu haben, zu seiner Familie zu gehören, freien Zugang zu ihm zu haben. Gottes Kind zu sein bedeutet: das Anrecht zu haben, für immer, in alle Ewigkeit mit Gott zusammen sein zu dürfen. Gottes Kind zu sein bedeutet: eine großartige Zukunftsperspektive zu haben. Ja, Gottes Kind zu sein bedeutet: vom himmlischen Vater unendlich geliebt zu sein.

Wie gesagt, das ist nicht logisch, das ist nicht selbstverständlich, sondern um Gottes Kind zu werden, muss man noch einmal neu geboren werden, aus Wasser und dem Heiligen Geist, so, wie es heute Morgen Genevieva in der Taufe widerfahren ist. Ja, darum wurde der Sohn Gottes als Mensch, als kleines Kind geboren, damit du in der Taufe von Neuem geboren werden konntest, damit du nicht nur Gottes Kind genannt werden kannst, sondern es tatsächlich bist und bleibst. Liebe war es, die Gott dazu bewog, seinen Sohn als Mensch geboren werden zu lassen, Liebe war es, die ihn dazu bewogen hat, dich als sein Kind neu geboren werden zu lassen in der Taufe: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!“ Darum passt eine Taufe so gut zum Weihnachtsfest, nein, nicht bloß, weil es beide Male um ein kleines Baby geht, sondern weil das eine Baby darum geboren worden ist, damit das andere Baby, damit wir alle neu geboren werden als Kinder des himmlischen Vaters. Darum und um nicht weniger geht es heute an Weihnachten!

II.
Kind Gottes bist du jetzt schon – was für ein Privileg! Du befindest dich damit jetzt schon in allerhöchsten Kreisen, bist Königskind, von allerfeinster Abstammung. Und doch: Ansehen tut man dir das im Augenblick noch nicht unbedingt. Im Gegenteil: Vielleicht halten dich so manche Leute in deiner Umgebung sogar für einen Spinner, schütteln den Kopf darüber, wie man so blöd sein kann, an Gott zu glauben, mit ihm, dem Vater, im Gebet zu sprechen. Dass du Kind Gottes bist, nützt dir nicht unbedingt etwas in deinem alltäglichen Leben, bringt dir nicht unbedingt Respekt, bringt dir nicht unbedingt Vorteile ein. Dass du Kind Gottes bist, bedeutet nicht, dass du in deinem Leben keine Probleme mehr hast, dass du nicht krank wirst, dass du nicht irgendwann auch einmal sterben musst. Ja, so formuliert es St. Johannes hier: Wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wenn das die Leute jetzt schon an uns erkennen könnten, was wir einmal sein werden, dann würden sie nur noch vor Neid erblassen, dann hätten sie nur noch einen Gedanken: auch Kind Gottes werden und bleiben zu wollen. Wenn wir das selber schon erkennen und wahrnehmen würden, was wir einmal sein werden, dann würden wir uns nicht mehr von so vielem herumtreiben lassen, was uns ansonsten in unserem Leben bewegt, dann würde uns vieles nicht mehr aufregen und Sorgen bereiten, was uns jetzt noch so schnell gefangen nimmt. ja, wenn wir jetzt schon erkennen und wahrnehmen würden, was wir einmal sein werden, dann würden wir in unserem Leben von nichts Anderem mehr getrieben werden als von Liebe, als von Liebe zu Gott und von Liebe zu unserem Nächsten. Doch noch ist es nicht so weit, noch kann man uns das nicht ansehen, was das eigentlich bedeutet, dass wir Gottes Kinder sind. Es bedeutet nämlich, so fährt Johannes fort, dass wir Gott gleich sein werden, dass wir werden wie er.

Schwestern und Brüder: Wenn das nicht wortwörtlich hier so in der Heiligen Schrift stehen würden, dann würde ich mich nicht trauen, solch einen Satz auszusprechen: Wir werden Gott gleich sein, wir werden sein wie Gott. Wenn wir Gott einmal selber schauen werden, dann werden wir in dieser Schau so eng mit Gott verbunden werden, dass wir werden wie er. Er, das ewige Licht, wird uns so bescheinen, dass auch wir in seinem Lichtglanz selber Licht sein werden, strahlen werden in ewiger Freude.

