30.11.2011 | Hesekiel 3,16-21 | Tag des Apostels St. Andreas

Habt ihr euch im Internet schon einmal das Hirtenbarometer angeschaut? Unter www.hirtenbarometer.de können dort die User Bewertungen über die Performance ihres Hirten abgeben und dafür Noten erteilen: „predigt viel zu lang“, „zappelt auf der Kanzel“, „gebraucht in der Predigt zu viele flapsige Ausdrücke“, „hat eine zu laute Stimme“, „ist als Pastor nur mit viel Geduld zu ertragen“ oder so ähnlich. Und aus diesen Bewertungen ergibt sich dann ein Gesamtbild, aus dem man erkennen kann, ob es sich lohnt, zu dem jeweiligen Pastor in die Kirche zu gehen.

Die Erwartungen, die sich hinter der Einrichtung eines solchen Hirtenbarometers im Internet verbergen, sind klar: Die Pastoren sollen mal erfahren, was man wirklich von ihnen hält. Und dann sollen sie sich entsprechend Mühe geben, sollen versuchen, ihr Ranking, ihren Durchschnittswert zu verbessern, indem sie das sagen und machen, was die Zuhörer von ihnen erwarten. Denn eines ist ja wohl klar: Sie wollen und sollen bei den Zuhörern doch gut ankommen, beliebt sein, Erfolg haben. Ob Hirtenbarometer oder Politbarometer – letztlich ist da gar kein so großer Unterschied.

Nun kann es in der Tat sehr hilfreich sein, wenn Hirten auf ihre Fehler und Schwächen aufmerksam gemacht werden. Nur ist es allemal hilfreicher, dies persönlich zu machen und nicht per Abstimmung über das Hirtenbarometer. Einen grundsätzlichen Fehler hat das Hirtenbarometer allerdings ohnehin: Es geht davon aus, dass es Ziel und Aufgabe des Hirtendienstes ist, bei den Zuhörern gut anzukommen, gute Noten für das zu bekommen, was man sagt und tut. Und das ist nun in der Tat ein gewaltiger Irrtum, so macht es kein Geringerer als Gott selber in der Predigtlesung des heutigen Aposteltages deutlich.

Gewiss, was wir eben in dieser Predigtlesung gehört haben, ist zunächst einmal nur eine Anrede Gottes an eine ganz bestimmte Person, den Propheten Hesekiel, der hier zu seinem Dienst berufen wird. Doch was Gott hier dem Hesekiel vor Augen stellt und einschärft, gilt auch für alle, die von ihm, dem Herrn, in entsprechender Weise in seinen Dienst gerufen worden sind, das gilt für den Apostel Andreas, der damals von Christus von seinen Netzen am See Genezareth geholt wurde, wie für alle, die in der Nachfolge der Apostel von Christus ins Amt der Kirche gerufen und gesetzt worden sind.

Ja, davon, dass Gott ihn, Hesekiel, zum Wächter über das Haus Israel „gesetzt“ habe, spricht er in der heutigen Predigtlesung. Hesekiel hatte nicht den Berufswunsch „Prophet“ gehabt und sich diesen Lebenstraum dann schließlich erfüllt. Sondern er wurde völlig unerwartet von Gott angesprochen, von ihm gerufen und in einen Dienst eingesetzt, der für ihn nun wahrlich kein Vergnügen war, in dem er immer wieder auf Widerstand und Anfeindungen stieß. Aber er konnte gar nicht anders, als diesen Dienst auszuüben, weil Gott ihn nun mal gerufen hatte, konnte nicht einfach die Brocken hinschmeißen, wenn die Bewertungen im Hirtenbarometer zu sehr in den Minusbereich rutschten. Verantwortlich war er nicht zuerst und vor allem seinen Zuhörern, verantwortlich war er an erster Stelle dem, der ihn gerufen hatte und der ihn aus diesem Dienst auch nicht entließ, als ihm der Wind ganz gewaltig ins Gesicht blies.

Von Christus ins Amt gesetzt sind auch all diejenigen, die mit den Aposteln und in ihrer Nachfolge den Auftrag haben, die Botschaft Christi weiterzusagen. Gewiss, diejenigen, die diesen Dienst heute in unserem Land versehen, werden nicht so unmittelbar und überraschend von Gott gepackt und berufen, wie dies bei Hesekiel der Fall war. Sie haben in aller Regel die Möglichkeit, sich auf diesen Dienst vorzubereiten. Doch das Entscheidende ist auch für sie nicht, mit was für einer Note sie ihr Examen bestanden haben. Das Entscheidende ist auch für sie nicht, ob sie sich innerlich berufen fühlen oder selber der Meinung sind, dass sie ihre Aufgabe gut machen. Sondern entscheidend ist einzig und allein, dass sie in das Amt gesetzt worden sind von ihm, Christus, in das Amt, das seinem Wesen nach ebenfalls Wächteramt ist, wie es Gott hier zu Hesekiel sagt.

Was ist mit diesem Wächteramt gemeint? Ein Wächter hatte damals die Aufgabe, oben auf dem Turm der Stadtmauer zu stehen und Ausschau zu halten und dann die Leute zu warnen, wenn er sah, dass Gefahr im Verzug war. Der Wächter konnte sich keine schlimmere Verfehlung leisten als die, dass er die Bewohner der Stadt bei drohender Gefahr nicht warnte, sondern seinen Mund hielt, weil er ihnen ihre gute Laune nicht verderben wollte, weil er nicht wollte, dass die Leute sich über ihn ärgerten, wenn er ihnen schlechte Nachrichten überbrachte. Was er den Leuten zu sagen hatte, hing also eigentlich gar nicht von ihm selber ab – er reichte nur weiter, was er wahrnahm und was er entsprechend weiterzusagen hatte.

Genauso war es auch bei Hesekiel: Seine Aufgabe bestand einzig und allein darin, Ausschau zu halten auf das, was Gott ihm vor Augen stellte, was Gott ihm zu sagen hatte. Hesekiel sollte nicht selber kreativ werden und die Leute mit seiner Verkündigung unterhalten. Sondern er hatte nur diesen Auftrag: weiterzureichen, was ihm von Gott vor Augen gestellt, was ihm von Gott gesagt wurde. Und eben daran hat sich bis heute bei denen, die von Gott ins Amt gerufen werden, nichts geändert: Was sie zu verkündigen haben, steht nicht in ihrer Verfügungsgewalt. Maßstab ihrer Verkündigung darf keinesfalls sein, ob die Leute das auch mögen und nett finden, was sie sagen. Sondern Maßstab ihrer Verkündigung soll einzig und allein sein, ob diese Verkündigung dem entspricht, was ihnen aufgetragen ist, ob ihre Verkündigung der apostolischen Botschaft des Neuen Testaments ohne Einschränkung, ohne Abstriche entspricht. Apostolisch soll ihre Verkündigung sein, das allein ist wichtig, darin allein besteht ihr Wächteramt. Noch einmal anders ausgedrückt mit der Epistel des übernächsten Sonntags: Haushalter sollen sie sein über Gottes Geheimnisse, Haushalter, von denen nichts anderes zu erwarten ist, als dass sie als treu befunden werden, treu gegenüber dem, der ihnen diese Geheimnisse anvertraut hat. Wie sie diese Botschaft weitersagen, wie sie als Haushalter tätig sind, mag dem Betrachter, mag dem Zuhörer oft genug eher mickrig erscheinen, ohne Ausstrahlung, ohne Showtalent. Für Hirtenbarometer reicht das nicht. Aber für den, der den Auftrag gegeben hat, reicht es – und damit auch für die, die auf die Botschaft dieser Wächter, dieser Haushalter hören sollen, auch wenn diese menschlich gesprochen ganz schön leere Flaschen sein sollten.

Nun sagt sich das so einfach, dass Boten, dass Hirten einfach nur tun sollen, womit und wozu sie beauftragt sind. Doch Gott weiß, wie leicht diejenigen, die er in seinen Dienst gerufen hat, dann doch wieder darauf schielen, wie sie bei den Leuten ankommen, wie leicht sie sich schrecken lassen von der Empörung, die sie mit ihren Worten hervorrufen mögen, wie sehr sie sich innerlich dann doch danach sehnen, beliebt und akzeptiert zu sein.

Und eben darum schärft Gott dem Hesekiel hier ganz eindrücklich ein, was für ihn und für die, denen er die Botschaft Gottes auszurichten hat, eigentlich auf dem Spiel steht: Es geht um nicht weniger als um Heil und Verderben; es geht auch heute in der Verkündigung der Boten Gottes um nicht weniger als um ewiges Heil oder ewigen Tod. Sünde und Gottlosigkeit sollen von den Boten Gottes angesprochen und beim Namen genannt werden, damit diejenigen, die in dieser Sünde, in dieser Gottlosigkeit leben und verharren, ihre Lage erkennen, die Gefahr, in der sie sich befinden, und dann auch umkehren können, umkehren zum Leben. Ja, genau darauf hat die ganze Verkündigung Hesekiels zu zielen, dass Menschen umkehren, nicht verlorengehen, sondern leben. Aber umkehren können sie eben nur, wenn sie zuvor erkannt haben, dass sie in der falschen Richtung unterwegs waren, dass es so nicht weitergehen konnte wie bisher. Hätte Hesekiel die Menschen auf ihrem Weg ins Verderben einfach nur einfühlsam begleitet und ihnen Verständnis für ihren Weg signalisiert, dann hätten sich seine Zuhörer zwar vielleicht ganz gut dabei gefühlt und Hesekiel für einen netten, wunderbaren Menschen gehalten. Aber am Ende hätten sie erkennen müssen, dass sie ihr Leben verfehlt haben.
 