Darum, liebe Schwester, lieber Bruder, liegt heute Morgen das Kind in der Krippe. Nur darum wirst du einmal werden wie Gott, nur darum wirst du einmal in seinem Licht strahlen, weil er, Christus, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftiger Gott vom wahrhaftigen Gott, ganz wie du geworden ist, ein sterblicher Mensch, einer, dem man seine Herkunft aus Gott in keiner Weise ansehen kann. „Das Wort Gottes wurde Mensch, damit wir vergöttlicht würden“, so hat es der heilige Athanasius formuliert. Und um nicht weniger geht es nun auch heute Morgen wieder, wenn du hier am Altar das Heilige Mahl empfängst. Da ist auch noch nicht offenbar, was du hier in Wirklichkeit empfängst: Wenn du sehen könntest, was sich in diesem kleinen Stück Brot, was sich in diesem Kelch verbirgt, so könntest du dich diesem Altar überhaupt nicht nähern, würdest geradezu geblendet werden vom Lichtglanz des lebendigen Gottessohnes, der seinen Leib und sein Blut in die Elemente von Brot und Wein wickeln lässt. Doch noch ist es nicht offenbar, noch setzt sich Christus selber dem Missverständnis aus, als ob man hier im Heiligen Mahl nicht mehr als Brot und Wein zur Erinnerung an ihn empfinge. Doch auch wenn es für unsere Augen noch nicht zu erkennen ist: Deine Vergöttlichung fängt hier und jetzt schon an, wenn er, der ewige Gott, in dir Wohnung nimmt, dich mit Leib und Seele durchdringt und dich damit schon hier und jetzt vorbereitet auf den Tag, an dem du ihn einmal mit eigenen Augen schauen wirst. Wir werden ihm gleich sein – darum und um nicht weniger geht es heute an Weihnachten!

III.
Gott gleich zu sein, für immer in seinem Licht zu leben – Schwestern und Brüder, diese Zukunftsperspektive müsste doch eigentlich für uns, für unser Leben so prägend, so großartig sein, dass wir gar nicht anders können, als unser Leben ganz auf ihn, Christus, auszurichten. Und in der Tat: Johannes geht auch davon aus, dass diese Zukunftsperspektive für uns und unser Leben nicht ohne Folgen bleibt, dass sie uns dazu bewegt, in Verbindung mit Christus zu bleiben und zu leben. Doch wir wissen zugleich um den Irrsinn unseres Lebens als Christen, dass wir trotz dieser Aussicht, trotz unserer Würde als Kinder Gottes uns doch immer wieder von Christus, dem Licht der Welt, dem Licht unseres Lebens, abwenden, ein Leben führen, das nicht von seinem Licht, von seiner Liebe bestimmt ist.

Und das sind eben keine harmlosen Ausrutscher, so macht es uns St. Johannes hier deutlich, sondern das würde uns tatsächlich unser Leben bei Gott, in seinem Licht kosten – wenn dieses Kind in der Krippe nicht auch deshalb dort liegen würde, um die Sünden wegzunehmen, wie Johannes es hier formuliert.

In so manchem Weihnachtslied wird das arme Jesuskind in der Krippe darum bedauert, weil es dort angeblich so sehr frieren musste und weil es in der Krippe dort so unbequem war. Ob es damals bei der Geburt Jesu tatsächlich so kalt im Stall von Bethlehem war, wissen wir nicht; vielleicht war es im Stall auch eher stickig-schwül. Und ob die Krippe hart oder weich gepolstert war, ist uns ebenfalls nicht überliefert. Doch selbst wenn das Kind es dort in der Krippe nicht besonders angenehm hatte – das allein war es nicht, weshalb wir mit diesem Kind Mitleid haben sollten. Sondern wenn wir auf dieses Kind schauen, sollen wir uns daran erinnern, dass es zu keinem anderen Zweck in diese Welt hineingeboren wird, als dazu, unsere Sünden wegzunehmen, all das, was uns am Leben in der Gemeinschaft mit Gott hindern könnte. Der ewig reine Gott macht sich bis hinter die Ohren dreckig mit unserer menschlichen Schuld, lässt sich damit besudeln, damit an uns kein Dreck mehr klebt, damit wir ganz rein dastehen in seinen Augen. Ein wunderbarer Tausch vollzieht sich dort in der Krippe: Christus nimmt deine Schuld auf sich, damit du sündlos dastehst in Gottes Augen, er wird ein sterblicher Mensch, damit du unsterblich leben darfst in Gottes Ewigkeit, er erleidet die Trennung von Gott, damit dich von Gott nichts mehr trennen kann. Darum und um nicht weniger geht es heute an Weihnachten! Nein, Weihnachten ist nicht schon vorbei. Es geht jetzt erst richtig los, hoffentlich auch bei dir, wenn du auf das Kind in der Krippe blickst und erkennst, warum es da liegt: damit du Kind Gottes wirst, damit du wirst wie Gott, ja, damit du rein dastehst vor ihm. O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! Amen.