Und genau das gilt auch für die, die heute im Auftrag Gottes, im Auftrag Christi seine Botschaft zu verkündigen haben. Gewiss, die Botschaft, die denen, die heute im Hirtenamt der Kirche stehen, anvertraut ist, ist unendlich schöner und tröstlicher als die Botschaft, die damals Hesekiel verkündigen musste. Eine frohe Botschaft ist es, die auch ich euch immer und immer wieder verkündigen darf, die frohe Botschaft von Jesus Christus, der gekommen ist, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Doch zu dieser Botschaft gehört eben auch heute dazu, dass davon die Rede sein muss, dass Menschen ohne Christus, ohne seine Vergebung verloren sind, dass Christus nicht bloß ein nettes Wohlfühlangebot ist, sondern der einzige Weg zu Gott, die einzige Rettung, die wir haben. Ja, um Umkehr geht es auch heute in der Verkündigung der Kirche, um Umkehr zum Leben, um Umkehr zu Christus. Und diese Umkehr vollzieht sich eben auch nicht bloß einmal im Leben, sondern zu dieser Umkehr sind wir immer und immer wieder gerufen, weil wir uns auch dann immer wieder verlaufen, wenn wir es eigentlich längst besser wissen müssten, weil wir dennoch immer wieder ein Leben ohne Gott führen. Und das sollen die, die im Hirtenamt der Kirche stehen, ansprechen, sollen warnen, sollen auch die Gefahr eingehen, Menschen mit dem, was sie sagen, zu verärgern. Und das fällt einem oft genug ganz schön schwer, das sage ich euch, da möchte man am liebsten dann doch kneifen, es am liebsten doch bei Nettigkeiten belassen. Ja, wie oft habe ich tatsächlich in diesen vergangenen zwanzig Jahren hier in unserer Gemeinde in meinem Dienst gekniffen, so muss ich es euch heute Abend hier von der Kanzel bekennen.

Und das hat Folgen, so stellt es Gott dem Hesekiel hier vor Augen: Wenn er den Gottlosen vor seinem Weg warnt, und der hört nicht auf ihn, dann wird der Gottlose um seiner Sünde willen sterben – aber Hesekiel selber wird für den Erfolg oder Misserfolg seiner Verkündigung nicht zur Rechenschaft gezogen. Wenn aber Hesekiel kneift und den Gottlosen erst gar nicht warnt, dann wird der ebenfalls um seiner Sünde sterben. „Aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern“, sagt Gott. Gott wird den Boten für einen jeden zur Rechenschaft ziehen, dem er die Botschaft ausrichten sollte und es doch nicht getan hat.

Davon, dass die, die die Gemeinde leiten, über die Seelen der Gemeindeglieder wachen und dafür Rechenschaft ablegen müssen, spricht auch der Hebräerbrief im Neuen Testament, nimmt damit genau die Worte Gottes an Hesekiel auf. Rechenschaft werde auch ich einmal ablegen müssen über einen jeden von euch, über ein jedes Gemeindeglied, das Christus auch mir anvertraut hat. Ja, weh mir, wenn ich ihm die Botschaft, auch die Warnung schuldig bleibe, die es von mir eigentlich hören sollte. „Sein Blut will ich von deiner Hand fordern.“ Um weniger geht es auch in meinem Dienst nicht. Diese Warnung kann einem schon ganz schön auf der Seele liegen. Doch aussteigen will ich nicht und kann es auch gar nicht; der Auftrag bleibt ja, ganz gleich, ob ich ihn wahrnehme oder nicht. Und so kann ich mich nur zu einem flüchten: Zu dem Blut, das ein anderer vergossen hat für die, denen ich die Botschaft auszurichten habe, und für mich selber auch: zu dem Blut meines Herrn und Heilandes Jesus Christus, das ich euch auch heute wieder reichen darf im Heiligen Mahl zur Vergebung der Sünden und das ich dann am Ende doch auch selber empfangen darf zur Vergebung all meines Versagens, all meiner Versäumnisse.

Und so will ich in seiner Kraft es euch und allen anderen Gliedern der Gemeinde heute und auch in Zukunft immer wieder zurufen: Kehrt um zu Christus, haltet euch an ihn, an seine Vergebung. Er allein kann und wird euch retten, retten ins ewige Leben – und, Gott geb’s, mich auch. Amen.